„Boots are back in town?“

Zum Revival der Neonazi-Skins in Dortmund

Bomberjacke, Springerstiefel und kahlrasierter Kopf — das Klischeebild des Neonazi-Skins der 1980er und 1990er Jahre: In Dortmund gibt es sie noch. Beim demonstrativen Auftritt der „Die Rechte“ NRW am 1. Mai 2021 trat eine Gruppe in die Jahre gekommener Neonazi-Skins in Kapuzenpullovern mit der Aufschrift „Frontline Skinheads Dortmund Dorstfeld“ in Erscheinung. Die Träger sind keine Unbekannten, sie stehen in der Tradition der „Skinheadfront Dortmund Dorstfeld“ (SFDD).

Bomberjacke, Springerstiefel und kahlrasierter Kopf — das Klischeebild des Neonazi-Skins der 1980er und 1990er Jahre: In Dortmund gibt es sie noch. Beim demonstrativen Auftritt der „Die Rechte“ NRW am 1. Mai 2021 trat eine Gruppe in die Jahre gekommener Neonazi-Skins in Kapuzenpullovern mit der Aufschrift „Frontline Skinheads Dortmund Dorstfeld“ in Erscheinung. Die Träger sind keine Unbekannten, sie stehen in der Tradition der „Skinheadfront Dortmund Dorstfeld“ (SFDD).
Dortmund wurde in der Öffentlichkeit in den letzten 15 Jahren in erster Linie als Hochburg der (Post-)„Autonomen Nationalisten“ (AN) des Nationalen Widerstands Dortmund (NWDO) und ihrer Nachfolgeorganisation, der Partei Die Rechte wahrgenommen. Dieser Mythos bröckelt, nicht erst mit dem Wegzug einiger Kader. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Stadt seit den 1980er Jahren eine sehr heterogene und militante Neonazi-Szene gibt, in der im Prinzip alle neonazistischen Spektren beheimatet sind. Die Ursprünge der heutigen Dortmunder Neonazi-Szene liegen in der 1977 von Michael Kühnen gegründeten und 1983 verbotenen Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS) sowie deren Nachfolgeorganisationen, der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) und der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP). Zu Beginn der 1980er erkannten faschistische Organisationen das Potenzial, das in der großteils immer weiter nach rechts rückenden Skinhead-Bewegung steckte. In Deutschland formulierte Kühnen bereits 1982 in der fünften Ausgabe Die innere Front, dem Rundbrief der ANS, als neue Strategie und Ziel, „den Einfluß unserer Bewegung auf Skinheads und Fußballfans usw. auszudehnen“. Das Paradebeispiel für die Umsetzung dieser Strategie war die Gründung der Dortmunder Borussenfront um den kürzlich verstorbenen Siegfried Borchardt.

„Skinheadfront Dortmund Dorstfeld“

Lange bevor die AN um Dennis Giemsch, Dietrich Surmann und Alexander Deptolla ihre erste WG in der Wittener Str. 44 in Unterdorstfeld gründeten, siedelte sich eine Gruppe rechter Skinheads um Michael Wrobel in Wohnungen der städtischen Wohnungsgenossenschaft DOGEWO rund um den Steinauweg in Oberdorstfeld an. 2000 fielen die Neonazi-Skins in ihrer Nachbarschaft durch Hakenkreuz-Schmierereien, Zeigen des „Hitler Grußes“ und Singen des „Horst-Wessel-Liedes“ auf. Wrobel trat zudem bereits 2000 als Ordner bei neonazistischen Aufmärschen in Erscheinung. Aus diesem Umfeld gründete sich 2004 die Skinheadfront Dortmund Dorstfeld, die sich selbst als „Freie Kameradschaft“ bezeichnete. Die Antifaschistische Union Dortmund charakterisierte die Gruppe in ihrer Broschüre „Dortmunder Zustände“ (2010), als „Kameradschaft“ im vorpolitischen Raum, die durch eine extreme Gewaltaffinität, brutale rassistisch motivierte Übergriffe und Angriffe auf ihre politischen Gegner:innen auffiel. Dabei organisierte die SFDD keine eigenständigen politischen Aktivitäten im engeren Sinne, sondern war vielmehr eine „Saufgemeinschaft“, die gemeinsam RechtsRock-Konzerte und Demos besuchte. Gute Kontakte unterhielt die SFDD in die neonazistische RechtsRock- und Neonazi-Skin-Szene im In- und Ausland, insbesondere in die Niederlande. Zwei Mitglieder der Skinfront kamen aus den Niederlanden. Die Mitglieder der SFDD Patrick Brdonkalla, Michael Wrobel und Daniel Spilker kandidierten 2009 für die Deutsche Volksunion (DVU) für die Dortmunder Bezirksvertretung Innenstadt-West. Patrick Brdonkalla saß von 2004 bis 2009 für die DVU in der Bezirksvertretung Innenstadt-West.

