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Die Finanziers der „Marburger Burschenschaft Germania“

Über die Finanzierung der extrem rechten „Marburger Burschenschaft Germania“ war bislang wenig bekannt. Drei der Burschenschaft zuzurechnende Vereine sowie mehrere einflussreiche „Alte Herren“ sichern mit ihrer finanziellen Unterstützung und Struktur das Überleben der Naziburschenschaft und ermöglichen die politische Arbeit der „Aktiven“.

Über die Finanzierung der extrem rechten „Marburger Burschenschaft Germania“ war bislang wenig bekannt. Drei der Burschenschaft zuzurechnende Vereine sowie mehrere einflussreiche „Alte Herren“ sichern mit ihrer finanziellen Unterstützung und Struktur das Überleben der Naziburschenschaft und ermöglichen die politische Arbeit der „Aktiven“.

Im Sommer 2020 überfielen mehrere vermummte Täter das Haus der Marburger Burschenschaft Frankonia, die im Schwarzburgbund organisiert ist. Die Burschenschaft veröffentlichte eine Stellungnahme auf ihrer Facebook-Seite, in der sie deutlich machte, dass es sich aus ihrer Sicht nicht um eine couleurstudentische Auseinandersetzung, sondern um einen gezielten Angriff mit politisch-krimineller Motivation gehandelt habe. Die Frankonen benannten Burschenschafter der Germania Marburg als potenzielle Täter und berichteten über den Ablauf des Geschehens. So soll es eine Auseinandersetzung gegeben haben, bei der Mitglieder der Frankonia rassistisch beleidigt und mit Schlägen bedrängt worden seien. Anschließend hätten sich mindestens zehn Personen Zugang zum Haus verschafft, dafür die Tür zerstört und im Erdgeschoss des Hauses randaliert. Auch soll mindestens ein Täter mit einem Messer und einem Schlagstock bewaffnet gewesen sein.

Ende Januar soll nun der Prozess vor dem Amtsgericht Marburg gegen drei Männer beginnen. Es wäre nicht das erste Mal, dass es aus den Reihen der Marburger Burschenschaft Germania zu Angriffen kommt (vgl. LOTTA #67, S. 26f.). Welche Netzwerke und Strukturen ermöglichen die extrem rechte Politik der Burschenschaft und tragen ihr gewalttätiges Verhalten mit?

Umfangreiche Recherche

Unter „lebensbund.org“ wurde kürzlich eine umfassende Recherche zu Personen und Strukturen der Marburger Burschenschaft Germania veröffentlicht. Neben Steckbriefen zu etlichen Mitgliedern sind dort mehrere ausführliche Analysetexte veröffentlicht. Das Projekt zielt darauf ab, das Rückgrat der Burschenschaft in den Blick zu nehmen: die „Altherrenschaft“. Die „Alten Herren sind zwar zu weiten Teilen nicht mehr in Marburg ansässig, aber weiterhin ein gewichtiger Teil der Burschenschaft. Der sogenannte „Lebensbund“ bildet die Lebensversicherung der Burschenschaften, denn die Alten Herren verwalten die Struktur, bieten Seilschaften und finanzieren die Burschenschaft über das umgekehrte Rentenprinzip.

Nach ihrer Aktivenzeit werden die Burschenschafter durch die sogenannte Philistrierung „Alte Herren“. Sie bleiben in der Regel jedoch durch interne Kommunikation mit der „Aktivitas“ verbunden, organisieren sich formell in eigenen der Burschenschaft zugehörigen Vereinen, zahlen Mitgliedsbeiträge und besuchen Veranstaltungen und Feste der Verbindung. Die Alten Herren stellen Grundlagen für die Struktur der „Aktivitas“, z.B. in Form des Hauses, bereit. Dadurch kann der Bund selbst einige Zeit ohne Nachwuchs auskommen, da die „Aktivitas“ jederzeit (re-)aktiviert werden kann, wenn sich nur eine Handvoll junger Rechter findet.

Manche der Alten Herren vertreten öffentlich den extrem rechten Kurs des Dachverbandes und prägen dessen Politik mit, prominente Beispiele sind der Verleger Philip Stein sowie Torben Braga, Abgeordneter der AfD im Thüringer Landtag. Die meisten Mitglieder der „Altherrenschaft“ halten sich jedoch bedeckter. Die Burschenschaft bietet Möglichkeiten für jede Form von Engagement.

