Altenaer Brandstifter vor Gericht

Normalitäten und rassistische Kontiunitäten der "deutschen Mitte"

Durch den Brandanschlag auf ein von syrischen Geflüchteten bewohntes Haus in der sauerländischen Kleinstadt Altena (Märkischer Kreis) und das daraufhin folgende Strafverfahren erhielt die Debatte um den Rassismus der „deutschen Mitte“ neues Futter. Eindrucksvoll kristallisierte sich heraus, dass Rassismus kein extrem rechtes Rand-, sondern ein in allen gesellschaftlichen Schichten verankertes Alltagsphänomen ist.

Durch den Brandanschlag auf ein von syrischen Geflüchteten bewohntes Haus in der sauerländischen Kleinstadt Altena (Märkischer Kreis) und das daraufhin folgende Strafverfahren erhielt die Debatte um den Rassismus der „deutschen Mitte“ neues Futter. Eindrucksvoll kristallisierte sich heraus, dass Rassismus kein extrem rechtes Rand-, sondern ein in allen gesellschaftlichen Schichten verankertes Alltagsphänomen ist.

Altena in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 2015: Dirk D. und Marcel N. sind auf dem Weg zu einem Wohnhaus, in dem seit Kurzem zwei syrische Familien leben. Einige Stunden zuvor hatten sie an einer Tankstelle Benzin gekauft und waren dann gemeinsam zu einem Kumpel gefahren, um eine Runde Playstation zu spielen. Nun wollen sie ein Wohnhaus anzünden. Um in das Haus einzubrechen, schlagen sie das Fenster der Hintertür ein. Anschließend besteigen sie über eine Luke den Dachboden. Hier verteilt D., hauptberuflich Feuerwehrmann, etwa 1,8 Liter Benzin auf die Stützbalken, um dann den Brandbeschleuniger zu entzünden. Bevor sich D. und N. vom Tatort entfernen, trennt einer der beiden noch das Kabel eines Verteilerkastens ab, um Telefonleitung und Brandmeldeanlage unbrauchbar zu machen. Erst am Vormittag wird der Schwelbrand entdeckt. Glücklicherweise wird niemand verletzt.

Unpolitische Hitler-Bilder in einer Kleinstadt-Idylle

Szenenwechsel: Knapp acht Monate später müssen sich der 25-jährige D. und der 23-jährige N. vor dem Landgericht Hagen verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen schwere gemeinschaftliche Brandstiftung vor. Die Nebenklage – gestellt durch eine der vom Anschlag betroffenen Familien – spricht von versuchtem Mord. Das Gericht schließt den Tatbestand des versuchten Mords zumindest nicht aus. Die beiden Angeklagten wirken unscheinbar. Sie leben und arbeiten in Altena und sind zuvor nie auffällig gewesen. Was veranlasst also zwei junge Erwachsene – die auf ein intaktes Elternhaus und eine unbescholtene Jugend zurückblicken – dazu, in einer nächtlichen Aktion einen Brandanschlag zu verüben? Diese Frage wird das Gericht an allen zwölf Verhandlungstagen beschäftigen. Und sie bringt eben jene abstruse These, nach der die „unpolitische Mitte“ mit der extremen Rechten nichts gemein habe, gründlich ins Wanken.

