Absurde Höllenszenarien

Interview mit Volker Maria Hügel über die aktuellen Fluchtbewegungen aus Nordafrika

Volker Maria Hügel ist Rechtsreferent bei der „Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V.” (GGUA) in Münster. Wir sprachen mit ihm über die Fluchtbewegungen aus Nordafrika und die Flüchtlingspolitik der EU und Deutschlands.

Volker Maria Hügel ist Rechtsreferent bei der „Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V.” (GGUA) in Münster. Wir sprachen mit ihm über die Fluchtbewegungen aus Nordafrika und die Flüchtlingspolitik der EU und Deutschlands.

Nach einer Reihe von Aufständen,in Nordafrika vermelden die Medien eine neue Flüchtlingswelle Richtung Europa. Der Bürgermeister der Insel Lampedusa, die für viele Flüchtlinge erstes Ziel ist, spricht sogar von einem Exodus biblischen Ausmaßes. Wie dramatisch sind denn die Flüchtlingsbewegungen tatsächlich?

Ich muss ein paar Vorbemerkungen machen, um das mal ein bisschen einzuordnen. Zum einen geht mir die Scheinheiligkeit wirklich auf den Geist, wenn ich höre, wie jetzt plötzlich Gaddafi als jemand dargestellt wird, der die Menschenrechte verletzt. Das wussten wir schon lange! Und trotzdem war Gaddafi gut genug, für die EU den Pförtner zu machen, um Flüchtlinge daran zu hindern, in die EU zu kommen. Und von daher ist mir das völlig unverständlich, wie man jetzt angesichts der Situation dort – ich will es mal Bürgerkrieg nennen – plötzlich über Flüchtlingsströme redet. Das ist absoluter Unsinn.

Wir haben eine sehr differenzierte Situation: Wir haben auf der einen Seite diejenigen, die Libyen in einen anderen Staat verwandeln wollen. Die haben alles vor, aber auf gar keinen Fall zu fliehen. Dann muss man diejenigen sehen, die als Kollaborateure oder als Söldner gelten. Ihre Situation ist äußerst dramatisch und sie versuchen, über die Grenze nach Ägypten oder Tunesien zu gelangen. Da ist eher Hilfestellung gefragt, als dass es darum geht, dass es riesige Flüchtlingswellen gibt. Dazu kommen dann noch die Personen, die sowieso schon dort gestrandet waren, weil sie in die EU wollten, und deren Situation jetzt auch sehr prekär ist. Meines Erachtens ist die Situation in Italien zwar auf Lampedusa durchaus angespannt. Aber das kann man relativ leicht entzerren, indem man die Flüchtlinge auf Italien verteilt. Und dann muss es insgesamt natürlich innerhalb der EU in Bezug auf Flüchtlinge eine völlig andere Regelung geben. Dublin II ist einfach ein Verschiebebahnhof. Da geht es darum, dass das Land, das Flüchtlinge als erstes betreten, auch das Asylverfahren durchzuführen hat. Solidarität innerhalb der EU sieht anders aus. Man müsste ein burden sharing machen. Es wird in einen Topf eingezahlt, und für Staaten, in die mehr Flüchtlinge kommen, gibt es entweder Geld, oder die Flüchtlinge werden auf andere EU-Staaten verteilt.

Das ganze System stimmt also nicht. Diese Höllenszenarien halte ich für absurd. Natürlich muss es Relocation geben. Wenn ein EU- Land überfordert ist, müssen Flüchtlinge von anderen EU- Staaten aufgenommen werden. Darüber hinaus muss es auch Resettlement geben. Die EU- Staaten sind aber immer sehr zurückhaltend. Das einzige Mal, dass sie in den letzten Jahren Resettlement umgesetzt haben, waren 10.000 Personen, die sie aus dem Irak aufgenommen haben. Und vor diesem Hintergrund kann man nur sagen, die Debatte ist scheinheilig. Es geht weder um Flüchtlingsschutz, noch geht es darum, dass da Massen vor den Toren der EU stehen und wir gar nicht mehr wissen wohin damit. Ich halte das für völlig absurd.

Die Infrastruktur der 4.500-Seelen- Insel ist tatsächlich nicht für die Aufnahme mehrerer Tausend Flüchtlinge geeignet. Die vorhandene Sammelunterkunft ist auf gerade 800 Personen ausgelegt. Einheimische sträuben sich gegen die ankommenden Migranten: Die Errichtung einer Zeltstadt zur Unterbringung weiterer Flüchtlinge wurde nach Protesten aufgegeben, ein ankommendes Schiff mit rund 100 Flüchtlingen von Einwohnern am Einlaufen gehindert. Die italienische Regierung ruft den Notstand aus. Wird auf der Insel bewusst eine Situation geschaffen, die eine Überforderung mit der Zahl der Flüchtlinge suggeriert?

