Bundesarchiv, Bild 102-09844 / CC-BY-SA 3.0

Perspektiven auf den Faschismus

Von den Anfängen bis heute

Am Mailänder Zentralfriedhof spielten sich am 23. März 2019 gespenstische Szenen ab. Rund 150 AktivistInnen der neonazistischen Skinheadgruppierungen „Lealtà Azione“, „Memento“ und „Veneto Fronte Skinhead“ waren aufmarschiert, um einen für Teile der extremen Rechten nicht nur in Italien denkwürdigen Jahrestag zu begehen. Genau 100 Jahre zuvor, am 23. März 1919, waren in Mailand die „Fasci italiani di combattimento“ von Benito Mussolini gegründet worden.

Am Mailänder Zentralfriedhof spielten sich am 23. März 2019 gespenstische Szenen ab. Rund 150 AktivistInnen der neonazistischen Skinheadgruppierungen „Lealtà Azione“, „Memento“ und „Veneto Fronte Skinhead“ waren aufmarschiert, um einen für Teile der extremen Rechten nicht nur in Italien denkwürdigen Jahrestag zu begehen. Genau 100 Jahre zuvor, am 23. März 1919, waren in Mailand die „Fasci italiani di combattimento“ von Benito Mussolini gegründet worden. Freilich wäre es verkürzt, dieses Datum zur Geburtsstunde des Faschismus zu stilisieren, dessen verheerende welthistorische Bedeutung zum damaligen Zeitpunkt zudem kaum absehbar war. Gleichwohl stellt der Gründungsakt Ende März 1919 einen bis heute offenkundig mobilisierungsfähigen und identitätsstiftenden „Erinnerungsort“ für das neofaschistische bzw. neonazistische Spektrum dar.

Der antifaschistische Journalist Heiko Koch berichtet im Kontext der „Gedenkveranstaltung“ am Mailänder Zentralfriedhof über zahlreiche weitere Aktionen, Konzerte, Lesungen, Kundgebungen und Aufmärsche, mit denen verschiedene extrem rechte Organisationen und Netzwerke in Italien von CasaPound über Forza Nuova bis hin zu den genannten militanten Skinheadgruppierungen den 23. März würdigten und den Tag als „sabato nero“ (als „schwarzen Samstag“) begingen; der Begriff ist angelehnt an die als „Schwarzhemden“ bezeichneten Angehörigen der faschistischen Kampfbünde, die schon kurz nach der Gründung der Fasci mit äußerster Brutalität gegen ihre politischen GegnerInnen vorgingen, die sie vor allem in der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung erkannten. Auch in der neonazistischen Szene der Bundesrepublik blieb die Entstehungsgeschichte der faschistischen Bewegung in Italien im Jahr 1919 nicht unbeachtet. Die Zeitschrift N.S. Heute etwa widmete im November 2018 der im September 1919 durch den nationalistischen italienischen Dichter Gabriele D’Annunzio und Sturmtruppen der italienischen Armee (Arditi) sowie paramilitärische Wehrverbände zunächst besetzten und später zu einer protofaschistischen „Republik“ deklarierten Stadt Fiume (die heutige Stadt Rijeka) einen apologetischen Beitrag, der die handstreichartige und völkerrechtswidrige Aktion nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als „Urknall der faschistischen Epoche in Europa“ feiert.

Doch nicht nur in den Spektren der extremen Rechten, die sich affirmativ auf den politischen Stil, die Selbstinszenierungspraktiken und die ideologischen Grundpositionen der faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit beziehen, findet der Faschismusbegriff weiterhin große Beachtung. Angesichts der aktuellen Erfolge einer „neuen sozialen Bewegung“ von rechts und der gegenwärtigen Mobilisierungsfähigkeit eines völkisch-autoritären Populismus’ wird vielfach auf unterschiedlichen Ebenen die Frage nach einer Wiederkehr des „Faschismus“ gestellt. Zum einen: Lassen sich etwa die AfD oder zumindest Teile der Partei und deren Umfelds von PEGIDA bis hin zum Institut für Staatspolitik als „faschistisch“ bezeichnen? Welche Merkmale und Beobachtungen ließen sich dafür anführen? Sind, zweitens, die polarisierte gesellschaftliche Stimmung und die von Rechts vorangetriebene Verrohung der politischen Diskurse mit den politischen Konstellationen der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre vergleichbar, in denen — flankiert von konservativen und wirtschaftlichen Eliten und ideologisch munitioniert von den Protagonisten des Neuen Nationalismus — die nationalsozialistische Bewegung in Deutschland ihren Siegeszug antrat? Und drittens: Haben sich nicht bereits in einigen europäischen und nichteuropäischen Staaten — genannt werden hier immer wieder Ungarn, Polen, Brasilien und die Türkei, aber auch die USA — Regierungen etabliert, deren Agenda auf die Beseitigung der liberalen Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung unter autokratischen, nationalistischen und rassistischen Vorzeichen abzielt und die somit zumindest Analogien zu Formen faschistischer Herrschaft aufweist?