Der erste Verhandlungstag beginnt mit den Geständnissen und Ausführungen der Angeklagten zur Tatnacht und den vorangegangenen Stunden. D. und N. gestehen die Tat nahezu lückenlos. Einzig die Verantwortung für das abgetrennte Verteilerkastenkabel lassen sie offen, hierfür beschuldigen sie sich gegenseitig. Sie geben an, aus Angst vor dem Zuzug von Geflüchteten gehandelt zu haben und weil sie sich Sorgen um ihre Angehörigen gemacht hätten. Im Verlauf des Prozesses werden eine Reihe Zeug*innen gehört – von Partnerinnen über Anwohner*innen, Bekannte und Freund*innen, bis hin zu Sachverständigen und Polizeibeamten. Durch das Gros der Aussagen der ortsansässigen Zeug*innen ergibt sich ein interessantes Bild: Altena scheint die einzige Stadt in Deutschland zu sein, in der es keinen „Negativ-Diskurs“ zum Thema Geflüchtete gab und gibt. Weder die Angeklagten, noch andere Gesprächspartner*innen hätten sich jemals negativ zu der Thematik geäußert, man habe entweder „ganz normal“ oder überhaupt nicht darüber gesprochen. Eine rechte Gesinnung der Angeklagten wird von allen Zeug*innen negiert, es seien nie Gespräche geführt worden, die zu einer solchen Annahme Anlass geboten hätten. Erst die Auswertung der sichergestellten Datenträger des Angeklagten D. bringt etwas Licht ins Dunkel dieser Auffassung von „Normalität“. Neben diversen Hitler-Portraits mit Slogans wie „Moin Kameraden“ sind etliche Abbildungen von NS-Symboliken zu sehen. Hakenkreuze in unterschiedlichen Ausführungen, wenig lustige „Witzbildchen“, die eigentlich durchweg Hitler abbilden oder sich rassistisch über Menschen nicht-weißer Hautfarbe lustig machen. Daneben eröffnen die Materialien einen Blick in das sexistische und chauvinistische Frauenbild des Angeklagten. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Auswertung der Datenträger durch die eigenständige Inaugenscheinnahme der Nebenklage vorgenommen worden war (52.000 Dateien). Der Polizeiliche Staatsschutz Hagen hatte zuvor angegeben, keinerlei Hinweise gefunden zu haben, die auf eine politische Motivation deuteten – was offenbar auch die Ansicht des Staatsanwalts war, der von „geschmacklosen Darstellungen“ sprach, die aber nun einmal gesellschaftlicher Normalität entsprächen. Das Gesamtbild, das sich nach der Sichtung der Datenträger ergibt, widerspricht der These vom unpolitischen „Mitte“-Bürger deutlich. Zwar sind D. keine konkreten Kontakte zur organisierten, ideologisch gefestigten extremen Rechten nachzuweisen, dennoch liked er die NPD auf Facebook, schickt über WhatsApp Hitler-Bildchen durch die Gegend – und zündet ein von Geflüchteten bewohntes Haus an.

Hass auf alles „Fremde“

Nimmt mensch nun Abstand vom Bild des unpolitischen „Mitte“-Bürgers, dann schließt sich ein Kreis, in dessen Zentrum Rassismus und NS-Nostalgie den Ausgangspunkt für Vertreibungs- und Vernichtungsphantasien bilden. D. und N. sind Paradebeispiele für das, was verharmlosend als „Wutbürger“ betitelt wird, ohne zu berücksichtigen, dass es weniger die Wut an sich ist, die Häuser anzündet und Menschen ihre Existenzberechtigung abspricht, sondern vielmehr das, was die Wut überhaupt erst erzeugt. Und das ist hier, wie in vielen anderen Fällen auch, der pure Hass auf alles, was außerhalb des „Wir“ steht. Ein „Wir“, das sich frei definieren und jederzeit deformieren lässt, indem „die anderen“ als nicht dazugehörig deklariert werden. Geflüchtete gehören für einen nicht unbedeutenden Teil der Bevölkerung nicht dazu – sie sind unerwünscht. Der Prozess um zwei junge Menschen aus „der Mitte“ hat gezeigt, dass sich auch hier – und eben nicht nur am „Rand“ – eine extrem rechte Gesinnung verfestigen kann, die ihren Hass auf alles „Fremde“ in Gewaltakten wie Brandstiftungen kanalisiert. Erwähnenswert ist zudem, dass diese Erkenntnis nicht nur von der

Nebenklage formuliert wurde, sondern auch von der Richterin. Wegen schwerer Brandstiftung und aufgrund der niederen Motivlage der Angeklagten wurde D. zu sechs und N. zu fünf Jahren Haft verurteilt. In der Urteilsbegründung wies die Richterin darauf hin, dass die Beweisaufnahme eine deutlich „ausländer- und fremdenfeindliche“ Gesinnung bei den Angeklagten belegen konnte, jedoch an keiner Stelle „Angst“ oder „Sorge“. Die Rechtsanwälte der Nebenklage teilten nach dem Urteil via Pressemitteilung mit, dass sie „auch nach diesem Urteil Anhaltspunkte für einen versuchten Mord“ sehen: „Deswegen werden wir das Urteil prüfen und gegebenenfalls Revision einlegen.“

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