Ankunft einer von mehreren größeren Gruppen militanter Neonazis und neonazistisc
Roland Geisheimer | attenzione

„Eine Überraschung nach Vorbild von Leipzig“?

Neonazistische Mobilisierung zu „Querdenken“ in Düsseldorf

Am 6. Dezember 2020 beteiligten sich mehrere hundert Neonazis und rechte Hooligans an einer über 2.000-köpfigen „Querdenken“-Kundgebung in Düsseldorf. Schon bei der Anreise kam es zu einem koordinierten Angriff auf Antifaschist:innen. Aber auch für QD und die Angreifer:innen verlief der Tag anders als geplant.

Am 6. Dezember 2020 beteiligten sich mehrere hundert Neonazis und rechte Hooligans an einer über 2.000-köpfigen „Querdenken“-Kundgebung in Düsseldorf. Schon bei der Anreise kam es zu einem koordinierten Angriff auf Antifaschist:innen. Aber auch für QD und die Angreifer:innen verlief der Tag anders als geplant.„Die sahen erst mal aus wie Fußballklientel“, sagt Kilian. Mit zwei Dutzend weiteren Antifaschist:innen wollte er eigentlich am späten Vormittag des 6. Dezember vom Duisburger Hauptbahnhof aus nach Düsseldorf fahren, um dort gegen Querdenken (QD) zu demonstrieren. Seit Wochen hatten zudem auch Neonazis und rechte Hooligans zur dortigen Kundgebung der Pandemie-Leugner:innen mobilisiert. Doch als sich die Duisburger Antifas am Bahnhof versammelt hatten, wurden sie von Neonazis und rechten Hools angegriffen.

Alte Bekannte und geplanter Angriff

An dem Angriff waren nach Angaben mehrerer Betroffener rund 50 Neonazis beteiligt. „Auch Leute aus dem Netzwerk des Neonazi-Kampfsportevents Kampf der Nibelungen“, wie Kilian später feststellte, als er sich die Angreifer auf Fotos anschaute. Identifiziert wurden dabei unter anderem auch das mutmaßliche C18-Mitglied Robin Schmiemann und Alexander Deptolla, der in führender Funktion den Kampf der Nibelungen mitorganisiert. Am Duisburger Bahnhof befanden sich jedoch nicht nur durchreisende Angreifer, am Hinterausgang hatten sich auch langjährige Duisburger Neonazis versammelt, zum Beispiel Thomas Eckleder, Andrea Streyer und Ralf Panek. Ob auch sie an dem offenbar geplanten Angriff beteiligt waren, ist jedoch unklar.

Neonazis aus Dortmund und anderen Ruhrgebietsstädten reisten mit einem Zug an, der über Duisburg nach Düsseldorf fährt, ein Umsteigen in Duisburg war also nicht nötig. Mindestens 15 Minuten, bevor sich Duisburger Antifas am Bahnhof versammelten, standen bereits etwa 20 Neonazis auf dem Bahnhofsvorplatz. „Die haben uns sehr offensiv ignoriert“, schildert Kilian die Situation: „Dass sich aber an zwei Seiten des Bahnhofs Neonazis sammeln und dann noch die Dortmunder aussteigen, obwohl sie hätten durchfahren können, war eher ungewöhnlich.“ Obwohl die reisenden Neonazis am Dortmunder Bahnhof noch von Einsatzkräften begleitet worden waren, sei „weit und breit“ keine Polizei zu sehen gewesen. Plötzlich sei Bewegung in die zuvor offenbar nicht interessierte Neonazi-Gruppe vor dem Bahnhof gekommen. Zudem seien die Dortmunder Neonazis „sehr schnell und zielstrebig“ durch den Bahnhof gelaufen und am Haupteingang zu ihren „Kameraden“ gestoßen. Nach dem Anziehen von Handschuhen mit Protektoren habe jemand „okay, los“ gerufen. Die Angegriffenen seien daraufhin geflohen und über etwa 300 Meter verfolgt worden. „Die haben Flaschen geschmissen“, erzählt Kilian. Nach dem Angriff hätten sich die Neonazis wieder vor dem Bahnhof gesammelt und seien letztendlich weiter nach Düsseldorf gefahren.

