Thomas Hantusch am 01.08.2009 in Friedberg

Drei Generationen für die NPD

Die Familie Zutt/Hantusch im Lahn-Dill-Kreis

7,7 Prozent der abgegebenen Stimmen errang die NPD bei der hessischen Kommunalwahl 2016 in der Stadt Wetzlar im Lahn-Dill-Kreis. Teil der fünfköpfigen NPD-Fraktion im dortigen Stadtrat wird Thassilo Hantusch sein. Bereits drei Generationen seiner Familie sind eng mit der Partei verbunden.

7,7 Prozent der abgegebenen Stimmen errang die NPD bei der hessischen Kommunalwahl 2016 in der Stadt Wetzlar im Lahn-Dill-Kreis. Teil der fünfköpfigen NPD-Fraktion im dortigen Stadtrat wird Thassilo Hantusch sein. Bereits drei Generationen seiner Familie sind eng mit der Partei verbunden.

Kurz vor der Kommunalwahl, im Februar 2016, erhielt Hantusch einen Strafbefehl über 30 Tagessätze. Ihm wird vorgeworfen, mit etwa 40 Neonazis am 1. Mai 2015 in Weimar eine Gewerkschaftsveranstaltung angegriffen zu haben. Dabei war die Bühne gestürmt und dem SPD-Bundestagsabgeordneten Carsten Schneider das Mikrofon entrissen worden, um rassistische Parolen zu skandieren. Besucher_innen des Festes waren mit Faustschlägen angegriffen worden.

Im Mai 2015 organisierte Hantusch das Pfingstlager der hessischen JN. Auch wenn es mit nur 14 Teilnehmenden hinter den Erwartungen zurückblieb, sorgte es für öffentliches Aufsehen. Das Camp, das in Lützellinden auf dem Gelände eines ehemaligen NPDlers stattfand, richtete sich an den völkischen Flügel der JN. Die Teilnehmenden erschienen folglich in weißen Hemden oder langen Röcken. Diese Art der Veranstaltung ist Hantusch nicht fremd. Er kommt aus einer völkischen Familie; als 2009 die Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) verboten wurde, galt der damals 15-jährige als Anwärter auf eine Mitgliedschaft, wie aus der Materialsammlung zum aktuellen NPD-Verbotsverfahren hervorgeht.

Die Zutts — integriert und akzeptiert

Bereits Hantuschs Großeltern waren in der NPD aktiv. In den 1990er und 2000er Jahren waren „die Zutts“ die NPD in Ehringshausen. Hantuschs Großmutter Doris Zutt trat 1982 in die NPD ein. Zusammen mit ihrem Mann Alfred, der bereits seit 1967 NPD-Mitglied war, konnte sie 1989 mit 6,9 % erstmals in die Gemeindevertretung in Ehringshausen einziehen. Dort waren die beiden nicht isoliert. 1991 ließ sich der parteilose Eberhard Niebich mit den Stimmen der CDU, der Freien Wähler Gemeinschaft (FWG) und den beiden Stimmen der NPD als Bürgermeister wiederwählen. Im Gegenzug wurde Doris Zutt zur Vorsitzenden des Umweltausschusses gewählt. Erst ein Jahr später räumte CDU-Fraktionschef Werner Nau kleinlaut ein, dass dies wohl ein Fehler gewesen sei. Das Ergebnis dieses Tabubruchs — gemeinsam mit der NPD real Politik zu machen — zeigte sich bei den folgenden Wahlen. 1993 erreichte die NPD in Ehringshausen 13,6 %, bevor sie 1997 mit 22,9 % ihr bestes Ergebnis erzielte und hinter SPD und FWG drittstärkste Kraft wurde. Während der Debatte um das erste NPD-Verbotsverfahren 2001 stürzte sie auf 7,1 % ab. Doch die politische Akzeptanz in der Gemeindevertretung alleine hätte vermutlich nicht ausgereicht, um solche Rekordergebnisse zu erzielen.

Doris Zutt, die auch für die NPD im Kreistag des Lahn-Dill-Kreises saß, war überregional als lange Zeit einzige Frau im NPD-Bundesvorstand aktiv und hatte dort ab 1993 das Referat Familien- und Sozialpolitik inne. Dennoch wurden sie und ihr Mann in Ehringshausen nicht einfach als Neonazis betrachtet. Als gelernte Krankenschwester kam Doris Zutt auch nach Feierabend, wenn ein Verband gewechselt werden musste — ohne Geld dafür zu nehmen. Und Alfred Zutt stellte auch mal eine Kiste Bier bereit, wenn Aussiedler neu nach Ehringshausen kamen. Beide waren in die Gemeinde integriert und akzeptiert.