Die Schwierigkeiten, sich diesen Fragen zu nähern, und nicht zuletzt die enorme Spannbreite der bereits kursierenden Antworten, verweisen auf den Umstand, dass die Diskussionen, was unter „Faschismus“ verstanden werden soll, so alt sind wie der Faschismus selbst. In seiner hundertjährigen Geschichte firmierte der „Faschismus“ bis heute je nach Perspektive als historische Epochenbezeichnung, als politischer Kampfbegriff oder als sozialwissenschaftliche Analysekategorie, die ihrerseits wieder sehr unterschiedlich gefüllt wurden. (vgl. S. 17) Im Folgenden sollen daher vor allem die analytischen Potentiale des Faschismusbegriffs und die daran geknüpften, durchaus kontrovers geführten Debatten skizziert werden.

Die historischen Ursprünge

Ein grundlegender Streitpunkt besteht hinsichtlich der Frage, ob der Faschismus ausschließlich in „seiner Epoche“ (Ernst Nolte) existierte, die auf die drei Jahrzehnte zwischen 1914 und 1945 zu beschränken ist, die von dem italienischen Historiker Enzo Traverso als „europäischer Bürgerkrieg“ beschrieben wurden, oder ob der Faschismus als „generische“, gleichsam idealtypische politische Strömung identifiziert werden kann, die keineswegs mit dem Untergang des faschistischen Italien oder des nationalsozialistischen Deutschen Reichs im Mai 1945 sein Ende gefunden habe. Tatsächlich formierten sich faschistische Bewegungen nicht nur in Italien und Deutschland vor dem Hintergrund der spezifischen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Konstellationen am Ende des Ersten Weltkriegs. Diese waren gekennzeichnet durch den Zerfall und den politisch-moralischen Bankrott der autokratischen Regime etwa des wilhelminischen Kaiserreichs und Italiens.

Allenthalben hatten sich, vielfach schon während des Ersten Weltkriegs angesichts des Massensterbens auf den Schlachtfeldern Europas und der Hungersnöte und Versorgungsengpässe an der „Heimatfront“, revoltierende ArbeiterInnen formiert, die durch Demonstrationen und Streiks die alten Herrschaftssysteme in die Knie zwangen und ihre sozialen Forderungen wirkmächtiger denn je artikulieren konnten. In der Folgezeit etablierten sich parlamentarische Demokratien, die zwar in der Auseinandersetzung mit den allen Emanzipationsprozessen ablehnend gegenüberstehenden traditionellen Machteliten in Industrie, Landwirtschaft und Militär durchgesetzt wurden, in denen diese aber keineswegs ihren Einfluss verloren. Nicht zuletzt die bis weit in die Sozialdemokratie hineinreichende Furcht vor einer sozialistischen bzw. kommunistischen Umwälzung der Verhältnisse, wie sie etwa in Deutschland in den kurzlebigen Räterepubliken in Bremen und in München 1918/1919 oder in Italien im Zuge zahlreicher Streiks und LandarbeiterInnenrevolten 1919/1920 aufgeschienen waren und die in der Russischen Oktoberrevolution 1917 ihren epochalen Ausdruck gefunden hatten, trug zum partiellen Machterhalt der „alten“ Eliten bei.

Gleichzeitig entstanden in zahlreichen europäischen Ländern extrem rechte, nationalistisch, antiliberal, antisozialistisch, häufig auch dezidiert antisemitisch ausgerichtete Bewegungen, deren Anhänger sich häufig aus den demobilisierten Armeen des Ersten Weltkriegs rekrutierten und die einen neuen, paramilitärischen, äußerst gewaltaffinen, kompromisslosen Politikstil prägten. Der Neue Nationalismus, der diese Gruppierungen kennzeichnete, zielte vielfach nicht darauf ab, eine alte Ordnung wiederherzustellen, sondern neue Referenzsysteme zu schaffen, die sich antibürgerlich gaben, ohne die ökonomischen Verhältnisse tatsächlich in Frage zu stellen. Sie appellierten an ethnische oder „rassische“ Homogenitätsvorstellungen und orientierten auf ein radikales Freund-Feind-Denken. Der Faschismus repräsentierte, so der Historiker Michael Mann, die „paramilitärische Extremversion“ des Nationalismus, der seinen Siegeszug auf der sich am Ende der zwanziger Jahre zuspitzenden „Krise der liberalen Systeme“ gründete, die er gleichzeitig mit bedingte.