Um das beurteilen zu können, müsste man diejenigen fragen, die vor Ort sind. Was eindeutig ist: Es gibt Schiffe und man kann Flüchtlinge aufs Festland transportieren. Das ist logistisch kein Problem. Offensichtlich ist man bemüht, da eine Situation eskalieren zu lassen. Das geht auf Kosten der dortigen Bewohner und nicht zuletzt natürlich auf Kosten der Flüchtlinge.
Meines Erachtens ist das ein Problem, das Italien und erst recht die gesamte EU mit links lösen kann. Allerdings glaube ich nicht, dass man großes Interesse daran hat. Frontex- Einsätze und die Verhandlungen, die es über Jahre hinweg mit den Anrainerstaaten in Nordafrika gegeben hat, um Flüchtlinge daran zu hindern, in die EU zu kommen, die haben natürlich ihren Background. Dieser Background heißt: „Wir wollen Flüchtlinge nicht“. Das ist zwar zynisch, aber man sieht, wie der hohe Flüchtlingskommissar betteln muss, damit Menschen in ganz prekärer Situation aufgenommen werden.

Die EU tut ja immer so, als hätten wir vergleichbare Asylstandards. Das ist das Konzept hinter diesem Verteilmodus Dublin II, und dieses Konzept ist ja schon gelogen. Es gibt keine vergleichbaren Standards, trotz aller Richtlinien. Das stimmt hinten und vorne nicht. Und deswegen ist Dublin II zu streichen. Die Solidarität innerhalb der EU muss da beginnen, wo die Situation schwierig ist. Auf Lampedusa ist sie es, selbstverständlich. Es muss jetzt alles unternommen werden, um die Flüchtlinge vernünftig unterzubringen und sie anschließend vernünftig zu verteilen. Das ist keine logistische Herausforderung für die EU.

Kannst du nochmal konkretisieren, warum die Flüchtlinge nicht verteilt werden? Wo liegen da die politischen Interessen?

Also zum einen neigt Italien dazu, Horrorszenarien aufzubauen, um die Hilfe der EU- Staaten zu erzwingen. Italien ist ein Alt- EU- Staat und hat gerade mal 3.000 vernünftige Plätze für Flüchtlinge. Dabei wissen sie um ihre Randlage direkt am Mittelmeer. Es ist trotzdem überhaupt nichts unternommen worden, um Voraussetzungen für die Flüchtlingsaufnahme zu schaffen. Im Gegenteil: Es ist immer darauf gesetzt worden, Flüchtlinge aran zu hindern, nach Italien zu kommen. Das ist die völlig falsche Strategie. Natürlich ist auf Lampedusa die Situation für die dort Befindlichen unerträglich. Aber man hat sehenden Auges in Kauf genommen, dass die Situation entsteht. Dann haben wir ein Horrorszenario und alle werden verrückt, wenn sie es anschauen müssen. Obwohl ich heute morgen noch in den Nachrichten gesehen habe, dass die Versorgung der Flüchtlinge zum Teil von Einwohnern übernommen wird. Die Logistik ist offensichtlich so schwach ausgeprägt, dass eine Versorgung der Flüchtlinge ohne die Bewohner nicht möglich wäre.

Die deutsche Regierung äußert, sie wolle „die Probleme in den Heimatländern lösen“, und lehnt prophylaktisch eine Aufnahme von Flüchtlingen ab. Dabei sichert sowohl das deutsche Asylgesetz als auch die Dublin- II- Regelung, dass Menschen, die über „Drittländer“ einreisen, erst gar nicht berechtigt sind, einen Asylantrag zu stellen. Wofür diese Vorsicht?

Jetzt müsste ich in den Kopf unseres neuen Innenministers reingucken, um zu verstehen, was da tatsächlich vor sich geht. Ich halte das eher für ein größeres Szenario. Es lautet: Deutschland hat eine relativ sichere Lage innerhalb der EU, ist umgeben von EU-Staaten beziehungsweise
Staaten, die „vorher“ an der Reihe wären, Flüchtlingsschutz zu gewähren. Diese zentrale Lage ist komfortabel und die Bundesrepublik hat sich nie darum gerissen, Flüchtlingsaufnahme aktiv zu betreiben.

