Carlos als Teil der Popkultur und als Medienikone.

Ein selbst-erklärter Revolutionär

„Carlos“ und der sich links gebende Antiimperialismus

Die Geschichte des seinerzeit als „Top-Terroristen“ bezeichneten „Carlos“ ist für Linke ein warnendes Beispiel dafür, wohin ein verklärter militanter Antiimperialismus führen kann. Es zeigt auch die Macht der Mythen und Bilder für schlichte Gerechtigkeitsvorstellungen, in denen Abwägung und Analyse keine Rolle mehr spielen.

Ilich Ramírez Sanchez wuchs in einer wohlsituierten Familie in der venezolanischen Hauptstadt Caracas auf. Den Vornamen wählte sein Vater nach dem Vorbild von Lenin aus. Schon im Alter von zehn Jahren wurde Ramírez in der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Venezuelas angemeldet, sein Studium begann er auf Initiative seines Vaters zusammen mit seinem Bruder in Moskau, wo er erstmals Kontakt zu palästinensischen Gruppen bekam. Nach seinem Rauswurf aus der Universität reiste der 20-Jährige nach Beirut, um seinen Traum als Revolutionär zu verwirklichen und meldete sich beim Rekrutierungsbüro der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die Teil der Dachorganisation PLO war und als radikale, vorgeblich marxistisch ausgerichtete Gruppierung gewalttätig gegen staatliche und zivile Ziele in Israel sowie schlicht gegen Juden vorging. Sie wurde angeführt von den zwei Medizinern George Habasch und Wadi Haddad, die den Kurs der von Abspaltungen geprägten Organisation bestimmten, bevor auch sie sich zerstritten und Haddad ein Spezialkommando gründete, das sich auf Flugzeugentführungen spezialisierte. Politisch ging es ihnen um die Schaffung einer nationalen Einheit, nicht um soziale Partizipation oder Klassenkampf. Ihr angebliches Linkssein wurde hergeleitet aus einem panarabischen Nationalismus und einer antiimperialistischen Mär von „kämpfenden“ und sich „befreienden Völkern“, was mit Marxismus wenig bis gar nichts zu tun hatte. Zivile Objekte wie Flugzeuge, Bars und Restaurants und die darin befindlichen Menschen wurden zu Zielen terroristischer Anschläge eines verklärten „Antiimperialismus“.

Mythos „Schakal Carlos“

Bei seiner „Bewerbung“ schlug der PFLP-Pressesprecher Bassam Abu Sharif dem Bewerber Sanchez vor, den Kampfnamen „Carlos“ anzunehmen, weil sich dieser aus dem Arabischen ‚Al Chalil Al Rahman‘ ableitete, was „der, den Gott liebt“ bedeutet. Der Aufstieg von „Carlos“ vom Laufburschen der PFLP zum weltweit meist gesuchten Terroristen begann: Zunächst war er die rechte Hand des PFLP-Statthalters in Europa, dem Libanesen Michel Moukarbel. Seine „Feuertaufe“ bestand in einem Auftragsmord an dem Präsidenten der British Zionist Federation, Josef Edward Sieff, im Dezember 1973. Der Mordanschlag in der Wohnung von Sieff schlug nur deshalb fehl, weil die Kugel durch die Zähne des Opfers die Schussbahn änderte und dadurch die mörderische Wirkung verfehlte.

1975 geriet Moukarbel ins Visier der französischen Spionageabwehr DST, wurde observiert und schließlich verhaftet. Die Beamten interessierten sich auch für „Carlos“ Sanchez. Moukarbel erzählte ihnen, dass „Carlos“ ein Bekannter und „Schürzenjäger“ sei. Auf Drängen führte er zwei Beamte in die Wohnung einer Freundin von „Carlos“, wo gerade eine Party stattfand. „Carlos“ fühlte sich enttarnt und erschoss im Beisein der Partygäste die zwei DST-Beamten sowie Moukarbel, den er als Verräter strafen wollte. „Carlos — DST 3:0“ betitelte daraufhin die linksliberale Tageszeitung Liberation geschmacklos ihren Aufmacher. Trotz der Hinrichtung von Moukarbel, die Kaltblütigkeit von „Carlos“ empfahl ihn in den Augen von PFLP-SC-Führer Haddad für weitere und „höhere“ Ziele — für mehr Gewalt und Terror. So schmiss „Carlos“ etwa im September 1975 eine Handgranate in ein Pariser Café — ein Anschlag mit zwei Toten und 34 Schwerverletzten, darunter ein kleiner Junge mit abgerissenem Arm.