Auch in der Gemeindevertretung waren es immer wieder Zutts, die widersprachen, wenn es beispielsweise um die Erhöhung von Abgaben ging. So konnten sie den Eindruck vermitteln, dass sie es wären, die sich um das Geld der Mitbürger sorgten. Der regionale Erfolg eröffnete Doris Zutt die Möglichkeit zur Parteikarriere. Sie war unter anderem Bürgermeisterkandidatin in Frankfurt, 2008 Spitzenkandidatin der NPD bei der Landtagswahl in Hessen und trat auch bei der Europawahl für die NPD an. Erfolge erzielte sie überregional jedoch nicht.

„Patrioten-Treff“

Die Zutts gaben sich keine große Mühe, ihr Weltbild zu verstecken. Anträge, die sie in die Gemeindevertretung einbrachten, waren oft offen rassistisch und zielten auf die Bevorteilung von „Deutschen“ ab. Ihr völkisches Weltbild verkündete Doris Zutt auch unumwunden in einem Beitrag zu den damals anstehenden Wahlen auf abgeordnetenwatch: „Nein, Österreicher sind keine Kulturfremden, (sondern Volkstums Deutsche)“ (sic!).

Mit dem „Patrioten-Treff“ betrieb die Familie Zutt ab 1998 mitten in Ehringshausen einen „rechten Gemischtwarenladen“. Dort wurde alles angeboten was das neonazistische Herz begehrt. Und so war es nicht nur die regionale Szene, die sich im Patrioten-Treff eindeckte. Der Laden diente der NPD auch als Treffpunkt zum Beispiel zur Anreise zu Aufmärschen. Den Zutts gelang es so, die Isolation der NPD aufzuheben und als „ganz normale Partei“ zu verankern. Sie gaben sich als politisch ausführender Arm der Stammtische und ihnen wurde zugeschrieben, sich um das Wohl der Bürger_innen zu sorgen; „der deutschen Bürger“, wie Doris Zutt anmerkte.

Erst als an der Kirche, am Rathaus und an Autos von Politiker_innen neonazistische Parolen gesprüht und Aufkleber der NPD verklebt wurden, regte sich Protest und Kritik an der NPD. 2003 mussten die Zutts den „Patrioten-Treff“ verkaufen, das Gebäude musste einem Kreisverkehr weichen. Nun äußerte sich ein Mitglied der Gemeindevertretung erleichtert, dass mit dem „Schandfleck“ jetzt auch der „Braune Zopf“ weg sei.

Zwar zogen Alfred und Doris Zutt einige Jahre später — 2008 — nach Waren in Mecklenburg-Vorpommern, doch die Familie blieb weiterhin für die NPD in der Region aktiv. Für das Ehepaar Zutt rückten eine ihrer Töchter, Sandra, und deren Mann Stefan Müller in die Gemeindevertretung nach und verblieben dort bis 2011. Bei der folgenden Kommunalwahl trat die NPD in Ehringshausen nicht mehr an.

Regine Land und Thomas Hantusch

Auch die Familie von Zutts Tochter Regine Land ist in der NPD aktiv. Zusammen mit Thomas Hantusch, mit dem sie verheiratet war, hat sie drei Kinder. Sie selbst schien sich lange mehr um die Kinder zu kümmern und das traditionelle Frauenbild der NPD zu leben. Doch auch sie war in der Partei aktiv. In einem Leser_innenbrief in der Deutschen Stimme bemängelte sie den „Männerhaufen“ im Vorstand der Bundes-NPD und trat selbst an, um in diesen gewählt zu werden. Bei der Kommunalwahl 2005 kandidierte sie auf der NPD-Liste und wurde 2006 als Beisitzerin in den Kreisvorstand der Partei gewählt. Nachdem Land länger nicht im Umfeld der NPD in Erscheinung getreten war, ist sie seit Herbst 2015 wieder aktiver. Gemeinsam mit ihrem Sohn Thassilo verteilte sie in der Wetzlarer Innenstadt Wahlwerbung für die NPD. Beim Fackelzug der Bürgerinitiative gegen Asylbetrug im November 2015 war sie ebenfalls dabei. Auch in der NPD hat sie wieder ein Amt übernommen: In ihrer (neuen) Funktion als NPD-Landespressesprecher in veröffentlichte sie im januar einen Bericht zum Neujahrsempfang der hessischen NPD in Leun.