Auch wenn die faschistischen Bewegungen ihre Wurzeln in der Umbruchsituation am Ende des Ersten Weltkriegs hatten, weisen die von ihnen transportierten ideologischen Grundpositionen und ihr politischer Stil über den historisch-spezifischen Entstehungskontext hinaus. Wie der Historiker Fernando Esposito betont, markiert der Faschismus in zäsuren- und länderübergreifender Perspektive ein „ultra- oder radikalnationalistisches […] viertes Ordnungsmodell, neben Liberalismus, Konservatismus und Kommunismus“.

Die Bedeutung der Ideologie

Umstritten ist indessen, welche Bedeutung der Ideologie im Faschismus zukommt. Lassen sich weltanschauliche Grundpositionen benennen, die es ermöglichen, faschistische Strömungen vergleichend zu identifizieren? Gibt es so etwas wie eine kohärente faschistische Basisideologie? Oder kann der Faschismus gerade dadurch von anderen politischen Strömungen und Ordnungsmodellen abgegrenzt werden, dass er eben nicht über seine weltanschaulichen Facetten, sondern vor allem über eine spezifische Praxis beschrieben werden kann?

Der damals auch in der Linken breit rezipierte spätere Geschichtsrevisionist Ernst Nolte hob in seinen während der 1960er Jahre veröffentlichten Studien zu den faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit vor allem deren „Anti“-Charakter hervor. Kennzeichnend für den Faschismus seien demnach neben dem Führerprinzip, seinem Totalitätsanspruch und seiner paramilitärischen Ausrichtung ein prononcierter Antimarxismus, Antiliberalismus und Antikonservatismus.

Die neuere, vor allem französisch- und englischsprachige ideengeschichtlich orientierte Faschismusforschung hob indessen seit den 1980er Jahren verstärkt den revolutionären Gehalt faschistischer Ideologie hervor, der sich nicht in der konsequenten Ablehnung anderer weltanschaulicher und politischer Strömungen erschöpfe, sondern eine eigene Agenda transportiere. Der Historiker Zeev Sternhell beschrieb den Faschismus — allerdings ausschließlich mit Blick auf dessen Entstehungskontexte in Italien und Frankreich — als „konsequentes, logisches und gut strukturiertes Ganzes“, dessen Programmatik bereits vor dem Ersten Weltkrieg ausformuliert worden sei. Sternhell deutet den Faschismus als Synthese aus Revolutionärem Syndikalismus, der durch die Verachtung „bürgerlicher Dekadenz“, die Mythisierung von Gewalt als geschichtsmächtigem Prinzip und einen antimarxistischen Antikapitalismus gekennzeichnet gewesen sei, und einem integralen Nationalismus, der die universalistischen Postulate der Aufklärung und der Französischen Revolution verwarf, den Krieg als Naturzustand verherrlichte und in dessen Vorstellung Staat und Nation zu einem „organischen Körper“ verschmolzen.

Den aus seiner Sicht revolutionären Charakter des Faschismus, der sich eben nicht in seinen „Anti-Haltungen“ erschöpfe, hob auch der britische Historiker Roger Griffin in seinem Versuch hervor, einen allgemeinen (generischen) Faschismusbegriff zu definieren. Als übergreifendes „faschistisches Minimum“ identifizierte er einen „palingenetischen Ultranationalismus“. Dieser sei durch eine kulturpessimistische Sicht auf die moderne, plurale, als „dekadent“ deklarierte Gesellschaft gekennzeichnet und strebe daher nichts Geringeres als eine „reinigende“ Wiedergeburt der Nation als überzeitlicher Ordnung auf „rassisch-völkischer“ Grundlage an.

