ESSEN – In ganz Europa hat „pro NRW“-Chef Markus Beisicht einen Trend nach rechts ausgemacht. Ein „freiheitliches Projekt“ – so nennt er seine Spielart der extremen Rechten – sei „mehrheitsfähig“, auch in NRW, meint er. Wer freilich wissen will, warum es in Deutschland nichts werden wird mit Beisichts Projekt und seiner real existierenden Partei „pro NRW“, der ist an diesem Samstagmittag in Essen-Kray beim Start der „Freiheit statt Islam“-Tournee* der selbst ernannten „Bürgerbewegung“ gut aufgehoben. Zu beobachten ist aber auch, warum die Partei dennoch nicht zu unterschätzen ist. Nicht weil ihre Vertreter demnächst im Landtag sitzen werden – davon ist die extrem rechte Partei meilenweit entfernt –, sondern weil sie mit ihren kulturrassistischen Parolen das friedliche Zusammenleben im Lande in Gefahr bringt.
[caption id="attachment_7704" align="alignright" width="150"] Markus Wiener bei der Präsentation der "Karikaturen".[/caption]
Die Polizei hat am Samstagmorgen die kleine Straße „Tempelhof“ gegenüber dem Bahnhof Kray-Nord abgesperrt. Eigentlich nicht viel Platz für den groß angekündigten Auftakt der Wahlkampftour, für den „pro NRW“-Generalsekretär Markus Wiener gar „die europäische Führungsspitze der freiheitlichen, islamkritischen Bewegung“ angekündigt hat. Doch auch dieses kleine Areal soll sich schließlich als deutlich zu groß erweisen, als später das Kundgebungsvolk von „pro NRW“ per Bus anreist.
Drei Transporter fahren dort eine Stunde vor dem geplanten Veranstaltungsbeginn vor. „Pro NRW“-Mitglieder aus dem Ruhrgebiet und Köln sowie Helfer vom „Vlaams Belang“ bauen eine Bühne auf. Im Hintergrund ein großes Transparent mit dem Schriftzug „Freiheit statt Islam“. Das Rednerpult wird mit einem Wahlplakat geschmückt, das durch seine besondere Inhaltsleere auffällt: „Politiker quälen – PRO NRW wählen“ steht dort. An einen der Transporter sind die üblichen Demonstrations-Utensilien der „Bürgerbewegung“ gelehnt: Schwarz-rot-goldene Fahnen und die Schilder, die eine durchgestrichene Moschee zeigen. Nicht alle werden an diesem Tag ihre Abnehmer finden.
„Unmittelbar vor protzigen Großmoscheen und umstrittenen Islamistenzentren“ werde man demonstrieren, hatte „pro NRW“ angekündigt. Wie wenig auch diese Aussage mit der Realität zu tun hat, wird in Kray deutlich. 50 Meter vom alten Bahnhof Kray-Nord entfernt steht die Bühne. Hinten, im Bahnhofsgebäude, ist eine Moschee eingezogen. Protz und Prunk? Ortsunkundige müssen fragen, wo denn nun die Moschee sei, so unscheinbar ist sie. Doch um Realität geht es „pro NRW“ beim Versuch, um beinahe jeden Preis Schlagzeilen zu produzieren, längst nicht mehr.
Als die Bühne steht, heißt es erst einmal warten. Hans Albers scheppert aus den Lautsprechern. Der Busfahrer habe sich auf der Anfahrt verfranst, heißt es. Das kann passieren, passt aber ins Bild, das die selbst ernannte „Bürgerbewegung“ bietet. Dann rollt der Bus vor – diesmal reicht schon einer, um die bürgerbewegte Demo-Truppe vor Ort zu bringen. Doch das „Spektakel“ kann noch immer nicht beginnen. Polizeibeamte wollen einen Blick in die mitgebrachten Taschen werfen. Anlass sei die Aussage einiger „pro NRW“-Mitglieder gewesen, sich im Zweifelsfall „zur Wehr setzen“ zu wollen, berichtet die WAZ. Also sucht die Polizei nach Dingen, die man nicht zu Demonstrationen mitbringen darf, Reizgas etwa oder Messer. Andreas Molau, einen der Scharfmacher „pro NRW“, bringt das aus der Fassung. Er schreit auf einen der eingesetzten Polizeibeamten ein.
