Protestfotografie.Frankfurt

„Masken runter“

Proteste der selbsternannten „Corona-Rebellen“

Seit April gehen jede Woche Hunderte gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf die Straße. Es ist eine soziale Bewegung entstanden, in der Verschwörungserzählungen dominieren und die Menschen aus unterschiedlichen Milieus anspricht. Ein Blick auf die Proteste der selbsternannten „Corona-Rebellen“ in NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen.

Seit April gehen jede Woche Hunderte gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf die Straße. Es ist eine soziale Bewegung entstanden, in der Verschwörungserzählungen dominieren und die Menschen aus unterschiedlichen Milieus anspricht. Ein Blick auf die Proteste der selbsternannten „Corona-Rebellen“ in NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen.

Als im März die bekannten Infektionen mit dem Sars-CoV2-Virus sprunghaft anstiegen, wurde das öffentliche Leben immer weiter heruntergefahren. Die Maßnahmen gegen die Pandemie führten unweigerlich zu Einschränkungen der Grundrechte. Am 22. März beschlossen Bundes- und Landesregierungen ein Kontaktverbot, das Ansammlungen von mehr als zwei nicht im selben Haushalt lebenden Personen untersagte. Die Versammlungsfreiheit wurde somit de facto ausgesetzt. In dieser ersten Phase der Pandemie initiierten eher links gerichtete Künstler*innen am 28. März die erste sogenannte Hygienedemonstration unter dem Motto „Nicht ohne uns“ in Berlin mit rund 150 Teilnehmenden.

Wöchentlich folgten weitere Versammlungen, zu denen die Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand (KDW) aufrief. Die Gruppe schrieb sich die Verteidigung der Grundrechte auf die Fahnen und warnte vor einem „Notstandsregime“ bzw. einer „Corona-Diktatur“. Dies ging von Anfang an einher mit der Relativierung, wenn nicht gar Leugnung der gesundheitlichen Gefahr. „Corona ist nicht das Problem“, hieß es in der Kampagnenzeitung der KDW. Die Krankheit sei nicht mehr als eine normale Grippe, es werde lediglich eine Hysterie inszeniert. Hier ist bereits der Grundstein der Verschwörungserzählungen gelegt: Wenn das Virus gar nicht so gefährlich ist, zu welchem – geheimen – Zweck werden dann die staatlichen Maßnahmen verhängt?

Die Proteste in Berlin zogen ein heterogenes Publikum an, darunter viele Esoteriker*innen und Verschwörungsgläubige sowie allerlei (extrem) Rechte. Reichweitenstarke Verschwörungsideolog*innen wie Ken Jebsen oder Eva Herman sowie nahezu sämtliche rechten „Blogger“ und „YouTuber“ machten den angeblichen „Corona-Fake“ zum Thema. Breite Resonanz erzielte auch die Agitation von Prominenten wie Xavier Nadioo oder Attila Hildmann. Sie trugen erheblich dazu bei, dass sich Verschwörungserzählungen, z.B. über den angeblichen Plan von Bill Gates, die Menschheit mit „Zwangsimpfungen“ zu dezimieren, stark verbreiteten.

Zunahme der Protestaktionen

Es dauerte einige Wochen bis, von diesen ersten Aktionen inspiriert, eine Bewegung entstand, die Menschen in nahezu allen Regionen der Bundesrepublik mobilisierte. Wie groß das Phänomen wurde, zeigt unsere auf Medienberichten, Beobachtungen von Antifa-Gruppen sowie einer Statistik des NRW-Innenministeriums basierende Auswertung der Proteste von Anfang April bis Ende Juni in NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen. Insgesamt zählten wir in diesem Zeitraum 423 Protestaktionen; die Mehrzahl davon in NRW. In Hessen kamen wir auf 89, in Rheinland-Pfalz auf 43 Aktionen. Alle wiesen demonstrativen Charakter auf, wobei neben Kundgebungen und Demonstrationen auch eher unübliche Aktionsformen gewählt wurden. Die Wahl von Autokorsos lässt sich noch mit den Erfordernissen des Infektionsschutzes erklären, die häufigen „Meditationen“ verweisen hingegen auf die Bedeutung esoterischer Weltbilder für einen Teil der Teilnehmenden.

