„Bonnie und Clyde haben fertig“

AfD in NRW mit neuem Landesvorstand

Die AfD hat in NRW mit den beiden Landtagsabgeordneten Thomas Röckemann und Helmut Seifen zwei neue Landessprecher gewählt. Die beim NRW-Parteitag in Kalkar (Kreis Kleve) zelebrierte neue Eintracht hat ihren Preis: Auch im einwohnerstärksten Bundesland rückt die AfD weiter nach rechts.

Die AfD hat in NRW mit den beiden Landtagsabgeordneten Thomas Röckemann und Helmut Seifen zwei neue Landessprecher gewählt. Die beim NRW-Parteitag in Kalkar (Kreis Kleve) zelebrierte neue Eintracht hat ihren Preis: Auch im einwohnerstärksten Bundesland rückt die AfD weiter nach rechts.

Den radikaleren Part im neuen Führungsduo besetzt in Zukunft Thomas Röckemann. Er war bereits Gegenspieler von Ex-Landessprecher Marcus Pretzell, als es im Herbst 2016 um die Frage ging, wer die Partei in den Landtagswahlkampf führen sollte. Damals unterlag der Mindener Rechtsanwalt. Trotz des miserablen Listenplatzes 16 zog er aber so gerade noch ins Düsseldorfer Parlament ein. In der Fraktion bildete der Höcke- und „Flügel“-Anhänger gemeinsam mit Christian Blex die Opposition gegen Pretzell und dessen damals noch 13 Anhänger unter den Abgeordneten. Das Rechtsaußenduo Röckemann/Blex schaffte es sogar, mit Erfolg einen veritablen Shitstorm gegen die Überlegung der Fraktionsmehrheit zu organisieren, bei der Wahl des Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) zu unterstützen. Damit sei, so Röckemann, „gleichzeitig das Ende von Marcus Pretzell eingeläutet worden“. Seit dessen Abgang sei die Luft in der Fraktion wieder sauber. Rökkemann sagte mit Blick auf Pretzell und Ex-Bundessprecherin Frauke Petry: „Bonnie und Clyde haben fertig.“

Radikalisierung

Der Riss in der Fraktion ist mittlerweile Vergangenheit. Inzwischen fallen nicht mehr nur Blex und Röckemann durch scharfe Töne auf. Fraktionsvize Helmut Seifen etwa, bisher einer, der auf Pretzells Linie surfte, nannte kürzlich die BRD einen Staat, „der nicht mehr demokratisch ist“, wetterte über „die Freiheit des Mobs“ und sah eine „Gesinnungsdiktatur“ heraufziehen. Seine Rede bei einer Veranstaltung der Fraktion in Leverkusen stellte er unter die Überschrift: „Im Schatten eines postdemokratischen Staates: Die AfD als bürgerliche Widerstandsbewegung“. Noch vor wenigen Monaten wären derlei Anleihen beim Jargon Björn Höckes und seiner Rechtsaußengruppe „Der Flügel“, die gerne mit den Begriffen „Widerstand“ jonglieren und die AfD als eine „Bewegung“ sehen, aus Seifens Mund kaum vorstellbar gewesen.

Insofern überrascht es auch nicht, dass gerade er künftig als gleichberechtigter Ko-Landessprecher fungiert. Zweifel, ob er nicht doch eher ein unsicherer Kantonist ist, versuchte Seifen in Kalkar mit einer Rede auszuräumen, die auch den Radikaleren gefiel. Das Plädoyer von SPD-Chef Martin Schulz für mehr europäische Integration unter dem Label „Vereinigte Staaten von Europa“ konterte der frühere Geschichtslehrer, der bis Juni 2017 Schulleiter eines Gymnasiums in Gronau, war, mit einem historischen Vergleich: „2025 ist dann endgültig zerstört, was zwei Kriege und ein tiefer moralischer Fall unseres Volkes nicht schaffen konnten.“ Die Freiheit werde „in die Ketten einer despotischen Eurokratie gelegt“.

