Klein, aber ausdauernd
KAGIDA - „Kassel gegen die Islamisierung des Abendlands“
In Kassel entstand mit KAGIDA einer der ersten PEGIDA-Ableger im Westen Deutschlands. Seit dem 1. Dezember 2014 findet jeden Montagabend eine Kundgebung mit mehreren kurzen Redebeiträgen und anschließendem „Abendspaziergang“ unweit des Hauptbahnhofs statt. War die Zahl der Teilnehmer_innen im Januar auf 200 Personen angestiegen, sank sie in den letzten Wochen zurück in den zweistelligen Bereich.
Initiator und Anmelder von KAGIDA ist der 46-jährige Michael Viehmann, der die Versammlung moderiert und wöchentlich die Forderungen verliest. Mitte November verlor Viehmann seine Arbeit in einem Supermarkt in der Kasseler Nordstadt, nachdem bekannt wurde, dass er an der Organisation einer HoGeSa-Reisegruppe aus Nordhessen beteiligt war. Die Gruppe aus rechten Fußballfans und bekannten Rechtsradikalen war sowohl bei den Ausschreitungen in Köln als auch beim Aufmarsch in Hannover dabei. Dort trat Viehmann, der sich selbst als „Patriot“ mit „Eiern in der Hose“ bezeichnet, als Ordner auf. Teil der Reisegruppe zur HoGeSa-Kundgebung in Hannover war auch David Giesler, der bei der Bundestagswahl 2009 im Wahlkreis Waldeck für die NPD antrat und bei KAGIDA als Ordner tätig ist. Viehmann und einige andere KAGIDA-Teilnehmer_innen waren auch in den beiden mittlerweile inaktiven HoGeSa-Foren aktiv. Neben Werbung für die „Spaziergänge“ wurden dort Erlebnisberichte, Mitfahrgelegenheiten, aber auch Fotos von Teilnehmer_innen der Gegendemonstrationen und Journalist_innen veröffentlicht. Während durch die Forennutzer_innen niemand von der „Lügenpresse“ identifiziert werden konnte, erkannten sie einen Kasseler Studenten als Gegendemonstranten und „outeten“ diesen mit Fotos und Links zu persönlichen Profilen in Sozialen Netzwerken.
Rechte Redner_innen
Der „Hessischen Rundfunk“ fand heraus, dass der [Anmelder Viehmann auch Mitglied der AfD](http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?rubrik=36086&key=standard_document_53837531 "HR: "'Kagida'-Initiatoren aus der AfD"") ist. Mit Manfred Mattis tritt ein weiteres AfD-Mitglied als häufiger Redner der KAGIDA-Märsche auf. Der Rechtsanwalt Mattis ist Sprecher des AfD-Kreisverbands Kassel Stadt und wird bei KAGIDA als vermeintlicher „Linksextremismusexperte“ gefeiert. In den 1990er Jahren war er Vorsitzender der „Bürgerinitiative Kassel gegen Euro 99“, deren Ziel es war, die Einführung des Euro zu verhindern. Schon damals hätten die Medien versucht, ihn in die rechte Ecke zu stellen, ohne auf seine Inhalte einzugehen, so Mattis. Dieses Schicksal drohe seiner Meinung nach nun auch KAGIDA. Mattis zeigte sich in seiner Rede am 8. Dezember besorgt, dass der politische Gegner „Agents Provocateurs“ in die vermeintlich friedliche Demonstration schleusen könnten, um den Medien das zu liefern, was sie wollten. Dass Provakateure gar nicht notwendig sind, zeigte der 22. Dezember. Eine Gruppe von etwa 20 teilweise vermummten Personen aus dem Ultra- und Hooliganspektrum war während des KAGIDA-„Spaziergangs“ auf acht vermeintliche Linke losgegangen. Während die Angegriffenen festgenommen wurden, konnten die Angreifer unerkannt entkommen. Später am Abend kam es im Hauptbahnhof zu weiteren Übergriffen durch KAGIDA-Teilnehmer_innen.
Auch Victor Seibel, einer der Initiatoren der „Kasseler Mahnwache für den Frieden“, hat KAGIDA für sich entdeckt. Dass er deswegen von den Mahnwachen ausgeschlossen wurde, stört Seibel offenbar nicht. Ihm scheint es es in erster Linie darum zu gehen, sich möglichst öffentlichkeitswirksam darzustellen, wobei ihm egal ist, wer ihm zuhört. Immerhin hat er bei KAGIDA ein größeres Publikum als bei den Mahnwachen. Die Themen seiner Reden sind indes dieselben: Deutschland müsse seinen „Schuldkomplex“ bewältigen und sich der „Besatzer“ entledigen, die bis heute das Land kontrollierten.
Ebenfalls als Redner geladen war Edwin Wagensveld, der den Online-Waffenshop „Der Hollander“ betreibt. Wagensveld hatte es zu einiger Bekanntheit gebracht, da er während der HoGeSa-Kundgebung in Hannover ein Interview gab und das Video anschließend auf YouTube landete. Er, der nach eigenen Angaben kein Nazi sein könne, da er schließlich Holländer sei, wurde durch kernige Zitate zu einem „Promi“ in der Szene und trat daraufhin als Redner bei PEGIDA in Dresden und KAGIDA in Kassel auf. In seiner Rede am 29. Dezember in Kassel bezeichnete er die Gegendemonstrant_innen als die „Faschisten von 2014“ und erntete dafür Beifall und „Ahu“-Rufe.
