Michael Frisch (r.) wartet auf Einlass zum AfD-Landesparteitag am 19. November 2019.
Alex Wißmann

Die Geister, die ich rief

Die AfD Rheinland-Pfalz vor der Landtagswahl 2021

Zur Landtagswahl am 14. März verschwindet mit Uwe Junge die seriöse Fassade der rheinland-pfälzischen AfD. Mit ihm als Landesvorsitzenden und Fraktionschef wuchs das Netzwerk, das heute den Landesverband dominiert (siehe LOTTA #75, S. 22 f.). Inzwischen zeichnen sich Veränderungen auf der Landesliste und im Wahlprogramm ab.

Zur Landtagswahl am 14. März verschwindet mit Uwe Junge die seriöse Fassade der rheinland-pfälzischen AfD. Mit ihm als Landesvorsitzenden und Fraktionschef wuchs das Netzwerk, das heute den Landesverband dominiert (siehe LOTTA #75, S. 22 f.). Inzwischen zeichnen sich Veränderungen auf der Landesliste und im Wahlprogramm ab.

Uwe Junge war bislang das bekannteste Gesicht der AfD Rheinland-Pfalz. Der Bundeswehroffizier a.D. war Landesvorsitzender und Chef der Landtagsfraktion. Mit markigen Sprüchen versuchte Junge sich ebenso wie durch die Selbstdarstellung als preußisch-konservativer Berufspolitiker, der einen vermeintlich seriösen Landesverband führt, zu profilieren. Unter Junge überstand die Landespartei einige Skandale und zwei Ausschlussverfahren. Diese relative Stabilität begann im Jahr 2019 zu wackeln, als Junge im Vorfeld des Landesparteitags im November 2019 verkündete, er wolle sich für einen Sitz im Bundesvorstand bewerben.

„blackshirt“

Die geplante Übergabe des Landesverbands gestaltete sich schwierig: Nachrücken sollte der stellvertretende Landesvorsitzende Joachim Paul. Über dem als extrem rechten Burschenschafter bekannten Paul schwebten nach Recherchen der taz Vorwürfe, er habe unter einem Pseudonym für die NPD-nahe Zeitung Hier & Jetzt geschrieben. Kommuniziert habe Paul über den E-Mail-Account „blackshirt“, ein Verweis auf die faschistischen Schwarzhemden. Zusätzlich meldete sich sein ehemaliger Doktorvater zu Wort und gab an, die Betreuung aufgrund des unkritischen Umgangs Pauls mit nationalsozialistischen Ideologen beendet zu haben. Das ehemalige Promotionsvorhaben: das Ahnenerbe, eine Forschungseinrichtung der SS. Kurz vor dem Landesparteitag war die Fülle an Negativschlagzeilen um Paul selbst der AfD zu viel: Er verzichtete auf eine Kandidatur, es rückte Michael Frisch nach, bis dato Dritter des Landesverbandes.

Die neue Spitze

Der Trierer AfD-Stadtrat und zweite stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Landtag stand bisher weniger im öffentlichen Fokus. Politische Schwerpunkte des ehemaligen Berufsschullehrers sind insbesondere religions- und familienpolitische Themen. Er gilt als christlich-fundamentalistischer Abtreibungsgegner. Frisch wurde mit großer Mehrheit zum Landesvorsitzenden gewählt. Ein Jahr später im November 2020 setzte er sich als Spitzenkandidat zur Landtagswahl 2021 mit 75,8 Prozent der Stimmen durch. Im Corona-Jahr 2020 verblasste die rheinland-pfälzische AfD zwar in der öffentlichen Wahrnehmung, intern gelang es dem unerwarteten Landesvorsitzenden aber, im Sattel zu bleiben und den Landesverband personell für die Landtagswahl am 14. März aufzustellen.

Uwe Junges Karriere dagegen scheiterte auf dem Bundesparteitag 2019 in Braunschweig am Flügel. Daraufhin kündigte Junge an, sich auf seine Rolle als Fraktionsvorsitzender in Rheinland-Pfalz zu konzentrieren. Allerdings bewarb sich Paul überraschend für den Bundesvorstand und gewann. Ein Jahr später spiegelt sich diese Verschiebung im rheinland-pfälzischen Landesverband wider: Paul tritt auf Listenplatz drei für die Landtagswahl 2021 an. Uwe Junge wird nicht mehr kandidieren.

