„Kommunisten, Juden und Russen bekämpfen“

Die extreme Rechte in der Ukraine und der Maidan

Die extreme Rechte in der Ukraine hat bei den Maidan-Protesten eine bedeutende Rolle gespielt. Heute ist sie stärker denn je und sogar in der Regierung vertreten.

Die extreme Rechte in der Ukraine hat bei den Maidan-Protesten eine bedeutende Rolle gespielt. Heute ist sie stärker denn je und sogar in der Regierung vertreten.

Aber klar doch! Natürlich wird Oleg Machnizki den Fall prüfen, natürlich auch mit der „gebotenen Objektivität”. Schließlich ist er nicht irgendwer, sondern Generalstaatsanwalt der Ukraine. Der „Fall”, den er prüfen muss, das ist der tapfere Aktivismus des braven Parlamentsabgeordneten Igor Miroschnitschenko. Miroschnitschenko ist stellvertretender Leiter des Parlamentsausschusses, der sich um die Rede- und Informationsfreiheit im Lande kümmert, und da er sein Amt durchaus ernst nimmt, switcht er gelegentlich auf den staatlichen Fernsehsender NTKU. Und was muss er da sehen an jenem denkwürdigen 18. März? Da wird in den Nachrichten ein Ausschnitt aus einer Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin übertragen! Feindpropaganda im nationalukrainischen TV!

Miro­schnitschen­ko steht auf, greift sich ein paar Kameraden von der handfesten Fraktion, stürmt das Büro von NTKU-Direktor Oleksander Pantelejmonow und tut, was man tun muss als Swoboda-Funktionär: Er veranlasst den Vater­lands­verräter, mit sofortiger Wirkung zu­rückzutreten. Nun gut, er hat sich dabei nicht ausschließlich des herr­schafts­­freien Diskurses bedient, und der im Internet publizierte Video­mit­schnitt seiner tapferen Tat hat ein paar zartbesaitete Gemüter etwas erregt. Wie gut, dass Generalstaatsanwalt Machnizki sich des „Falles” nun mit der „gebotenen Objektivität” annimmt. Natürlich weiß er, was geboten ist: Auch er ist Swoboda-Mit­glied.

Faschisten in der Regierung

Zu den vielfältigen Umwälzungen, die der gewaltsame Kiewer Umsturz vom 22. Februar 2014 mit sich gebracht hat, gehört gewiss nicht an letzter Stelle die Regierungsbeteiligung einer extrem rechten Organisation. Die Partei Swoboda („Freiheit”) stellt mit Oleksander Sytsch einen Vize-Ministerpräsidenten, außer­dem die Minister für Ökologie und natürliche Ressourcen (Andrij Mochnyk) sowie für Agrarpolitik und Lebensmittel (Igor Schwajka). Der zunächst als Verteidigungsminister amtierende Igor Tenjuch, ebenfalls ein Swoboda-Mann, ist im Streit darum, wie auf die Sezession der Krim zu reagieren sei, zu­rück­ge­treten. Swoboda stellt darüber hinaus mit Oleg Machnizki den General­staats­an­walt. Die Bedeutung dieses Postens sollte mit Blick auf die Aktivitäten von Gestalten wie Miroschnitschenko nicht unterschätzt werden.

Swoboda, in der extremen Rechten der Ukraine gegenwärtig die stärkste Kraft, ist bereits 1991 gegründet worden – unter der Bezeichung Sozial-nationale Partei der Ukraine. Die NS-Affinität des Namens war durchaus gewollt; offiziel­les Symbol der Partei war eine modi­fizierte Wolfsangel. Entsprechend warb sie um Naziskins und rechte Hools. Von ihren drei Gründern spielen zwei im heutigen Kiew eine wichtige Rolle. Andrij Parubij hat es nach politischen Umwegen, die ihn zuletzt in die Partei der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschen­ko führten (Batkiwschtschina, „Vaterland”), im Winter zum „Kommandanten des Maidan” gebracht. Nach dem Umsturz ist er zum Leiter des „Nationalen Sicherheits- und Verteidi­gungs­rates” ernannt worden, der zentralen militärpolitischen Einrichtung der Ukraine. Oleg Tjagnibok, zweiter Mitgründer, ist der Sozial-nationalen Partei treu geblieben. 2004 verordnete er der Organisation, wohl gefrustet von ihrer Erfolglosigkeit, einen Strategie- und Namenswechsel. Seither heißt sie Swoboda, und Tjagnibok behauptet nicht mehr öffentlich, die Ukraine werde von einer „jüdisch-moskowitischen Mafia” regiert. Das partielle Kreidefressen ist bis heute wohl einer der aus­schlaggebenden Faktoren für den Erfolg von Swoboda.

