Tatort Halskestraße

Ein rassistischer Brandanschlag 1980 in Hamburg

In der Nacht vom 21. auf den 22. August 1980 warfen Mitglieder der „Deutschen Aktionsgruppen“ (DA) drei Molotowcocktails in ein Fenster einer Unterkunft für Geflüchtete in der Halskestraße in Hamburg-Billbrook. In dem Zimmer hielten sich zu der Zeit Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân auf. Beide wurden bei dem Anschlag ermordet.

In der Nacht vom 21. auf den 22. August 1980 warfen Mitglieder der „Deutschen Aktionsgruppen“ (DA) drei Molotowcocktails in ein Fenster einer Unterkunft für Geflüchtete in der Halskestraße in Hamburg-Billbrook. In dem Zimmer hielten sich zu der Zeit Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân auf. Beide wurden bei dem Anschlag ermordet.Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân waren mit weiteren Flüchtlingen zusammen von der Besatzung der Cap Anamur aus dem südchinesischen Meer gerettet worden. Etwa 11.000 sogenannte „Boat People“ wurden von der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Gegen die Aufnahme von Geflüchteten regte sich auch damals schon Protest von rassistischen Bevölkerungsteilen. Die DA knüpften mit ihrem Anschlag an eben diese Stimmung an.

Sibylle Vorderbrügge und Raymund Hörnle waren am 20. August 1980 auf dem Weg nach Flensburg, um den damals untergetauchten Manfred Roeder (vgl. LOTTA #46 S.23 ff), Kopf und Gründer der DA, zu treffen. In Hamburg übernachteten sie bei Unterstützern. Am nächsten Tag, dem 21. August, fuhren sie weiter und kauften sich an einer Tankstelle das Hamburger Abendblatt. Auf der ersten Seite wurde davon berichtet, dass am Vortag Asylbewerber_rinnen aus Hessen nach Hamburg gebracht worden waren, die in der Unterkunft in der Halskestraße in Hamburg Billbrook untergebracht werden sollten.

Aufgrund dieser Zeitungsmeldung fassten Hörnle und Vorderbrügge den Plan, auf die Unterkunft einen Anschlag zu verüben. Sie informierten Roeder und kundschafteten die Unterkunft aus. Nachts kamen sie wieder, um den Anschlag durchzuführen. Mit roter Farbe hinterließen sie an der Unterkunft die Parole „Ausländer raus!“ Am 22. August schrieb Roeder in sein Tagebuch: „Befreiung beginnt. Heute, wo ich am tiefsten mutlos und mit Halsschmerzen krank bin, hat Deutschlands Befreiung begonnen. Der Funke ist übergesprungen.“

Die Anschlagsserie

Zwischen Februar und August 1980 verübten die DA sieben Brand- oder Sprengstoffanschläge, bei denen zwei Menschen ermordet und acht weitere teilweise schwer verletzt wurden.

In Hamburg hatten Mitglieder der DA bereits am Nachmittag des 27. April einen Anschlag auf die Janusz-Korczak-Schule verübt. Bei der Explosion der vor dem Eingang des Gebäudes platzierten Rohrbombe wurden zwei Menschen verletzt. Die Schule war erst am 20. April umbenannt worden. In der Nacht vom 20. auf den 21. April 1945 waren in dem Schulgebäude 20 jüdische Kinder, zwei niederländische und zwei französische Widerstandskämpfer sowie 24 sowjetische Kriegsgefangene erhängt worden.

Ab Ende Juli verübten Mitglieder der DA mehrere Anschläge auf Unterkünfte für Geflüchtete. Bei einem Sprengstoffanschlag auf eine Unterkunft in Baden-Württemberg wurden Anfang August zwei Äthiopierinnen verletzt. Auch Drohbriefe gegen die Aufnahme von Asylsuchenden wurden von den DA versendet.

Der Prozess

Im September 1980, knapp zwei Wochen nach dem Anschlag in Hamburg, wurden die Täter_innen und weitere Mitglieder der DA festgenommen. Unter ihnen Hörnle, Vorderbrügge, Roeder und Heinz Colditz. Gegen diese vier von insgesamt 16 bekannten Mitglieder der DA wurde Anfang 1982 auf Betreiben der Bundesanwaltschaft (BAW) in Stuttgart-Stammheim der Prozess eröffnet. Zu Beginn des Prozesses erweiterte das Gericht gegen den Willen der BAW die Anklage vom Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung auf den Tatbestand des versuchten Mordes. Außerdem sah das Gericht, wiederum im Gegensatz zur BAW, den Angeklagten Roeder „[…] der Mittäterschaft bei der Ermordung der beiden Vietnamesen [hinreichend verdächtig]“.