Auf der anderen Seite muss man da ein bisschen in der Geschichte zurückgehen: 1992
hatte Deutschland bei weitem die meisten neuen Asylantragsteller inner halb der EU. Und da hat Deutschland sich mit der Bitte um Unterstützung an die anderen EU-Staaten gewandt. Aber es ist nichts passiert. Und das Wissen ist im Innenministerium sozusagen eingebrannt. Als wir Schwierigkeiten hatten, hat keiner geholfen, und deshalb – natürlich würde man das nie offen zugeben – reibt man sich die Hände und sagt, jetzt sind mal die anderen dran. Vielleicht ist es nicht immer so einfach, aber es passt ganz gut zur Situation. Frau Merkel hat 2009 noch von „Flüchtlingsbekämpfung im Mittelmeer“ gesprochen. Das hat sie wörtlich gesagt. Da scheint durch, worum es eigentlich geht. Und das passt wiederum zu dem, was ich zu Libyen gesagt habe. Denn Libyen ist als Puffer missbraucht worden, um dort Flüchtlinge abzufangen. Das gilt nicht nur für Libyen, man hat das mit den anderen Maghrebstaaten ebenfalls versucht.

Die Medien nennen den Anstieg der Asylanträge in der BRD im Vergleich zum letzten Jahr in einem Atemzug mit der Annahme, die Flüchtlingsbewegung aus den nordafrikanischen Ländern, in denen ein Aufstand stattgefunden hat / stattfindet, würde die Zahl weiter steigen lassen. Ist diese Annahme berechtigt?

Wenn man betrachtet, wie Flüchtlingsrouten funktionieren, dann weiß man, es staut sich, wenn es irgendwo die Möglichkeit gibt, tatsächlich in die EU zu kommen. Natürlich haben sich in Nordafrika, weil die Länder bislang als Puffer funktioniert haben, Flüchtlinge aufgehalten und wissen jetzt nicht wohin. Aber das sind eben nicht Hunderttausende, wie sich das manche Innenminister als Horrorszenario ausmalen. Die steigenden Zahlen aus dem letzten Jahr zeigen auch ganz deutlich, dass es dabei nicht um Flüchtlinge ging, die von Nordafrika kamen. Im letzten Jahr waren es vor allem Einreisen aus den visumsfreien Staaten des Balkans. Aber zurück zu Nordafrika: Ich sehe die Massen nicht, aber ich sehe natürlich, dass dort viele Flüchtlinge auf die Chance warten, in die EU zu kommen. Ich denke, dass dort Hilfestellung von Nöten ist. Insbesondere in der Grenzsituation Libyen – Tunesien und Libyen – Ägypten. Da muss sofort humanitäre Hilfe geleistet werden. Das, was bisher unternommen worden ist, ist lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die größere Zahl an Asylanträgen hat dazu geführt, dass Kommunen sich beklagen, sie hätten nicht ausreichend Möglichkeiten die Flüchtlinge unterzubringen. Ist eine Verschlechterung der Lebensumstände zu beobachten?

Es hat diese Diskussion in einigen Kommunen gegeben. Unter anderem die Frage: Zurück zu Sachleistungen, zurück zu Lagern? Es wird immer versucht, Flüchtlinge auf niedrigstem Niveau zu behandeln. Nach wie vor gilt das Asylbewerberleistungsgesetz,von dem die Bundesregierung selbergesagt hat, es sei verfassungswidrig. Mir fehlen da oft die Worte, um meine Verärgerung und meine Wut darüber ausdrücken zu können. Der Rückgang von Flüchtlingszahlen ist in Deutschland immer als positives Ergebnis der Asylpolitik gefeiert worden. Wenn weltweit die Flüchtlingszahlen abnehmen würden, dann verstehe ich, dass man annimmt, die Lebensbedingungen und die Menschenrechtssituation seien besser geworden. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben weltweit mehr Flüchtlinge, und gleichzeitig freut Deutschland sich, dass seit Jahren weniger Flüchtlinge kommen. Kommen mal ein paar mehr, dann ist sofort ein „großes Problem“ da. Natürlich sind Kapazitäten gegenüber den 1990er Jahren abgebaut worden, aber das haben die Kommunen selbst zu verantworten. Wenn die Kommunen finanziell klamm sind, dann müssen Land und Bund einspringen, um die Situation zu entschärfen. Es kann doch nicht angehen, dass man zuerst Kapazitäten abbaut und dann, sobald neue Flüchtlinge kommen, sagt, man müsse jetzt den Flüchtlingen die miesesten Bedingungen zumuten. Das ist falsch. Abschreckung ist eine falsche Politik.