Stumpfe Gewalt und purer Rassismus

Rechte Gewalt war in den 2000er Jahren in Dortmund Alltag. Die Mitglieder der SFDD waren oftmals mit dabei. Überregional bekannt wurde die Gruppe im Februar 2009 durch einen Angriff an einer Chemnitzer Autobahn-Raststätte: Mehrere Neonazis griffen Busreisende an, die sich auf der Fahrt zu einer Demo gegen den jährlich stattfindenden Neonazi-Aufmarsch in Dresden befanden. Mitglieder der SFDD waren auch an zahlreichen weiteren Gewalttaten beteiligt, so etwa an dem gemeinschaftlichen Überfall von hunderten Neonazis auf die 1.-Mai-Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) 2009. Durch Angriffe wie diesen versuchten die Neonazis den Mythos, Dortmund sei „ihre Stadt“, zu pflegen. Sie folgten dabei der politischen Strategie des „Kampfes um die Straße”. Immer wieder wurden BIPoC von Mitgliedern der SFDD rassistisch angegriffen und brutal zusammengeschlagen. Beispielhaft seien der Angriff auf migrantische Jugendliche auf dem Weihnachtsmarkt 2011 oder der auf eine Schwarze Frau in der McDonalds-Filiale am Hauptbahnhof im August 2012 erwähnt.

Angriff auf die „Hirsch-Q“

Die alternative Kneipe Hirsch-Q in der Brückstraße und ihre Besucher:innen wurden im Dezember 2010 zum wiederholten Mal bewaffnet angegriffen. Die zwölf beteiligten Neonazis konnten durch das Video der Überwachungskamera der Kneipe identifiziert und nach einer Auswertung durch das Dortmunder Antifabündnis (DAB) der SFDD zugeordnet werden. An dem Überfall war auch der Mörder von Thomas Schulz, Sven Kahlin (heute Sven Schröder), beteiligt, der erst wenige Wochen vor dem Überfall vorzeitig aus der Haft entlassen worden war. Außerdem dabei der Bruder des C18-Aushängeschildes Robin Schmiemann. Bei dem Überfall auf die Hirsch-Q kam eine potenziell tödliche Stichwaffe zum Einsatz, Gäste der Kneipe wurden zum Teil schwer verletzt. Der Messerstecher, der sich im Kreis der Skinfront bewegte und nach seiner verbüßten Haftstrafe in der JVA Iserlohn in den Süden Deutschlands zog, unterhielt beste Kontakte in das RechtsRock-Spektrum und war an der Organisation von Blood&Honour-Konzerten im In- und Ausland beteiligt. Einen Monat vor dem Überfall auf die Hirsch-Q, also im November 2010, war er noch zusammen mit anderen Dortmunder Neonazis auf einem Aufmarsch in den Niederlanden. Dort zog er mit Ed Polman, dem offiziellen Sprecher der niederländischen Combat 18-Fraktion, und dem einstigen Dortmunder Michael Krick von der Racial Volunteer Force durch Den Haag. Zusammen mit etwa 70 weiteren Neonazis demonstrierte er für die Freilassung von Josué Estébanez, der drei Jahre zuvor den 16-jährigen Antifaschisten Carlos Palomino in Madrid erstochen hatte.

Verhältnis zwischen Neonazi-Skins und NWDO

Mit dem Verbot des NWDO im August 2012 stellte die Skinfront ihre öffentlichen Aktivitäten unter dem Namen Skinheadfront Dortmund Dorstfeld weitgehend ein. Obwohl einige wenige Mitglieder der SFDD vom Innenministerium zur Kameradschaft Dortmund beziehungsweise dem NWDO gezählt wurden, fand die SFDD beim Verbot des NWDO keine Erwähnung durch die Sicherheitsbehörden und wurde nicht explizit verboten. Die engen Verbindungen bestanden auch in der Folgezeit, nachdem aus dem NWDO ein Kreisverband der Partei Die Rechte geworden war. Das zeigte sich beispielsweise am Wahlabend der Kommunalwahl 2014, als etwa 30 Neonazis versuchten, sich mit Gewalt Zugang zum Dortmunder Rathaus zu verschaffen und gemeinsam mit Siegfried Borchardt „mit einem Schlag ins Rathaus“ einziehen wollten. Patrick Brdonkalla trug dabei ein T-Shirt mit der Aufschrift „Weg mit dem NWDO-Verbot“. Daran zeigt sich einmal mehr, dass die neonazistischen Skinheads keine isolierte Gruppe, sondern fester Bestandteil der Szene sind. Brdonkalla und Wrobel nahmen auch weiter an zahlreichen Demonstrationen in Dortmund teil.

