„Neoliberaler und autoritärer Umbau des Staates“

Interview mit Michael Bonvalot zur politischen Entwicklung in Österreich

Anlässlich einer Vortragsreise zum Thema „Österreichs extreme Rechte im Zentrum der Macht. Wie die FPÖ den Aufstieg in die Regierung geschafft hat — und was jetzt passieren wird“ tourte der Wiener Journalist Michael Bonvalot Ende Februar 2018 durch NRW. Stationen waren Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf und Münster. LOTTA nutzte die Chance, ihn zu einem Interview zu überreden.

Anlässlich einer Vortragsreise zum Thema „Österreichs extreme Rechte im Zentrum der Macht. Wie die FPÖ den Aufstieg in die Regierung geschafft hat — und was jetzt passieren wird“ tourte der Wiener Journalist Michael Bonvalot Ende Februar 2018 durch NRW. Stationen waren Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf und Münster. LOTTA nutzte die Chance, ihn zu einem Interview zu überreden.

Lieber Michael, ist der Eintritt der FPÖ in die Regierung eine Überraschung für dich gewesen?

Diese Regierungsbeteiligung ist letztlich das logische Ergebnis eines Prozesses, bei dem sowohl Sozialdemokratie wie auch Konservative der FPÖ seit Jahren inhaltlich nachlaufen und sie damit auch legitimieren. Insofern hatte sich der Eintritt der FPÖ in die Regierung bereits seit Längerem abgezeichnet. Die FPÖ ist in den vergangenen Jahren immer stärker geworden. In der Stichwahl zur Bundespräsidentschaftswahl 2016 kam ihr Kandidat Norbert Hofer ja bundesweit bereits auf fast 50 Prozent der Stimmen. Im Vorfeld der Nationalratswahl 2017 gab es dann sowohl in der ÖVP wie in der SPÖ starke Stimmen, die auf eine Koalition mit der FPÖ orientierten. Auch Teile der sozialdemokratischen GewerkschafterInnen hofften, in einer Koalition mit der selbst ernannten „sozialen Heimatpartei“ FPÖ ihre Forderungen besser durchsetzen zu können. In Anbetracht der extrem unternehmerfreundlichen Ausrichtung der FPÖ ist das allerdings absurd. Gleichzeitig kamen aus der FPÖ starke Signale in Richtung ÖVP. So wurde etwa 2017 ein neues Wirtschaftsprogramm der FPÖ vorgestellt, das in seiner offen neoliberalen Ausrichtung ein Bewerbungsschreiben bei der Industrie und der ÖVP darstellte.

Wie ist der Regierungsantritt in Österreich aufgenommen worden?

Die WählerInnen von ÖVP und FPÖ scheinen aktuell weitgehend zufrieden. Es war ohnehin auch schon vor der Wahl ziemlich eindeutig, dass die beiden Parteien eine Koalition bilden wollen. Doch auch für GegnerInnen von Schwarz-Blau war die Entwicklung keine Überraschung. Das ist auch ein Grund, warum es noch relativ wenig Proteste und Widerstand gibt. Ein anderer ist, dass die FPÖ auf Länder- und Stadtebene bereits sowohl mit der SPÖ wie mit der ÖVP regiert. Da gibt es also auch eine Stimmung, dass es nicht so schlimm werden wird. Allerdings tun sich erste Verwerfungen auf. Beispielsweise möchte die Regierung einen Regelarbeitstag von zwölf Stunden einführen. Das ist eine zentrale Forderung aus der Industrie, weil dann die Bänder im Zwei-Schicht-Betrieb durchlaufen können. Ein weiterer Angriff, der im Raum steht, ist ein Hartz-IV-Modell nach deutschem Vorbild. Beides führte nach Bekanntwerden zu enormen Protesten auf der Facebook-Seite von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Er musste mehrmals ausrücken, um die Gemüter zu beruhigen, was allerdings nur mäßig gelangt.

Formiert sich jetzt eine neue linke Opposition?

