Bayrischer Flüchtlingsrat

Abschiebeland

Die deutsche Abschottungspolitik und ihre Auswirkungen auf Geflüchtete

Drei Jahre nach dem „Sommer der Migration“ 2015 ist das deutsche Asylsystem zu einem Abschottungs- und Abschiebesystem geworden. Menschen mit Fluchterfahrung werden als Problem verhandelt — was vor allem den Rechtspopulismus stärkt. Die Leidtragenden dieser Politik, Geflüchtete, die hinter den Zäunen deutscher Landeseinrichtungen ausharren, stehen den Verschärfungen immer hilfloser gegenüber.

Drei Jahre nach dem „Sommer der Migration“ 2015 ist das deutsche Asylsystem zu einem Abschottungs- und Abschiebesystem geworden. Menschen mit Fluchterfahrung werden als Problem verhandelt — was vor allem den Rechtspopulismus stärkt. Die Leidtragenden dieser Politik, Geflüchtete, die hinter den Zäunen deutscher Landeseinrichtungen ausharren, stehen den Verschärfungen immer hilfloser gegenüber.

Noch vor drei Jahren fand das große zivilgesellschaftliche Engagement für Flüchtlinge in Deutschland internationale Anerkennung. Doch dem spontanen ehrenamtlichen Einsatz stand eine überforderte staatliche Bürokratie gegenüber. Die Regierung traf in dieser verheißungsvollen Zeit eine unheilvolle Entscheidung: Anstatt der öffentlichen „Willkommenskultur“ auch politisch mit einem Einwanderungsgesetz zu folgen, reagierte sie mit Restriktionen im Ausländerrecht. Nach der Phase einer notdürftigen Erstversorgung sollte wieder Ordnung einkehren. Jedoch ging es dabei nicht um die Einhaltung von Menschenrechten, Kinderrechten und geltendem EU-Recht für Geflüchtete, sondern um Obergrenzen, Statistiken und vermeintliche Bleibeperspektiven. Mit der Ausweitung der Liste sogenannter „sicherer Herkunftsstaaten“ und der Investition in alle Varianten von „freiwilliger“ und erzwungener Rückkehr folgt die Bundesregierung immer mehr einer trumpesken Logik à la Germany first.

Von Willkommen zu Abschreckung

Entgegen allem Willkommenheißen hat die Große Koalition unter Angela Merkel in einem bis dato unübertroffenen Ausmaß Gesetzesverschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht umgesetzt. Im Oktober 2015 wurde das Asylpaket I verabschiedet. Es führte zu massiven Einschränkungen der Rechte aller Geflüchteten in Landeseinrichtungen: Ausweitung der Aufenthaltszeiten von drei auf sechs Monate, Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf den umlie­genden Regierungsbezirk, absolutes Ausbildungs- und Arbeitsverbot, Mög­lichkeiten der Taschengeldkürzungen und das Verbot, Abschiebungen anzu­kün­digen.

Zudem definiert das Asylpaket I bestimmte Länder pauschal als „sicher“, darunter den Kosovo, der sich vor allem durch fehlende Menschenrechte (besonders für Frauen) und massive Korruption auszeichnet oder Albanien, wo bis heute mafiöse Strukturen und Blutrache allgegenwärtig sind. Die Definition als „sicherer Herkunftsstaat“ bedeutet konkret, dass noch vor der Anhörung davon ausgegangen wird, dass keinerlei schutzwürdige Belange vorliegen. Zu diesen Ländern zählen aktuell neben Albanien und Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Die Regierung arbeitet daran, auch Algerien, Georgien, Marokko und Tunesien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären und diese Liste kontinuierlich zu erweitern.

Keine Chance auf Schutz

Im März 2016 folgte die nächste Gesetzesverschärfung mit dem Asylpaket II. „Subsidiär Schutzberechtigte“ (Kriegsflüchtlinge) können seitdem ihre Familien nicht mehr nach Deutschland nachholen. Daraufhin änderte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seine Entscheidungspraxis besonders bei syrischen Asylsuchenden und sprach ihnen anstelle der Flüchtlingseigenschaft nur noch den subsidiären Schutzstatus zu. Seitdem bleiben all diese Menschen trotz des anerkannten Schutzbedarfs von ihren Familien getrennt.

