Zwei Demonstranten vor dem Münsteraner Hauptbahnhof.

„Die Polizeiaktion gegen Illegalisierte erst einmal sichtbar machen“

Interview zum Projekt „Map Mos Maiorum“

Das von antirassistischen Aktivist\_innen entwickelte Online-Projekt „Map Mos Maiorum“ dokumentierte mit Hilfe einer interaktiver Karte eine EU-weite Polizeiaktion gegen illegalisierte Migrant\_innen im Oktober 2014. Wir sprachen mit zwei der Entwickler\_innen über die Möglichkeiten und Grenzen ihres Projekts, digitale Protestformen und den Schritt „vom Netz auf die Straße“.

Das von antirassistischen Aktivist_innen entwickelte Online-Projekt „Map Mos Maiorum“ dokumentierte mit Hilfe einer interaktiver Karte eine EU-weite Polizeiaktion gegen illegalisierte Migrant_innen im Oktober 2014. Wir sprachen mit zwei der Entwickler_innen über die Möglichkeiten und Grenzen ihres Projekts, digitale Protestformen und den Schritt „vom Netz auf die Straße“.

Was genau ist überhaupt unter „Mos Maiorum“ zu verstehen?

Ronja: „Mos Maiorum" war die bislang größte gemeinsame EU-Polizeioperation. Dabei haben bis zu 18.000 Polizist_innen aus den Schengen-Staaten vom 13. bis 26. Oktober Jagd auf illegalisierte Migrant_innen und Fluchthelfer_innen, sogenannte „Schleuser_innen“, gemacht. Konkret führte dies zu einer Erhöhung der Kontrollen auf Reiserouten oder an öffentlichen Knotenpunkten wie Bahnhöfen und Flughäfen.

Alex: Diese Kontrollen betreffen fast ausschließlich Menschen, die für die Polizei nicht „europäisch“ aussehen. Die Auswahl der „Zielpersonen" erfolgt anhand von rassistischen Kriterien, weshalb man auch von „Racial Profiling“ spricht – auch wenn die Polizei das nicht gerne hört. Die Kontrollen diskriminieren somit vor allem nicht-weiße Menschen.

Ronja: Man muss dazu sagen, dass weder die Kontrollen noch die gemeinsamen Polizeioperation („EU Joint Police Operations“) neu waren. Diese Operationen finden in der Regel zweimal im Jahr statt und werden von dem Land, das die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, initiiert. Neu war dieses Mal allerdings, dass „Mos Maiorum“ bereits vor dem Start bekannt wurde und damit viel mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Dank eines Leaks von „Statewatch“ war es möglich, bereits vor und während der Polizeioperation aktiv zu werden und dagegen zu protestieren, was auch viele antirassistische Gruppen und Aktivist_innen getan haben. Es gab unter anderem international verteilte Reisewarnungen und einige Demonstrationen.

Was hat euch dazu bewogen, diese Polizeioperation mit einer digitalen Karte sichtbar zu machen?

Alex: Die Idee zu „Map Mos Maiorum" entstand relativ kurzfristig. Wir haben überlegt, wie wir dieser immensen organisierten Jagd auf illegalisierte Migrant_innen etwas entgegensetzen können. Dabei kamen wir schnell an den Punkt, dass eine solch groß angelegte internationale Aktion schwer greifbar ist. Das macht es kompliziert, effektiven Widerstand dagegen zu setzen. Wo sollen Proteste stattfinden? Pauschal in Brüssel? Oder in Rom, schließlich hatte diesmal das italienische Innenministerium die Aktion ins Leben gerufen? Bei Europol in Den Haag? Oder aber dort, wo die Operation tatsächlich stattfindet?

Ronja: Der Ansatz war dann, die Polizeioperation an sich erst einmal sichtbar und damit greifbar zu machen. So kamen wir schnell auf die Idee, dafür eine interaktive Karte zu nutzen. „Ushahidi“, die Software hinter der Karte, kannten einige von uns bereits als Tool, und dieses schien uns gut geeignet für das Projekt. „Ushahidi“ ist so konzipiert, dass die Inhalte von den User_innen selbst erstellt werden können. Wir wollten kein „klassisches“ Informationsmedium, sondern eine Plattform schaffen, die auch eine Aktivierung und Vernetzung der Beteiligten ermöglicht.

War „Map Mos Maiorum“ also ein reines Online-Projekt?

