Die Blogger und ihr Fußtrupp

Die „English Defence League”

Die „English Defence League” (EDL) konnte vor einigen Jahren schlagkräftige rassistische Demonstrationen im Kampf gegen Muslime mobilisieren. Heute kämpft sie vor allem gegen ihren Niedergang.

Die „English Defence League” (EDL) konnte vor einigen Jahren schlagkräftige rassistische Demonstrationen im Kampf gegen Muslime mobilisieren. Heute kämpft sie vor allem gegen ihren Niedergang.

Genaugenommen beginnt die Geschichte der EDL am 10. März 2009. An jenem Tag feierten rund 200 Soldaten des Royal Anglian Regiment ihre Heimkehr aus dem Krieg im Irak mit einer Parade durch das Zentrum von Luton, einer 200.000-EinwohnerInnen-Stadt 50 Kilometer nördlich von London. Während die Truppe marschierte, begleitet von einem schrägen Mix aus scheppernder Blasmusik und dem Gejohle zahlreicher EinwohnerInnen, brüllten ihnen ungefähr 20 Aktivisten eines Dschihadisten-Netzwerks lautstark Protestparolen entgegen: „Butchers of Basra”, „Anglian soldiers go to hell”. Das kam beim Publikum der Parade nicht sonderlich gut an; es kam zu kleineren Rangeleien und einigen Festnahmen. Von der Empörung in der lokalen Öffentlichkeit ermutigt, meldete ein ehemaliger Angehöriger des Regiments für den 28. März erneut einen Marsch durch Luton an – diesmal unter dem Motto: „Respect our Troops”. Die Stimmung in der Stadt war angespannt.

Lionhearts Chance

Das war die Chance, auf die Paul Ray gewartet hatte. Der aus Luton stammende Mann betrieb seit 2007 unter dem Namen Lionheart einen anti-islamischen Blog. Als er 2008 wegen „Aufstachelung zum Rassenhass” Probleme mit den Behörden bekam, warb der ähnlich orientierte deutsche Blog PI-News fleißig um Solidarität mit dem Mann. Ray hoffte nun auf den Sprung aus der virtuellen Welt auf die Straße, meinte den Unmut über die lokalen Dschihadisten dafür nutzen zu können – und rief ihm verlässlich erscheinende Organisationen der äußersten Rechten zur Beteiligung am „Respect our Troops”-Marsch auf. Eine von ihnen war ein Zusammenschluss namens March for England, der 2007 von rechten Fußball-Hools und ehemaligen Soldaten gegründet worden war. Weitere rechte Hools um Stephen Yaxley-Lennon aka Tommy Robinson, ein früheres Mitglied der neonazistischen British National Party (BNP) aus Luton, kamen hinzu. Die absehbare Teilnahme von Schlägern der äußersten Rechten führte zur Absage des „Respect our Troops”-Marsches, zur Ankündigung von Ersatzveranstaltungen, zur Gründung einer Art Fußballhool-”Bürgerbewegung” namens United People of Luton (UPL) und nach einigem unübersichtlichen Hin und Her schließlich zum Durchbruch am 24. Mai 2009.

Die Demonstration, die an jenem Tag in Luton stattfand, ist das zündende Moment für die Gründung der EDL und – wenn man so will – das Modell für ihre künftigen Aktivitäten gewesen. Damals noch als UPL firmierend, marodierten gut 500 Rechte mit massiver Beteiligung von Hools durch die Stadt, steuerten ein stark migrantisch geprägtes Viertel an, zerschlugen dort Auto- und Schaufensterscheiben und gingen auf Menschen mit Migrationshintergrund los. Ihre Parolen wie „No Sharia Law in the UK” richteten sich explizit gegen Dschihadisten; ihre Gewalttaten trafen MigrantInnen, die sie für Muslime hielten, ganz allgemein. Als „Lionheart”/Ray, ”Robinson”/Lennon und dessen Cousin Kevin Carroll am 27. Juni 2009 aus der UPL die EDL gründeten, begann denn auch eine Ära gewalttätiger Demonstrationen im ganzen Land. In den ersten zwei Jahren ihres Bestehens führte die EDL mehr als 80 Demonstrationen mit bis zu 2.500 TeilnehmerInnen durch; allein von Juli 2009 bis August 2010 kam es dabei zu annähernd 450 Festnahmen. Als die EDL am 9. Oktober 2010 in Leicester rund 1.000 AnhängerInnen auf die Straße brachte, hielt die örtliche Polizei es für nötig, mehr als 2.000 PolizistInnen in den Einsatz zu schicken – eine für britische Verhältnisse außergewöhnlich hohe Zahl und der größte Polizeieinsatz in der Grafschaft Leicestershire seit 25 Jahren.