Ihr früherer Mann Thomas Hantusch gilt als Ziehsohn der Zutts. Bereits Anfang der 1990er jahre war er NPD-Kreisvorsitzender in Hannover und anschließend in der Landesorganisationsleitung in Sachsen-Anhalt. Nach dem Umzug nach Hessen wurde er dort 1995 Landesvorsitzender der JN. In dieser Funktion lud Hantusch 1996/97 mehrmals in den Lahn-Dill-Kreis ein, zum jN-Kongress, zum 125. jahrestag der Reichsgründung und zur Sommersonnenwende. Zu den Veranstaltungen reisten auch überregional Neonazis an.

Hantusch gelang es, jugendliche für die JN zu gewinnen. Damit entwickelte sich der Lahn-Dill-Kreis Ende der 90er jahre zu einer Schwerpunktregion neonazistischer Organisierung. Im jahr 2000 wurde Hantusch vorm Oberlandesgericht Frankfurt am Main wegen Volksverhetzung verurteilt, nachdem er bei einem landesweiten Neonazitreffen Asylbewerber als „Parasiten“ bezeichnet hatte.

Bis heute bekleidet Thomas Hantusch diverse Ämter für die NPD in Hessen und trat auch regelmäßig bei Wahlen für die neonazistische Partei an. Seit einigen Monaten ist er Pressesprecher der NPD Magdeburg und kandidierte dort im Mai 2014 bei der Kommunalwahl. Dennoch ist Hantusch weiterhin Kreisvorsitzender im Lahn-Dill-Kreis und taucht regelmäßig bei Veranstaltungen in der Region auf.

Ein guter und netter Fußballtrainer

Auch Thomas Hantusch ist in der Region etabliert. jahrelang war er Trainer eines jugendteams beim TSV Büblingshausen. Erst nachdem dies 2008 publik wurde, wurde er ausgeschlossen. „Darauf aufmerksam gemacht hat eine türkische Mutter. Sie rief beim Hessischen Fußballverband an. Sie hatte wohl mitbekommen, dass ein NPDler dort Trainer ist“, berichtet Angelika Ribler von der Sportjugend Hessen. Der Verein sträubte sich lange gegen den Ausschluss Hantuschs, da dieser auf dem Spielfeld ganz unpolitisch gewesen sei, einfach nur ein guter und netter Fußballtrainer. Dementsprechend verkündete der Verein noch im gleichen Jahr auf seiner Homepage: „Ausgezeichnet für fünf jahre ehrenamtliche Tätigkeit wurden Thomas Hantusch […]“. Die Ehrung fand im Rahmen der Jahreshauptversammlung 2008 statt.

Zuvor hatte es offensichtlich niemand problematisch gefunden, dem NPDler ein Jugendteam anzuvertrauen. Bekannt dürften dessen politische Aktivitäten gewesen sein. Büblingshausen ist zwar ein Stadtteil von Wetzlar, dennoch hat es eher einen „dörflichen“ Charakter mit "ganz eigenem Wir-Gefühl“, wie es in der Stadtteilbeschreibung der Stadt Wetzlar heißt. Auch jahre später äußerte der damalige Bürgermeister und Sozialdezernent der Stadt Wetzlar Helmut Lattermann Unverständnis, „dass der Mann, dem man ja konkret nichts vorwerfen konnte […] diese Position niederlegen musste“, und stellte die Frage, ob sich dann „alle […] nicht mehr engagieren dürfen, die eine radikale Gesinnung vertreten?“. Hätten also die Verantwortlichen nicht dem Druck der Öffentlichkeit nachgegeben, wäre Hantusch wohl immer noch Trainer mit Rückendeckung vom Bürgermeister.

Auch weiterhin scheinen Personen aus dem extrem rechten Spektrum — solange ihr Engagement nicht öffentlich wird — in der Region wenig Akzeptanzprobleme zu haben. Die über Jahrzehnte etablierten Aktivitäten der NPD durch die Familie Zutt und Hantusch zahlen sich aus. Aufgrund des Erfolgs bei der Kommunalwahl 2016 sowie des desolaten Zustands der hessischen JN und NPD wird es Thassilo Hantusch nicht schwer haben, in der Partei zumindest auf Landesebene leitende Positionen und Ämter zu erlangen und die Familientradition fortzuführen.

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