Die Vereinsstruktur der „Marburger Burschenschaft Germania“

Die Immobilie in der Lutherstraße in Marburg wird von dem Hausverein Gesellschaft Germanenhaus verwaltet: „Zweck des Vereins ist die Förderung von Bildung und Erziehung des akademischen Nachwuchses einschließlich der Studentenhilfe.“ Wie Bildung und Erziehung im Sinne der Marburger Burschenschaft Germania aussieht, zeigt ein Blick auf eine Auswahl von Veranstaltungen, die in den letzten Jahrzehnten auf dem Haus organisiert wurden: Eingeladen waren unter anderem Pierre Krebs, Gerard Menuhin, Manuel Ochsenreiter, Götz Kubischek und Alain de Benoist (siehe LOTTA #73, 31 f.).

Die „Altherrenschaft“ organisiert sich in dem Verein Verband Alter Herren der Marburger Burschenschaft Germania. Ihr kommt eine nicht zu unterschätzende Autorität in der Burschenschaft zu. Im Klartext heißt das, dass die „Altherrenschaft“ den politischen Kurs der „Aktivitas“ im Allgemeinen unterstützt, finanziert und gutheißt. Oder sie auflösen kann, wie kürzlich bei der Burschenschaft Normannia zu Heidelberg geschehen.

Die Marburger Burschenschaft Germania verfügt noch über einen dritten Verein: den Förderverein Haus Dr. Kurt Fischer. Offizieller Zweck des Vereins ist die Denkmalpflege des Anwesens in der Lutherstraße, seine Mitglieder müssen nicht zwingend „Alte Herren“ sein. Die Besonderheit ist, dass die Burschenschaft selbst nicht im Vereinszweck auftaucht, sondern lediglich ihr Haus. Der Schluss liegt nahe, dass der Verein gegründet wurde, um reichen Alten Herren eine Unterstützungsmöglichkeit für die Burschenschaft zu bieten, ohne direkt mit dieser in Verbindung gebracht werden zu können und somit ihrem Ansehen und gesellschaftlichen Ruf zu schaden. Gründungsmitglieder des Fördervereins Haus Dr. Kurt Fischer sind überwiegend wohlhabende und gesellschaftlich angesehene ältere Herren aus dem Rhein-Main-Gebiet, die sonst kaum öffentlich im Kontext der Verbindung auftauchen. Zentraler Organisator ist ein Rechtsanwalt und Steuerberater, der Partner einer Kanzlei in der Frankfurter Taunusstraße ist, in deren Räumlichkeiten die Vereinsgründung auch stattfand. Politisch engagiert er sich in der FDP, für die er mehrfach zu Wahlen im Raum Frankfurt antrat. Ebenfalls in die Vereinsgründung involviert war ein Wirtschaftsjurist aus Butzbach, der für eine Bank als Leiter des Bereichs Geldwäscheprävention tätig ist. Als Leiter der Gründungsversammlung des Vereins trat ein Geschäftsführer aus Köln auf. Von 2017 bis 2020 war ein Frankfurter Rechtsanwalt der Zweite Vorsitzende des Vereins. Erster Vorsitzender des Fördervereins Haus Dr. Kurt Fischer ist zurzeit ein Darmstädter Orthopäde.

Mindestens zwei der drei Vereine sind als gemeinnützig anerkannt, genießen also steuerliche Vorteile. Weiterhin können SympathisantInnen ihre Spenden an die Vereine von der Steuer absetzen. Mit dem Konglomerat aus den drei Vereinen organisiert die Burschenschaft ihre Struktur — Haus, Lebensbund, Zeitung, Seilschaften, umgekehrtes Rentenprinzip — und macht damit möglich, dass die Marburger Burschenschaft Germania als Vernetzungspunkt der extremen Rechten agieren kann (vgl. LOTTA #73, S. 33f.).