„Pfui Teufel, schämen Sie sich!“, empört sich routiniert der „pro NRW“-Generalsekretär Markus Wiener, als er die Bühne erklommen hat. Molau meint er nicht, sondern die Verantwortlichen des Polizeieinsatzes. „Friedliche Demonstranten“ sollten „vorgeführt werden“, macht er sich und seine Anhänger zu Opfern staatlicher Verfolgung. Als er sich beruhigt hat, werden antiislamische Karikaturen an einer Pinnwand befestigt. Zu erkennen sind sie aus dem Publikum – da zu klein – nicht.
Doch darum geht es an diesem Tag auch nicht. Die Medien sollen eine Botschaft transportieren: „Pro NRW“ als Tabubrecher wider die „political correctness“. Hauptsache Schlagzeile. Eine Collage zeigt den Koran; auf dem Buch liegen Patronenhülsen. Der zugehörige Text „erklärt“: „Waffen alleine töten keine Menschen – Sie benötigen die Macht der Gedanken“. Kritik an solchen und ähnlichen Karikaturen – NRW-Innenminister Ralf Jäger wird sie später als „geistige Brandstiftung“ bezeichnen – stört die Verantwortlichen bei „pro NRW“ nicht. Im Gegenteil: Sie ist bereits eingeplant, damit sich „pro NRW“ anschließend gar als Wahrer der Kunst- und Meinungsfreiheit stilisieren kann.
Die Bundesfahne, die Flaggen Österreichs und Flanderns stehen neben der Bühne. Schließlich wird ja angeblich die „europäische Führungsspitze“ der „freiheitlichen Bewegung“ erwartet. Doch so spitze ist die Veranstaltung am Ende nicht: Der „Vlaams Belang“-Spitzenpolitiker Filip Dewinter ist gar nicht erst erschienen und hat Besseres zu tun. Großvater sei er am Tag zuvor geworden, heißt es. Sein Grußwort verliest die ehemalige „Vlaams Belang“-Abgeordnete Hilde De Lobel. Aus Graz ist die österreichische Nationalratsabgeordnete Susanne Winter von der FPÖ gekommen, die sich mit radikalen Tönen einen zweifelhaften Ruf erwarb, in Kray aber eher einen blassen und uninspirierten Auftritt hinlegt. Das mag auch an Publikum liegen. Wer kann schon vor gerade einmal 60 Leuten in einer Nebenstraße zur Höchstform auflaufen?
Eines der Probleme von „pro NRW“ ist, dass dies offenbar auch keiner aus der Führungsriege der europäischen Rechtspopulisten wirklich will. Die tatsächlichen Spitzenkräfte vom „Vlaams Belang“ und von der FPÖ oder anderer Rechtsaußenparteien anderer Länder wollen es jedenfalls nicht. FPÖ-Chef HC Strache grüßt lieber aus der Ferne nach einem Gespräch mit „pro“-General Wiener – einer Begegnung, von der nicht einmal Fotos überliefert sind. Besser als sich daheim mit Auftritten bei der Mini-Partei „pro NRW“ etwa in einer Nebenstraße in Essen-Kray zum Gespött zu machen, ist das allemal.
Zwei Gäste aus Deutschland haben diese Scheu nicht. Rolf Schlierer ist der eine, Lars Seidensticker der andere. Wiener stellt den „Republikaner“-Vorsitzenden Schlierer als den „wichtigsten Bündnispartner von uns hier in Deutschland“ vor. Schlierers nordrhein-westfälischer Landesverband versucht sich in Querschüssen gegen die angebliche „Bürgerbewegung“, während er selbst seine Unterstützung im Landtagswahlkampf zugesagt hat. Seine Partei hat in den letzten Jahren rapide an Bedeutung verloren. Und so freut er sich, hier vor 60 Zuhörern sprechen zu können.