Doppelspitze

Möglich wurde der für NRW-Verhältnisse relativ konfliktfreie Parteitag, weil die Landes-AfD ihren Neustart in die Ära nach Pretzell erneut mit einer Doppelspitze angehen will, bei der beide Lager personell zum Zuge kommen sollen. Für die vormaligen Pretzell-Anhänger heißt dies aber, dass sie, wie Seifen, genug Flexibilität nach rechtsaußen zeigen müssen. Tun sie das nicht, scheitern sie so wie der Gelsenkirchener Bundestagsabgeordnete Jörg Schneider. Der hatte vor dem Wochenende in Kalkar für eine Einerspitze votiert und sich selbst als potenziellen Landeschef in Stellung gebracht. Dem rechten Parteiflügel freilich kam das von Schneider präsentierte Vorstandsteam wie eine Ansammlung derer vor, die bis vor wenigen Monaten „wie eine Mauer hinter Petry und vor allem hinter Pretzell standen“. Sie hätten sich „über Nacht ihrer P+P-Wappen“ entledigt und würden nun „treuherzig das Wohl des Landesverbandes zum neuen Credo“ erheben, ätzte einer aus dem Lager der Radikaleren. Am Ende hatte Schneider in der Abstimmung gegen Röckemann nur 39 Prozent der Delegierten auf seiner Seite. Ebenso scheiterte sein Versuch, den seiner Meinung nach „hektisch-polarisierenden“ Blex als Vize-Sprecher zu verhindern. Doch erneut zog das Lager Schneiders den Kürzeren: Der „Flügel“-Anhänger Blex gewann bereits im ersten Wahlgang — zwar auch nur mit 51 Prozent der Stimmen, aber immerhin mit 20 Prozent Vorsprung vor einem (nach AfD-Maßstäben) „gemäßigten“ Kandidaten.

Renners Rückzug

Möglich wurde der Neustart ohne große Konflikte aber auch, weil der bisherige Ko-Landessprecher Martin Renner nicht wieder kandidierte. Noch kurz vor dem Treffen der mehr als 400 Delegierten hatte er erklärt, erneut antreten zu wollen. Beim Parteitag selbst aber machte Renner, dessen Rückhalt in den eigenen Reihen zuletzt deutlich geschrumpft war, einen Rückzieher.

Zugeschüttet sind die Gräben, die die NRW-AfD spalteten und beinahe zerrissen, aber immer noch nicht zur Gänze. Die Abstimmungsergebnisse der beiden Landessprecher wirkten eher dürftig. Für Röckemann votierten nur knapp 53 Prozent der Delegierten, für Seifen etwas mehr als 57 Prozent. Von der bisherigen Vorstandscrew gehören nur noch zwei Mitglieder dem neuen Führungsgremium an: Fabian Jacobi, der als Satzungsexperte der NRW-AfD gilt, als Landesvize und der langjährige Landesgeschäftsführer Andreas Keith.

Eine Abfuhr erteilten die Delegierten in Kalkar zwei AfD-Politikern, die eine Woche zuvor beim Bundesparteitag in Hannover noch mit sozialpopulistischen Tönen erfolgreich gewesen und in den Bundesvorstand gewählt worden waren. Kay Gottschalk unterlag bei der Abstimmung über den zweiten Landesvize-Posten mit 32 zu 52 Prozent seinem Bundestagskollegen Jacobi. Guido Reil verlor bei der Wahl des dritten stellvertretenden Vorsitzenden mit 42 zu 52 Prozent gegen Jürgen Spenrath, der die AfD für die Kommunalwahl im Jahre 2020 fit machen soll.

AfD-Politik bleibt Männersache

Weit dürrer als nach den Erfolgen bei den Landtags- und Bundestagswahlen erhofft, fiel die Entwicklung der Mitgliederzahlen aus. 4.331 Mitglieder zählte die Partei im einwohnerreichsten Bundesland Anfang Dezember. Damit sei die NRW-AfD sogar hinter den bayerischen Landesverband zurückgefallen, klagte Röckemann.

In einer Hinsicht bewies die Partei den Mut zu einer AfD-spezifischen Kontinuität: Ihre Politik ist Männersache — und das bleibt sie. In der alten Führungsspitze arbeiteten immerhin noch drei Frauen mit. Im neuen zwölfköpfigen Vorstand findet sich mit der Bielefelder Grundschullehrerin Heliane Ostwald nur noch eine Frau, gewählt als Beisitzerin.

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Andreas Lichert