Keinen Eingang in unsere Statistik fanden Aktionen von Gastronom*innen oder Eltern, die auf ihre wirtschaftlichen und sozialen Probleme aufmerksam machten. Die Proteste der „Corona-Rebellen“ zeichnet gerade aus, dass von Anfang an konkrete soziale Fragen keine Rolle spielten. Stattdessen artikulieren sie ein allgemeines und diffuses Unbehagen mit der gesellschaftlichen Situation, grundsätzlichen Zweifel an der Gefahr des Virus und den Maßnahmen der Behörden sowie die Überzeugung, selbst im Besitz einer tieferen Wahrheit zu sein. Die Proteste entwickelten sich zu Orten, an denen verschiedenste, zum Teil antisemitische, Verschwörungserzählungen verbreitet wurden.

Wurden viele Proteste im April nicht angemeldet, von der Polizei aber oftmals geduldet, so führte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu, dass seit Mai politische Kundgebungen unter Auflagen des Infektionsschutzes wieder stattfinden können. Anfangs beschränkten sich die „Corona-Proteste“ noch auf einige Großstädte wie Aachen, Köln, Frankfurt, Kassel und Darmstadt, Ende April verbreiterten sie sich jedoch und erreichten Mitte Mai ihren Höhepunkt mit 84 Aktionen in der 20. Kalenderwoche. Demonstriert wurde vor allem samstags, teilweise auch an Sonn- und Montagen, in einigen Städten sogar mehrmals am Tag und von verschiedenen Kreisen initiiert. Allein am 16. Mai fanden mindestens 54 Aktionen in 40 Städten statt. In Köln, der Stadt mit den meisten Aktionen, nahmen am 9. und 16. Mai über 500 Personen an Demonstrationen teil. Ähnlich hohe Zahlen gibt es in dieser zweiten Protestphase nur aus Frankfurt (9. Mai) und Wuppertal (30. Mai).

Wer organisiert die Proteste?

Die Organisation der Proteste erfolgte vielerorts über den Messenger Telegram. Am 14. April schrieb eine „Angie“: „Scheint geklappt zu haben“. Angie hatte die „Corona-Rebellen Rheinland-Pfalz“ gegründet. Die Gruppe füllte sich, hatte nach wenigen Tagen bereits über 1.000 Mitglieder, der Chatverlauf geriet schnell unübersichtlich. Der Wunsch, „etwas zu machen“, einte die Beteiligten, die politischen Vorstellungen hingegen gingen auseinander. Immer wieder wurden Beiträge von Attila Hildmann oder Eva Herman geteilt; ab und an auch Wehrmachtspropaganda. Einige Leute verließen die Gruppe, weil sich nicht deutlich von Rechtspopulismus distanziert wurde. Die Entwicklung scheint paradigmatisch: Die, die sich glaubhaft von Rechten distanzieren, verlassen die Gruppen wieder oder gehen nicht mehr zu den Protesten. Andere bleiben und warnen vor Impfungen, „Chemtrails“ oder der „BRD-GmbH“.

Von außen ist meist schwer ersichtlich, ob es sich bei den Initiator*innen um Einzelpersonen handelt oder ob auf bestehende Strukturen und Vernetzungen zurückgegriffen wird. In Münster beispielsweise versammelten sich erstmals am 25. April ein knappes Dutzend Personen, bis Ende Mai wuchsen die Kundgebungen auf bis zu 200 Personen an. Die Szene vor Ort sammelte sich in mindestens vier Telegram-Gruppen, wobei eine als Regional-Gruppe der Stuttgarter Querdenken711-Initiative firmierte und eine mit der im April gebildeten „Partei“ Widerstand 2020 verbunden war. Einer der Organisatoren bezeichnet sich selbst als Anarchisten, bewegt sich aber schon länger in der verschwörungsgläubigen Szene und nahm bereits 2014 an einer Kundgebung gegen „Chemtrails“ in Münster teil. Andere zentrale Organisator*innen scheinen hingegen erst im Zuge der Corona-Krise den Schritt zum politischen Aktivismus gegangen zu sein.

Auch Naturheilpraktiker*innen und Impfgegner*innen initiierten Aktionen, beispielsweise in Bensheim und Kassel. Einige lokale Proteste sind enger mit der KDW oder der Querdenken711-Initiative verbunden, die am 2. Mai bis zu 5.000 Menschen in Stuttgart versammelte. So beispielsweise die Gruppe Querdenken615 aus Darmstadt, deren regelmäßige Kundgebungen bis Ende Juni meist eine dreistellige Zahl an Teilnehmenden anzogen. Dies stellt derzeit in Hessen die größten und nachhaltigsten Mobilisierungen dar. Zuletzt soll es aus dem Umfeld der Gruppe zu Bedrohungen des Darmstädter Oberbürgermeisters gekommen sein. Auch andernorts wurde politischen Gegner*innen gedroht. Nicht nur in der Mainzer Telegram-Gruppe „Querdenken“ wurde eine Anti-Antifa-Liste gepostet. In Münster schrieb ein Mitglied einer entsprechenden Telegram-Gruppe, man solle mit dem Auto in „Black Lives Matter“-Demos fahren.