Neues Logo — „alte Bekannte“

Bei den unter dem Label Frontline Skinheads auftretenden Neonazis handelt es sich im Kern um etwa 16 Personen, die aus der „Kameradschaft“-Struktur der Skinfront und deren Umfeld kommen und bereits die „Kameradschaftsabende“ des NWDO besucht hatten. Sie sind innerhalb der Szene vernetzt, fest in Dortmund verwurzelt und kennen sich teilweise seit mehr als 15 Jahren. Die Gruppe verwendet in ihrem Logo das straffrei zeigbare Zahnrad-Symbol. Es handelt sich dabei um ein Symbol, das Bezug auf eine der größten NS-Massenorganisationen, die Deutsche Arbeitsfront (DAF), nimmt. Im Vordergrund des Logos ist als weiteres Symbol ein Paar Springerstiefel zu sehen. Gerahmt werden Zahnrad und Springerstiefel vom Gruppennamen. Auf den ersten Blick ist erkennbar, dass das Logo Bezug auf die SFDD nimmt. Die Verwendung des Namens „Frontline“ deutet zudem auf Bezüge zum Sicherheitsdienst Frontline, auch Frontline Security genannt. Hier sammeln sich Informationen von EXIF Recherche zufolge Mitglieder der ehemaligen Oidoxie Streetfighting-Crew, von Combat18 und der Arischen Bruderschaft. Frontline stellte in der Vergangenheit beispielsweise den Sicherheitsdienst der RechtsRock-Band Die Lunikoff Verschwörung bei bundesweiten Konzerten. Es dürfte auch kein Zufall sein, dass beim bereits erwähnten Auftritt der Die Rechte am 1. Mai 2021 unter anderem in Dorstfeld ausgerechnet Thorsten Heise als einer der Hauptredner auftrat.

„Dortmund bleibt deutsch“

Während sich die SFDD räumlich mehr oder weniger auf Oberdorstfeld konzentrierte, wohnen heute längst nicht mehr alle Dortmunder Neonazi-Skins in Dorstfeld. Im Lütgendortmunder Stadtgebiet rund um die Straße Flaespoete tauchten Anfang dieses Jahres Aufkleber mit der Aufschrift „Dortmund bleibt deutsch“ auf — in Anlehnung an das Motto der Skinheadfront „Dorstfeld bleibt Deutsch“. Der Slogan artikuliert einen nur mit rassistischer Gewalt zu erreichenden Machtanspruch, wie er in Dortmund schon des Öfteren propagiert wurde. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die in räumlicher Nähe durch Aufkleber offen zur Schau gestellten Sympathiebekundungen für die mittlerweile verbotene Organisation Combat18 und den Ku-Klux-Klan. In Lütgendortmund kam es im Frühjahr 2021 zu einem Angriff auf einen migrantischen Taxifahrer. In der Folge wurde ein Neonazi-Skin festgenommen, der Mitglied des NWDO war und gemeinsam mit seinem Bruder bei den Prozessen der Mitglieder der Skinheadfront anwesend war (siehe hierzu auch den Kurzbericht auf S. 41).

Alles nur Folklore?

An den personellen Kontinuitäten, dem an die Symbole der Skinfront angelehnten Merchandise und den von der Skinheadfront adaptierten Slogans wird deutlich, dass es sich bei den Frontline Skinheads Dortmund Dorstfeld um einen festen Zusammenhang handelt, der in der Tradition der SFDD steht. Augenscheinlich sind auch keine neuen Leute hinzugekommen. Zu den jüngeren Personen, die sich in dem Umfeld der Frontline Skinheads bewegen, zählt Thorben Vetter, der aber auch schon seit etwa zehn Jahren in Dortmund aktiv und mittlerweile Vorstandsmitglied des Dortmunder Die Rechte-Kreisverbandes ist. Verhältnisse wie in den 1990er oder 2000er Jahren, in denen Neonazis Dorstfeld zur vermeintlichen „No-go-Area“ für ihre erklärten Feinde machten, sind in Dortmund zwar vorbei, doch diese Zeit prägte eine ganze Generation extrem rechter Gewalttäter:innen — politisch und aktionistisch. Die Frontline Skinheads haben in der Vergangenheit in den Reihen ihrer „Kameradschaft“ Mörder hofiert und Kontakte zu Blood&Honour/ Combat18-Strukturen unterhalten. Es bleibt abzuwarten, ob ihre neue Aufmachung angesichts von Umbrüchen in der Dortmunder Szene nur Folklore ist oder es tatsächlich zu einer Radikalisierung und einem erneuten Gewaltanstieg kommt.

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