Aktuell ist davon nichts zu bemerken. Die Sozialdemokratie versucht teilweise sogar, die FPÖ rechts zu überholen. So erklärte etwa der Bundesgeschäftsführer der SPÖ, dass Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider heute SPÖ wählen würde. Die SPÖ kritisierte die FPÖ auch dafür, angeblich zu viele neue MigrantInnen nach Österreich zu holen. Die Grünen sind nach dem überraschenden Herausfallen aus dem Parlament weitgehend mit sich selbst beschäftigt. Gleichzeitig sind sie auf Länderebene an Regierungskoalitionen beteiligt und haben dabei auch Sozialabbau-Maßnahmen zugestimmt. Die Liste Pilz, also ihre Abspaltung, die es ins Parlament geschafft hat, wirkt willkürlich zusammengestoppelt. Im Wahlkampf hatte sich Parteigründer Peter Pilz, ein langjähriger grüner Abgeordneter, sogar deutlich gegen MigrantInnen positioniert. Die Kommunistische Partei ist ein Randphänomen und hat bundesweit bei Wahlen rund ein Prozent. Einzig in Graz, der Hauptstadt der Steiermark, hat sie als historische Ausnahme bei regionalen Wahlen über 20 Prozent und wird als soziale Alternative wahrgenommen. Die Partei ist dort allerdings der Auseinandersetzung mit dem Rassismus lange aus dem Weg gegangen. Das fällt ihr nun auf den Kopf, weil WählerInnen zur FPÖ übergehen. Insgesamt hätte die Linke sicher Potenzial. Sie schafft es aber nicht, das abzuholen. Nach verschiedenen Umfragen würden rund 20 Prozent der Bevölkerung eine linke Partei begrüßen, aber das materialisiert sich nicht. Debatten in diese Richtung gibt es bereits seit längerem. Ein Problem bei der Umsetzung dürfte sein, dass diese Projekte ohne soziale Proteste wenig konkrete Zielsetzung haben. Sehr viele Linke in Österreich wählen auch weiterhin sozialdemokratisch beziehungsweise grün oder sind in diesen Parteien aktiv. Ich denke aber, dass es über kurz oder lang zur Herausbildung einer neuen linken Wahlformation kommen wird. Was dann daraus entsteht, muss sich zeigen.

Wie würdest du die FPÖ in ihrem bisherigen Werdegang und in ihrer aktuellen Verfassung politisch charakterisieren?

Die FPÖ war nach dem Zweiten Weltkrieg die Adresse für jene Nazis, die nicht zu SPÖ und ÖVP überwechseln wollten. Gleichzeitig wäre es verkürzt, die FPÖ als Nazi-Partei zu definieren. In Hinblick auf die ideologische Ausrichtung großer Teile ihres Funktionärskaders ist das sicher zutreffend. Aber es kann die Rolle der FPÖ nicht beschreiben. Es wäre etwa nicht zu erkennen, dass die FPÖ in Richtung einer faschistischen Machtübernahme gearbeitet hat. Bis in die 1980er Jahre war die FPÖ so etwas wie eine NS-nostalgische Honoratiorenpartei mit einem deutschnationalen Kern aus Burschenschaftern, kleinbürgerlichen Eliten, Freiberuflern und Unternehmern. Jörg Haider formte aus der FPÖ dann ab Mitte der 1980er Jahre eine modernisierte Rechtsaußen-Partei.

Ich würde die FPÖ insgesamt als extrem rechte Partei definieren. Also klar am rechten Rand des Parteienspektrums, aber nicht über die bürgerlich-demokratische Herrschaftsform des Kapitalismus hinausgehend. Das bedeutet natürlich nicht, dass sich so etwas unter anderen Rahmenbedingungen nicht ändern kann.

Welche Bedeutung haben die „Identitären“?

Die FPÖ schätzt an der neofaschistischen Identitären Bewegung zweifellos, dass sie mit Aktionismus für Medienöffentlichkeit sorgt. Im Gegenzug kann die FPÖ für einen gewissen Schutz sorgen und dient als Verstärker. Einzelne IB-Kader haben auch schon ihren Weg in die FPÖ geschafft, etwa als parlamentarische Mitarbeiter. Das werden wir künftig sicher öfter sehen.

Wichtige Verbindungen laufen dabei wiederum über die Burschenschaften, wo auch viele IB-Kader Mitglieder sind. Diese enge Vernetzung finde ich doch bemerkenswert. Denn die Verzahnung mit den traditionalistischen deutschnationalen Burschenschaften passt nicht so ganz zum selbst gewünschten Image der modernisierten rechten Bewegung, das die IB so gern zeichnen möchte. Über die Burschenschaften schließt sich übrigens auch wieder der Kreis zur FPÖ. In letzter Zeit scheint die IB zu stagnieren. Das hat vor allem in Wien sicher auch mit dem antifaschistischen Widerstand zu tun. Gleichzeitig ist die Kaderdecke der Gruppe schlicht zu dünn für all ihre Vorhaben. Der Aufbau in Deutschland wurde wesentlich aus Österreich getragen, dazu kommen internationale Projekte wie „C-Star“, schließlich haben manche Kader sich anders orientiert. Das geht für diese letztlich kleine Gruppe schnell an die Substanz.

