„Eine gewisse Affinität zum Dritten Reich“

Prozess gegen Elmar J. in Paderborn

Anfang 2022 fand vor dem Paderborner Landgericht ein Prozess statt, der die Frage klären wollte, wer Stephan Ernst, dem Mörder von Walter Lübcke, die Tatwaffe verkaufte. Angeklagt war ein Trödelhändler aus Ostwestfalen-Lippe. Nach vier Prozesstagen gab es einen Freispruch. Offene Fragen bleiben.

Anfang 2022 fand vor dem Paderborner Landgericht ein Prozess statt, der die Frage klären wollte, wer Stephan Ernst, dem Mörder von Walter Lübcke, die Tatwaffe verkaufte. Angeklagt war ein Trödelhändler aus Ostwestfalen-Lippe. Nach vier Prozesstagen gab es einen Freispruch. Offene Fragen bleiben.

Am 26. Juni 2019 kam es im ostwestfälischen Borgentreich-Natzungen (Kreis Höxter) zu einer Hausdurchsuchung und Festnahme, die für bundesweite Schlagzeilen sorgte. Betroffen war der heute 65-jährige Elmar J., der unter dem Verdacht stand, die Tatwaffe verkauft zu haben, mit der Stephan Ernst am 1. Juni 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordete. Der Hinweis, dass J. der mutmaßliche Waffenverkäufer sei, kam von Stephan Ernst selbst. Gegen J. wurde zunächst wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Mord ermittelt und er verbrachte mehrere Monate in Untersuchungshaft. Im Januar 2020 kam er wieder auf freien Fuß. Die Ermittlungsbehörden gingen zwar weiterhin davon aus, dass die Waffe von J. stammt, aber es bestanden Zweifel über das Ausmaß der Verstrickung von J. in die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten. Während Ernst nach 45 Prozesstagen am 28. Januar 2021 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt zu lebenslanger Haft verurteilt wurde (vgl. LOTTA #82, S. 50), begann der Prozess gegen J. dann im Januar 2022.

Verlauf des Prozesses

Das Medieninteresse beim ersten Prozesstag am 5. Januar 2022 am Paderborner Landgericht war größer als erwartet. Neben dem Tatbestand der fahrlässigen Tötung durch den Verkauf der Mordwaffe, einer Rossi Kaliber 38, wurde Elmar J. ein Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen, da im Rahmen der Hausdurchsuchung insgesamt 106 Patronen sichergestellt wurden. Die Staatsanwaltschaft warf J. vor, dass ihm hätte bewusst sein müssen, dass Stephan Ernst keine Waffenbesitzerlaubnis besaß und er damit hätte erkennen können, was Ernst mit der Waffe vorhabe. Elmar J., der sich vor Gericht nicht äußerte, ließ eine Erklärung durch seinen Anwalt Ashraf Abouzeid verlesen. In dieser hieß es, dass J. den Vorwurf des Besitzes der Munition einräume und bedauere. Den Vorwurf der fahrlässigen Tötung bestreitet J. Es habe diverse Verkaufstätigkeiten zwischen den beiden gegeben, aber die Tatwaffe hätte er Ernst nicht verkauft.

Elmar J. könne nur spekulieren, warum Stephan Ernst ihn beschuldige — wohl um die „wahren Hintermänner“ zu schützen. Ernst habe er über Handel auf Flohmärkten als „Peter aus Kassel“ kennengelernt. Angeblich hatte Ernst auch Interesse gezeigt, das Haus von J. zu kaufen. Bei einigen privaten Feiern von J. war Stephan Ernst, den er als sympathisch empfunden habe, zu Gast. Die politische Einstellung von Ernst bezeichnete J. als „rechtskonservativ“.

„Panzerjupp“

Bis zur Inhaftierung 2019 war Elmar J. als Trödelhändler vornehmlich auf Flohmärkten tätig, wo ihm viele Gegenstände „zugefallen“ seien, angeblich auch NS-verherrlichende Devotionalien und Bücher, die bei der Hausdurchsuchung im Juni 2019 gefunden wurden. Ein Polizeibeamter, der bei der Hausdurchsuchung eingesetzt war, beschrieb vor Gericht, dass in den Räumlichkeiten der ehemaligen Gaststätte, die sich im Haus von J. befand und von diesem von 2012 bis 2014 betrieben wurde, Bilder von Wehrmachtssoldaten und der Waffen-SS hingen und auf dem Thekenbereich eine kleine Holzfigur mit verziertem Hitlerbart stand. In einem Schuppen auf dem Grundstück hing eine Reichskriegsfahne. Elmar J. räumte in seiner Erklärung vor Gericht eine gewisse „Affinität zum Dritten Reich“ ein. Diese erklärte er durch sein gutes Verhältnis zu seinem Vater, der Panzerfahrer bei der Wehrmacht war. Mit ihm sei er in seiner Jugend auch in Kneipen gegangen, wo NS-Zeitzeugen zugegen waren, die ihn beeindruckt und geprägt hätten. Auch sein Nutzername „Panzerjupp1925“ bei dem Online-Verkaufsportal ebay rühre aus seiner engen Beziehung zu seinem Vater.