Im Zusammenhang mit dem Versuch, ein „faschistisches Minimum“ zu definieren, wird indessen häufig der nachvollziehbare Einwand erhoben, dass zumindest der Nationalsozialismus aufgrund seines eliminatorischen Antisemitismus’ und seiner präzendenzlosen Vernichtungspolitik aus einem generischen Faschismusbegriff ausgeklammert werden müsse. Demgegenüber haben neuere Forschungen zum italienischen Faschismus ergeben, dass auch in dieser vermeintlich „gemäßigten“ Ursprungsvariante Rassismus und Antisemitismus eine zentrale Rolle spielten. Insofern ist wiederholt von verschiedenen AutorInnen vorgeschlagen worden, den Nationalsozialismus als „Radikalfaschismus“ zu kategorisieren.

Faschismus als politische Praxis

Skepsis gegenüber in erster Linie ideengeschichtlich fundierten Faschismusdefinitionen äußern vor allem VertreterInnen eines eher praxeologischen Faschismusbegriffs. Der US-amerikanische Historiker Robert O. Paxton betont etwa, dem Faschismus liege seiner Auffassung nach eben kein kohärentes Gedankengebäude zugrunde. Es existiere weder ein allgemein anerkanntes „faschistisches Manifest“, noch hätten sich zentrale faschistische Theoretiker hervorgetan. Die einzigen weltanschaulichen Referenzpunkte seien die „Kühnheit“ der „Rasse“, der „Nation“ und der „Gemeinschaft“. In diesem Sinne könne der Faschismus, so Paxton, weniger als Ideologie denn als „politische Praxis“ bezeichnet werden, die auf „mobilisierenden Leidenschaften“ gründe. Diese enthalten den Vorrang der Gruppe vor dem Einzelnen, die Selbstwahrnehmung der eigenen Gruppe als „Opfer“, die Furcht vor der „Entartung“ der eigenen Gruppe unter dem Einfluss von Individualismus und Liberalismus, die enge Verbundenheit mit einer gedachten Gemeinschaft, deren „Reinheit“ notfalls mit Gewalt verteidigt oder hergestellt werden muss, ein ausgeprägtes Identitätsgefühl, den Glauben an einen Führer, der das Schicksal der Gruppe verkörpert, sowie die Verklärung von Gewalt, die den Erfolg im darwinistischen Überlebenskampf garantiert.

In ähnlicher Weise argumentiert auch der Historiker Sven Reichardt, der — unter anderem Bezug nehmend auf das Diktum von Benito Mussolini: „Wir Faschisten haben keine Doktrin, unsere Doktrin ist die Tat“ — argumentiert, es sei dem Faschismus nicht um „den Aufbau einer systematischen, widerspruchsfreien und präzisen Ideologie, als vielmehr um den Aufbau einer im Alltag handhabbaren Denkweise“ gegangen. Zentral für die Analyse und das Verständnis faschistischer Bewegungen sei es daher, deren politische und soziale Praxis in den Blick zu nehmen. Demnach war etwa Gewalt „integraler Bestandteil der faschistischen Identität und nicht bloß Mittel zum Zweck.“

Als Möglichkeit, den Faschismus in vergleichender Perspektive zu analysieren, hat Robert Paxton vorgeschlagen, nicht auf vermeintliche Essenzen und Minima abzuheben, sondern seine Prozesshaftigkeit in den Mittelpunkt der Untersuchungen zu rücken und in diesem Kontext mit unterschiedlichen Ansätzen zu arbeiten, die nacheinander die Phasen der ursprünglichen Initiierung der faschistischen Bewegungen, deren Etablierung im politischen System als Partei, die Übernahme der Macht, die Systemphase und die durch Niedergang oder Radikalisierung geprägte Endphase faschistischer Regime in den Blick nehmen.

Totalitarismus und Bonapartismus

Ein weiterer kontroverser Aspekt in der Analyse des Faschismus war und ist die Verortung seiner sozialen Funktion und seines grundlegenden Charakters. Während vorwiegend linke und marxistische AutorInnen den Faschismus als „Form bürgerlicher Herrschaft“ beschrieben, hoben eher bürgerlich-konservative, aber auch einige sozialdemokratische Betrachtungen der Zwischenkriegszeit auf dessen vermeintlich „totalitäre“ Dimensionen ab, die wiederum eine Vergleichbarkeit mit „bolschewistischen“ bzw. „kommunistischen“ Bewegungen und Regimen ermöglichen sollten. Letztere rückten häufig die Gefährdung der parlamentarischen Demokratie, der Gewaltenteilung und des Rechtsstaates in den Mittelpunkt, die durch die „Extreme“ von „Rechts“ und Links“ gleichermaßen gefährdet seien. Beide Strömungen verfolgten zudem das Ziel, die politische Macht in den Händen einer allmächtigen Staatspartei zu monopolisieren. Diese vor allem während der fünfziger Jahre, in der Hochphase des Kalten Krieges, hegemoniale Totalitarismustheorie spielt zwar in der vergleichenden Faschismusforschung allenfalls noch eine marginale Rolle, bildet aber nach wie vor den Kern der weiterhin virulenten Extremismustheorie.