Der Bundesgeschäftsführer und Berliner Landesvorsitzende von „pro Deutschland“ Lars Seidensticker kann auch bei Miniveranstaltungen zur großen extrem rechten Form auflaufen. Das hat er im vorigen Jahr im Berliner Wahlkampf bereits gezeigt, wo er ins Abgeordnetenhaus einziehen wollte, mit 1,2 Prozent aber deutlich scheiterte. Seidensticker donnert ins Mikrofon, als hätte er ein niederbayerisches Festzelt beim politischen Aschermittwoch vor sich. Eigentlich soll er nur ein kurzes Grußwort sprechen. Doch Rechtspopulisten wie ihn kennzeichnet zuweilen ein Mitteilungsdrang, der – einmal in Gang gesetzt – kaum zu bremsen ist. Ganze Stadtteile gebe es, „die ihr deutsches Leben ausgehaucht haben“, ruft er ins Publikum.
Seidensticker agiert geschickt. Die wildesten Tiraden seiner migrantenfeindlichen Rede sind in Zitate verpackt. Deutschland habe „bevorzugt Minderintelligente, Grenzdebile und Schwachsinnige ins Land gelassen“ – das habe der Publizist Udo Ulfkotte geschrieben. Deutschland belaste sich „mit vielen Zuwanderern, deren geistiges Niveau und Verhalten nur schwerlich zu unterbieten sind“ – auch das habe Ulfkotte notiert. Der Islam als „Hirtenreligion eines pädophilen Kriegstreibers“ – von Atatürk stamme diese Aussage. Atatürk sei mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet gewesen, streut Seidensticker ein. Der Islam als „verwesender Kadaver, der unser Land vergiftet“ – auch das von Atatürk. „Wir wollen nicht, dass der Islam auch unser Land vergiftet“, fährt Seidensticker fort. Im „letzten Muselmanenkaff“ müsse klar sein: „Wir wollen sie nicht! Wir wollen sie nicht! Wir wollen sie nicht!“, schreit er ins Mikro. Hätte er seine Rede nicht vor 60 „Rechtspopulisten“ in Essen-Kray gehalten, sondern vor „parteifreien“ Neonazis in (sagen wir) Pirna: Er wäre vermutlich ähnlich umjubelt worden.
Beisicht wird später seine immer aufs Neue recycelte Sentenz wiederholen, radikal sei seine Partei nur in der Ablehnung von Extremismus von rechts und links. Wer eine Rede des Leverkusener Rechtsanwaltes gehört hat, kennt eigentlich alle Reden. Floskel baut sich auf Floskel, Satzbaustein auf Satzbaustein. Neu ist an diesem Tag nur sein Exkurs zu der Durchsuchungsaktion in der vorigen Woche im Bergischen Land, bei der auch Verquickungen zwischen seiner Radevormwalder Ratsfraktion und dem neonazistischen „Freundeskreis Rade“ zutage traten. Ein „Kuscheln mit Neonazis“ gebe es bei „pro NRW“ nicht, beteuert er dennoch. Aber: Die zwischenzeitlich inhaftierten Neonazis werden bei ihm nur noch zu „vermeintlichen Neonazis“.
„Pro NRW“ 14 Tage vor der Landtagswahl: eine Partei fast ohne Basis, eine Partei, deren organisatorische Unzulänglichkeiten noch viel deutlicher zu erkennen wären, würden nicht wie in Essen belgische Partner aushelfen. Eine Partei andererseits, die an Teilen der Basis keine Scheu hat, mit Neonazis anzubandeln, die einen Redner wie Seidensticker mit seinen Hetzparolen an die Front schickt und die ihre Propagandaarbeit teilweise von Leuten organisieren lässt, die ihr Handwerk vorher bei der NPD gelernt bzw. dort praktiziert haben.
„Es kann sehr schnell gehen, dass sich die Mehrheitsverhältnisse auch wieder ändern“, tönt Wiener gleichwohl. FPÖ-Politikerin Winter bevorzugt es noch eine Nummer größer: „Wir als Patrioten treten an, um den Lauf der Geschichte zu ändern“, sagt sie. Ihre 60 Zuhörer sind’s zufrieden. Sie wähnen sich in historischer Mission unterwegs. (rr/ts)
* /nrwrex/2012/04/e-pro-nrw-geht-ab-heute-auf-provokationstour