Solingen – Aufschlussreicher als die Frage, wer auf einer Veranstaltung der extremen Rechten als Redner auftritt, ist manchmal die, wer dort nicht ans Mikrofon gelassen wird bzw. nicht ans Mikrofon treten will oder kann.
Glaubt man dem Bericht von „pro NRW“ sprachen bei der Kundgebung der Rechtspopulisten am gestrigen 1. Mai in Solingen der Wiener Landtagsabgeordnete Wolfgang Jung von der FPÖ, Torsten Lange, der in den 80ern für zwei Jahre als Grünen-Abgeordneter dem Bundestag angehörte, der „pro Köln“-Stadtrat Jörg Uckermann, der „pro Köln“- und „pro NRW“-Vorsitzende Markus Beisicht sowie mit einem „ausführlichen Grußwort“ Patrik Brinkmann, auf dessen angeblich prall gefülltes Portemonnaie die Hoffnungen der „pro“-Oberen gerichtet sind. Als „Moderator“ trat „pro“-Generalsekretär Markus Wiener auf.
Als Redner nicht genannt wird der örtliche Direktkandidat zur Landtagswahl – was bei anderen Parteien eine Woche vor dem Gang zur Wahlurne kaum vorstellbar wäre. Tobias Nass heißt er. Nass hat in den letzten Wochen reichlich Anlässe für einen freiwilligen oder erzwungenen Mikrofon-Verzicht geliefert: Ein Foto, auf dem er mit Hitler-Bärtchen posiert, war zu bestaunen, ein anderes zeigte ihn gemeinsam mit einem Aktivisten der neonazistischen „Aktionsgruppe Rheinland“. Als politische Vorbilder wurden auf seiner Internetseite die Neonazis Jürgen Rieger und Friedhelm Busse genannt. Noch vor einem Jahr wurde er bei einem Neonazi-Aufmarsch in Stolberg abgelichtet. Die NPD, seine frühere politische Heimat, ließ zudem verlauten, er sei nicht 2006 – wie Nass selbst behauptete – aus der Partei ausgetreten, sondern erst Ende Januar 2010, habe aber bis inklusive 1. April der NPD regelmäßig Spenden überwiesen.
Genug Gründe also für eine Partei, die als „rechtsdemokratisch“ erscheinen will, O-Töne jenes Kandidaten, der ihr inzwischen als Sicherheitsrisiko erscheinen müsste, besser nicht über Lautsprecher hinauszuposaunen. „Pro“-Chef Beisicht nahm ihn aber dennoch (oder genau deswegen?) öffentlich in Schutz: Nass habe in den letzten Wochen „eine regelrechte Hetzkampagne gegen seine Person erdulden“ müssen. Und Beisicht wäre nicht Beisicht, wenn er die eine Absurdität nicht durch eine weitere noch toppen würde: Nass wird also zum Muster-Demokraten. Beisicht über das Verhältnis zu seinem örtlichen Kandidaten: „Wir stehen zu jedem, der sich glaubwürdig zu unseren politischen Inhalten, zu unserem Grundgesetz, Rechtstaatlichkeit und Demokratie bekennt.“
Nass könne „bei der nächsten Kommunalwahl Solingen für Pro NRW erobern“, meint Beisicht gar – als müsste er nach den Erfahrungen der letzten Wochen nicht ständig Sorge haben, dass noch mehr über das politische (Vor-)Leben seines Kandidaten bekannt werden könnte. (ts)