Zahnärzte, Anwälte und Lehrer als Finanziers der Burschenschaft

Im Personenkreis, der die Struktur der Germania stellt, tummeln sich Juristen, Lehrer und Ärzte, von denen viele ihre Mitgliedschaft bei der einschlägigen Burschenschaft unter Verschluss halten. Im nordhessischen Witzenhausen betreiben zwei „Alte Herren“ eine allgemein-ärztliche Gemeinschaftspraxis, die von den Universitäten Marburg und Göttingen als Lehrpraxis geführt wird. In Gießen betreibt ein „Alte Herr“ eine Hautarztpraxis. Während seiner Zeit als Assistenzarzt an der Hautklinik Marburg wurde er auch Mitglied der Marburger Burschenschaft Germania. Der Zahnarzt Steffen Tschackert, der für das Lächeln verschiedener Promis von „Germany’s next Topmodel“ bis zur Fußballnationalmannschaft der Herren verantwortlich ist, ist eines der Gründungsmitglieder des Förderverein Haus Dr. Kurt Fischer.

Niemand wird und bleibt zufällig oder unwissentlich Mitglied der Marburger Burschenschaft Germania. Die Burschenschaft organisiert eine rechte Lebenswelt und versucht, hierüber Nachwuchs für die extreme Rechte zu ziehen. Es ist gängig, dass in manchen Familien Männer über Generationen hinweg Mitglieder in Bünden des Dachverbands Deutsche Burschenschaft werden, so auch bei der Marburger Burschenschaft Germania.

Ein Rechtsanwalt aus Kassel folgte etwa seinem Vater, einem Zahnarzt, in die Burschenschaft. Eine ähnliche Geschichte verbirgt sich hinter einer Familienapotheke in Wabern. Der aktuelle Betreiber ist wie zuvor sein 2020 verstorbener Vater Mitglied der Burschenschaft. Zudem ist er für die Freien Wähler im Ort aktiv: Er trat bei der Kommunalwahl 2021 auf Listenplatz 1 an und ist für den Internetauftritt der Partei verantwortlich.

Ein weiteres Berufsfeld, in dem sich „Alte Herren“ finden lassen, ist das des Lehrers: beispielsweise an einer Schule im Raum Buseck oder an einem Gymnasium in Hünfeld. Dort ist der Sohn von Heiner Hofsommer, der vor seinem Tod 2018 Mitbegründer der AfD in Hessen war und für sich in einem Interview mit der FAZ im Jahr 2015 in Anspruch nahm, das „politische Talent“ des Faschisten Björn Höcke entdeckt zu haben, Lehrer. Ein anderer „Alte Herr“ aus Wiesbaden war Lehrbeauftragter an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden.

Über Carsten Nödel, Direktor einer Grundschule in Uschlag, schrieb die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine 2012: „Es ist die Arbeit an einer Grundschule, die ihn als Lehrer besonders reizt. Dort könne man den Erfolg seiner Bemühungen an der Entwicklung der Kinder besonders gut gut [sic] sehen.“ Nödel ist laut Eigenaussage Mitglied der Kasseler Burschenschaft Germania und wollte 2017 Mitglied bei der Marburger Burschenschaft Germania werden. Im Zuge der Spaltung des Dachverbandes hatte auch sein früherer Bund, die Burschenschaft Hannovera Göttingen, die Deutsche Burschenschaft verlassen. Neben internen Streitigkeiten begründete Nödel seinen Austritt mit der politischen Veränderung der Verbindung. Es sei beantragt worden, das Wort „deutsch“ aus der Satzung zu streichen, sodass „faktisch auch Ausländer“ aufgenommen werden könnten.

Das Fundament der umtriebigen und zum Teil gewalttätigen „Aktivitas“ bildet ein Netzwerk aus Juristen, Ärzten, Apothekern, Lehrern und weiteren wirtschaftlich gut aufgestellten und gesellschaftlich verankerten Personen. Das bürgerliche Antlitz der Akademiker, die die „Altherrenschaft“ bilden, versucht die faschistische Ideologie zu verschleiern, der sie in der Burschenschaft durch ihre lebenslange Mitgliedschaft verbunden sind und die sie aktiv unterstützen.

So gewährleisten sie durch ihre gesellschaftlich renommierten Berufe mit entsprechenden finanziellen Mitteln den Fortbestand der extrem rechten Kaderschmieden.

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