Versuchte Vereinnahmung durch die extreme Rechte

Die „Gelbe Westen“-Bewegung in Frankreich

Ein Symbol ging um die Welt: Das Tragen von gelben Warnjacken ist bei sozial oder ökonomisch motivierten Protesten aktuell nahezu weltweit zu beobachten. Die Initiative dazu kam aus Frankreich. Den Anlass zu Unmut und Protest bot dort eine zum damaligen Zeitpunkt angekündigte, inzwischen (jedenfalls für 2019) stornierte Spritsteuer-Erhöhung. Von Anfang an waren auch Rechte beteiligt.

Ein Symbol ging um die Welt: Das Tragen von gelben Warnjacken ist bei sozial oder ökonomisch motivierten Protesten aktuell nahezu weltweit zu beobachten. Die Initiative dazu kam aus Frankreich. Den Anlass zu Unmut und Protest bot dort eine zum damaligen Zeitpunkt angekündigte, inzwischen (jedenfalls für 2019) stornierte Spritsteuer-Erhöhung. Von Anfang an waren auch Rechte beteiligt.

Gegen die Steuererhöhung richtete sich ein doppelter Protest, der aus zwei unterschiedlichen Milieus kam und kommt. Einerseits meldete sich ein generell steuerfeindlicher, in der Tradition der „Steuerrebellen“ unter Pierre Poujade stehender Mittelständlerprotest zu Wort, der in keiner progressiven Tradition steht. Poujades Partei, die UDCA („Union zur Verteidigung der Geschäftsleute/Ladeneigentümer und Handwerker“), war von 1953 bis 1956 erfolgreich. Als damals jüngster Abgeordneter der UDCA zog bei den Parlamentswahlen vom 2. Januar 1956 übrigens ein gewisser Jean-Marie Le Pen in die französische Nationalversammlung ein. Auf der anderen Seite wies die im Herbst 2018 gestartete Protestbewegung eine stärker „sozial“ geprägte Komponente auf, deren ProtagonistInnen auf mehr „Steuergerechtigkeit“ statt auf die generelle Infragestellung von Besteuerung setzten.

Zunächst waren es Marine Le Pen, die Chefin des Rassemblement National (RN), und Nicolas Dupont-Aignan von Debout la France (DLF), die als erste SpitzenpolitikerInnen ab der vorletzten Oktoberwoche lautstark ihre Unterstützung für die im Internet angekündigten Verkehrsblockaden ab dem 17. November 2018 bekundeten. Erst ab Anfang November verkündeten auch andere Berufspolitiker wie der Konservative Laurent Wauquiez (Les Républicains, LR) und Jean-Luc Mélenchon als Chef der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise (LFI) ihre Absicht, sich dem Protest anzuschließen.

Zwar achteten Parteien wie der RN und DLF darauf, dass sie sich keine plumpe „Vereinnahmung“ (récupération) der Protestbewegung vorwerfen lassen mussten, wofür politische Parteien oft kritisiert werden. Deswegen verzichteten ihre AktivistInnen auch darauf, mit Parteiabzeichen oder -fahnen erkennbar aufzutreten. De facto jedoch waren beide vor allem in der Anfangsphase der Bewegung stark vertreten. Als es etwa am ersten landesweiten Protesttag am 17. November in der am Ärmelkanal gelegenen Stadt Étaples-sur-Mer zu einem Auffahrunfall mit einem PKW an einem Verkehrsblockadepunkt kam, bei dem ein örtlicher Kommunalpolitiker verletzt wurde, stellte sich heraus, dass es sich um einen Mandatsträger des RN handelte, Francis Leroy. Als Parteifunktionär bei Debout la France aktiv ist Frank Buhler, der Ende Oktober sowie nach dem 17. November 2018 zwei der mobilisierungsträchtigsten Videos der Bewegung in den sozialen Medien verbreitete. Besonders pikant ist, dass Buhler zuvor die Mitgliedsrechte beim damaligen Front National auf Zeit entzogen worden waren, nachdem er rassistische Witze bei Facebook veröffentlicht hatte, was die Partei als kontraproduktiv bewertete.

Zu einem späteren Zeitpunkt und an anderen Orten waren jedoch eher linke Kräfte vertreten. Die extreme Rechte in Frankreich macht nicht die Substanz der Protestbewegung aus und initiierte sie auch nicht. Doch sie hängt sich an die Proteste an und versucht, darüber Politik zu machen.

