Neonazis in Gründerstimmung

„Der III. Weg“-Ableger in Nordhessen

Nach vielen Jahren fehlender Neonazi-Organisation versucht nun „Der III. Weg“ die Lücke in Nordhessen zu schließen. Frei von den Altlasten vergangener NPD- oder „Die Rechte“-Strukturen soll endlich wieder der Schritt in die öffentliche Neonazipolitik gelingen. Am 12. März dieses Jahres gründete sich der „Stützpunkt Kurhessen“.

Dass Der III. Weg versucht in Nordhessen Fuß zu fassen, kommt nicht überraschend. In den vergangenen Monaten waren vermehrt Aktivitäten und Vorläuferprojekte zu beobachten. Altbekannte Neonazis wie Kevin Kohl traten hier gemeinsam mit neuen Gesichtern wie Norik Eilert auf den Plan. Die losen Neonazivernetzungen der vergangenen Jahre scheinen bei der Kleinstpartei Der III. Weg vorerst ihre Organisierungsperspektive gefunden zu haben.

Zeitgleich versuchte eine neue Neonazigruppe mit martialischem Auftreten Aufmerksamkeit zu bekommen. Unter dem ernst gemeinten Titel Scheiteljugend Kassel vernetzten sich junge Neonazis in der ganzen Region. So unterschiedlich diese beiden Projekte zunächst wirken: Sie werden teilweise von denselben Akteuren vorangetrieben. Zur Gründungsveranstaltung des Stützpunktes Kurhessen reisten am 12. März 2023 etwa 40 Personen aus dem Bundesgebiet zum „Reichshof“ in Schwarzenborn (Schwalm-Eder-Kreis). Begleitet durch Reden vom „Gebietsleiter West“ Julian Bender und dem Parteivorsitzenden Matthias Fischer führten die Anwesenden eine Fackelzeremonie durch.

In Personalunion

Auch wenn die Propaganda zum neuen Stützpunkt Kurhessen darüber hinwegtäuschen soll: statt einer florierenden Bewegung besteht die nordhessische Realität eher aus einem überschaubaren Personenkreis aus umtriebigen Neonazis, die versuchen, das Bild eines „Schanzwerks des Aufbaus“ zu zeichnen, wie es in einer Parteipublikation heißt. Als offizieller Ansprechpartner gibt sich Norik Eilert. Der 23-jährige Eilert aus Hemfurth-Edersee (Landkreis Waldeck-Frankenberg) fiel erstmals als Teilnehmer einer Demonstration der Identitären Bewegung im Juli 2019 in Halle auf. Seitdem ist er regelmäßig auf Demonstrationen anzutreffen und trat unter anderem als Ansprechperson für die Vorläuferorganisation Scheiteljugend Kassel auf. Eilert arbeitete bisher als Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. In seiner Freizeit trainierte er zuletzt MMA mit seinem Kameraden Kevin Kohl im Fight Club 21 in Bad Wildungen. Der 1992 geborene Kohl aus Edertal-Giflitz ist die zweite zentrale Figur für den Stützpunktaufbau der Partei Der III. Weg. Einst Teil des Hooliganmilieus des KSV Hessen Kassel nahm er mit Mitgliedern der Kasseler Kameradschaftszene, darunter Markus Hartmann, Ende der 2000er an Stammtischen der NPD teil. Im Jahr 2013 gründete er das Sicherheitsunternehmen Sense of Security, mit dem er unter anderem bei RechtsRock-Konzerten als Security auftrat. 2016 gründete er zudem das Kampfsportstudio Fight Club 21, welches er auch für Neonaziaktivitäten zur Verfügung stellte. Vor einigen Monaten wurde der Mietvertrag für den Fight Club 21 allerdings gekündigt, somit hat das Kampfsportstudio aktuell keine Räumlichkeiten.

Infrastruktur und …

Für den Aufbau des Stützpunktes wird die bereits bestehende Infrastruktur nordhessischer Neonazis rege genutzt. Durch die gute personelle Vernetzung lassen sich (teils) brachliegende Ressourcen reaktivieren. Zum Treffen der AG Körper & Geist — einer parteiinternen Struktur, die sich mit Angeboten wie Wanderungen, Leistungsmärschen, Kraftsport, aber insbesondere mit Kampfsport an ihre Mitglieder richtet — im September 2022 kamen knapp 20 Neonazis nach Treysa (Schwalm-Eder-Kreis). Der „Reichshof“ im Knüllwald diente schließlich als Veranstaltungs- und Übernachtungsort. Der „Reichshof“ ist seit knapp 50 Jahren im Besitz der extremen Rechten. Bis kurz vor seinem Tod 2014 nutzte Manfred Roeder das Anwesen, danach ging es in den Familienbesitz von Michèle Renouf über. In den folgenden Jahren nutze der zu der Zeit im Nachbarort wohnhafte Meinolf Schönborn die Immobilie für Veranstaltungen. Nach öffentlicher Berichterstattung durfte das Gelände ab 2017 nicht mehr für Veranstaltungen genutzt werden. Schönborn verzog nach Gieselwerder (Landkreis Kassel), wo er in einer ehemaligen Geflüchtetenunterkunft mit anderen einen neuen Veranstaltungsort betreibt (vgl. LOTTA #81, S. 30 f.). In den folgenden Jahren blieb es ruhig auf dem „Reichshof“, bis er für die Gründung des Stützpunktes Kurhessen und einer zuvor stattgefundenen Schulung als Räumlichkeit diente.

… Netzwerke

Die Verbindungen von Eilert und Kohl in die Kampfsportstrukturen der AG Körper & Geist zeigten sich auch im März 2022 als die beiden gemeinsam an einem Training des Stützpunkts Westerwald teilnahmen. Als Teil einer Der III. Weg-Reisegruppe absolvierten sie 2022 den sogenannten „Ausbruchsmarsch“ zum „Tag der Ehre“ in Budapest. Auch zu den Burschenschaften hält man guten Kontakt. Im Oktober 2022 besuchten Eilert und Kohl die Mensur von Max Eichhorn, Burschenschafter der Marburger Burschenschaft Germania. Diese Verbindung ist nicht überraschend. Auf personelle Überschneidungen zwischen Marburger Burschenschaften und der Partei Der III. Weg wurde seitens antifaschistischer Recherche mehrfach aufmerksam gemacht. Ebenso zum sogenannten Thule Seminar pflegt der Stützpunkt Kurhessen gute Kontakte. Das Thule Seminar wurde 1980 in Kassel gegründet und wird als Ableger der „Neuen Rechten“ in Deutschland bezeichnet. Sich selbst als Ideenschmiede verstehend, handelt es sich beim Thule Seminar heute vielmehr um eine überalterte Sekte, die einen heidnisch-esoterischen Nationalsozialismus propagiert. Im Herbst 2022 landete der Vorstand des Thule Seminars, darunter Pierre Krebs, wegen eines von ihnen vertriebenen Taschenkalenders wegen Volksverhetzung vor Gericht. Vor Ort fanden sich mehrere Unterstützer*innen ein, darunter auch besagter Kevin Kohl. Im Oktober 2021 referierte Pierre Krebs schon bei der ersten Parteivorstellung des Der III. Weg in Nordhessen.

„Scheiteljugend“

Eine weitere Aufbaubestrebung rund um Kohl und Eilert stellt die Scheiteljugend Kassel dar. Bereits in den Jahren zuvor gab es mehrere Vernetzungsversuche. So wurde in den Jahren 2020 und 2021 über die Telegram-Kanäle „Patriotenfunk“ und „Heimatecho“ zur Organisation aufgerufen. Bei Instagram entstand 2021 die Wanderjugend Nordhessen und reihte sich in den bundesweiten Trend ein, mit Naturbildern, pathetischen Heimatzitaten und Bildern von Wanderausflügen um Mitglieder zu werben. Seit Anfang 2021 versuchte die Scheiteljugend Kassel nun, mit kurzen, martialischen Videoclips und Gruppenfotos ihre vermeintliche Straßendominanz zu demonstrieren und bisher nicht organisierte junge Neonazis aus der Region anzusprechen. Aber auch „offline“ werden die vereinzelten Neonazis zusammengeführt, um sich zu Kampfsporttrainings zu treffen. Auch wenn es personelle Überschneidungen zum Der III. Weg gab, ist die Scheiteljugend nicht streng parteigebunden und weist eher eine Nähe zu den Jungen Nationalisten, der Jugendorganisation der HEIMAT! (ehemals NPD) auf. Erste Auftritte der Scheiteljugend jenseits des Internets konnten bereits ab 2021 auf Querdenken-Demonstrationen beobachtet werden. So nahm Carsten Dietrich, ehemals Identitäre Bewegung und zeitweise Sprecher der Kasseler Jungen Alternative, mit weiteren mutmaßlichen Mitgliedern der Scheiteljugend an mehreren Querdenken-Protesten teil. Diese Verbindung zeigt, wie fließend der Übergang zwischen den verschiedenen Spektren ist. Im Februar dieses Jahres reisten mehrere Aktivisten der Scheiteljugend Kassel gemeinsam zum „Trauermarsch“ nach Dresden an. Hier waren sie Teil einer Reisegruppe um Thoralf Heise, Sohn von Thorsten Heise.

