Dagegen richtete sich ein doppelter Protest, der aus zwei unterschiedlichen Milieus kam und kommt. Einerseits meldete sich ein generell steuerfeindlicher, in der Tradition der „Steuerrebellen“ unter Pierre Poujade stehender Mittelständlerprotest zu Wort, der in keiner progressiven Tradition steht. Poujades Partei, die UDCA („Union zur Verteidigung der Geschäftsleute/Ladeneigentümer und Handwerker“) war von 1953 bis 1956 erfolgreich war. Als damals jüngster Abgeordneter der UDCA zog bei den Parlamentswahlen vom 2. Januar 1956 übrigens ein gewisser Jean-Marie Le Pen in die französische Nationalversammlung ein. Auf der anderen Seite wies die im Herbst 2018 gestartete Protestbewegung eine stärker „sozial“ geprägte Komponente auf, deren ProtagonistInnen auf mehr „Steuergerechtigkeit“ statt auf die generelle Infragestellung von Besteuerung setzten.
Dieser Doppelcharakter drückt sich darin aus, wie sich unterschiedliche Teile der französischen WählerInnenschaft zu dem Protest stellten. In einer Umfrage, die am 30. November 2018 publiziert wurde, zeigte dieser sich am stärksten in zwei unterschiedlichen Wählergruppen verankert: Deutliche Unterstützung zeigten auf der einen Seite 68 Prozent der Wählerschaft des extrem rechten Rassemblement national (RN, diesen Namen trägt seit dem 1. Juni 2018 der frühere Front National) und 65 Prozent der WählerInnen des rechtsbürgerlichen, EU-feindlichen Nationalisten Nicolas Dupont-Aignan von der Kleinpartei Debout la France (DLF, in etwa: „Stehe auf, Frankreich“). Auf der anderen Seite äußerten 45 Prozent der WählerInnen des Linkssozialisten und Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon ihre aktive Unterstützung. Unter mehreren möglichen Antworten stellte „Unterstützung“ dabei die stärkste mögliche positive Antwort dar. Insgesamt vereinigten die positiven Antwortn, die von „Verständnis“ über „Sympathie“ bis „Verständnis“ reichten, über 70 Prozent aller Antworten auf sich.
Zunächst waren es die RN-Chefin Marine Le Pen und Nicolas Dupont-Aignan von DLF, die als erste SpitzenpolitikerInnen ab der vorletzten Oktoberwoche lautstark ihre Unterstützung für die im Internet angekündigten Verkehrsblockaden ab dem 17. November 2018 bekundeten. Erst ab Anfang November verkündeten auch andere Berufspolitiker wie der Konservative Laurent Wauquiez (Les Républicains, LR) und Jean-Luc Mélenchon als Chef der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise (LFI) ihre Absicht, sich zum Protest anzuschließen.
Zwar achteten Parteien wie der RN und DLF darauf, dass sie sich keine plumpe „Vereinnahmung“ (récupération) der Protestbewegung vorwerfen lassen mussten, wofür politische Parteien oft kritisiert werden.
Deswegen verzichteten ihre AktivistInnen auch darauf, mit Parteiabzeichen oder -fahnen erkennbar aufzutreten. De facto jedoch waren beide vor allem in der Anfangsphase der Bewegung stark vertreten. Als es etwa am ersten landesweiten Protesttag am 17. November in Etaples-sur-Mer (am Ärmelkanal) zu einem Auffahrunfall mit einem PKW an einem Verkehrsblockadepunkt kam, bei dem ein örtlicher Kommunalpolitiker verletzt wurde, stellte sich heraus, dass es sich um einen Mandatsträger des RN handelte, Francis Leroy. Als Parteifunktionär bei Debout la France aktiv ist Frank Buhler, der Ende Oktober sowie nach dem 17. November 2018 zwei der mobilisierungsträchtigsten Videos der Bewegung in den sozialen Medien verbreitete. Besonders pikant ist, dass Buhler zuvor die Mitgliedsrechte beim damaligen Front National auf Zeit entzogen worden waren, nachdem er rassistische Witze bei Facebook veröffentlicht hatte, welche die Partei als kontraproduktiv bewertete.
Zu einem späteren Zeitpunkt und an anderen Orten waren jedoch eher linke Kräfte vertreten. Die extreme Rechte in Frankreich macht nicht die Substanz der Protestbewegung aus und initiierte sie auch nicht. Doch sie hängt sich an die Proteste an und versucht, darüber Politik zu machen.
Aus diesem faktischen politischen Crossover-Phänomen resultierte auch die anfänglich sehr erhebliche Skepsis der französischen Gewerkschaften. Doch im Laufe der Wochen trat dann eine gewisse Änderung ein, da sich vor allem auf regionaler Ebene viele gewerkschaftliche Strukturen – etwa Kreisverbände der CGT – in die Proteste vor Ort einklinkten.
Bis zum Schluss wies die Protestbewegung jedoch beide Facetten auf. An militanten Auseinandersetzungen mit der Polizei sowie Ausschreitungen, wie sie mehrfach - am stärksten am 1. und 8. Dezember 2018 - im Zentrum von Paris stattfanden, beteiligten sich sowohl militante Faschisten aus außerparlamentarischen extrem rechten Gruppen, etwa dem Bastion Social (hervorgegangen aus dem GUD – Groupe Union Défense, einer 1969 gegründeten, ursprünglich studentischen militanten Gruppe), und Monarchisten der traditionsreichen Gruppierung Action française als auch Angehörige autonomer und anarchistischer Strömungen. Beide Spektren arbeiteten keineswegs zusammen, sondern wurden parallel zueinander ohne jegliche Absprache oderKoordination aktiv.