Sprecherkollektiv der „Gelben Westen“

Ab dem 26. November 2018 verlieh die „Gelbe Westen“-Bewegung sich ein offizielles Sprecherkollektiv aus acht Personen sowie einen Forderungskatalog aus 42 Punkten, der sozial progressive sowie steuerfeindliche, auch im Sinne von Unternehmen ausfallende, Forderungen miteinander vermischt und vermengt. Von den acht Personen — deren Legitimität, für die Protestbewegung zu sprechen, vor allem in West- und Südfrankreich schnell in Frage gestellt wurde — hat die Mehrheit einen eher rechten als progressiven Vorlauf. Der 35-jährige LKW-Fahrer Eric Drouet, mittlerweile einer der bekanntesten Köpfe, verbreitete etwa im Frühsommer 2018 im Internet mehrfach einwanderungsfeindliche Kommentare. Anfang Januar 2019 entspann sich eine breite öffentliche Polemik um seine Positionen: Zunächst hatte der Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon sich am 2. Januar positiv auf ihn bezogen und erklärt, von Drouet „fasziniert“ zu sein. Daraufhin behauptete der bürgerliche Fernseh-Starjournalist Jean-Michel Aphatie, Eric Drouet sei 2017 ein bekennender Wähler von Marine Le Pen „in beiden Durchgängen der Präsidentschaftswahl“ gewesen. Dies habe er mehrfach in den sozialen Medien gelesen, fügte er auf Nachfrage später hinzu. Allerdings dementierte Drouet alsbald, und zwei Tage später behauptete der Sender BFM TV, er habe vielmehr Mélenchon gewählt — was zutreffen mag oder auch nachträglich konstruiert sein kann, um nicht in eine „rechte Ecke“ gedrängt zu werden oder um sich für das öffentliche Lob Mélenchons zu revanchieren. Unterdessen gehen Medienkommentare etwa beim liberalen Wochenmagazin L’Express davon aus, Aphathie habe Drouet und einen anderen Sprecher der Bewegung, den 31-jährigen Leiharbeiter Maxime Nicolle alias „Fly Rider“, miteinander verwechselt. Was Nicolle betrifft, so ist auch dessen persönliches Wahlverhalten nicht bekannt, doch ist gesichert, dass er bei Facebook wiederholt Pressemitteilungen von Marine Le Pen mit einem „Like“ versah. Er trat auch wiederholt als Liebhaber von Verschwörungstheorien hervor.

Neben Drouet und Nicolle zählt auch die schwarze Karibikfranzösin Priscillia Ludosky, eine 39-jährige Therapeutin, zu den bekannteren Gallionsfiguren der Protestbewegung. Sie war politisch zuvor ein unbeschriebenes Blatt, hat allerdings ein eher progressives und jedenfalls nicht rassistisches Profil.

Polarisierungsstrategie stärkt die Rechten

Die nicht zutreffende Darstellung der Proteste als insgesamt extrem rechts entwickelte sich unterdessen, vor allem seit dem Jahreswechsel 2018/19, zum Argument für einen Teil der gesellschaftlichen Eliten (etwa in bürgerlichen Medien) und das Regierungslager, um die „Gelbe Westen“-Bewegung insgesamt zu diskreditieren. Ein weiterer, mit Bestimmtheit negativer Nebenaspekt dieser Polarisierungsstrategie besteht darin, dass die extreme Rechte in vieler Menschen Augen zur „wichtigen und für die Regierung gefährlichen Oppositionskraft“ aufgewertet wird. Für den 18. Januar 2019 rufen nun prominente Vertreter der außerparlamentarischen extremen Rechten — wie der Berufs-Antisemit Alain Soral (Gründer der 2007 entstandenen Gruppierung Egalité & réconciliation, „Gleichheit und Aussöhnung“), der bekannte Holocaustleugner Hervé Ryssen sowie Jérôme Borbon von der 1951 gegründeten alt- und neofaschistischen Wochenzeitung Rivarol zu einer Großveranstaltung in Paris unter dem Titel „Gelbe Westen: die kommende Revolution“ auf. Dabei handelt es sich um einen offenen Versuch des Andockens an die Protestbewegung und deren Vereinnahmung.

Weiterlesen

Gage Skidmor (CC BY-SA 2.0)
Auch vor der Umbenennung der "Lega Nord" in "Lega" war die Partei rassistisch.
Stefano Petroni (Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0) ) t