Ich glaube auch, dass bei vielen in der Politik mittlerweile die Erkenntnis da ist, dass man das nicht so machen kann. Dass das nicht nur unanständig ist, sondern auch langfristig ökonomisch unsinnig. Wir wissen, dass mindestens 50 Prozent der Flüchtlinge auf unabsehbare Zeit bleiben. Das heißt, wenn nicht dafür gesorgt wird, dass sie ausreichend medizinisch versorgt werden, psychologische Hilfe und gute Beratung bekommen, werden wir uns anschließend über Integrationsprobleme beklagen. Zudem muss man bedenken, dass Menschen, die aus schweren Situationen fliehen, als erstes eine Perspektive brauchen. Sie müssen irgendwo sicher ankommen können. Und genau daran fehlt es. Wenn die Kommunen Bedingungen schaffen, in denen eine Lebensperspektive nicht gegeben ist, dann vertagen wir die Lösung auf das nächste Jahrzehnt und hoffen, dass sich Probleme von selber lösen. Das tun sie aber nicht – das hat die Vergangenheit ganz deutlich gezeigt.

Ich bin mir sicher, dass sich die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die ja in vielen Bereichen in Bezug auf Einwanderung und Asyldenken sehr viel fortschrittlicher ist als die Innen- und Rechtspolitik, auch durchsetzen wird mit der Position: „Wir brauchen gewisse Mindeststandards, wir müssen dafür sorgen, dass die Leute schnell deutsch lernen, wir müssen die Kinder zur Schule schicken, wir müssen dafür sorgen, dass sie gut ausgebildet werden.“ Alles, was da mit dranhängt, ist von der Bundesrepublik auch im Einwanderungsbereich vierzig Jahre versäumt worden. Ich bin auf der Seite der Kommunen und glaube, dass sie nicht allein gelassen werden dürfen. Die Finanzen der Kommunen sind häufig sehr desolat. Aber den Druck einfach weiterzugeben an diejenigen, die sich nicht wehren können, ist absolut falsch. Das heißt: Deutschland muss Soforthilfen bereitstellen, um Flüchtlingsaufnahme nach humanitären Gesichtspunkten zu gestalten.

Die Ablehnung von Flüchtlingen ist stark davon geprägt gewesen, man wolle keine „Wirtschaftsflüchtlinge“ aufnehmen, die nur darauf aus seien, soziale Leistungen zu beziehen. Libyen ist ein Staat, der sich (mindestens) an der Schwelle zum Bürgerkrieg befindet. In Tunesien und Ägypten wurden langjährige Regime gestürzt. Die Motive der Flüchtenden passen also nur bedingt in dieses Ablehnungsraster. Trotzdem wird darauf gedrängt, die Grenzen durch den Einsatz von Frontex abzuschotten, und Druck auf die nordafrikanischen Länder ausgeübt, die Aus reise zu unterbinden. Ist der Anspruch politisch Verfolgter auf Asyl nun völlig aus dem Diskurs um Flucht verschwunden?

Das ist eine schwierige Frage, weil ich glaube, dass da verschiedene Dinge zusammenkommen. Auf der einen Seite – das erlebt man auch jetzt wieder bei der Katastrophe in Japan – gibt es in Deutschland sehr viel Hilfsbereitschaft und Mitgefühl. Das Ärgerliche ist, dass Flucht in der EU unter dem Oberthema „Bekämpfung der illegalen Migration“ diskutiert und behandelt
wird. Und wenn Horst Seehofer in Bayern schon davon redet, dass man bis zur letzten Patrone die Zuwanderung in die Sozialsysteme verhindern will, dann trifft das immer auch Flüchtlinge. Es geht immer darum, Fluchtwege zu kappen und Fluchtmöglichkeiten zu verhindern. Aus diesem Grunde ist die Frage eigentlich völlig irrelevant, weswegen jemand flieht. Mit der Verhinderung einer sogenannten illegalen Migration verhindere ich auch gleichzeitig Flüchtlingsschutz.