Linksradikale attackierten darüber hinaus am 1. Dezember den rechtsextremen Kader Yvan Benedetti innerhalb einer Demonstration und warfen ihn zu Boden. Hinzu kamen Gelegenheitsrandalierer und Plünderer, die oft zum ersten Mal im Leben an einer Demonstration teilnahmen, sich vom Aktionsfieber anstecken und dann erwischen ließen. Anlässlich der Eilprozesse, die etwa am 3. und 10. Dezember in Paris gegen Teilnehmer an Plünderungen stattfanden, waren vor allem Angehörige der letztgenannten Gruppe vertreten.
Ab dem 26. November 2018 verlieh die „Gelbe Westen“-Bewegung sich ein offizielles Sprecherkollektiv aus acht Personen sowie einen Forderungskatalog aus 42 Punkten, der sozial progressive sowie steuerfeindliche, auch im Sinne von Unternehmen ausfallende, Forderungen miteinander vermischt und vermengt. Von den acht Personen – deren Legitimität, für die Protestbewegung zu sprechen, vor allem in West- und Südfrankreich schnell in Frage gestellt wurde – hat die Mehrheit einen eher rechten denn progressiven Vorlauf.
Der 35-jährige LKW-Fahrer Eric Drouet, mittlerweile einer der bekanntesten Köpfe, verbreitete etwa im Frühsommer 2018 im Internet mehrfach einwanderungsfeindliche Kommentare. Anfang Januar 2019 entspann sich eine breite öffentliche Polemik um seine Positionen: Zunächst hatte der Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon sich am 2. Januar positiv auf ihn bezogen und erklärt, von Drouet „fasziniert“ zu sein. Daraufhin behauptete der bürgerliche Fernseh-Starjournalist Jean-Michel Aphatie, Eric Drouet sei 2017 ein bekennender Wähler von Marine Le Pen „in beiden Durchgängen der Präsidentschaftswahl“ gewesen. Dies habe er mehrfach in den sozialen Medien gelesen, fügte er auf Nachfrage später hinzu. Allerdings dementierte Drouet alsbald, und zwei Tage später behauptete der Sender BFM TV, er habe vielmehr Mélenchon gewählt – was zutreffen mag oder auch nachträglich konstruiert sein kann, um nicht in eine „rechte Ecke“ gedrängt zu werden oder um sich für das öffentliche Lob Mélenchons zu revanchieren.
Unterdessen gehen Medienkommentare etwa beim liberalen Wochenmagazin L’Express davon aus, Aphathie habe Drouet und einen anderen Sprecher der Bewegung, den 31-jährigen Leitarbeiter Maxime Nicolle alias „Fly Rider“, miteinander verwechselt. Was Nicolle betrifft, so ist auch dessen persönliches Wahlverhalten nicht bekannt, doch ist gesichert, dass er bei Facebook wiederholt Pressemitteilungen von Marine Le Pen mit einem „Like“ versah. Er trat auch wiederholt als Liebhaber von Verschwörungstheorien hervor.
Neben Drouet und Nicolle zählt auch die schwarze Karibikfranzösin Priscillia Ludosky, eine 39-jährige Therapeutin, zu den bekannteren Gallionsfiguren der Protestbewegung. Sie war politisch zuvor ein unbeschriebenes Blatt, hat allerdings ein eher progressives und jedenfalls nicht rassistisches Profil. Aufgrund eines 14-tägigen USA-Aufenthalts Anfang Dezember verlor sie zwar zeitweilig de faco ihren Status als führende Exponentin der Bewegung, bei den Pariser Demonstrationen am 15. Dezember 2018 und am 5. Januar 2019 nahm sie jedoch eine zentrale Position ein.
Die nicht zutreffende Darstellung der Proteste als insgesamt extrem rechts entwickelte sich unterdessen, vor allem seit dem Jahreswechsel 2018/19, zum Argument für einen Teil der gesellschaftlichen Eliten (etwa in bürgerlichen Medien) und das Regierungslager, um die „Gelbe Westen“-Bewegung insgesamt zu diskreditieren. Ein weiterer, mit Bestimmtheit negativer Nebenaspekt dieser Polarisierungsstrategie besteht darin, dass die extreme Rechte in vieler Menschen Augen zur „wichtigen und für die Regierung gefährlichen Oppositionskraft“ aufgewertet wird.
Für den 18. Januar 2019 rufen nun prominente Vertreter der außerparlamentarischen extremen Rechten – wie der Berufs-Antisemit Alain Soral (Gründer der 2007 entstandenen Gruppierung Egalité & réconciliation, „Gleichheit und Aussöhnung“), der bekannte Holocaustleugner Hervé Ryssen sowie Jérôme Borbon von der 1951 gegründeten alt- und neofaschistischen Wochenzeitung Rivarol zu einer Großveranstaltung in Paris unter dem Titel „Gelbe Westen: die kommende Revolution“ auf. Dabei handelt es sich um einen offenen Versuch des Andockens an die Protestbewegung und deren Vereinnahmung. Dann wird sich zeigen, wieviel Aufmerksamkeit die extrem rechten ProtagonistInnen damit gewinnen können.