Attentat auf Henriette Reker war eine rechtsterroristische Tat
Eine Kontextualisierung von Tat und Täter
Der Mordanschlag auf Henriette Reker war eine rechtsterroristische Tat, darauf deuten alle zur Verfügung stehenden Informationen hin. Frank S. hat den Angriff offenbar genau vorbereitet. Medienberichten zufolge vernichtete er zuvor sämtliche Dokumente in seiner Wohnung und entsorgte seine Festplatten. Nach der Bluttat ließ er sich widerstandslos festnehmen und lieferte direkt die politische Begründung für seine Tat. Sein Opfer wählte er gezielt aus: Er griff Henriette Reker, die Sozialdezernentin der Stadt Köln, als Repräsentantin einer in seinen Augen verfehlten und schädlichen Asylpolitik an. Und er verübte seine Tat zu einem Zeitpunkt, als er mit der größtmöglichen Aufmerksamkeit rechnen konnte: am Tag vor der Kommunalwahl, bei der Henriette Reker als Oberbürgermeisterin kandidierte.
Grüße in die Haft
Mittlerweile ist einiges über seine politische Vergangenheit bekannt. Er bewegte sich im Umfeld der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) und nahm mindestens an den Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltungen 1993 in Fulda und 1994 in Luxemburg teil. Weiterhin hatte er Kontakt zur 1992 verbotenen „Nationalistischen Front“ (NF). Dies geht aus einer internen Liste der Neonazi-Gruppe hervor, der sogenannten „NF-Liste“, deren Echtheit von ExpertInnen bestätigt wurde. S. wird auf dieser Liste genannt, woraus aber nicht unmittelbar zu folgern ist, dass er auch NF-Mitglied war.
Auch in den Folgejahren scheint es eine direkte Anbindung an die Neonazi-Szene gegeben zu haben. Die „Antifaschistische NRW Zeitung“ vermeldete in ihrer Ausgabe vom Winter 1997, S. sei „hinter Gefängnismauern verschwunden“, nachdem er vorher einige Bewährungsstrafen u.a. wegen Raubes und Körperverletzung gesammelt habe. Bereits 1993 lief wegen einer Messerattacke ein Verfahren am Amtsgericht Bonn gegen ihn. Dazu passt auch, dass er schon früh den Spitznamen „Messerstecher“ trug, wie sich damals aktive AntifaschistInnen erinnern. Anfang der 1990er Jahre gehörte er einer Clique rechter Skinheads an, die sich in Bonn-Beuel traf und Migrant_innen sowie linke Jugendliche anpöbelte und zusammenschlug. S. selbst bedrohte damals mehrfach Antifaschist_innen mit dem Messer.
Die RechtsRock-Band „Stahlgewitter“ grüßt Frank S. in einem Interview in der JN-Zeitschrift „Schwarze Fahne“
Auch in der Haft scheint er von seinen „Kameraden“ nicht vergessen worden zu sein. In dem Neonazi-Fanzine „Schwarze Fahne“ findet sich in der Nummer 3/1998 ein Interview mit der Band „Stahlgewitter“, zu deren Gründungsmitgliedern Daniel „Gigi“ Giese gehört. Giese ist auch Teil der Band „Gigi & die Braunen Stadtmusikanten“. Diese brachten 2010 einen Song heraus, in dem auf die Taten des NSU Bezug genommen wird und die Morde gefeiert werden. Am Ende des Interviews werden zwei „inhaftierte Kameraden“ gegrüßt. Unter ihnen ist Frank S., der mit vollem Namen genannt wird. Die „Schwarze Fahne“ wurde vom NPD-Jugendverband Junge Nationaldemokraten NRW herausgegeben. In der Ausgabe 3/1998 wird DÜGIDA-Organisatorin Melanie Dittmer als Redaktionsmitglied geführt. Dittmer stellte jüngst Videos ins Internet, in denen sie mit anderen Neonazis den Kampf mit Messern und Stöcken trainierte.
Intention terroristischer Taten
Terroristischer Gewalttaten ist gemeinsam, dass sie nicht vorrangig die Schädigung, Verletzung oder Tötung der Opfer im Blick haben. Solche Taten, so der Terrorismusforscher Peter Waldmann, „sollen allgemeine Unsicherheit und Schrecken, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen“. Gewalt werde als Mittel genutzt, eine Art Signal zu setzen und eine Botschaft zu senden, sowohl an Mitglieder der Opfergruppe als auch an mögliche SympathisantInnen oder erst einmal Unbeteiligte, so Waldmann. In den neonazistischen Diskussionen zum bewaffneten Kampf spielt zudem die Idee eine Rolle, durch Attentate und Anschläge einen „Rassenkrieg“ auszulösen, der langfristig extrem rechte Kräfte stärken und die Vertreibung aller „Ausländer“ durchsetzen soll. Diese Überlegungen finden sich in Schriften wie den „Turner Diaries“ oder dem Roman „Hunter“. Und sie zirkulierten auch in der deutschen Neonazi-Szene.
Rechter Wahn: „Bürgerkrieg“ und „Bevölkerungsaustausch“
Dass man auf einen „Bürgerkrieg“ zwischen „Deutschen“ und „Migranten“ zusteuere, sich vielleicht sogar schon in einer „bürgerkriegsähnlichen Situation“ befinde, ist eine in der extremen Rechten weit verbreitete „Analyse“ der aktuellen gesellschaftlichen Situation. Sie ist nicht auf die Neonazi-Szene beschränkt. Autoren wie Udo Ulfkotte verschaffen diesen Untergangs- und Kriegsszenarien eine große Reichweite. Ein Blick auf einschlägige Facebook-Diskussionen zur „Flüchtlingskrise“ gibt einen Eindruck, wie weit diese Vorstellungen mittlerweile verbreitet sind. Verbal wird dann von vielen auf Gewaltmaßnahmen als Antwort gesetzt.
