„Hau ab Du Penner“

Gewalt gegen Wohnungslose

In der Auseinandersetzung mit (rechter) Gewalt gegen Wohnungslose zeigen sich institutionelle und gesellschaftliche Problemfelder, die eine umfassende und kritische Bearbeitung erfordern. Gewalt gegen Wohnungslose muss dabei in den gesellschaftlichen Fokus rücken und ihre Verankerung in rechten Denk- und Handlungsstrukturen wahrgenommen werden.

In der Auseinandersetzung mit (rechter) Gewalt gegen Wohnungslose zeigen sich institutionelle und gesellschaftliche Problemfelder, die eine umfassende und kritische Bearbeitung erfordern. Gewalt gegen Wohnungslose muss dabei in den gesellschaftlichen Fokus rücken und ihre Verankerung in rechten Denk- und Handlungsstrukturen wahrgenommen werden.

Fokus rechte Gewalt

Unter rechter Gewalt werden häufig rassistische und antisemitische Taten sowie Angriffe gegen Nichtrechte oder alternative Jugendliche verstanden. Diese Betroffenengruppen haben zunehmend Aufmerksamkeit gefunden, auch nachdem organisierte Nazigruppierungen wie der selbsternannte Sturm 34 in Mittweida (Sachsen) erklärt hatten, ganze Landstriche zu „zecken- und ausländerfreien Zonen“ machen zu wollen. So relevant diese Phänomene sind, so verdrängen sie in der Öffentlichkeit häufig, dass auch andere Personengruppen Op­fer rechter Angriffe werden. Feindschaft gegenüber Minderheiten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität, Be­hinderung oder ihrer Wohnungslosigkeit bzw. prekären sozialen Lage sind tief verwurzelte Einstellungsphänomene in der Mehrheitsbevölkerung. Jene Ablehnung schlägt sich auch in tätlichen Angriffen gegenüber diesen Personengruppen nieder.

Behördliches Erfassungs­system rechter GewaltDem behördlichen Erfassungssystem der „Politisch motivierten Kriminalität“ (PMK) werden seit 2001 Straftaten zugeordnet „wenn die Umstände oder die Ein­stellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet“.

Diese Neukategorisierung war notwendig geworden, weil im vorangegangenen System der Staatsschutzdelikte nur jene Delikte erfasst wurden, die sich gegen den Bestand oder die verfassungsmäßige Ordnung des Staates richteten oder ein politisches Element in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland als Ganzes oder eines ihrer Teile enthielten. Aufgrund dieses Merkmals der Systemüberwindung konnte bis 2001 eine große Zahl von Gewalttaten gegen FIüchtlinge, Migrant_innen, alternative Jugendliche und Wohnungslose schon aus Gründen mangelnder Definition seitens der Behörden nicht erfasst werden.

Die Neukategorisierung ist auch im Hinblick auf die Betroffenengruppe von Woh­nungslosen zu begrüßen. Allerdings ist der Begriff des „gesellschaftlichen Status“ durchaus kritisch zu reflektieren, da er aufgrund seiner Deutungsoffenheit den Kern des Problems nur unzureichend trifft. Wörtlich – wenn wohl auch nicht in der praktischen Anwendung – bezieht er sich auf die wahrgenommene Position einer Person innerhalb der Gesellschaft, die über die berufliche Stellung, politische Ämter, finanzielle Situation, familiäre Herkunft, Biographie und so weiter erreicht werden kann. Damit ist seine Anwendung auf unzählige Raub- und Diebstahlsdelikte möglich, da sie sich auf den vermeintlich „reicheren“ Status der Opfer beziehen. Diese Taten zielen aber gerade nicht auf die Gruppenzugehörigkeit der Opfer, sondern dienen der unrechtmäßigen Besitz- und/oder Eigentumserlangung. Es ist aber nicht Ziel der PMK, solche Delikte zu erfassen. Vielmehr sind jene Angriffe gemeint, denen Wohnungslose, Alkoholkranke und andere sozial marginalisierte Menschen ausgesetzt sind, die von den Tätern als „asozial“ verachtet werden. Dies sollte begriffstechnisch auch klar benannt werden.

Ausmaß rechtsmotivierter Gewalt gegen Wohnungslose

Die Ignoranz gegenüber Gewalttaten gegen Wohnungslose spiegelt sich auch in der Recherche zu den Todesopfern rechter Gewalt wider, wonach diese nach Migrant_innen am häufigsten tödlich angegriffen wurden. In den Jahren von 1989 bis 2010 wurden mindestens 29 Menschen aus dem Motiv der Ablehnung von Wohnungslosen ermordet. Bei vier weiteren besteht der Verdacht eines rechten Tötungsverbrechens. Und obwohl seit 2001 eine Neubewertung aller politisch motivierten Tötungsdelikte durch die Behörden erfolgte, sind bis heu­te nur sieben dieser Todesfälle offiziell als rechte Morde anerkannt.

Diese tödliche Dimension bestätigen auch die Expert_innen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., die von 1989 bis Mitte 2009 sogar 167 Tötungsdelikte und 366 Körperverletzungen mit schweren Folgen gegen Wohnungslose recherchierten, die von Tätern außerhalb der Wohnungslosenszene begangen wurden. Derzeit wird von vier bis neun jährlichen Todesfällen ausgegangen; sogenannte Milieutaten sind in all diese Zählungen nicht einbezogen.

Sind schon tödlich endende Gewaltverbrechen gegen Wohnungslose und sozial an den Rand Gedrängte nahezu nicht erfasst, so kann bei allen anderen Delikten das Ausmaß mangels statistischer Erfassung nicht einmal annähernd abgeschätzt werden. Insgesamt ist von einem immensen Dunkelfeld auszugehen, da der weit überwiegende Teil der Taten von den Betroffenen überhaupt nicht angezeigt wird. Auch die Statistiken der Beratungsstellen für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt bilden diese Betroffenengruppe so gut wie überhaupt nicht ab. So werden für das Jahr 2010 nur drei Angriffe gegen Wohnungslose in Ostdeutschland aufgeführt. Die Beratungsstelle des RAA Sachsen e.V. stellt diesbezüglich selbstkritisch fest, dass es ihr nur schwierig gelingt, „einen vertrauensvollen Zugang zu sozial Benachteiligten/Wohnungslosen ( ... ) zu finden“. Gründe dafür liegen in einem komplexeren Zugang zur Betroffenengruppe, der durch häufig vorhandene Mehrfachproblematiken erschwert ist. Darüber hinaus erfahren die Bera­ter_in­nen mangels öffentlicher Berichterstattung nur selten von diesen Angriffen. Aber auch Netzwerke mit sozialen Initiativen und die Kontakte zur Betroffenengruppe selbst sind verbesserungswürdig.

Motive der Gewalt gegen Wohnungslose

Ein großer Teil der Täter zeigt ein Verhalten, das extrem rechten Ideologien entspricht, ohne dass diese in entsprechenden Organisationsstrukturen verankert sind oder sich selbst dem rechten Spektrum zugehörig fühlen. Gewalt ge­gen Wohnungslose wird verübt, weil diese als „gesellschaftlich unproduktiv“ eingestuft, als „Parasiten“, „Penner“ oder „Assis“ herabgesetzt werden, eine Vorstellung die mit weit verbreiteten Ungleichwertigkeitsvorstellungen in der Mehrheitsgesellschaft einhergeht.

Die Taten zeichnen sich – wie im gesamten Forschungsfeld vorurteilsmotivierter Gewalttaten bekannt – durch besondere Brutalität aus. Die häufig massive Gewalteskalation rechtfertigt sich wiederum aus der Sichtweise, dass die Betroffenen minderwertig seien und ihnen deshalb kein Recht auf Leben zustehe. Wohnungslose sind dann aufgrund ihres Aufenthalts auf der Straße und Mehrfachproblematiken wie Alkoholkrankheit, psychische Beeinträchtigungen und allgemeine gesundheitliche Proble­me potenziellen Tätern praktisch wehrlos ausgesetzt. Die meist älteren Opfer werden gefoltert, gequält, gedemütigt, mit Benzin übergossen oder mit Sprin­ger­stiefeln zu Tode getreten.

Fazit

Leider muss festgestellt werden, dass sich an der Nichtwahrnehmung dieser Betroffenengruppe in den letzten Jahren nicht viel verbessert hat. Gibt es zu den Problemfeldern Antisemitismus, Rassismus oder zum Terror organisierter Nazis eine zumindest in Teilen sensibilisierte Öffentlichkeit, bleibt das Thema der gesellschaftlichen und institutionellen Aus­grenzung und Gewalt an Wohnungslosen und sozial Prekarisierten nahezu unsichtbar. Es ist dringend erforderlich, dass eine Fokussierung auf das Problem erfolgt, dies gilt sowohl für staatliche Institutionen als auch für (zivil)gesellschaftliche Organisationen.


Dies ist ein gekürzter und in der Einleitung geänderter Artikel, der in der Ausgabe 4/2011 der Zeitschrift "Wohnungslos" erschien. Wir danken der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. für die Erlaubnis des Nachdrucks.