Ronja: Ich weiß nicht, ob man diese Kategorisierung als „Online-Projekt“ sinnvoll ziehen kann bzw. sollte. Klar, „Map Mos Maiorum“ war zu aller erst ein technisches Online-Tool, allerdings ging es uns auch immer darum, dass Aktivist_innen daraus mehr machen als eine weitere interaktive Karte in das Netz zu stellen. Die Karte war somit auch ein Experiment, bei dem nicht festgelegt war, wie die Leute sie nutzen oder welche Aktionen sich daraus ergeben. Bei solchen Projekten entwickelt sich manchmal eine ziemliche Dynamik.

Wie wurde das Projekt angenommen?

Alex: „Map Mos Maiorum“ hat in den ersten Tagen der Polizeioperation ziemlich viel mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dies lag vor allem daran, dass viele Medien über "Mos Maiorum“ und die Proteste dagegen berichteten. Wir waren da ein Teil des Widerstandes, aber sicherlich für die Medien recht interessant, weil eine interaktive offene Karte eine neue Protestform darstellte. Mit dem abnehmenden Interesse an der Polizeioperation hat sich auch das Interesse an unserem Projekt gelegt, sowohl was die Medienanfragen als auch die Anzahl an eingestellten Reports angeht. Zum Ende der Aktion hin flammte es dann nochmal kurz auf.

Ronja: Die meisten Einträge kamen aus dem zentraleuropäischen Raum mit dem Fokus auf Deutschland, Frankreich, Italien und Belgien. Das zeigt auch, wo wir Aktivist_innen am besten vernetzt sind. Aus Osteuropa haben wir – trotz guter Verbreitung über die Berichterstattung von „Radio Študent“aus Ljubljana – kaum Einträge bekommen. Die Sprachbarriere war auch ein unerwartet großes Hindernis, sowohl für die User_innen als auch für uns, da wir Einträge teilweise schlichtweg nicht übersetzen konnten. Zum Glück haben sich kurzfristig Leute gemeldet, die Einträge für uns übersetzten.

Alex: Wer das System genutzt hat, lässt sich schwer sagen, da wir aus Prinzip keine Daten über unsere User_innen erheben. Wir haben leider relativ wenig Rückmeldungen zur Nutzung der Karte bekommen. Dabei würde uns gerade die Meinung von Betroffenen oder Menschen, die eng mit diesen zusammenarbeiten, sehr interessieren.

Was lief aus eurer Sicht besonders gut?

Alex: Positiv ist auf jeden Fall, dass wir dazu beigetragen haben, eine kritische Aufmerksamkeit zu generieren. „Mos Maiorum“ war die erste europäische Polizeioperation, die so harsche Kritik einstecken musste. Und diese Kritik zeigte Wirkung, plötzlich wollten sogar „Frontex“ und die EU-Kommission nicht dafür (mit)verantwortlich sein. Zudem wurde das Thema „Racial Profiling“ wieder kritisch in der Öffentlichkeit diskutiert.

Ronja: Und vielleicht wurde durch die Karte auch einigen Leuten bewusst, dass „Racial Profiling“ für viele Menschen ein alltägliches Problem darstellt. Was leider nicht so gut geklappt hat, war der Schritt aus dem Netz auf die Straße. Uns sind so gut wie keine Aktionen bekannt, die direkt mit der Karte verknüpft waren oder auf ihr basierten.

Alex: Dabei gab es ja diverse Aktionen und Proteste. Wir haben versucht, dies über die nachträgliche Ergänzung einer Kategorie „Protest“ auch wahrnehmbar zu machen. Rückblickend betrachtet hätten wir das von Anfang an integrieren sollen.

Wo sind weitere Probleme entstanden?

Ronja: Um mehr Aktionen über die Karte zu ermöglichen oder dazu zu ermutigen, hätten wir aktueller sein müssen. Teilweise hat es mehrere Stunden gedauert, bis Einträge vom Moderationsteam verifiziert und freigeschaltet wurden. Das war deutlich zu lange, um auf einen Eintrag reagieren und z.B. gegen eine Kontrolle protestieren zu können. An einigen Stellen hatten wir Kontakt zu lokalen Aktivist_innen. Dort hat das deutlich besser und schneller funktioniert. Aber ein Netzwerk, um das flächendeckend zu gewährleisten, konnten wir in der kurzen Zeit nicht aufbauen. In Schweden und Italien gab es Projekte („REVASpotter“ und „Stop Mos Maiorum!“), die einen stärkeren regionalen Fokus hatten und in der Hinsicht besser aufgestellt waren.