EDL und BNP

Schon kurz nach der Gründung der EDL hat sich Lennon als ihr alleiniger Führer durchgesetzt. Blogger Ray, der zu Beginn eine maßgebliche Rolle gespielt hatte, zog sich bereits im Sommer 2009 aus der Führung und ein Jahr später komplett aus der Organisation zurück. Er begründete das damit, dass BNP-Aktivisten wie Chris Renton, der damals für die EDL-Website verantwortlich war, dabei seien, den neuen Zusammenschluss zu übernehmen. Tatsache ist, dass sich regelmäßig BNP-AnhängerInnen und sonstige Gestalten aus der traditionellen extremen Rechten an EDL-Aktionen beteiligten. Tatsache ist allerdings auch, dass die beiden Organisationen öffentlich stets an einer klaren Abgrenzung voneinander interessiert waren. Die EDL konzentrierte sich auch deshalb auf die Agitation gegen Dschihadisten und gegen den Islam, weil sie mit diesem Thema Milieus zu erreichen hoffte, denen der herkömmliche völkische Rassismus der BNP zu sektiererisch war. Dass man in diesen Milieus allerdings nicht übermäßig viele Freunde gewinnt, wenn man marodierend durch migrantisch geprägte Viertel zieht und gelegentlich eine Moschee in Brand setzt, übersahen Lennon & Co. offenbar. Letzteres wiederum machte die BNP wütend. Weil die EDL-Hools immer nur ans Prügeln dächten, brächten sie die gesamte extreme Rechte in Verruf, klagten BNP-Funktionäre immer wieder. Sie stuften die EDL denn auch als eine False-Flag-Operation des britischen Staates (Eddy Butler, Ex-BNP-Wahlbeauftragter) oder gar „der Zionisten” (Nick Griffin, Ex-BNP-Vorsitzender) ein.

„Es wird hässlich”

Möglicherweise löst sich der Widerspruch zwischen der abstoßenden Militanz der EDL und ihrem Bestreben, Milieus jenseits der traditionellen extremen Rechten anzusprechen, auf, wenn man sich näher mit Alan Ayling befasst. Ayling hat als IT-Experte und bis 2011 als Direktor bei der Pacific Capital Investment Management in der Londoner City ein Vermögen gemacht. Seinem politischen Steckenpferd, dem Kampf gegen den Islam unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Dschihadismus, geht er auf seiner Website 4 Freedoms nach, die im internationalen anti-islamischen Netzwerk fest verankert ist (und in Deutschland übrigens auf PI-News verweist). Für seine Polit-Aktivitäten hat sich Ayling das Pseudonym Alan Lake zugelegt, unter dem er zum Beispiel am 6. September 2009 auf einer internationalen Konferenz der Schwedendemokraten in Malmö sprach. Mit Kent Ekeroth, einem ihrer Anführer, ist er laut eigenen Angaben befreundet. Ayling/”Lake” hat, parallel zu seinen publizistischen Aktivitäten im Internet, die Gründung der EDL unterstützt; glaubt man Mitgründer Ray, dann sind die genauen Modalitäten sogar im kleinen Kreis in Aylings Wohnung in der Londoner Innenstadt beschlossen worden.

Über die Ziele der EDL-Gründung hat sich Ayling/”Lake” jedenfalls auf der Konferenz der Schwedendemokraten und im März 2010 gegenüber der Tageszeitung Guardian eingehend geäußert. „Eine andere Strategie” - neben dem Bloggen -, „an der wir uns in Großbritannien versuchen, besteht darin, auf handfestere Gruppen wie Fußballfans zuzugehen”, erläuterte er in Malmö. „Diese Leute sind keine Mittelschichts-Lehrerinnen”, zitierte ihn der Guardian: „Wenn sie weiter unterdrückt werden, wird es auf die eine oder andere Weise recht hässlich werden.” Hässlich wurde es bei den EDL-Demonstrationen in der Tat. „Die Mittelschichts-Intellektuellen werden aktiv”, ließ „Lake” sich über das Wachstum seiner anti-islamischen Bloggerszene vernehmen und fügte hinzu: „Sie lieben die Tatsache, dass wir Leute haben” - das bezog sich auf die EDL -, „die auf die Straße gehen können.” Ist die EDL also schlicht die Fußtruppe, die Druck auf der Straße machen soll, um den Kampf um die Köpfe, den antiislamische Blogger bequem am Laptop führen, mit einer praktischen Komponente zu versehen? Glaubt man Ayling und Ray, der Ähnliches äußert, dann ist dem so.