Zugleich wurde das Asylverfahren für Menschen mit „geringer Bleibeperspektive” weiter beschleunigt — Anhörung und Entscheidung sollen seither innerhalb von einer Woche erfolgen. Es wurden Schwerpunkteinrichtungen für Menschen mit vermeintlich geringer Bleibeperspektive geschaffen, in denen effizienter gearbeitet — sprich: abgeschoben — werden sollte. Das Asylpaket II erschwerte es zudem, Erkrankungen im Asylverfahren geltend zu machen, da diese nun von den Betroffenen selbst innerhalb kurzer Fristen durch fachärztliche Stellungnahmen nachgewiesen werden sollten. Gelingt dies nicht, muss die Krankheit bei der Entscheidung nicht berücksich­tigt werden. Selbst bei schwersten körperlichen oder psychischen Erkrankungen wird dann in der Praxis nur noch geklärt, ob der Abschiebeflug überlebt werden kann.

Es folgte im Juli 2017 das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreise­pflicht, mit dem die Abschiebehaft ausgeweitet wurde. Dies ermöglichte, Menschen allein mit dem Ziel einer leich­te­ren Abschiebung für mehrere Wochen und Monate zu inhaftieren (selbst in Isolationshaft). Zudem wurden die Aufenthaltszeiten in den Landeseinrichtungen weiter ausgeweitet: Während Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ schon zeitlich unbegrenzt in den Einrichtungen ausharren müssen, können alle anderen nun bis zu 24 Monate verpflichtet werden, dort zu leben.

Unterversorgung und Hoffnungslosigkeit

Landeseinrichtungen für Geflüchtete befinden sich meist an abgelegenen Standorten. Bis zu 500 Personen werden dort untergebracht, darunter viele Familien mit kleinen Kindern, Menschen mit teils schweren psychischen oder körperlichen Erkrankungen, erschöpft von mehrjährigen Leidensgeschichten und gezeichnet vom verzweifelten Kampf um ein sicheres Leben. Die Zeit in der Landeseinrichtung ist für viele ein zermürbendes Warten ohne Beschäftigung und Perspektive, jedoch mit zahlreichen Einschränkungen.

Jedes Verlassen der Einrichtung wird elektronisch erfasst, sodass Abwesenheit über das begrenzt Erlaubte sofort sanktioniert werden kann. Die Menschen schlafen in Etagenbetten mit bis zu zehn Personen auf einem Zimmer; es gibt keine abschließbaren Schränke und keinerlei Privatsphäre. Alles ist reglementiert: Post, Taschengeld und Essen gibt es zu festen Zeiten, kochen ist nicht erlaubt. Es sind viele kleine Kontroll­punkte im Alltag der Menschen, mit denen die verantwortlichen Behörden den Betroffenen jegliche Selbstbestimmung nehmen.

Besuche sind in den Einrichtungen nicht möglich. Die Bewegungs­freiheit ist auf den Regierungsbezirk beschränkt. Alle Bewohner_innen unterliegen einem Arbeits- und Ausbildungs­verbot, haben also keine Möglich­keit, sich selbst zu versorgen. Die Schul­pflicht wird für Kinder in Landeseinrichtungen komplett ausgesetzt. Es gibt keinen Zugang zur Zivilgesel­lschaft, kein Internet, kein Radio. Das Beschäftigungsangebot ist auf eine Tischtennisplatte und einen Fernseher für bis zu 500 Personen be­schränkt. Die Grundbedürfnisse an Nahrung, Kleidung und Hygieneartikeln werden in Form von Sachleistungen gedeckt. Für alle anderen Ausgaben wird ein geringes Taschengeld ausgezahlt. Wer gesundheitliche Beschwerden hat, kann bei der hausinternen Krankenstation vorsprechen. Leiden, seien es noch so persönliche, müssen oft ohne Dolmetscher_innen vorgetragen werden; behandelt wird nur das Allernötigste — akute Erkrankungen und Schmerzen. Ob und wann psychische Belastungen als akut gelten, wird hier pragmatisch gesehen — wer einen Suizidversuch begeht, kommt für ein paar Tage in die psychiatrische Klinik.