Reißerische Berichterstattung nährte seinen Mythos: „Carlos, der Schakal“ wurde geboren. Den Tierbeinamen erhielt er durch einen Fund in der Wohnung seiner Geliebten. Im Regal, hinter dem er eine Waffe versteckt hatte, befand sich eine Ausgabe des Romans „Der Schakal“ von Frederik Forsyth. Im Roman erhält ein Profikiller den Auftrag, den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle zu liquidieren. Durch die britisch-französische Verfilmung „The Day of the Jackal“ wurde die Geschichte 1973 allgemein bekannt. Sanchez sonnte sich in diesem Vergleich und übernahm diese Bezeichnung aus Eitelkeit.

Verbindung zur militanten deutschen Linken

„Carlos“ knüpfte Verbindungen zu zahlreichen Gruppen des internationalen israelfeindlichen Terrorismus’: Kontakte zur baskischen ETA, zu den italienischen Roten Brigaden und zur Japanischen Roten Armee sowie zu militanten linken Gruppen in Westdeutschland, darunter die RAF und die Bewegung 2. Juni. Besonders eng wurden die Verbindungen zu den Revolutionären Zellen (RZ), insbesondere zur RZ-Gruppe der Frankfurter Szene um den Buchladenverlag „Roter Stern“, darunter die RZ-Mitbegründer und -Mitglieder Johannes Weinrich, Magdalena Kopp, Wilfried Böse, Gerd Schnepel, Brigitte Kuhlmann und Hans Joachim Klein. Die RZ spaltete sich in der Folgezeit in einen sogenannten nationalen und in einen internationalen Flügel auf — Weinrich und Kopp zählten zu letzterem mit starken Bezügen zur palästinensischen „Befreiungsbewegung“. Der andere RZ-Flügel konzentrierte sich auf sozialrevolutionär ausgerichtete militante Aktionen in Deutschland.

Schon die erste Aktion des militanten RZ’lers Weinrich mit „Carlos“ und der PFLP hatte eine judenfeindliche Stoßrichtung: Er war festgenommen worden, weil er am 13. Januar 1975 auf dem Pariser Flughafen Orly den Libanesen Ahmed Ammar Tarek unterstützte, der von der Besucherterrasse mit einem Panzerabwehrgeschoss auf ein israelisches Flugzeug mit 135 Passagieren an Bord schoss, dieses aber verfehlte. Weinrich, der laut den Memoiren von Kopp früher in einem israelischen Kibbuz gelebt und gearbeitet hatte, entwickelte sich zu einem der brutalsten Terroristen der israelfeindlichen deutschen Linken.

OPEC-Konferenz und PFLP-Rauswurf

Was den Star-Kult um „Carlos“ endgültig besiegelte, war der Überfall auf die Ministerkonferenz der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) im Dezember 1975 in Wien. Ein sechsköpfiges internationales Kommando unter Mitwirkung des deutschen RZ’lers Hans Joachim Klein und der deutschen Gabriele Kröcher-Tielemann von der Bewegung 2. Juni nahm 62 Geiseln, unter ihnen befanden sich auch einige Erdölminister. Der Überfall war wohl auch eine von Haddad geplante Gefälligkeitsaktion für den libyschen Despoten Muammar al-Gaddafi. Dieser wollte einerseits sein Ansehen im arabischen Raum stärken und anderseits dürstete er nach Liquidierung des saudi-arabischen Erdölministers Ahmed Zaki Yamani und des iranischen Ölministers Dschamschid Amusegar. Deren Ermordung scheiterte aber am chaotischen Ablauf einer Odyssee in einem entführten Flugzeug, weil die libysche Regierung den Terrorist*innen den Ausstieg verbot.

Daraufhin landeten sie im algerischen Algier, wo seine Verhandlungspartner „Carlos“ viel Geld für die Freilassung der zwei Ölminister anboten. Trotz internen Streits willigte „Carlos“ ein, die Entführung wurde abgebrochen und die Terrorist*innen entspannten sich in algerischen Luxushotels. Was „Carlos“ nun genau für den Deal erhalten hatte, ist nicht überliefert. Die Rede war von 5 Millionen Petrodollar und mehr. Bei der Geiselnahme wurden drei Menschen erschossen. Durch mediale Verbreitung von Kommuniqués wurde auf die Situation der Palästinenser*innen hingewiesen. Da PFLP-SC-Chef Haddad sein Versprechen an Gaddafi nicht einlösen konnte und sich „Carlos“ zudem seinen Befehlen widersetzt hatte, wurde der zu seiner Schande aus der PFLP ausgeschlossen.

Die „Organisation Internationaler Revolutionäre“ (OIR)

Gekränkt gründete „Carlos“ mit der OIR seine eigene Gruppe, in welcher der deutsche RZ`ler Weinrich zum Stellvertreter aufstieg. Weinrichs Lebensabschnittsgefährtin Kopp wurde ebenfalls Gruppenmitglied und zugleich die neue Frau des „Schakals“. Fortan wurde die OIR zur käuflichen Killertruppe diverser Despoten und Geheimdienste, unterhielt u.a. Kontakte nach Syrien und in den Libanon, zur rumänischen Securitate sowie zur Stasi der DDR. Logistische Hilfe erhielt die OIS durch ihre Ostblock-Connection, u.a. von Ungarn und Bulgarien. Die Auftragskiller lebten auf großem Fuß: 1978 erklärte „Carlos“ dem Buchautor Assem al Jundi: „Ich liebe gutes Essen und eine gute Zigarre. Ich liebe es, in einem frisch gemachten Bett zu schlafen, ich liebe Poker und Blackjack, ich liebe Partys, Tanzen und hin und wieder eine Theateraufführung. Und ich weiß, manchmal muss ich jemanden umlegen, um so leben zu können, wie ich es liebe.“

Verübt wurden etwa Anschläge auf das Radio Free Europe in München im Auftrag des rumänischen Geheimdienstes, auf ein Kernkraftwerk und auf Fernzüge in Frankreich. Weinrich organisierte zur Freipressung zweier vom französischen Staat inhaftierter Gruppenmitglieder mit der organisatorischen Unterstützung der Stasi 1983 einen Sprengstoffanschlag auf das französische Kulturhaus Maison de France in Westberlin. 23 Personen wurden dabei verletzt und ein Aktivist, der gerade mit seiner Friedensgruppe „Fasten für das Leben“ eine Petition im französischen Generalkonsulat einreichen wollte, wurde getötet.

Mord an Gerd Albartus

Gerd Albartus zählte innerhalb der RZ zu den Unterstützern der „Carlos“-Gruppe und ihn verband ein herzliches Verhältnis mit Kopp. Um Weihnachten 1987 herum landete er auf dem Flughafen in Damaskus — angeblich nach Auskunft von Ex-Militanten aus den RZ, um „Carlos“ und Weinrich seinen geplanten Ausstieg aus der OIR persönlich mitzuteilen. Mit dieser Begegnung besiegelte er sein eigenes Todesurteil. Laut Einschätzung von ehemaligen RZ-Mitgliedern spielte auch die Homosexualität von Albartus eine Rolle bei dem Mord — aus Sicht seiner Mörder sei er deshalb angeblich „erpressbar“. Dabei verfuhren die Killer nach dem Muster des Fememords extrem rechter Gruppierungen: Dem Opfer Albartus wurden laut Kopp und anderer früherer Weggefährten angebliche Disziplinlosigkeit und Nachlässigkeiten gegenüber Geheimdiensten zur Last gelegt, er soll während des Verhörs mittels eines Knieschusses gefoltert und dann erschossen und verbrannt worden sein. Nazi-Methoden von Leuten, die sich als linke Revolutionäre darstellten. Solche Morde waren kein Einzelfall: Ähnlich erging es laut Kopp dem libanesischen Schiiten Mustafa Ahmed al-Sibei, genannt „Feisal“. Während eines Besuches in der Wohnung seines früheren engen Weggefährten schoss ihn „Carlos“, der ihm eine Agententätigkeit für die Hisbollah unterstellte, von hinten in den Kopf.

Ideologie spielte bei den Aufträgen eine immer geringere Rolle: 1989 etwa nahm „Carlos“ für einen geplanten Auftragsmord im Kontext einer syrischen Familienangelegenheit die Hilfe des Schweizer Nazis François Genoud (vgl. LOTTA #92, S. 53ff.) in Anspruch, der folgend auch zu einem persönlichen Freund wurde. Genoud bat Kopp, ihn vor seinem Rückflug noch ins arabische Viertel in Damaskus zu begleiten. Sie fuhr ihn zu Alois Brunner, einem NS-Kriegsverbrecher, der als rechte Hand von Adolf Eichmann verantwortlich für den Mord an 120.000 Jüdinnen und Juden war.

Ende eines „Top-Terroristen“

Nach seiner Übersiedlung von Damaskus in das sudanesische Khartum und auf der Suche nach einem neuen sicheren Exil bekehrte sich „Carlos“ zum Islam und bot sich dem sudanesischen Islamistenführer Hassan Turabi als Militärberater an. Anstelle von neuen Geldflüssen erfolgte aber seine Verhaftung: Französische Spezialkräfte brachten „Carlos“ zum Flughafen, nachdem er aufgrund einer anstehenden Hodenoperation betäubt worden war. Die sudanesische Regierung stimmte einer Auslieferung zu. Noch im Knast bekundete er seine Verbundenheit mit dem Terroranschlag von 9/11 und mit Osama bin Laden. Über seinen „treusten Genossen“, den Nazi Genoud, erklärte er: „Er war nicht wie die anderen Scheißkerle in Westdeutschland, die ihre Herkunft verraten haben und dann liberale Demokraten geworden sind und für die Amerikaner gearbeitet haben. Gut, Hitler lag ideologisch nicht auf meiner Linie. Aber Hitler war ein ehrbarer Mann. Ehrbar! Er hat sich für die Sache geopfert, an die er glaubte. Solche Leute muss man respektieren.“

Was sagt uns das alles?

Ein Antiimperialismus, der sich in verklärten Kategorien „kämpfender und sich befreiender Völker“ definierte, trieb zwar in der militanten Linken seltsame Blüten, war allerdings nie links im analytischen oder gar marxistischen Sinne. Vielmehr zeigt die Geschichte von „Carlos, dem Schakal“ die Konsequenzen solcher Revolutionsphantasien, personalisierter Feindbilder und Gewaltpraxen, die Nähe zum Rechtsextremismus, Antisemitismus und religiösen Fanatismus — eine Verbindung, die an der „Carlos“-Gruppe idealtypisch zum Ausdruck kam. Zugleich wurde „Carlos“ in Film und Zeitung zu einer Art waffenschwingender Ikone mit Popstar-Status: Im Gewand des Revolutionärs wurde mit seiner Figur die Banalität des Bösen sichtbar und zugleich mythisch verklärt.

Die Freundschaft von „Carlos“ zu dem Schweizer Nazi Genoud und die logistische Zweckallianz der Gruppe mit ihm, ihr gemeinsamer mörderischer Antisemitismus, die bezahlten Auftragsmorde, die Verherrlichung des militanten Islamismus durch „Carlos“ — all dies weist auf die Folgelogik von einmal in Gang gesetzten mörderischen Enthemmungen. Mit dem Zerfall der realsozialistischen Staaten transformierte sich ein solches Verständnis von „Antiimperialismus“ in neue Gewänder, wobei religiöser Fanatismus eine steigende Rolle spielt. Die Zeit der alten Blockkonfrontation ist vorbei und mit dem Verschwinden des realsozialistischen Staatenblocks verschwand gleichzeitig eine wesentliche Stütze dieses Auftragsterrorismus durch östliche Geheimdienste sowie staatlich geduldete Schutz- und Bewegungsräume. Doch Unterstützung und Steuerung terroristischer Aktionen durch Despoten und Geheimdienste sind damit nicht verschwunden, aktuell zeigen sich diese Tendenzen in einem bedrohlichen Ausmaß etwa in Teilen des staatlich geförderten militanten Islamismus.

Als besonders hartnäckig erweist sich auch ein israelfeindlicher Antisemitismus, der in Teilen linker bzw. sich fortschrittlich gebender Bewegungen skurrile Blüten treibt: Im Zuge des eskalierenden Gaza-Krieges verfallen auch sich links gebende Leute und Gruppen wieder einem rückschrittlichen Antiimperialismus und gehen dabei Zweckallianzen mit dem politisch aktiven Islamismus ein. Auch die PFLP ist mit ihren Guerillakämpfern am Hamas-Terror beteiligt: „Es ist Zeit für alle Palästinenser, sich wie Phönix aus der Asche zu erheben“, lautet eine aktuelle Erklärung der PFLP, in der zur „Generalmobilmachung“ sowie zu „unverzüglichen Angriffen von allen Seiten auf die Besatzungskräfte und ihre Siedler“ mobilisiert wird. Als Linke verbietet sich jedwede Kooperation mit oder Unterstützung von solchen Gruppen.

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Eine biografische Notiz über Genoud erschien 2018 auf der nationalistischen Website „Jeune Nation“.