Mord als Aufnahmeritual
Vor 20 Jahren wurde Dorit Botts in Fulda ermordet
Bis heute wird die Tat, welche sich 2001 im hessischen Fulda ereignete, von der Bundesregierung nicht als rechts-motivierter Mord gewertet. Eine Politisierung des Falls stieß bisher weder bei der regierenden Stadtpolitik noch in der örtlicheon Medienlandschaft auf größeres Interesse. Dabei führen die Spuren des Täters in die Thüringer National-Socialist-Black-Metal-Szene.
Dorit Botts dürfte am Morgen des 17. August 2001 nicht die geringste Vorahnung gehabt haben. Es war ihr 54. Geburtstag, dennoch ging sie wie gewohnt ihrer Beschäftigung in einem Outdoor-Laden in der Fuldaer Florengasse nach. Der Laden war eine Filiale ihres Geschäfts in Schlüchtern (Main-Kinzig-Kreis), wo sie schon seit den 1980er Jahren mit Unterstützung ihrer Familie Ausrüstung und Bekleidung der US-Armee verkaufte. Durch ihren Ehemann John O. Botts, einem Sergeant des US-Marine Corps, hatte sie direkten Zugang zu ausgemusterten Artikeln. Das Geschäft florierte, sogar die Eröffnung eines dritten Ladens stand im Raum. Als Frank R. den Laden in der Florengasse betrat, hielt sie ihn für einen Kunden. Der damals 19-jährige Neonazi traktierte ihren Oberkörper mit 13 Messerstichen. Im Anschluss durchschnitt er ihren Hals und flüchtete mit einigen erbeuteten Gegenständen. Die Polizei griff ihn später auf dem Dach eines Fuldaer Parkhauses auf. Neben militärischen Kleidungsstücken und Schlafsäcken wurde bei ihm Bargeld im Wert von 1.000 DM gefunden. Das Tatmotiv war für die Justiz schnell klar – Habgier. Frank R. wurde anschließend vom Landgericht Erfurt wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu neun Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt.
Zum Zeitpunkt des Mordes befand sich der Sohn des Mordopfers, Rick Botts, in der Schlüchterner Filiale des Outdoor-Ladens. Für den Geburtstag seiner Mutter wollte er früher in den Feierabend gehen, die Familie hatte sich am selbigen Abend noch zum gemeinsamen Grillen verabredet. Auf die Frage hin, warum ausgerechnet seine Mutter getötet wurde, kann er nur vermuten, dass es wohl am amerikanischen Familienhintergrund gelegen habe. Demnach hätte Dorit Botts durch ihre Ehe als Teil der von Neonazis verhassten „Besatzungsmacht“ USA gegolten. Rick Botts erzählt weiterhin von der Beliebtheit seiner Mutter. So war sie nicht nur im Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsverein aktiv, sondern auch überzeugte Karnevalistin. Als „Fürstin Dorit vom sonnigen Süden“ war sie gleich zweimal, 1975 und 1989, „Fürstin“ des Fuldaer Karnevalsverein Südend 1938 e.V.
Black Metal und Thüringische Neonazis
Vieles spricht dafür, dass der aus dem thüringischen Sömmerda stammende Frank R. bis zum Zeitpunkt des Mordes in der extrem rechten Metal-Band Barad Dûr spielte. In diesem Kontext kam er mit Mitgliedern der Deutschen Heidnischen Front (DHF) in Kontakt, welche ihn zu Rekrutierungszwecken aufsuchten. Die DHF wurde vom Neonazi und verurteilten Mörder Hendrik Möbus gegründet. Möbus gilt als einer der wichtigsten Protagonisten des National-Socialist-Black-Metal (NSBM), einem Musikgenre, welches dafür bekannt ist, neonazistische Ideologie und satanische Inhalte mit brachialem Metal zu verknüpfen. Waren Nihilismus und Misanthropie vorher bereits elementare Bestandteile des Black-Metal, so verknüpften Personen wie Möbus diese geschickt mit neuheidnischem und xenophobem Gedankengut.
Besonders der Mord an seinem Mitschüler Sandro Beyer im Jahr 1993, den Möbus als angeblichen ,,Volksschädling“ mit drei weiteren Kameraden erdrosselte und anschließend begrub, bescherten ihm und seiner Band Absurd innerhalb der neonazistischen Musikszene Bekanntheit und Anerkennung. Als sogenannter Satansmord von Sondershausen ging dieser in die Geschichte ein. Aus dem Gefängnis dirigierte Möbus seine Band weiter und schaffte es, sich mit anderen Neonazis global zu vernetzen. Eines der Resultate davon ist die DHF, deren AktivistInnen sich zum größten Teil aus Thüringen rekrutierten. Als offizieller Ableger der norwegischen Allgermanischen Heidnischen Front (gegründet von Varg Vikernes, ebenfalls verurteilter Mörder und Sänger der NSBM-Band Burzum) verstand sich die 1998 gegründete DHF als völkische Bewegung, die nordische Mythologie mit Inhalten der NSDAP kombinierte.