Welche Maßnahmen stehen unter der neuen Regierung an und wo liegen da die Konfliktlinien und Sollbruchstellen?

Grundsätzlich geht es beiden Parteien um einen neoliberalen und autoritären Umbau des Staates unter ihrer Kontrolle. Auf der sozialen Ebene bedeutet das etwa weniger Ausgaben für den Sozialstaat, Einschränkung des Arbeitsrechts und Senkung von Steuern für Unternehmen. Dazu kommen Angriffe gegen MigrantInnen und geflüchtete Menschen, die teils ideologisch motiviert sind, teils wohl auch als Ablenkung dienen. Eine weitere Ebene ist der Ausbau von Überwachungsmaßnahmen. Und schließlich geht es um Kontrolle und Posten im Staatsapparat.

Im Frühjahr gibt es noch mehrere Wahlen zu Länderparlamenten, danach könnten schwerere Angriffe kommen. Solange nur kleinere Gruppen protestieren, kann die Regierung das aussitzen. Schwierig wird es für Schwarz-Blau, wenn der Protest massenwirksam wird. Ein wesentlicher Punkt dabei ist die Rolle der Gewerkschaften. Der ÖGB ist traditionell sehr sozialpartnerschaftlich orientiert, dazu kommt der bereits erwähnte Rot-Blau-Flügel. Es bleibt abzuwarten, ob sich hier kämpferische Positionen verstärkt durchsetzen werden.

Welche Bedeutung haben FPÖ und AfD füreinander?

Vor allem spielt die FPÖ für die AfD eine wesentliche Rolle. Es gibt eine enge Zusammenarbeit und mit der „Blauen Allianz“ auch eine offizielle Vernetzung. Die FPÖ ist zweifellos eine wichtige Geburtshelferin für die AfD. Sie hatte ja bereits lange versucht, in Deutschland ein Gegenstück aufzubauen, etwa mit der Unterstützung der pro-Strukturen. Die FPÖ ist für die AfD einerseits ideologisches Vorbild, andererseits zeigt sie auch, was grundsätzlich möglich ist.

Das bedeutet natürlich auch etwas für AntifaschistInnen in Deutschland: Sehr viel, was etwa jetzt in Deutschland passiert, ist in Österreich bereits Realität: Der Masseneinfluss einer extrem rechten Wahlpartei mit NS-affinen Kernen, die parlamentarische Etablierung der Burschenschaften und der Einbruch eines neoliberalen rechten Stoßtrupps in Kernschichten der ArbeiterInnenbewegung.

Ich denke, dass auch Regierungsbeteiligungen der AfD auf Länderebene nicht allzu fern sind. AktivistInnen in Deutschland sollten meines Erachtens die Lage in Österreich sehr genau analysieren und sehen, was da passiert ist.

Wie schätzt du die künftige politische Entwicklung in Österreich ein?

Aktuell scheinen ÖVP und FPÖ fest im Sattel zu sitzen, auch die weit verbreitete rassistische Grundstimmung kommt ihnen klarerweise entgegen. Aber wer hoch zu Ross reitet, kann natürlich auch fallen. Ob das der Fall ist, wird vor allem davon abhängen, ob und wie sich größere widerständige Bewegungen entwickeln. Grundsätzlich glaube ich, dass solche Bewegungen vor allem über die soziale Frage entstehen könnten. Allerdings ist damit allein natürlich noch nicht alles gewonnen. Sozial enttäuschte RassistInnen sind immer noch RassistInnen. Es braucht also klarerweise auch die intensive Auseinandersetzung mit rassistischen Vorurteilen. Wie das Ganze ausgeht, ist ungewiss — derzeit sieht es auch nicht besonders gut aus. Aber grundsätzlich gilt ja immer, dass die Zukunft noch zu schreiben ist!

Herzlichen Dank für deine Antworten auf unsere Fragen!

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