Hooligans gegen Corona

„Es ist immer ein Unterschied, ob da 70 bis 80 Mann stehen, die sportlich gekleidet sind und einen durchsetzungsfähigen Blick haben, oder wenn da eine 65-jährige Frau mit ihrem 70-jährigen Ehemann mit Enkelkind durch die Gegend läuft“, sagte Kategorie C-Frontmann Hannes Ostendorf im Vorfeld der QD-Kundgebung in einem Interview mit dem selbsternannten „Volkslehrer“ Nikolai Nerling, der am 6. Dezember ebenso vor Ort war wie der Holocaustleugner Henry Hafenmayer aus Oberhausen. Viele rechte Hooligans folgten Ostendorfs Aufruf, um die QD-Veranstaltung zu unterstützen und vor allem zu „schützen“. Nach Streitigkeiten vor Ort mit dem QD-Versammlungsanmelder und -leiter Michael Schele, der sie zuerst für Antifas hielt und letztendlich aufgrund ihres martialischen Auftretens sogar für unerwünscht erklärte, reichte es aber nicht einmal für einen Ausbruchsversuch auf die Straße neben der Kundgebungswiese, um sich von der QD-Veranstaltung zu entfernen und eventuell eine eigene Aktion durchzuführen. Etwa 80 Neonazis und Hools landeten hierbei im Polizeikessel und wurden nach über eineinhalb Stunden — begleitet von diversen ihrer Kamerad:innen — per U-Bahn zum Hauptbahnhof geleitet. Unter ihnen auch Julian Bender aus dem Kreis Olpe, Kader der Neonazi-Partei Der III. Weg. Das mittlerweile eher dezentralisierte HoGeSa-Spektrum machte maximal ein Drittel der anwesenden etwa 300 aktionsorientierten Neonazis und extrem rechten Hools aus. Die Zeit, in der die Hooligans gegen Salafisten noch große Mobilisierungskraft hatten, scheint vorbei zu sein, das erhoffte HoGeSa-Comeback fiel ins Wasser.

„Jetzt noch nicht“

Weil Querdenken den Polizeieinsatz verursachte, kippte die Stimmung nach der Kundgebung in den Sozialen Medien über, nicht nur in rechten Hooligan-Kreisen: „Es besteht nicht nur Redebedarf, es ist zwingend erforderlich das so etwas ekelhaftes wie gestern nie mehr vorkommt“, fluchte „Reichsbürger“ und „Corona-Rebell“ Sascha Vossen („Master Spitter“) in einem Facebook-Kommentar unter einem Beitrag von Michael Schele, der für den Eklat verantwortlich war. Vossen arbeitete noch im Frühjahr und Sommer 2020 bei den Demonstrationen der Düsseldorfer Corona-Rebellen eng mit Schele zusammen. Wie weit es mit einer glaubwürdigen Abgrenzung von Seiten der „Querdenker“ zur extremen Rechten allerdings her ist — immerhin waren HoGeSa und Co. am 6. Dezember im festen Glauben angereist, willkommen zu sein –, hatte sich schon im Vorfeld der Kundgebung gezeigt. So hatte sich Schele in einem Facebook-Beitrag mit Blick auf den 6. Dezember positiv oder zumindest entsprechende Interpretationen in Kauf nehmend auf die Querdenken-Demo am 7. November in Leipzig bezogen: „An diesem Tag erwartet alle Teilnehmer eine Überraschung nach Vorbild von Leipzig.“ In Leipzig hatten im November hunderte Neonazis Querdenken den Weg frei geprügelt. Auch Ostendorf bezog sich in erwähntem Gespräch mit Nerling auf die Ausschreitungen. Diese hätten „vielleicht die Argumente der Querdenker verstärkt“. Und so verwundert es nicht, dass sich am 6. Dezember mehrere hundert Neonazis und rechte Hools hochmotiviert auf den Weg machten. Vermutlich hätte Schele mit ihnen auch kein Problem gehabt, wenn sie sich nicht „angsteinflößend“ und angeblich „wie die Antifa“ aussehend präsentiert hätten. Zu derart inhaltsleeren Distanzierungen passt auch Scheles strategisch motivierte Auflage, keine Reichsfahnen auf QD-Demos zu präsentieren: „Jedes Thema kann diskutiert werden, zu seiner Zeit. Jetzt noch nicht“, erklärte er seinem Publikum auf einer QD-Demonstration im September. Deutlich schwerer mit einem Reichsfahnen-Verzicht aufgrund von negativer Medienberichterstattung taten sich da die Düsseldorfer Corona-Rebellen. Während Querdenken eine Brücke zwischen der Ablehnung von Corona-Schutzmaßnahmen und der Verbreitung von Verschwörungserzählungen schlägt, sind die Corona-Rebellen bereits zu einem Sammelbecken von „Reichsbürgern“, Antisemit:innen und radikalen Impfgegner:innen geworden, bei denen Corona nur noch ein austauschbarer Aufhänger ist und auch Neonazis einen Platz finden.

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M. Bialek