„Wir können uns selbst verteidigen“

Interview mit Tomasz Lewinski

Am Rande des "Unabhängigkeitsmarsches" in Warschau fand ein offensichtlich von langer Hand geplanten Angriff auf zwei Wohnprojekte statt. LOTTA sprach mit einer Person, die den Angriff miterlebt hat.

Am Rande des "Unabhängigkeitsmarsches" in Warschau fand ein offensichtlich von langer Hand geplanten Angriff auf zwei Wohnprojekte statt. LOTTA sprach mit einer Person, die den Angriff miterlebt hat.

Du hast den Angriff von Neofaschisten auf ein linkes Hausprojekt in Warschau miterlebt. Was ist genau geschehen?

Es sind sogar zwei Hausprojekte angegriffen worden, die nahe beieinander liegen. Ich war im „Przychodnia“, deshalb weiß ich nicht so genau darüber Bescheid, was im „Syrena“ geschah. 20 Minuten vor dem Angriff kam ein Anti-Konflikt-Team der Polizei zu uns und teilte uns mit, dass der Marsch keinen Polizeischutz habe, sondern nur Ordner – und dass abgesehen von diesen nur 30 unbewaffnete Anti-Konflikt-Beamte präsent seien. Die Polizisten verlangten von uns, unsere BeobachterInnen vom Hausdach abzuziehen. Das taten wir natürlich nicht, denn wir rechneten mit einem Angriff. Wir hatten E-Mails erhalten, aus denen hervorging, dass Neofaschisten am Vortag nahe bei den Hausprojekten gesehen worden waren. Nebenbei: Das war nicht der erste Angriff auf ein Hausprojekt. Letztes Jahr etwa wurde nach einem Marsch in Wrocław die „Wagenburg“, auch ein linkes Projekt, von rund 100 Neonazis angegriffen. Viele wurden dabei verletzt.

An dem Angriff auf uns beteiligten sich zwei Gruppen von Neofaschisten. Eine kam direkt aus dem Marsch heraus. Die zweite Gruppe kam von der anderen Seite; sie hatte Werkzeug und Stöcke, Flaschen mit Benzin, Steine und Rauchgranaten dabei. Deshalb wissen wir, dass sie den Angriff sorgfältig geplant haben. Die Anführer der extremen Rechten versuchen den Angriff zu rechtfertigen und behaupten, wir hätten vom Hausdach aus den Marsch attackiert – in einer Entfernung von mehr als 100 Metern! Und als nach 30 Minuten die Polizei kam, zogen die Angreifer sich einfach in den Marsch zurück.

Wie verlief der Angriff?

Es waren 200 bis 300 Neofaschisten beteiligt. Sie versuchten, in das Haus einzudringen, und die Gefahr, dass ihnen das gelingen würde, war immens. Wir waren nur ungefähr 30 Leute und hatten Angst um unser Leben. Sie schleuderten Rauchgranaten und Flaschen auf diejenigen von uns, die das Haus vom Dach aus zu verteidigen suchten; sie warfen auch Mollis. Einige drangen in unseren Hof ein. Wir mussten sie vom Balkon aus abwehren, mit den Flaschen und Steinen, mit denen sie uns attackiert hatten. Sie steckten im Hof ein Auto in Brand, das einem von uns gehörte. Endlich gelang es uns, sie zu vertreiben. Viele Fenster waren kaputt, wir hatten viele Rauchgranaten im Haus.

Und die Polizei?

Wie gesagt – es waren 30 Anti-Konflikt-Beamte da, unbewaffnet, weil es keine Vollzeitbeamten waren. Wenn man so will, war es eine Entscheidung des Innenministeriums, die den Neofaschisten die Chance zu dem Angriff gab – Polizei „provoziert“ Fußball-Hools nur, heißt es in solchen Fällen. Die Polizei kam mit einer halben Stunde Verspätung auch nicht etwa, um unser Leben, sondern nur, um ihr Image zu retten. 

Wie geht es euch in den Hausprojekten jetzt, nach diesem fürchterlichen Angriff?

Viele wollen uns helfen – Junge, Alte, sie kommen einfach vorbei und fragen, was sie tun können. Vor allem aber: Vor dem Angriff hatten wir Angst vor bewaffneten Neofaschisten; jetzt wissen wir, dass wir uns im Zweifelsfall selbst verteidigen können. Und das werden wir, wenn es nötig werden sollte, auch wieder tun.

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