Helden der Ukraine

Ein zweiter ist der spezifische Nationalismus vor allem der West­ukraine, der in den letzten Jahren immer stärker ge­wor­den ist. Er orientiert sich stark an dem NS-Kollaborateur Stepan Bandera, an dessen Organisation Ukrainischer Natio­na­listen (OUN), die an der Seite der Wehrmacht 1941 die Sowjetunion überfiel, und an der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA), die im Wind­schatten der Nazis zahlreiche Massaker an Jüdinnen und Juden, aber auch an nichtjüdischen Polinnen und Polen und Sowjets beging. Der Auftrieb, den antirussische Kräfte in der Ukraine nach der Abspaltung von Moskau im Jahr 1991 erhielten, mündete im Westen des Landes in einen regelrechten Bandera-Kult, der in zahlreichen Denkmälern für den OUN-Faschisten seinen Ausdruck findet. Diesen Nationalismus hat die 2005 an die Macht gekommene „orangene”, prowestliche Regierung gezielt bedient. 2007 etwa ernannte Präsident Wiktor Juschtschenko den NS-Kollaborateur und UPA-Offizier Roman Schuchewytsch effektvoll posthum zum „Helden der Ukraine”; auf Drängen von Swoboda verlieh er Anfang 2010 auch Bandera diesen Titel. Ein weiteres Beispiel: 2009 verabschiedete die Regierung eine „Konzeption der national-patriotischen Erziehung der Jugend”, deren erklärtes Ziel es war, unter den 14- bis 35-Jährigen „die militärisch-patriotische Arbeit zu stärken”. Auch das fand den Beifall von Swoboda.

Ent­sprechend erstarkte Swoboda. Der Durchbruch gelang der Partei am 15. März 2009 mit 34,69 Prozent bei den Wahlen zum Parlament der west­ukra­inischen Oblast Ternopil. Das Resultat reichte für 50 von 120 Sitzen. Zwei Swoboda-Stadträte aus Ternopil besuch­ten am 29. Mai 2013 die sächsische NPD-Landtagsfraktion; der Bürgermeister von Ternopil ließ sich entschuldigen – er hatte kurz zuvor der NPD-Zeitung Deutsche Stimme ein Interview gegeben, konnte aber wegen der Haushaltsver­hand­lungen in seiner 250.000 Personen starken Großstadt nicht mit nach Dresden fahren. Swoboda war zuvor bei der ukrainischen Parlamentswahl am 28. Oktober 2012 mit 10,45 Prozent der Stimmen in die Werchowna Rada eingezogen. Dabei treibt die Partei den Bandera- und UPA-Kult, von dem sie selbst profitiert, energisch voran. Im Oktober 2013 etwa führte sie eine Gedenkfeier zur Erinnerung an die UPA-Gründung am 14. Oktober 1942 durch. Und am 1. Januar 2014 marschierten unter ihrer Führung gut 20.000 Rechte durch Kiew – aus Anlass des 105. Geburtstages von Stepan Bandera.

Im Krieg gegen Russland

Zu dieser Zeit hatten die Proteste auf dem Maidan längst begonnen; und es liegt auf der Hand, dass westukrainische Nationalisten, denen der Kampf gegen Russland wie schon ihrem Vorbild Bandera ein Herzensanliegen ist, an ihnen begeistert teilnahmen. Kiewer Antifas schätzen den Anteil der extremen Rechten auf dem Maidan auf um die 30 Prozent; während Linke mehrfach vom Platz geprügelt wurden, konnten die Rechten ihren Einfluss systematisch festigen. So wurde etwa die OUN-Parole „Ruhm den Helden!” zur Parole des Maidan; die sich schließlich sogar mit Schusswaffen ausrüstenden Banden, die zum überwiegenden Teil aus extrem Rechten bestanden, gewannen erheblich an Sympathie, da sie mit ihren Gewalttaten maßgeblich zu Janukowitschs Sturz beitrugen. Eine herausragende Rolle unter ihnen spielte eine Organisation, die inzwischen zur zweitstärksten Kraft in der extremen Rechten der Ukraine geworden ist: der Pravy Sektor („Rechter Sektor”).