Kernkompetenzen

Wie auch immer: Die EDL hat sich, um möglichst breit wachsen zu können, mehrere spezialisierte „divisions” zugelegt. Sie unterhält eine LGBT division, die Nicht-Heterosexuelle gewinnen soll - mit dem Argument, der Islam untersage ihre sexuelle Orientierung. Die EDL leistet sich zudem eine Jewish division, die vor allem aus der Brasilianerin Roberta Moore besteht; Moore hat auf Facebook den Massenmörder Anders Breivik in Schutz genommen, der übrigens seinerseits die EDL als eine seiner Inspirationsquellen bezeichnet hat. Bei beiden „divisions” ist höchst unklar, ob sie tatsächlich existierten oder nicht lediglich Facebook-Phänomene sind; Facebook ist ohnehin das Organisationsinstrument der EDL schlechthin. Die EDL bemüht sich daneben auch, migrantische Communities für den Kampf gegen den Islam zu gewinnen. In diesem Sinne ist für sie etwa Guramit Singh Kalirai aktiv gewesen. Kalirai ist gläubiger Sikh und von der Überzeugung beseelt, Indien – das Land seiner Vorfahren – müsse dringend Krieg gegen das muslimische Pakistan führen. Seinen Bemühungen, britische Sikhs in die EDL einzubinden, ist allerdings bislang kein Erfolg beschieden gewesen. Das liegt vielleicht auch daran, dass Kalirai – ganz EDL-Mann – 2013 wegen bewaffneten Raubüberfalls zu sechseinhalb Jahren Knast verurteilt wurde. Hauptgrund dürfte jedoch sein, dass marodierende rechte Hools ihre Kernkompetenz selten in der Fähigkeit haben, Sikhs von Muslimen zu unterscheiden. Gleich bei einer ihrer ersten Aktionen gegen Dschihadisten hieben sie 2009 denn auch kräftig auf den damaligen Bürgermeister von Luton ein – einen Sikh.

Die EDL hat sich eine Zeitlang auch um internationale Zusammenarbeit bemüht, möglicherweise mit Ayling/”Lake” im Rücken, der sich allerdings seit 2011 in Richtung UKIP orientierte. Die EDL hat versucht, „Defence Leagues” auch in anderen Ländern Europas aufzubauen, insbesondere in Skandinavien. Ihr Chef Lennon/”Robinson” nahm am 4. August 2012 an einem Vernetzungstreffen in Stockholm teil, bei dem neben diversen nationalen „Defence Leagues” auch internationale Szeneprominenz aus Aylings Bloggerzirkeln vertreten war. 2012 versuchten Lennon und sein Cousin Carroll außerdem, die BNP-Abspaltung British Freedom Party (BFP) zu infiltrieren, um sich ein parteipolitisches Standbein zu verschaffen; nach wenigen Monaten gaben sie das Vorhaben allerdings auf. Das Jahr 2012 brachte für die EDF dann einen Bruch. Im September konnte in Walthamstow im Londoner Nordosten ein Aufmarsch verhindert werden, was interne Streitigkeiten eskalieren ließ. Anfang 2013 wurde EDL-Führer Lennon verurteilt, weil er mit gefälschten Papieren in die USA eingereist war; das rammte das Ansehen der Hool-Formation noch tiefer in den Boden. Am 8. Oktober 2013 kündigten Lennon und Carroll an, die EDL zu verlassen. Für die Organisation war das ein schwerer Schlag.

Im Niedergang

Seither befindet sich die EDL in dramatischem Niedergang. Ihr Führer ist jetzt Steve Eddowes, Lennons ehemaliger Bodyguard, der offenbar nicht viel auf die Reihe bekommt. 30 EDL-Aktivisten seien 2014 zu Haftstrafen von zusammengerechnet 55 Jahren verurteilt worden, berichtet HOPE not hate; Dutzende weitere stünden noch vor Gericht. Alles in allem könne die Organisation auf vielleicht noch 300 bis 500 Aktivisten bauen. Knapp 50 konnte sie am 4. April zu einer Demonstration nach Oxford mobilisieren – ein Desaster. Am 9. Mai will sie nun in Walthamstow die Scharte vom September 2012 auswetzen. Man darf sich Hoffnungen machen, dass ihr das nicht gelingt.


Stets aktuelle Informationen zur EDL und zur extremen Rechten in Großbritannien finden sich auf www.hopenothate.org.uk.

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Jennifer Jane Mills (CC BY 2.0)