Keine Distanz nach Rechtsaußen

Glaubwürdige Distanzierungen von extrem rechten Teilnehmenden gibt es kaum. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Umfrage, mit der die Corona-Rebellen Düsseldorf (CRD) Anfang Juli ein Meinungsbild ihrer Anhänger*innenschaft zum Mitführen von schwarz-weiß-roten Fahnen einholten. Ein Viertel der Befragten störte sich an den Fahnen, 14 Prozent nicht. Eine Mehrheit von 61 Prozent hingegen äußerte: „Ich möchte, dass jeder die Freiheit hat selber zu entscheiden.“

Dass sich plötzlich so viele Menschen mobilisieren ließen, weckte auch das Interesse von Parteien wie Die Rechte, deren Bundesvorsitzender Sven Skoda Ende März noch Deutungen der Pandemie als Resultat einer weltweiten Verschwörung als „verrückt“ bezeichnet hatte. Einige Wochen später klang dies bei Michael Brück, Ratsherr für Die Rechte in Dortmund, schon anders. Er kritisierte lediglich, dass „die Gefahr von 5G oder das Vorhaben von Bill Gates, Zwangsimpfungen und Chipimplantate durchzusetzen, […] momentan sicherlich auch teils unsachlich vermittelt“ würden. Als bedeutsamer wertete er aber die Chancen einer „breiten Querfront“, aus der sich gar eine „Volksfront“ bilden könnte. Er forderte alle „Nationalisten“ zur Unterstützung der Proteste auf. In Dortmund nahm stets eine größere Gruppe organisierter Neonazis teil, welche die Proteste auch nutzte, um Jagd auf Journalist*innen und Linke zu machen. Auch in Bielefeld beteiligten sich Neonazis, u.a. aus dem Umfeld der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend, regelmäßig an den Protesten.

Von extrem rechten Parteien unter eigenem Label angemeldete Proteste gegen die Corona-Maßnahmen erzielten hingegen keine Mobilisierungserfolge.  Sowohl an einer NPD-Kundgebung in Büdingen am 23. Mai als auch an den AfD-Versammlungen in Fulda (23. Mai) und Frankfurt (6. Juni) nahmen weniger als 30 Personen teil. Nur 60 Rechte folgten einem Aufruf von Markus Beisicht und André Poggenburg (Aufbruch Deutscher Patrioten) nach Leverkusen. Mehr Resonanz erzielten Dominik Roeseler und sein Verein Mönchengladbach steht auf, die im Mai über 100 Personen in Mönchengladbach auf die Straße brachten.

Bewegung in Auflösung?

Seit Anfang Juni ist die Anzahl der Versammlungen wie auch die Teilnehmendenzahl stark rückläufig. Düsseldorf stellt in dieser dritten Phase der Proteste eine Ausnahme dar. Beteiligten sich seit April nie mehr als wenige hundert, so liefen am 20. Juni über 1.100 Menschen bei der Demonstration der CRD mit. Auch im Juli blieb die Beteiligung an den Düsseldorfer Protesten im vierstelligen Bereich. Diesen Versammlungen, zu denen aus mehreren Städten mobilisiert wird, kommt nun eine zentrale Bedeutung in NRW zu. Extrem Rechte spielten in Düsseldorf seit der Anfangszeit, als die Bruderschaft Deutschland mit bis zu 50 Personen teilnahm, eine wichtige Rolle. Seit Ende Mai fungiert der Düsseldorfer Bernd Bruns als Anmelder der CRD-Demos. Er hat sich bereits 2015 an den Aufmärschen von DÜGIDA („Düsseldorf gegen die Islamisierung des Abendlandes“) beteiligt und gibt sich als Fan von Björn Höcke zu erkennen. So konnte am 20. Juni auch der Düsseldorfer OB-Kandidat der AfD, Florian Josef Hoffmann, eine Rede halten.

Die Bewegung hat den Zenit ihrer Mobilisierungskraft überschritten und an Dynamik verloren, in Auflösung begriffen ist sie aber nicht. Neue Strukturen und Kooperationen bildeten sich aus. Für den 1. August mobilisierten sowohl die KDW, die Querdenken711-Initiative als auch lokale Gruppen nach Berlin zu einem „Tag der Freiheit“. Über 20.000 Teilnehmende, die meisten ohne Masken, nahmen an diesem zentralen Protest-Event teil, das deutlich machte, dass die Bewegung nicht am Ende ist.

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