Warum er noch 2019 auf seiner Facebook-Seite unter anderem die NPD Sachsen likte, war nicht Gegenstand seiner Erklärung oder Thema vor Gericht. Auch konnte man nichts genaues über die Feiern bei J. erfahren, wo Ernst zugegen war. Die Raumgestaltung mit NS-verherrlichenden Bezügen dürfte diesem jedenfalls gefallen haben. Antifaschist*innen aus der Region war Elmar J. lediglich aus Materialien von Anfang der 1990er Jahre bekannt, da er sich mit Anschrift in Paderborn auf einer Adress- und Versandliste der Republikaner befand.

Keine Aussage

Schon kurz nach Eröffnung des ersten Prozesstages verkündete der leitende Richter Eric Schülke, dass ein geladener Zeuge nicht im Rahmen des Prozesses zur Verfügung stehen werde: Stephan Ernst. Da Ernst Revision gegen seine Verurteilung eingelegt hat, konnte er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Schon nach den ersten Zeug*innen, vornehmlich Polizeibeamt*innen, die im Rahmen der Ermittlungen zur Aufklärung des Mordes an Walter Lübcke eingesetzt waren, zeichnete sich ab, dass es für die Staatsanwaltschaft schwer werden würde, den konkreten Waffenverkauf zu beweisen. Denn im Raum standen wiederkehrend die belastenden Aussagen von Stephan Ernst. So ging es in den Befragungen der Zeug*innen vor Gericht direkt und indirekt immer wieder auch um dessen Glaubwürdigkeit, insbesondere aufgrund seines widersprüchlichen Aussageverhaltens im Rahmen der polizeilichen Vernehmungen.

Offene Fragen

Ein letzter Strohhalm der Staatsanwaltschaft war die beantragte Aussetzung des Verfahrens bis zu dem Zeitpunkt, an dem Stephan Ernst als Zeuge geladen werden kann. Da dies durch das Gericht am letzten Prozesstag abgelehnt wurde, musste selbst die Staatsanwaltschaft in ihrem Abschlussplädoyer einen Freispruch bezüglich des Vorwurfs des Waffenverkaufes fordern. Verurteilt wurde Elmar J. letztendlich für den Besitz der Munition zu einer Geldstrafe von 1.350 Euro (90 Tagessätze à 15 Euro) wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Das Gericht sah die Aussagen von Ernst, die durch verschiedene Zeugenvernehmungen von Polizeibeamt*innen, aber auch durch Dieter Killmer, der als Oberstaatsanwalt die Anklage gegen Ernst leitete, eingeführt wurden, als nicht konsistent glaubhaft zu bewerten. Unter anderem sagte Ernst im Laufe seiner Vernehmungen, dass nicht nur die Tatwaffe, sondern „alle Waffen“, die in dem von ihm angelegten Versteck gefunden wurden, von Elmar J. stammen würden.Nachweislich war dies aber bei mindestens drei Waffen nicht der Fall.

Deutlich wurde bei den Zeugenbefragungen der Ermittler*innen jedoch, dass in der Frage der Herkunft der Tatwaffe keine wirklichen Nachermittlungen durchgeführt wurden. Es wurde sich letztendlich — wie so oft im Komplex um den Mord an Walter Lübcke — alleine auf die Aussage von Ernst verlassen bzw. die verschiedenen Anklagen darauf zugeschnitten. Bei den Zeugenvernehmungen der Ermittler*innen zeigte sich, dass mit dem Geständnis von Ernst und der Offenlegung des Waffenversteckes die Herkunft der Waffen eine untergeordnete Rolle spielte. Widersprüche in den Angaben von Ernst wurden im Rahmen der Ermittlungen nicht geklärt. Der Prozess in Paderborn konnte diese auch nicht lösen.

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