Der Pravy Sektor ist Ende November 2013 gegründet worden – als extrem rechtes Zweckbündnis, um die Proteste auf dem Maidan im eigenen Sinne zu radikalisieren. Ihm gehören eine Reihe von Organisationen an, die – wie Swoboda – ihre Ursprünge bereits in den 1990er Jahren haben. Zu ihnen zählt die 1990 gegründete UNA-UNSO (Ukrainische Nationalversammlung – Ukrainische Nationale Selbstver­tei­di­gung), die sich in der ersten Hälfte der 1990er an Bürgerkriegen in Georgien und in Russland beteiligte; in Georgien kämpfte sie gegen prorussische Separatisten, in Russland auf der Seite tschetschenischer Abspalter gegen reguläre russische Truppen. Einer der damaligen UNA-UNSO-Führer, Olek­san­der Musytschko, fiel zuletzt auf, als er im Sog der Maidan-Proteste Par­la­ments­abgeordnete und einen Staatsanwalt mit einer Kalaschnikow bedrohte und ein „Kopfgeld” auf den russischen Präsidenten aussetzte. Er werde „Kom­munisten, Juden und Russen bekämpfen, solange Blut in meinen Adern fließt”, ließ sich der Maidan-Kämpfer ver­nehmen. Sein Blut floss dann am 24. März, als er bei einem Polizeieinsatz erschossen wurde. Der Pravy Sektor behauptet, es sei eine gezielte Hin­rich­tung gewesen; in der Tat deuten Fotos vom Tatort darauf hin, dass der Vorwurf zutreffen könnte.

„Ein Hitler namens Putin”

Dem Pravy Sektor gehören weitere Orga­ni­sationen wie die neonazistischen Patrioten der Ukraine oder Trysub an. „Trysub” bedeutet „Dreizack”, ein Symbol des ukrainischen Nationalismus, das von der OUN verwendet wurde. Darauf bezieht sich die Organisation, die 1994 von Dmytro Jarosch gegründet wurde und zuletzt vor allem durch Hetzjagden auf Schwule auffiel. Jarosch hat sich als Führer des Pravy Sektor durchgesetzt, der für die zahlreichen Wolfsangeln und Nazi-Codes („1488”) auf dem Maidan mitverantwortlich war. Unmittelbar nach dem Umsturz patrouillierte der Pravy Sektor auf den Kiewer Straßen, um für „Recht und Ordnung” zu sorgen. Sein Führer Jarosch hat angekündigt, bei den Präsidentenwahlen am 25. Mai zu kandidieren. Ob die Organisation wirklich 10.000 Mitglieder umfasst, wie Jarosch be­hauptet, ist fraglich; mehrere Tausend sind es aber wohl auf jeden Fall. Klar ist auch: Sie brennen darauf, wie die UNA-UNSO in der ersten Hälfte der 1990er Jahre gegen Russland zu kämpfen. Pro­russische Bevölkerungsteile der Ukraine täten es aus ihrer Sicht als Feinde notfalls auch.

Jenseits der Stärke der extremen Rech­ten in der Ukraine ist bemerkenswert, wie sich ihre Bewertung durch die westliche Öffentlichkeit, aber auch durch ukrainische Kenner der Szene verschoben hat. Deutsche Medien etwa bezeichneten Swoboda bis Mitte November 2013 gewöhnlich als „rechtsextreme” oder „rechtsradikale” Organisation; danach mutierte die Partei im deutschen Blätterwald wahlweise zu einer „rechtspopulistischen”, „natio­nalis­­tischen” oder gar nur „national­kon­servativen” Kraft. Schließlich kämpfte sie gegen Janukowitsch und damit gegen denselben Gegner wie Berlin, kann also so schlimm nicht sein. Man kennt das. Ähnlich motiviert ist wohl der Wandel, den exzellente ukrainische Kenner der extremen Rechten vollzogen haben. Anton Schechowzow etwa, der sich noch im Herbst 2013 auf der Grundlage solider Recherchen darüber lustig ge­macht hatte, dass Swoboda sich als „ehrbar nationalistisch” geriere, aber auf europäischer Ebene etwa mit der NPD kooperiere, kam im März 2014, zu dem Schluss, nicht einmal der Pravy Sektor könne als extrem rechts eingestuft werden – seine „Ränder” vielleicht, nicht aber der schwu­len­jagende Trysub. Und Swoboda schon gar nicht; schließlich kämpfe die Partei gegen den „russischen Faschismus”. „Steht JETZT gegen den russischen Faschismus auf, oder ihr werdet das nächste Opfer eines neuen Hitler namens Putin sein”, heißt es in einem Aufruf, den Schechowzow auf seinem Blog publizierte. Sein Positionswechsel ist paradigmatisch für die Differenzen, die die aktuelle Debatte um die Einschätzung der extremen Rechten in der Ukraine prägen.

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