Gegen das Recht auf Selbstbestimmung Kataloniens

Die spanische extreme Rechte verbündet sich mit dem Staat

Seit Jahrzehnten hat die extreme Rechte Spaniens keine Lebenszeichen von sich gegeben, die über ihre üblichen Kampagnen, punktuellen Aktionen und schwach besuchten Demonstrationen hinausgingen. Mit Beginn der katalanischen Bewegung für das Recht auf Selbstbestimmung fingen mehrere ultrarechte Gruppierungen an, sich innerhalb weniger Monate mehr denn je zu verschiedenen Anlässen in ganz Spanien zu zeigen.

Seit Jahrzehnten hat die extreme Rechte Spaniens keine Lebenszeichen von sich gegeben, die über ihre üblichen Kampagnen, punktuellen Aktionen und schwach besuchten Demonstrationen hinausgingen. Mit Beginn der katalanischen Bewegung für das Recht auf Selbstbestimmung fingen mehrere ultrarechte Gruppierungen an, sich innerhalb weniger Monate mehr denn je zu verschiedenen Anlässen in ganz Spanien zu zeigen.

Alle spanischen ultrarechten Gruppen haben an den Massendemonstrationen gegen das Selbstbestimmungsrecht teilgenommen, die von der spanischen nationalistischen Gruppe Societat Civil Catalana (SCC) zusammen mit Mitgliedern der großen Parteien Partido Popular (PP, die Partei des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, konservativ-nationalistisch), PSOE (spanische Sozialdemokraten) und Ciudadanos (eine neoliberale Partei) veranstaltet wurden. Neonazi-Gruppen wie Democracia Nacional (DN), die FaschistInnen der Falange (Partei des Diktators Franco), die Plataforma per Catalunya (PxC) und Mitglieder extrem rechter Ultra-Gruppierungen wichtiger spanischer Fußballvereine wurden auf all diesen Demonstrationen beobachtet. Während die spanische Presse die Teilnahme dieser Gruppen weitestgehend ignoriert hat, haben katalanische JournalistInnen nicht nur die Teilnahme dokumentiert, sondern auch über die vielen Übergriffe vor, während und nach den Demonstrationen berichtet.

Die Polizei ließ die extreme Rechte gewähren

Während des abgehaltenen Referendums am 1. Oktober 2017 haben mehr als zwei Millionen Menschen über die Frage der Unabhängigkeit Kataloniens abgestimmt. Zeitgleich haben die spanische Bundespolizei und die paramilitärische Guardia Civil versucht, diese Abstimmung mit Hilfe von mehr als 15.000 nach Katalonien entsandten Einsatzkräften zu unterbinden. Die PolizistInnen griffen Wahllokale an, beschlagnahmten Wahlurnen und verletzten dabei fast tausend Menschen. Am selben Tag zeigte sich die Neonazi-Gruppe Hogar Social Madrid an mehreren Stellen in Barcelona, um ihre Ablehnung des Referendums kundzutun. Auch Gruppen wie die Falange oder DN hielten Demonstrationen im Zentrum der Stadt ab. Zahlreiche BürgerInnen beklagen, von Mitgliedern der extremen Rechten an diesem Tag angegriffen worden zu sein. Mitglieder der entsandten spanischen Polizei waren ebenfalls an mehreren gewaltsamen Auseinandersetzungen in mehreren katalanischen Städten beteiligt, als BürgerInnen gegen die Präsenz der spanischen Polizei demonstrierten. Der Innenminister und der Ministerpräsident verneinen, dass es übermäßige Polizeigewalt gegeben hätte, jedoch beschuldigen sie die TeilnehmerInnen des Referendums, gewaltsam gegen die Polizei vorgegangen zu sein. Dabei gibt es zahlreiche Berichte und Videos, die zeigen, wie die Polizei gewaltsam gegen friedliche DemonstrantInnen vorgeht. Tage zuvor, als die PolizistInnen aus ihren Quartieren in ganz Spanien auszogen, um nach Katalonien verlegt zu werden, wurden sie von Hunderten versammelten FaschistInnen unter Applaus verabschiedet. Mit auf dem Weg gab man ihnen den Schlachtruf „A por ellos!“ (in etwa so wie „Holen wir sie uns“).