Abschiebung trotz Verfahren

Sehr viele Klagen (zuletzt über 40 Pro­zent!) gegen Asylbescheide des BAMF werden vor den Verwaltungsgerichten gewonnen. Wenn jedoch Personen aus einem „sicheren Herkunfts­staat“ gegen die Ablehnung klagen, bekommen sie keinen vorläufigen Rechtsschutz und werden trotz laufender Gerichtsverfahren abgeschoben. Abschiebungen erfolgen in der Nacht direkt aus den Schwer­­punkteinrichtungen. Aus der permanenten Angst heraus, wieder in ihre prekäre Lebenssituation abgescho­ben zu werden, kann niemand dort ruhig schlafen.

Die immer skrupellosere Abschiebepolitik zeigt sich auch darin, dass Ausländerbehörden inzwischen oft Personen entgegen den Empfehlungen des Petitionsausschusses des Landtags, der Härtefallkommission NRW und sogar aus geschlossenen psychiatrischen Abteilungen abschieben.

Desintegration durch Kasernierung

Seit dem 1. August 2018 gibt es bereits in allen Regierungsbezirken Bayerns die von Innenminister Seehofer bundesweit vorgesehenen „Ankerzentren“ für Flüchtlinge. Mit diesen Großlagern mit einer Kapazität von 1500 Personen wird die Kasernierung, wie sie in den Schwerpunkteinrichtungen bereits besteht, für alle Flüchtlinge ausgebaut. In den sogenannten Ankerzentren sollen Außenstellen des BAMF, der Jugendämter, der Justiz und der Ausländerbehörden vor Ort sein, um effizient zusammenzuarbeiten mit dem Ziel, Asylverfahren zu beschleunigen und Kosten zu sparen.

Das Absurde an der Idee ist, dass sich natürlich auch Schutzsuchende über ein schnelles Verfahren freuen würden. Ein Verfahren, in dem aber zugleich ihre Rechte gewahrt und faire Entscheidungen getroffen würden. Ein Verfahren, in dem die einzelnen Menschen mit ihren individuellen Fluchtschicksalen im Mittelpunkt stünden und nicht Vorurteile über „sichere Herkunftsstaaten“ das Asylrecht als Individualrecht untergrüben. In den Unterbringungseinrichtungen dürften nicht nur Instanzen des staatlichen Entscheidungs- und Abschie­bungsapparats vor Ort sein, sondern müssten auch Beratungsstellen für Asylverfahren, Anlaufstellen für besondere Schutzbedarfe, Psycholog_innen, Anwält_innen, Ehrenamtliche und Dolmetscher_innen ihre Arbeit tun. Andernfalls blieben ihnen — wie bereits heute in Schwerpunkteinrichtungen — Zugang zu Rechtsberatung, adäquate medizinische und psychologische Versorgung sowie Kontakt mit der Zivilgesellschaft verwehrt. Durch die Kaser­nierung von Flüchtlingen in Ankerzentren wird ein Zeichen stigmatisierender Ausgrenzung mitten in Deutschland gesetzt. Rechtsverletzungen und Abschiebungen können dort abseits der öffentlichen Wahrnehmung stattfinden.

Viele Bundesländer, darunter auch Hessen, NRW und Rheinland-Pfalz, haben sich zwar zuletzt gegen Ankerzentren ausgesprochen — vor allem, weil sie die Isolierung so vieler Menschen ohne Bleibeperspektive als Konfliktpotential sehen. Aber auch, weil die vorhandenen Landeseinrichtungen de facto bereits heute (lediglich mit geringerer Beleg­zahl) den Ankerzentren gleichen: Mit den Zielen vermeintlicher Effizienz und Beschleunigung erfolgen vielerorts Zuweisungen in Kommunen erst nach positivem Asylverfahren; ansonsten herrschen monatelange Kasernierung und mangelnder Rechtsschutz mit Druck zur Rückkehr oder Abschiebung.

Handeln gegen Unrecht!

Es ist ein Skandal, dass die Regierung nach Effizienz und schnellerer Abschiebung strebt und nicht nach fairen, rechtsstaatlichen Verfahren. Es ist an der Zeit, dass bestehendes Menschenrecht, Kinderrecht und geltendes EU-Recht zum Umgang mit besonders Schutzbedürftigen für Flüchtlinge in Deutschland endlich greifen. Personen, die zu Unrecht abgeschoben werden, verschwinden aus der Statistik. Doch diese Menschen sind — sofern sie überleben — bleibende Zeugen einer neuen Ära der Menschenfeindlichkeit in Deutschland.

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