Roeders Mitschuld an den Anschlägen der DA wurde auch während des Prozesses von den Vertretern der Bundesanwaltschaft heruntergespielt. So erklärte Bundesanwalt Wolfgang Kube, der Tagebucheintrag Roeders von der jetzt beginnenden „Befreiung“ meine nicht die Ermordung der Vietnamesen und bedeute damit nicht, dass Roeder von der Tat vorher gewusst habe. „Zugunsten Roeders ist davon auszugehen, dass er an eine Farbbeutel- oder Sprühdosen-Aktion gedacht“ habe, nicht an Rohrbomen und Molotowcocktails, konstatierte Gerhard Athing, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der BAW.

In den Plädoyers der BAW war nichts zu den gesellschaftlichen Hintergründen und den vielen Unterstützer_innen der DA zu hören, denen nicht der Prozess gemacht wurde. Auch über die Neonazi-Netzwerke, mit denen die DA in Kontakt standen, und die Geldgeber für die Anschläge verlor die BAW kein Wort.

Roeder wurde als Rädelsführer und wegen der „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ zu 13 Jahren Haft verurteilt. Colditz erhielt eine sechsjährige, Vorderbrügge eine zwölfjährige Haftstrafe. Hörnle bekam lebenslänglich.

Der Umgang mit dem Anschlag

Nach der Tat wurde bundesweit über den Anschlag berichtet. Politiker_innen bezogen Stellung und verurteilten die Tat. Doch es gab auch relativierende Stimmen. Der bayrische Innenminister Gerold Tandler äußerte in einem Interview nach der Festnahme der DA-Mitglieder, man solle keine „Schattengefahr“ aufbauen, die größte Gefahr gingevom „Linksextremismus“ aus. Kurz darauf, am 26. September, starben zwölf Menschen sowie der Attentäter beim Münchener Oktoberfestattentat.

Die Stadt Hamburg organisierte die Beisetzung von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân auf dem Öjendorfer Friedhof. Der Erste Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) zeigte sich betroffen und zog in seiner Rede auf der Trauerfeier vor etwa 400 Menschen eine Parallele zu den Nationalsozialisten. Doch währte die Betroffenheit nicht lange. Schnell verschwand der Mord für Jahrzehnte in die organisierte Vergessenheit. Die überlebenden Vietnames_innen wurden in anderen Wohnungen untergebracht. Das ausgebrannte Zimmer renoviert und neue Geflüchtete in der Unterkunft aufgenommen.

Heute fast vergessen

Heute wird das Gebäude als Hotel genutzt. Es liegt in einem Gewerbegebiet, am Rande des Hafens von Hamburg, umgeben von Brachflächen, Bahngleisen und abgestellten Fahrzeugen. Keine

Gedenktafel oder andere Hinweise erinnern an den Anschlag. Vor einigen Jahren wurde ein Rezeptionist des Hotels mit den Worten zitiert: „Davon habe ich noch nie etwas gehört.“ Auch die Gräber von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân auf dem Öjendorfer Friedhof wurden mittlerweile aufgelöst. Nirgendwo in der Stadt wird der Opfer gedacht. Die geschichtliche Amnesie wurde besonders deutlich, als im Febraur 2014 drei Menschen in Hamburg-Altona bei einem Brand in einer Unterkunft für Geflüchtete starben. NDR aktuell gegenüber äußerte sich damals eine Sprecherin der Hamburger Polizei wie folgt: „Wir haben hier in Hamburg einen Brandanschlag mit fremdenfeindlichem Hintergrund noch nie gehabt.“ Dabei wurden allein in den 1980er Jahren mehrere Menschen in Hamburg aus rassistischen Motiven ermordet.

Die Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân engagiert sich seit Jahren dafür, dass vor der Unterkunft eine Gedenktafel errichtet, die Straße umbenannt und ein Gedenkort geschaffen wird. Zumindest der Gedenk­ort auf dem Öjendorfer Friedhof nimmt gerade Gestalt an.

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