Alex: Ich denke, es lag nicht nur an vielleicht fehlender Aktualität oder Abdeckung. Es fehlte ein grundlegendes Aktionskonzept gegen „Mos Maiorum“ und die Polizeikontrollen, was den Leuten als Anhaltspunkt dienen konnte. Das betrifft aber nicht nur „Map Mos Maiorum“, sondern allgemein die Proteste gegen die Polizeioperationen. Eine Protestform zu finden, die ad-hoc umzusetzen und auch vermittelbar ist, ist keine leichte Aufgabe.

Ronja: Aber nur wenn uns das gelingt, können wir den Widerstand weg von Events wie „Mos Maiorum“ in den Alltag tragen.

Welche Rolle können denn eurer Meinung nach solche digitalen Protestformen in zukünftigen Kämpfen gegen das europäische Grenzregime und in Auseinandersetzungen für Bewegungsfreiheit spielen? Welches Potenzial steckt in einem Online-Projekt wie „Map Mos Maiorum“?

Alex: Eine Karte wie „Map Mos Maiorum“ ist natürlich immer nur ein Werkzeug von vielen im Kampf gegen die Festung Europa. Ein Tool alleine wird nicht entscheidend sein, aber es kann einen Teil dazu beitragen, gemeinsam etwas zu bewegen. Wichtig ist, dass ein solches Tool in ein Aktionskonzept eingebunden ist oder sich zumindest nachträglich darin einbinden lässt. Einen SMS-Verteiler einzurichten, verhindert noch keine Abschiebung, dafür braucht es Arbeit auf vielen Ebenen, solch ein Verteiler ist aber trotzdem ein sehr nützliches Werkzeug, wenn es darum geht, möglichst viele Menschen zur Blockade einer Abschiebung zu mobilisieren.

Ronja: Karten haben die Besonderheit, dass sie eine politische Repräsentation der Wirklichkeit oder eines Auszugs davon darstellen. So kann man bestimmte Aspekte in den Vordergrund stellen oder Leuten ermöglichen, eine bestimmte Perspektive einzunehmen. In der Hinsicht sind Karten als interaktive und grafische Werkzeuge wirkmächtige Hilfsmittel, gerade hinsichtlich ihrer medialen Aufnahme und der (subjektiven) Selbstermächtigung der User_innen. Wenn sie gut angenommen werden, können sie ähnlich wie auch soziale Netzwerke eine Dynamik erzeugen.

Alex: „Map Mos Maiorum“ war nicht das erste „Online-Projekt", was sich den Auseinandersetzungen um die Festung Europa widmete. „Watch the Med“ und „The Migrant Files“ sind zwei aktuelle Projekte, die andere Facetten aufzeigen, wie interaktive Karten genutzt werden können, um Menschen zu helfen oder die Grausamkeit des Sterbens an den europäischen Grenzen aufzuzeigen.

Wie geht es bei euch konkret weiter?

Alex: Aktuell wird „Map Mos Maiorum“ archiviert und in eine statische Webseite umgewandelt. Das bedeutet, wir werden es in dieser Form nicht weiter betreiben. Für Aktivist_innen und Gruppen, die Interesse haben, rassistisch motivierte Polizeikonmtrollen zu melden und zu dokumentieren, zum Beispiel auf lokaler Ebene, stehen wir aber zur Verfügung. Wer also so ein Projekt mit uns betreiben will, kann sich an uns wenden, wir unterstützen gerne.

Ronja: Die Einstellung von „Map Mos Maiorum“ heißt aber mitnichten, dass wir unsere Arbeit einstellen. Wir arbeiten an neuen Projekten und versuchen, Handlungsperspektiven für den Einsatz von Karten wie „Map Mos Maiorum“ zu entwickeln. Wir haben unsere Erfahrungen und Einschätzungen in einem abschließenden Statement zusammengetragen und wollen die Diskussion auch auf Konferenzen und Vernetzungstreffen suchen. Wir hoffen, so unsere Vernetzung mit anderen Aktivist_innen zu verbessern und freuen uns auf neue spannende Projekte.


Kontakt zur Initiative über mapmosmaiorum@riseup.net (PGP-Key)

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