Gleichwohl waren auch die marxistischen Faschismustheorien nicht frei von verkürzenden und ideologisierenden Zuschreibungen. Die während der 1920er Jahre hegemoniale Faschismustheorie der Kommunistischen Internationale ist zu Recht vielfach kritisiert worden, unterschätzte sie doch in fataler Weise die Dynamik, Aggressivität und Eigenständigkeit der faschistischen Bewegungen in Deutschland und in Italien, indem sie deren Massenbasis weitgehend ausblendete, was etwa in der berüchtigten, 1935 auf dem VII. Weltkongress der Komintern von Georgi Dimitroff formulierten These zum Ausdruck kam, der „Faschismus an der Macht“ sei „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Als wesentlich scharfsinniger hingegen, wenngleich freilich die Dynamiken des Faschismus auch nur unzureichend erfassend erwies sich die von August Thalheimer, Mitbegründer der KPD-Opposition, 1930 veröffentlichte „Bonapartismustheorie“. Mit Blick auf die faschistische Herrschaft in Italien kam Thalheimer zu dem Schluss, die herrschende Klasse habe die politische Macht an Faschisten übertragen, um angesichts der vermeintlichen Bedrohung durch die sozialistische ArbeiterInnenbewegung ihre soziale Macht zu behalten. Im Faschismus zeige sich „die politische Unterwerfung aller Massen, einschließlich der Bourgeoisie selbst, unter die faschistische Staatsmacht bei sozialer Herrschaft der Großbourgeoisie und der Großgrundbesitzer. Gleichzeitig will der Faschismus […] der allgemeine Wohltäter aller Klassen sein: daher ständige Ausspielung einer Klasse gegen die andere“.

In jüngster Zeit hat die „Bonapartismustheorie“ bei der Analyse gegenwärtiger autokratischer Regime und Herrschaftsstile, etwa in Ungarn, Polen, in der Türkei oder in den USA, die nicht zuletzt auf der populistischen Mobilisierung sich bedroht fühlender WählerInnenschichten gründen, eine Aktualisierung erfahren. Gleichwohl warnt etwa der Politikwissenschaftler Gerd Wiegel vor einer unkritischen Adaption der Theorie: „Einige Elemente bonapartismustheoretischer Analysen lassen sich sicherlich auf die gegenwärtige Rechtsentwicklung anwenden: die heterogene Klassenbasis der Rechten, die Art der inszenierten, theatralischen Machtausübung […], die scheinbare Überwindung des Rechts-links-Gegensatzes, die antikapitalistische Phrase bei gleichzeitiger Absicherung der Machtverhältnisse“. Indessen fehle eine für die Bonapartismustheorie zentrale Beobachtung, nämlich das „Gleichgewicht der Klassen“.

Ähnlich verhält es sich mit den anderen hier skizzierten Perspektiven der Faschismusanalyse. So weist etwa der Historiker Volker Weiß darauf hin, die „Neue Rechte“ in der Bundesrepublik stehe in der Tradition jener rechten Kräfte, die durch eine Haltung gekennzeichnet gewesen seien, die mit Zeev Sternhell als „revolutionärer Revisionismus“ bezeichnet werden könne. In dieser spiegele sich die radikale Ablehnung einer bestehenden Ordnung, aus der schließlich der Faschismus als totale Ablehnung der politischen Kultur und als „Idealtypus einer Umbruchsideologie“ entsprungen sei. Zudem lasse sich in der Rhetorik des völkisch-autoritären Populismus, so auch in den Verlautbarungen der AfD, eine deutliche Tendenz zum Antirationalismus erkennen, der immer auch eine offene Flanke zur „Glorifizierung von Gewalt“ aufweise. Andererseits seien die gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mit den Polarisierungen der Zwischenkriegszeit vergleichbar, fehle doch der extremen Rechten heute trotz aller Gewaltaffinität ein entsprechender Militarisierungsgrad.