Man kann es auch anders formulieren: Es geht nicht um die Situation des Einzelnen. Das Großproblem heißt „macht euren Scheiß alleine und sorgt dafür, dass es in euren Ländern ruhig ist“. Gut, wir haben vorher Gaddafi hochgerüstet und wir haben dafür gesorgt, dass sie in die Lage versetzt werden, ihr Terrorregime weiter am Leben zu halten. Aber das sichert halt Arbeitsplätze in der Waffenindustrie. Das würde man aber nie in einem Atemzug benennen. Genauso wie diejenigen, die sich jetzt für den Kriegseinsatz der NATO in Libyen einsetzen. Sie darf man nicht mal mehr fragen, wie Gaddafi eigentlich an sein Arsenal von Waffen gekommen ist, mit denen er die Aufständischen brutal niederschlägt? Diese Kurzsichtigkeit, dieser blinde Aktionismus macht deutlich, dass es keine Politik gibt, die die wirtschaftliche Prosperität im gleichen Atemzug mit der Menschenrechtslage bedenkt. Denn im Notfall geht es um unsere Arbeitsplätze und um unsere Außenhandelsbilanz. Flüchtlingsschutz spielt da eine völlig untergeordnete Rolle.

In einem symbolischen Akt nimmt Deutschland mal 2.501 iraker Flüchtlinge im sogenannten Resettlement auf. Das ist immerhin ein Viertel der Gesamtzahl des von der EU beschlossenen Kontingents, das ist auch löblich. Aber wer Flüchtlingsschutz ernst nimmt, der muss die Grenzen öffnen. Auch bei Fluchtbewegungen, wie wir sie im Moment haben. Ob die Menschen auf Dauer fliehen wollen, weiß man ja nicht. Deutschland setzt ja auch beim Flüchtlingsschutz sehr, sehr stark auf Rückkehrhilfe. Ich bin ein absoluter Freund von Rückkehrhilfen, aber nur, wenn das eine freiwillige Entscheidung ist. Wenn jemand einen sicheren Aufenthalt hat und dann sagt, ich möchte in das Land meiner Väter oder meiner Mütter zurück, gerne. Beim Flüchtlingsschutz, so wie er in Deutschland verstanden wird, geht es aber immer nur um einen temporären Schutz. Wird er nicht mehr benötigt, vertreibt man die Flüchtlinge wieder. Das ist der völlig falsche Weg. Wenn man Menschen keine Lebensperspektive bieten kann, dann signalisiert man ihnen, dass sie nicht gewollt sind. Das ist eine völlig verfehlte Flüchtlings- und auch Einwanderungspolitik, die wir hier in Deutschland haben. In der Politik tut sich aber etwas. Es gibt in den meisten Parteien vermehrt Stimmen, die sagen, wir haben was verkehrt gemacht und müssen umdenken. Das wird nicht dazu führen, dass die Grenzen tatsächlich aufgemacht werden, aber vielleicht schaffen wir es, Perspektiven für diejenigen zu schaffen, die bereits hier leben. Das ist immerhin auch etwas. Auch wenn mir das nicht reicht. Ich kann ganz schlecht damit umgehen, wenn Flüchtlinge im Mittelmeer sterben, weil Frontex sie nicht rettet, und wenn andere auf schwierigen Fluchtrouten versuchen, in die EU zu kommen und dabei ihr Leben lassen, erkranken, Traumatisierungen erfahren und/oder vergewaltigt werden. Das liegt daran, dass es keine legale Einreisemöglichkeit in die EU gibt. Und das ist der eigentliche Skandal.

Vielen Dank für das Interview!

Weiterlesen

“Es gilt weiterhin das Blut-und-Boden-Prinzip”

Interview mit Volker Maria Hügel

Nach der 1993 erfolgten De-facto-Abschaffung des individuellen Grundrechts auf Asyl ist es als Flüchtling kaum noch möglich, in Deutschland ein Bleiberecht zu erhalten. Daran hat auch das so genannte Zuwanderungsgesetz nichts geändert. Auch für Menschen, die vor Jahren aus dem ehemaligen Jugoslawien geflüchtet sind, besteht wenig Hoffnung, dauerhaft in Deutschland bleiben zu können. Auf der letzten Innenministerkonferenz wurde beschlossen, verschiedene Minderheitengruppen, vor allem aus dem Kosovo, abzuschieben. Über die europäische Flüchtlingspolitik, das Zuwanderungsgesetz, das Lagersystem für Flüchtlinge und die neue schwarz-gelbe NRW-Landesregierung sprachen wir mit Volker Maria Hügel von der “Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unter stützung Asylsuchender e.V.” (GGUA) aus Münster. Hügel ist außerdem Vorstandsmitglied von “Pro Asyl”.