Am 12. Oktober, dem Nationalfeiertag Spaniens, kam erneut die gesamte spanische extreme Rechte in Barcelona zusammen, um die Anlehnung einer Abspaltung Kataloniens vom spanischen Staat zu bekunden. Dabei lieferten sich im Stadtzentrum Dutzende Neonazis, die Mitglieder verfeindeter Ultra-Gruppierungen spanischer Fußballvereine sind, untereinander eine Prügelei mit Stühlen. Das Ganze fand vor den Kameras der versammelten Presse statt. Am selben Tag kam es zu etlichen rassistischen Attacken sowie Übergriffen auf Menschen und Einrichtungen, die BefürworterInnen der Unabhängigkeit Kataloniens sind. Die Polizei nahm nicht eine einzige Person wegen dieser Übergriffe fest.

Einseitige Unabhängigkeitserklärung

Am 27. Oktober hat das katalanische Parlament das Resultat des Referendums anerkannt und trotz des Urteils des obersten Gerichts und der spanischen Regierung, dass die Abstimmung illegal sei, die Katalanische Republik ausgerufen. In der selben Nacht griffen hunderte FaschistInnen den öffentlich-rechtlichen katalanischen Radiosender, berichterstattende JournalistInnen sowie feiernde UnabhängigkeitsbefürworterInnen und deren Einrichtungen an. Nach Angaben mehrerer katalanischer Medien ist es seit September 2017 zu mehr als 100 Angriffen durch FaschistInnen gekommen, die mit dem spanischen Nationalismus verknüpft sind.

Nach der Erklärung der Unabhängigkeit haben spanische Gerichte entschieden, dass sich Mitglieder der katalanischen Regierung sowie Mitglieder der Vereine Omnium Cultural und Assemblea Nacional Catalana (ANC) mehrerer schwerwiegender Vergehen gehen die spanische Verfassung schuldig gemacht haben könnten. Des Aufstandes und der Rebellion beschuldigt, wurden bekannte Mitglieder der katalanischen Regierung und der vormals genannten Organisationen verhaftet. Der Ministerpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont, flüchtete vor der Polizei nach Belgien und versucht seitdem, über seine Rückkehr zu verhandeln. Zudem hat die spanische Zentralregierung zum ersten Mal in der Geschichte der spanischen Demokratie beschlossen, den Artikel 155 der spanischen Verfassung anzuwenden. Mit Hilfe dieses Artikels hat die Zentralregierung die Geschäftsführung für die katalanische Regierung übernommen und Neuwahlen für den 21. Dezember angesetzt. Damit hatte die spanische Zentralregierung die Kontrolle, von der Polizei bis zu den Konten der katalanischen Regierung, übernommen. Bei den am 21. Dezember abgehaltenen Neuwahlen des katalanischen Parlaments haben die BefürworterInnen der Unabhängigkeit erneut die absolute Mehrheit erringen können. Der Block aus Junts per Catalunya (Liberale), Esquerra Republicana de Catalunya (Linke) und der Candidatura d’Unitat Popular — CUP (Linksradikale) hat zusammen 70 Sitze. Damit hat sie 13 Sitze mehr als der spanische Block aus Ciudadanos, PSOE und PP. Zudem hat der katalanische Ableger der Linkspartei Podemos, Catalunya en Comú — Podem acht Sitze im neuen Parlament. Diese hatte sich zwar für das Referendum, aber gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung ausgesprochen. Damit bleibt im Parlament im Prinzip alles beim Alten. Die Befürworter der Unabhängigkeit verfolgen weiterhin den Plan der Abspaltung, und die Zentralregierung droht mit der erneuten Anwendung des Artikels 155.

