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Gesetzesverschärfungen bei „Angriffen“ auf PolizeibeamtInnen

Am 30. Mai 2017 sind sie in Kraft getreten — die drastischen Gesetzesverschärfungen im 6. Abschnitt des „Besonderen Teils“ des Strafgesetzbuchs (StGB), der den „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ behandelt. Aufgrund der umfangreichen Änderungen, die zu Folgeänderungen auch im 7. Abschnitt (unter anderem Landfriedensbruch) geführt haben, kann dieser Artikel nur die wesentlichen Grundzüge der Änderungen aufzeigen.

Am 30. Mai 2017 sind sie in Kraft getreten — die drastischen Gesetzesverschärfungen im 6. Abschnitt des „Besonderen Teils“ des Strafgesetzbuchs (StGB), der den „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ behandelt. Aufgrund der umfangreichen Änderungen, die zu Folgeänderungen auch im 7. Abschnitt (unter anderem Landfriedensbruch) geführt haben, kann dieser Artikel nur die wesentlichen Grundzüge der Änderungen aufzeigen.

Um die Gesetzesverschärfungen richtig einordnen zu können, bedarf es zunächst eines Rückblicks. Bis November 2011 wurde nach § 113 Absatz 1 StGB mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe „nur“ bis zu zwei Jahren bestraft, wer „einem Amtsträger […], der zur Vollstreckung von Gesetzen […] berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift“. Diese im Vergleich zur Nötigung, die eine Höchststrafe von drei Jahren vorsieht, niedrigere Höchststrafe rechtfertigte der damalige Gesetzgeber damit, dass dem in einer Vollstreckungssituation leicht entstehenden Affekt auf Seiten des Betroffenen Rechnung getragen werden soll. Man denke nur an die PolizeibeamtInnen, die zu einer Familienstreitigkeit gerufen und dann — aus der vorhandenen Aggression des Täters/der Täterin heraus — angegangen werden. Im November 2011 trat dann die erste Verschärfung in Kraft: Der Gesetzgeber erhöhte die Freiheitsstrafe auf maximal drei Jahre; eine Mindeststrafe gab es (noch) nicht. Er begründete die Erhöhung insbesondere damit, dass PolizeibeamtInnen ein erhebliches Risiko tragen, bei der Durchsetzung staatlicher Vollstreckungsakte angegriffen zu werden.

Repräsentanten der staatlichen Gewalt

Seit dem 30. Mai 2017 gilt die neue Regelung, die den bisherigen § 113 StGB erheblich umgestaltet und die bisherigen Regelungen deutlich verschärft hat. Der Gesetzgeber begründete die neuerliche Verschärfung im Wesentlichen wie folgt: „Kommt es wahrend der Ausübung ihres Dienstes zu einem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, werden sie nicht als Individualpersonen angegriffen, sondern als Repräsentanten der staatlichen Gewalt.“ Mit der Realität hat diese erneute Verschärfung nur wenig zu tun, schaut man sich die Fallentwicklung im Hinblick auf den „Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte“ in den letzten Jahren an. Insgesamt sind danach die Fallzahlen laut Polizeilicher Kriminalstatistik in den Jahren 2012 bis 2016 recht stabil geblieben (zwischen 20.251 und 22.098 Fälle), die Zahl aus 2016 (22.098) ist im Vergleich zu der von 2008 (28.272) sogar deutlich niedriger.

Die neue Regelung

Mit der neuen gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber den „tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ aus dem § 113 Abs. 1 StGB in die neue Vorschrift § 114 Abs. 1 StGB überführt. Damit drohen ab sofort deutlich härtere Strafen, selbst wenn es sich bei dem „tätlichen Angriff“ letztlich um eine vergleichsweise Bagatelle handelt. Die „Nicht-Bagatelle“ hingegen wurde und wird unter anderem durch die versuchte (gefährliche) Körperverletzung nach § 223 ff. StGB erfasst. Wenn beispielsweise ein Stein in Richtung eines Polizeibeamten geworfen wird, auch wenn dieser nicht trifft, handelt es sich um eine versuchte gefährliche Körperverletzung, die einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren hat. Der Versuch der gefährlichen Körperverletzung kann allerdings milder bestraft werden als die vollendete Tat, so dass die Mindeststrafe „lediglich“ einen Monat betragen würde — eine solche Milderung ist bei dem durch den Steinwurf bereits vollendeten § 114 Abs. 1 StGB nicht möglich.