Ein weiteres „Highlight“ am 29. Dezember war die Rede der Frankfurterin Heidi Mund, die [als „brave german woman“ sogar international von radikalen Christ_innen gefeiert](http://www.infobuero.org/2015/01/heidi-mund-the-brave-german-woman/ "Antifaschistisches Infobüro Rhein-Main: "Von PI-News über HoGeSa zum Frankfurter PEGIDA-Ableger: Heidi Mund, 'The Brave German Woman'"") wird. Mund war im November 2013 während eines Konzertes in der Gedächtniskirche in Speyer, das auch den arabischen Gebetsruf eines Imam beinhalten sollte, aufgesprungen und hatte versucht ihn mit den Worten „Jesus Christus allein ist Herr über Deutschland! Ich zerbreche diesen Fluch“ zu unterbrechen. Nachdem ein Video dieser Aktion einige Zeit lang im Internet kursierte, brachte der amerikanische TV-Sender CBN einen kurzen Beitrag und Heidi Mund wurde damit auch in den USA bekannt. Vor ihrem Auftritt bei KAGIDA trat sie als Rednerin auf der HoGeSa-Kundgebung in Hannover auf.
Macht man sich die Mühe, sich auf inhaltlicher Ebene mit KAGIDA zu beschäftigen, fällt auf, dass die Forderungen und Aussagen, sowohl auf der Facebook-Seite als auch in den Redebeiträgen, so durcheinander und scheinbar willkürlich zusammengewürfelt sind, wie es das Publikum ist. Während Heidi Mund sich über den vermeintlichen „Genderwahn“ lustig macht, warnt Victor Seibel vor einem Krieg mit Russland und der „Russophobie“ der deutschen Gesellschaft, und Manfred Mattis gibt einen Crashkurs in Extremismustheorie.
Keine Nazis erwünscht?
Obwohl die „Spaziergänge“ als Schweigemärsche beworben werden, skandieren die Teilnehmenden Parolen wie „Wir sind das Volk!“ oder „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“. Wenn Gegendemonstrant_innen in Sichtweite sind, wird auf diese mit Rufen wie „Nazis raus“ und „Antifa Hurensöhne“ reagiert. Immer mit dabei sind selbstgebastelte Schilder, Deutschlandflaggen und Transparente des rassistischen Blogs „Politically Incorrect“. Als Ordner treten bei KAGIDA auch bekannte Neonazis auf. Neben dem NPD'ler David Giesler sei beispielsweise auf Marcel Weifenbach hingewiesen. Weifenbach gehört zum Umfeld der mittlerweile inaktiven Gruppe „Freier Widerstand Kassel“. Zuletzt hatte er im Oktober 2014 als vermeintlicher Redner der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) bei einem Aufmarsch in Hamm verkündet, er habe vom NPD-Landesvorsitzenden Daniel Knebel ein Sprechverbot erhalten, obwohl der zu dieser Zeit gar nicht mehr im Amt war.
Dass man bei KAGIDA prinzipiell kein Problem mit der Anwesenheit von Neonazis zu haben scheint, wurde schon nach der ersten Versammlung deutlich. Dort waren mit Stefan Jagsch und Daniel Lachmann gleich zwei Mitglieder des hessischen NPD-Landesvorstandes zugegen. Später behauptete Viehmann, davon erst im Nachhinein erfahren zu haben, obwohl ein Blick in die Facebook-Veranstaltung gezeigt hätte, dass sich beide als Teilnehmer angekündigt hatten. Damit war das Thema zumindest für KAGIDA erledigt. Die NPD mobilisierte noch im Januar zur Teilnahme an den KAGIDA-Märschen.
Durchhalteparolen bei Facebook
Beworben werden die Veranstaltungen von KAGIDA fast ausschließlich im Internet. Die Facebook-Seite hat zur Zeit etwa 5.700 „Gefällt mir“-Angaben und dient auch der Vernetzung. Nach jedem „Spaziergang“ wird die Seite von Durchhalteparolen überschwemmt. Kommentare wie „Haltet durch! Auch in Dresden haben wir klein angefangen“ vermitteln das Gefühl, Teil einer großen Bewegung zu sein, wenn auch die Beteiligung in Kassel abnimmt. Zwischenzeitlich sprachen die Organisator_innen von bis zu 400 Teilnehmer_innen in Kassel, beim Durchzählen kam man aber lediglich auf 200 Personen. Aktuell ist die Zahl der Teilnehmer_innen wieder in den zweistelligen Bereich gesunken.Es scheint, dass die stets unter Gegenprotest stattfindenden Kundgebungen und kurzen „Spaziergänge“ auf Dauer nicht genug Anreiz bieten, wie bisher Menschen vom Harz bis Marburg nach Kassel zu mobilisieren. Da es seit einigen Wochen auch GIDA-Gruppen in Hannover und Braunschweig gibt, haben bereits einige Teilnehmer_innen aus Niedersachsen angekündigt, künftig nicht mehr nach Kassel zu kommen.