Ausblick

Mit ihrem Vernetzungs- und Aufbauprojekt können sowohl Der III. Weg als auch die Jugendprojekte in eine Lücke stoßen, die die desorganisierte Alt-Neonaziszene hinterlassen hat. Bereits seit längerem ist in Nordhessen keine funktionierende NPD-Struktur feststellbar. Die Partei Die Rechte scheiterte zweimal an der Gründung eines Landesverbandes in Hessen. Und auch die vorhandenen Strukturen um Combat 18 fielen vor Ort nie durch eigene Aktivitäten auf. Erschwerend kommt hinzu, dass die beiden von Neonazis begangenen Morde an Halit Yozgat und Walter Lübcke in Kassel zu einer Atmosphäre führten, die offene Neonazipolitik denkbar unattraktiv macht. Antifaschistische Aktivitäten und ein großes öffentliches Interesse — insbesondere ab 2019 — haben dazu beigetragen, dass bekannte Akteurinnen sich lieber bedeckt halten. Wer über irgendeine Ecke mit dem Mörder von Walter Lübcke in Verbindung gebracht werden konnte, musste damit rechnen, Medienvertreterinnen wie Spiegel TV vor der eigenen Haustür zu begegnen.

Frei von diesen Altlasten treffen Der III. Weg und die Scheiteljugend Kassel auf ein vorhandenes Potential im reaktionären Nordhessen. Gerade in den ländlichen Regionen zwischen Kassel und Marburg mussten sie bisher nicht viel Gegenwehr erwarten. Vor allem Kevin Kohl versuchte, eine breite Infrastruktur um Bad Wildungen aufzubauen, die nicht nur für Neonazis attraktiv ist. Konspiratives bis paranoides Verhalten hat dazu beigetragen, dass sie eine Zeit lang weitgehend verdeckt agieren konnten. Seit einer größeren Veröffentlichung durch antifaschistische Recherche im April 2023 scheint jedoch ein abrupter Strategiewechsel stattgefunden zu haben. Die Scheiteljugend löste sich bereits einen Tag später offiziell, aber wenig glaubwürdig auf. Abzuwarten ist, ob zukünftig alle der Scheiteljugend Kassel zugerechneten Personen stärker in den Aufbau von Der III. Weg-Strukturen eingebunden oder die entstandenen Kontakte zu anderen extrem rechten Akteur*innen anderweitig genutzt werden. Dass hinter dem panischen Schritt der Auflösung nicht wie verkündet der erfolgreiche Abschluss ihrer rechten Vernetzungskampagne steht, sondern das Bekanntwerden ihrer Strukturen und Wohnorte, ist naheliegend.

Es wird allerdings nicht nur die Sorge vor weiteren antifaschistischen Interventionen gewesen sein, die die sonst so selbstsicheren Neonazis zur Auflösung gezwungen hat. Auch drohender Repression oder gar einem Verbotsverfahren wollten sie damit wohl zuvorkommen. Denn offensichtlich rückten die Neonaziaktivitäten in Nordhessen auch weiter in den Fokus von Polizei und Staatsschutz. Nachdem bereits im März die Der III. Weg-Gründungsveranstaltung von der Polizei aufgelöst worden war, unterbrachen sie eine Woche nach der Veröffentlichung eine Kampfsportveranstaltung von Kevin Kohl in Bad Wildungen. Da ihm laut Bericht des Hessischen Rundfunks bereits einige Wochen zuvor der Mietvertrag gekündigt worden war, konnte das Training nicht im Fight Club 21 stattfinden. Bis auf wenige Flugblattaktionen lässt die große öffentliche Offensive in Nordhessen noch auf sich warten. Der III. Weg wird nichtsdestotrotz zunächst einer der wichtigen Anlaufpunkte in der Region sein, antifaschistische Begleitung inbegriffen.

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