Der auch vergleichsweise Bagatellen erfassende „tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ nach § 114 Abs. 1 StGB sieht eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten (dies entspricht bei einer Geldstrafe 90 Tagessätzen) bis zu fünf Jahren vor. Ab 91 Tagessätzen gilt man als vorbestraft mit den bekannten Folgen für das weitere Leben. Wie bereits angedeutet, setzt der tätliche Angriff nicht viel voraus. Es bedarf nicht einmal einer eingetretenen Körperverletzung. Es genügt vielmehr, „jede in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung“. So wird es zum Beispiel als ausreichend angesehen, wenn ein Schreckschuss abgegeben wird, wodurch sich der oder die AmtsträgerIn tatsächlich erschreckt.

Eine weitere Erhöhung des Strafrahmens auf eine Mindeststrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren findet sich in § 114 Abs. 2 StGB, der auf den ebenfalls geänderten § 113 Abs. 2 StGB verweist. Hiernach genügt es, wenn der oder die Täterin eine Waffe oder — ganz allgemein — ein gefährliches Werkzeug bei sich führt (Nr. 1 des § 113 Abs. 2 S. 2 StGB). Die bis zum 30. Mai 2017 geltende Fassung setzte zumindest eine den Tatbestand einschränkende „Verwendungsabsicht“ voraus. Nun könnte auch der- oder diejenige, der oder die mit den Armen vor PolizeibeamtInnen wild herumfuchtelt, um sie von sich abzuhalten, und einen Schraubendreher oder eine spitze Schere in seinem Rucksack griffbereit dabei hat, mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten bestraft werden. Sogar ein schwerer Schuh kann ein gefährliches Werkzeug sein.

Selbst wenn diese Werkzeuge nicht mitgeführt werden, genügt es nach der neuen Nr. 3 des § 113 Abs. 2 S. 2 StGB, wenn der Widerstand gemeinschaftlich begangen wird, was auf Demonstrationen sehr schnell der Fall sein kann. Man denke nur an die Sitzblockade, in der sich zwei DemonstrantInnen befinden, die nach vorheriger Verabredung wild um sich herumfuchteln, um die direkt vor ihnen stehenden PolizeibeamtInnen, die sie wegtragen wollen, von sich fernzuhalten.

Resümee

Ursprünglich führte der Gesetzgeber den „tätlichen Angriff“ ein, weil die versuchte einfache Körperverletzung bis zum Jahre 1998 nicht strafbar war. Seitdem jedoch besteht für das Merkmal „tätlicher Angriff“, das sehr schwammig ist und selbst vergleichsweise Bagatellen als strafbare Handlungen erfassen kann (und auch gerne bei „Gegenanzeigen“ durch PolizeibeamtInnen bemüht wird), womit de facto die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden kann, keine Notwendigkeit mehr. Es gehört abgeschafft.

Bedenklich ist, dass der Gesetzgeber sich der Lobbyarbeit der Polizeigewerkschaften untergeordnet hat, obwohl sogar die polizeiliche Kriminalstatistik keine bedeutsame Erhöhung der Fallzahlen ausweist. Es reicht für die nun geltende massive Strafverschärfung aus — was im Strafgesetzbuch eher ungewöhnlich ist – dass das „Opfer“ einer bestimmten Berufsgruppe angehört. Dass bestimmte „Berufsgruppen“ besonders geschützt werden, kennt man bisher vor allem von Staatsoberhäuptern, beispielsweise bei der „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“ in § 90 StGB und der „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ in § 103 StGB, wobei letzterer nach der Diskussion um Jan Böhmermann und Recep Tayyip Erdoğan immerhin abgeschafft wird.

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