RE: Die Neonazis und ihre Randgruppen-Nische

MARL – Es mag ein Zufall sein: Just einen Tag vor dem für Samstag angekündigten Aufmarsch in Hamm veröffentlichte eine kleinere Gruppe der Szene aus dem nördlichen Ruhrgebiet eine grundsätzliche Kritik an „typischen“ Neonazi-Demonstrationen.

Entstanden ist der Text nicht bei jenen Neonazis aus dem Kreis Recklinghausen. Gefunden haben sie ihn vielmehr auf der Internetseite einer Gruppe aus Hannover. Sie stellen sich freilich hinter die Argumentation ihrer niedersächsischen „Kameraden“ zur Aktionsform Demonstration: „Auch uns überkamen zuletzt diese Gedanken, was oftmals zu einem Fernbleiben von Demonstrationen führte, da man selbst keine Möglichkeit bekam auf die Masse einzuwirken“, schreiben sie.

„Demos ineffektiv und kontraproduktiv“

Demonstrationen in der derzeitigen Form seien „ineffektiv und sogar kontraproduktiv“, meinen die Niedersachsen und zählen einige Kritikpunkte auf. Wegen der Abschirmung durch die Polizei würden die „Volksgenossen“ kaum erreicht. Der Zwang, sich an die „irrwitzigsten Auflagen“ halten zu müssen, schränke extrem ein, etwa wenn die Demo „statt durch die Einkaufsmeile und Wohngebiete plötzlich nur noch durch ein ödes, menschenleeres Industriegebiet“ führe. „Statt Bürgeraufklärung bleibt nur ein Fotoshooting mit Antifa und Presse, die uns dem Bürger natürlich nur von unserer unattraktivsten Seite präsentieren.“ Die monatelange Vorbereitung und die letztlich nur drei Stunden Demozeit „fernab der Aufzuklärenden“ stünden zudem in keinem Verhältnis zueinander. Ganz abgesehen von den Kosten: Ob das Geld „nicht lieber für gut gemachtes Infomaterial und Flugblätter ausgegeben werden“ solle, fragen die Autoren.

„Szeneinterne Modenschau“

Doch auch das Auftreten mancher Demo-Teilnehmer missfällt den Autoren. „Mangelhafte Informiertheit“ und „mangelndes politisches Bewusstsein“ attestieren sie vielen von ihnen. Ihnen scheine der „Sinn einer Demonstration, nämlich die Köpfe und Herzen unseres Volkes zu gewinnen, völlig unklar oder, schlimmer noch, völlig egal zu sein“. So würden zum Beispiel „T-Hemd Motive mit Waffen, Bomben und allgemein gewaltverherrlichenden Motiven nur die von den Medien gegen uns gesetzten Klischees wiedergeben und uns, vor unserem eigenen Volk, unmöglich machen“. Die „szeneinterne Modenschau“ müsse „zugunsten einer positiven, dem Volk zugewandten Darstellung unserer Bewegung zurückgestellt werden“. Auf Kritik stoßen auch „dumme Schreiwettkämpfe mit den Verblendeten am Straßenrand“. Einen „Demotourismus von Seiten einer rechten ,Spaßgesellschaft’“ lehne man ab. Erst recht nichts zu suchen hätten bei solchen Veranstaltungen „sogenannte Kameraden, die schon morgens auf dem Weg zur Veranstaltung mit dem Saufen anfangen“. Klasse statt Masse ist das Motto der Autoren: „Wem hilft es, wenn einige Trottel in Minuten das einreißen, was Aktivisten in langer intensiver Arbeit aufgebaut haben?“

„Sportlich-positives Auftreten“

Statt der typischen Demos empfehlen sie „spontane, direkt den Bürger erreichende Aktionen“ und den „positiven persönlichen Kontakt auf der Straße“. Dabei sei ein „positives, lockeres Auftreten gefragt, das den Bürger nicht verschreckt“. Eine Krawatte werde nicht benötigt, beruhigen sie ihre Leser. „Sportlich-positives Auftreten und Aussehen ist hier angebracht.“ Schließlich wolle man „Teil unseres Volks sein und nicht eine in einer Nische vor sich hinlebende Randgruppe“.

Die Neonazis aus dem Raum Recklinghausen stimmen zu: „Ein generelles Umdenken und ein breiter Diskurs“ seien notwendig, „um den Widerstand endlich wieder als Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzweck zu begreifen.“ Vielen gehe es hingegen nur um den „Erhalt der Szene, ihrer Freunde, diverser energiegeladener Aktionen und dem Milieu an sich, das Ziel – Deutschland – ist dabei schon lange verloren gegangen“, schreiben sie auf ihrer Internetseite. In den Kommentarspalten der Hannoveraner Neonazis formulieren sie die Sorge, dass ihnen ihre Kritik nicht unbedingt viele neue Freunde einbringen wird: „Auch der Widerstand hat einen ,,Mainstream’, und wer diesem nicht folgt, landet schnell in einer Schublade mit Verrätern, Halben und Weicheiern.“ (ts)

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