Auch in Städten außerhalb Kataloniens gab es Angriffe der extremen Rechten mit Bezug zum katalanischen Prozess. In Valéncia spricht man ebenfalls Catalán, hier gibt es Gruppen, die für eine Unabhängigkeit und eine Vereinigung mit Katalonien sind. Deshalb gab es vor allem in dieser Stadt Übergriffe. Valéncia wurde am 9. Oktober Schauplatz einer extrem rechten Gegendemonstration gegen die traditionelle Demonstration zum valencianischen Nationalfeiertag, der jedes Jahr von linken Gruppen gefeiert wird. Hunderte FaschistInnen kreisten die DemonstrantInnen ein und griffen vor den Augen der Polizei zahlreiche Menschen an, ohne dass es zu Festnahmen kam. Es gab mindestens 15 Verletzte, darunter JournalistInnen, die anschließend die Angriffe und die Passivität der Polizei beklagten. Aktuell werden mehr als 20 Ultrarechten Straftaten wegen Körperverletzung, Raub und Grundrechtsverletzungen vorgeworfen. Auch in Valéncia und Umgebung hat es Neonazi-Angriffe auf Personen oder Einrichtungen gegeben, die BefürworterInnen der Unabhängigkeit Kataloniens sind. Tage vor dem Referendum, am 25. September, gab es in Valéncia eine Demonstration der faschistischen Partei España2000 vor einem Theater, in dem eine Veranstaltung von UnabhängigkeitsbefürworterInnen stattfand. Die Polizei ging nur gegen antifaschistische Selbstverteidigungsgruppen vor, denen sie untersagte, sich dem Theater zu nähern. Den FaschistInnen hingegen war es erlaubt, das Gebäude zu umstellen. In der Nacht des 18. Oktober versammelten sich zudem Mitglieder von España2000 vor dem Haus der stellvertretenden Ministerpräsidentin Mónica Oltra von der Linkspartei Compromís. Sie spielten spanische nationalistische Musik, schwenkten spanische Flaggen und bezichtigten Oltra als Unabhängigkeitsbefürworterin.

In Zaragoza hat die Linkspartei Podemos eine Veranstaltung organisiert, in der mögliche Lösungen für den katalanischen Konflikt thematisiert werden sollten. Auch diese Veranstaltung wurde von hunderten FaschistInnen eingekreist. Die Polizei ging erneut nicht gegen die FaschistInnen vor, die Gegenstände auf TeilnehmerInnen der Veranstaltung warfen. Die Ministerpräsidentin von Aragón, Violeta Barba, die an der Veranstaltung ebenfalls teilnahm, wurde durch einen Flaschenwurf am Kopf verletzt.

Aufschwung für die extreme Rechte?

Der spanische Staat zählt zu den wenigen verbliebenen Ländern in Europa, in denen es keine extrem rechte Partei ins Parlament schafft. Die wichtigste Partei für die Rechte ist die regierende Partido Popular, die seit ihrer Gründung in den 1980er Jahren die Stimmen der gesamten Rechten, von den eher gemäßigten bis hin zu den meisten extrem rechten WählerInnen, einstreicht. Die extrem rechten Parteien erhalten beim Urnengang nicht mehr als 0,5 Prozent der Stimmen. Es sind Projekte wie España2000, PxC oder DN, die allesamt sehr auf ihre Führungsfigur fokussiert sind. Streit untereinander und zahlreiche PR-Desaster machen es ihnen gerade unmöglich, sich zu nur einer Partei zu verbünden, die von den WählerInnen ernst genommen werden könnte. Auf der anderen Seite gibt es in Spanien die gleichen extrem rechten Milieus wie im Rest Europas. Der Unterschied ist vielleicht, dass die Inhalte von Parteien wie PP oder Ciudadanos genutzt werden, um diese Wählerpotenzial abzugreifen. Die Krise in Katalonien ist sicherlich das beste und aktuellste Beispiel. Aber auch bei anderen Themen ist Ähnliches zu beobachten, beispielsweise bei der Aufarbeitung der spanischen Geschichte, wo die PP dabei bleibt, die Verbrechen der Franco-Diktatur nicht weiter untersuchen zu wollen, und zeitgleich Organisationen wie die Fundación Francisco Franco finanziert. So befindet sich die extreme Rechte in Spanien in der bequemen Lage, PP und andere Parteien wählen zu können, die ihre Erwartungen erfüllen. Es bleibt abzuwarten, ob es in Zukunft einen Zusammenschluss extrem rechter Parteien geben wird, der in der Lage ist, den politischen Raum zu besetzen, den bislang die bürgerlichen rechten Parteien einnehmen.

Der Autor Miguel Ramos ist Journalist und lebt in Valéncia. Sein Artikel wurde von einem Unterstützer der Lotta aus dem Spanischen ins Deutsche übersetzt.

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