Der bekennende Flügelgegner Junge stellte sich im März 2020 in der Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Partei auf die Seite Jörg Meuthens. Der Landesvorstand hingegen schrieb am 4. April in einer Pressemitteilung, es gebe in Bezug auf den Flügel „keine unüberwindbaren Gräben in der AfD.“ Tags darauf verkündete Uwe Junge, nicht wieder zur Landtagswahl im März 2021 anzutreten und sich nach der Legislatur aus der Politik zurückzuziehen.

Schichtwechsel

Seither gab es auch Veränderung in der Landtagsfraktion. Von den 14 2016 gewählten Landtagsabgeordneten konnten sich elf bis heute halten. Bis 2020 mussten die Flügel-AnhängerInnen Gabriele Bublies-Leifert und Jens Ahnemüller die Fraktion verlassen. Auch der stellvertretende Vorsitzende Timo Böhme schied aus, im Gegensatz zu den genannten jedoch nicht aufgrund von Rechtsaußenkontakten. Die Machtstrukturen in der Fraktion verschoben sich zusehends. Es scheint, als haben nun Andere das Sagen. Entsprechend erreichte ein anonymes Schreiben den Landeswahlleiter im Dezember 2020. Laut der Allgemeinen Zeitung (AZ) geht es darin um „Unregelmäßigkeiten bei der Aufstellung der Wahlliste“ und um möglicherweise „manipulierte Unterlagen“, um Machtblöcke.

Auffällig ist, dass dass sich unter den ersten zehn der Landesliste neben Joachim Paul mit Damian Lohr und Alexander Jungbluth drei Kandidaten finden, deren Zugehörigkeit zu extrem rechten Burschenschaften bekannt ist. Auch Fraktionsgeschäftsführer Jan Bollinger (MdL) auf Listenplatz zwei wird in dem Artikel der AZ zu den Machtstrukturen der Partei gezählt. Der Landesparteitag zeigte bereits, mit welcher Offenheit inzwischen extrem rechte Positionen Platz in der rhienland-pfälzischen AfD finden. So sprach sich Matthias Joa (MdL) dort für eine Politik aus, die „hinter unserer Polizei steht und keinen Schuld-Kult um einen drogenabhängigen Afro-Amerikaner betreibt.“ Und erreichte Listenplatz vier.

Wahnprogramm

Noch deutlicher zeichnet sich das im Wahlprogramm der AfD ab, das seit 2016 von 30 auf 200 Seiten angewachsen ist. Vergleichsweise harmlos möchte die AfD „Heimatkunde“ oder die „Freiwillige Feuerwehr“ in den Lehrplänen verankern. Beim Thema Familie klingt es sehr nach Michael Frisch, wenn die AfD die „Förderung von Abtreibungskliniken wie etwa des ‚Medizinischen Zentrums‘ der Pro Familia in Mainz“ ersatzlos streichen will. Unverhohlen liest sich die Position zu Asyl und Migration: Dort ist von „Armuts- und Wirtschaftsmigranten“ die Rede, die „in unsere Sozialsysteme strömen“.

Damit nicht genug deckt das Wahlprogramm auch Themen der verschwörungsideologischen Rechten ab, die 2020 die öffentliche Debatte dominierten. Die Partei spricht sich für die „Bewahrung des Bargelds“ aus, fordert eine „Studie zu den gesundheitlichen Auswirkungen von 5G“ und spielt den Klimawandel herunter. Neu im Wahlprogramm ist die Forderung, die ‚Antifa‘ „in den Fokus des Verfassungsschutzes zu nehmen“. Zudem wird strategisch auf eine angebliche Finanzierung „linksextremistischer“ Verbände mit Landesmitteln verwiesen, die einzustellen sei. Das Wahlprogramm zeigt, wie die AfD seit 2016 an Bodenhaftung verloren hat.

Fazit

Der Landesverband muss seinen internen Spagat zwischen seröser Fassade und Machtkomplex nun halböffentlich austragen. Zusätzlich setzt ihre radikalisierte Wählerschaft die Entscheider unter Zugzwang. Im Landtagswahlkampf wird sich die AfD verstärkt auf Feindbilder einschießen. Diese werden im Wahlprogramm beim Namen genannt. Die Offensive ist für die extrem rechten Seilschaften kein Problem. Auch wenn das bedeutet, dass sie ins Rampenlicht treten. Ob Frisch die bürgerliche Fassade aufrechterhalten kann, wird sich zeigen.

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M. Bialek