In diesem Umfeld gründete sich 1995 die Band Barad Dûr, benannt nach der dunklen Festung Saurons aus der Fantasieromanreihe „Herr der Ringe“ von J.R.R. Tolkien. In einem Interview von 1999 drückte die Band ihrer Begeisterung für Vikernes aus: „Was soll ich sagen, man muß Varg einfach gekannt haben. Es ist bloß dumm, daß er für seine gerechten Taten in den Knast mußte. (21 Jahre -wegen Mord!) Man kann es schlecht beschreiben, aber eines ist klar, er ist musikalisch ein Gott für mich und man kann sagen, er ist ein neuer Führer. FREIHEIT FÜR VARG VIKERNES - FREE THE COUNT.“
Barad Dûr versuchte entsprechend den Musikstil von Burzum nachzueifern, dem sogenannten Dark Ambient - einer atmosphärischen und langsamen Spielart des Black Metals. Ihr zweites Album aus dem Jahr 1999 wurde sogar nach einem Lied von Burzum betitelt: „Dunkelheit“. Produzent der Platte war Wolf Möbus, der Bruder von Hendrik Möbus. So ist es nicht verwunderlich, dass zwei Musiker von Barad Dûr später auch Mitglieder von Absurd werden. Unter anderem Martin Göring, Spitzname „Thorns“, der Schlagzeuger der Band.
Ein Bandkollege von Frank R. ist es schließlich, der ihn des Mordes als Aufnahmeritual für die DHF überzeugt: ,,Fahr nach Fulda und mach die Alte kalt“, soll er gesagt haben. Das für den Mord erkorene Datum scheint dabei kein Zufall gewesen zu sein: der 17. August ist der Todestag des Führerstellvertreters und verurteilten Kriegsverbrechers Rudolf Heß. Am angrenzenden Wochenende sollte in Wunsiedel der jährliche Marsch zu dessen Gedenken erfolgen. Bundesweit pilgerten deutsche Neonazis an jenem Datum ins Fichtelgebirge. Fulda galt aufgrund seiner mittigen Lage als bedeutende Mitfahrzentrale für Neonazis. Einige Vermutungen legen daher nahe, dass Frank R. die erbeuteten Utensilien im Kontext des Marsches an KameradInnen verkaufen wollte. Dass wir heute auf diesem Kenntnisstand sind, ist nicht einer polizeilichen Arbeit in Anschluss an den Mord zu verdanken - erst als die Justiz Frank R. drei Jahre nach seiner Verurteilung als Zeugen vor der Jugendstrafkammer vernahm, trat das eigentliche Tatmotiv ans Licht.
Umstrittene Erinnerung
Bis heute ist Dorit Botts nicht als Opfer rechter Gewalt von der Bundesregierung anerkannt. Weder gibt es in Fulda ein öffentliches Gedenken noch einen ausgeschriebenen Gedenkort. Hatte im Jahr 2019 die Fraktion „Die Linke.Offene Liste/Menschen für Fulda“ noch für ein ehrendes Gedenken in einem Antrag geworben, so wurde dies im Januar 2020 vom Ausschuss Schule, Kultur und Sport der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt. Am 8. Mai 2020 setzten Unbekannte dann ein temporäres Zeichen der Erinnerung, als sie das Straßenschild der „Dr.-Danzebrink-Straße“ mit ,,Dorit Botts-Straße“ überklebten. Franz Danzebrink war ab 1930 Oberbürgermeister von Fulda, gewählt als Vertreter der Zentrumspartei trat er 1937 der NSDAP bei. In seine Amtszeit fiel nicht nur die Reichspogromnacht von 1938, sondern auch die Deportation der Fuldaer Jüdinnen und Juden. Eine vom Magistrat der Stadt im Jahr 2016 eingesetzte Kommission zur Untersuchung von Danzebrinks Verstrickungen ins NS-Regime konnte bisher mit keinem einheitlichen Ergebnis aufwarten.
Am 8. Mai 2020 wurde auch in der Florengasse eine Tafel platziert, die an Dorit Botts erinnerte und die vollständige Entnazifizierung der Gesellschaft einforderte. Im Februar 2021 stellte die Fraktion „Links für Soziale Gerechtigkeit“ einen Antrag zum Erhalt ihrer Grabstätte auf dem Fuldaer Zentralfriedhof. Der Besitzer des Hauses in der Fuldaer Florengasse, in welchem sich der Outdoor-Laden der Botts befand, äußerte sich bisher sehr wohlwollend zu einem möglichen Gedenkort.