Dieses Bürgerkriegsszenario wird vielfach mit der Deutung der europäischen Asylpolitik als gezielte Strategie des „Bevölkerungsaustausches“, durch den das „deutsche Volk“ ausgelöscht werden soll, verbunden. So spricht die „Identitäre Bewegung“ in diesem Zusammenhang vom drohenden „Großen Austausch“, bei „Politically Incorrect“ und anderen Foren ist von einer „islamischen Landnahme“ die Rede. Die NPD erklärte bereits vor Jahren, so unter anderem in einem Artikel von Jürgen Gansel von 2007, dass die USA planten, „den Konkurrenzkontinent Europa durch fremdrassige Flüchtlingsmassen“ zu „zersetzen“. Auch AfD-Rechtsaußen Björn Höcke sprach jüngst von einem „großen Experiment“ der Asylzuwanderung, das drohe, Deutschland fortwährend zu verändern.
In der Neonazi-Szene wurde mit verschiedenen Kampagnen der Begriff des „Volkstods“ popularisiert, der die „Auslöschung des deutschen Volkes“ durch „Vermischung“ beschwört. Auch hier wird die aktuelle Zuwanderung von Geflüchteten als Verschärfung wahrgenommen. So erklärte ein „Die Rechte“-Redner bei einer Kundgebung am 27. September vor einer Geflüchtetenunterkunft in Hamm, eigentlich habe man das Jahr 2040 als Jahr des Volkstodes errechnet, durch die steigenden Flüchtlingszahlen drohe dieser nun jedoch früher einzutreten.
Die Asyldebatte
Die Botschaft der terroristischen Tat wurde auch im Falle des Kölner Mordversuches verstanden. Bundesinnenminister de Maizière verkündete, die Tat verweise auf eine „Radikalisierung der Flüchtlingsdebatte“. Leider folgte daraufhin nicht die selbstkritische Einsicht, dass es auch seine Äußerungen und diejenigen seiner ParteikollegInnen in der Asyldebatte sind, welche die politische Debatte vergiften und Ressentiments gegen Geflüchtete stärken.
Seit Monaten ist bundesweit ein massiver Anstieg an Sachbeschädigungen und Brandstiftungen gegen Unterkünfte für Asylsuchende zu verzeichnen. Auch in NRW, wo seit einigen Monaten eine weitere Eskalation festzustellen ist. Immer häufiger werden Brände gelegt, längst nicht nur auf in Umbau befindliche Gebäude, sondern auch auf bewohnte Unterkünfte.
Kein Einzeltäter
Ein erstes psychologisches Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass beim Attentäter Frank S. keine eingeschränkte Schuldfähigkeit festzustellen ist. Durch die schnelle Veröffentlichung der Informationen über den politischen Hintergrund von S. wurde die in ähnlichen Fällen übliche Erzählung des „Einzeltäters“ verhindert. Michael Berger, der 2000 drei Polizisten in Dortmund und Waltrop erschoss, wurde als „psychisch gestörter Einzeltäter“ dargestellt, obwohl sich herausstellte, dass er DVU-Mitglied war und in Kontakt mit der „Kameradschaft Dortmund“ stand.
Drei Jahre später richtete Thomas A. in Overath einen Rechtsanwalt sowie dessen Tochter und Lebensgefährtin hin. Obwohl Thomas A. die Tat zusammen mit seiner Partnerin Jennifer D. verübte und Kontakt zu weiteren Neonazis hatte, mit denen er in einer Gruppe namens „33. SS/SD-Division Götterdämmerung“ vereint war, wurde auch dieser Fall entpolitisiert und A. pathologisiert. Daran konnte auch nichts ändern, dass A. seine Tat explizit als politische verstanden hat und dies auch gegenüber den Ermittlern zum Ausdruck brachte.
Der „lone wolf“-Attentäter
In der politikwissenschaftlichen Diskussion werden Attentäter wie Berger und S., die ihre Taten als Einzelne durchführen, oftmals als „lone wolves“ („Einsame Wölfe“) bezeichnet. Der Begriff führt zu Missverständnissen, denn diese „lone wolf“-Attentäter sind nicht komplett isoliert. Das antifaschistische Magazin „Searchlight“ hat eine umfangreiche Analyse zu „lone wolves“ veröffentlicht, die zu den Schluss kommt, dass von allen bekannten entsprechenden Tätern in Großbritannien nur einer wirklich isoliert war, alle anderen waren in irgendeiner Weise in Szene- und Organisationszusammenhänge eingebunden oder haben den Diskurs der extremen Rechten rezipiert. Die „Searchlight“-Autoren zitieren einen FBI-Analysten, der auch in Bezug auf die USA zu diesem Ergebnis kommt und als einzigen wirklichen Einzeltäter den „Unabomber“ Theodore Kaczynski bezeichnet, der zwischen 1978 und 1995 Briefbomben verschickt hat.
Auch im Fall von S. stellt sich jetzt die Frage, inwieweit er noch in neonazistische Gruppen oder Zusammenhänge eingebunden war, ob er noch Kontakt zu seinen alten „Kameraden“ aus Bonner FAP-Zeiten hielt oder anderweitig an Szene-Diskussionen partizipiert hat. Mittlerweile hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen.