Sozialismus von rechts?
Der Bielefelder AfD-Sprecher Florian Sander unter der Lupe
Am 21. März 2020 hat die AfD Bielefeld Florian Sander zu ihrem neuen kommissarischen Kreissprecher gewählt. Ihm wird vorgeworfen, er vertrete sozialistische Positionen und ziehe Mitglieder aus dem linken Spektrum zur AfD. Grund genug, sich die Positionen Sanders, der ein umtriebiger Autor diverser extrem rechter Publikationen ist, genauer anzuschauen. Sander blickt mit seinen 35 Jahren bereits auf eine wechselvolle politische Vergangenheit zurück. Er war Mitglied der Jusos, der Jugendorganisation der SPD, wechselte zur FDP und vertrat diese von 2009 bis 2014 im Rat der Stadt Bielefeld. Als Vorsitzender der Julis, der Jugendorganisation der FDP, geriet er mit der Parteiführung aneinander. Er verließ die Partei 2014 im Streit. Spätestens seit 2018 ist er Mitglied der AfD. Dort machte er schnell Karriere und ist Teil der Landesprogrammkommission und des Landesfachausschusses Außen- und Sicherheitspolitik der AfD NRW und seit 2020 Referent der AfD-Bundestagsfraktion.
Darüber hinaus ist Sander Doktorand an der Universität Bielefeld und promoviert zum Thema Nationalsozialismus. Von 2016 bis 2019 war er außerdem Dozent an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (FHÖV) und dort unter anderem an der Ausbildung von Polizist*innen beteiligt. Die FHÖV kündigte ihm jedoch, nachdem er immer offener rechts auftrat und begann, seine Texte in einschlägigen Medien zu veröffentlichen. Mittlerweile betätigt sich Sander als Autor in zahlreichen Publikationen der „Neuen Rechten“ wie zum Beispiel der Sezession, dem Jungeuropa Verlag oder dem Arcardi-Magazin. Außerdem veröffentlicht er den Großteil seiner Schriften auf seinem Blog Konservative Revolution.
Der Begriff „Konservative Revolution“ ist maßgeblich durch den extrem rechten Autor Armin Mohler geprägt und versucht, verschiedene völkische Denker der Weimarer Republik zu bündeln und ihnen eine Distanz zum Nationalsozialismus zu attestieren. Wissenschaftlich ist der Versuch nicht haltbar und auch Mohler selbst gestand ein, dass es zahlreiche Überschneidungen zwischen „Konservativer Revolution“ und Nationalsozialismus gab.
„Echter Sozialismus“
Sander versteht seinen Blog als Inspiration für eine Elite, die eine „Konservative Revolution“ vorantreiben soll. Als Ziel dieser „Revolution“ benennt er einen „echten“ Sozialismus, den er von marxistischen und liberalen Positionen abgrenzt. Vor allem sein starker Antiliberalismus drückt sich dadurch aus, dass im Mittelpunkt seiner Forderungen stets kollektive Identitäten wie Volk oder Nation stehen, die rassistisch definiert werden. Der Sozialismusbegriff bleibt hingegen recht inhaltsleer und begrenzt sich im Wesentlichen auf sozialstaatliche Forderungen für die eigene Volksgemeinschaft. Sander bezieht sich damit auf Ideen einiger völkischer Denker der Weimarer Republik. Eines seiner Vorbilder ist Arthur Moeller van den Bruck, dessen „deutscher Sozialismus“ die Vorstellung einer von einer kleinen Elite gelenkten antiegalitären Gesellschaft ist. Darüber hinaus wurde diese Position von den „Nationalrevolutionären“ vertreten, einer Strömung der extremen Rechten, der sich auch Sander selbst zuordnet. In der AfD sieht er die „Nationalrevolutionäre“ durch die „Sozialpatrioten“ rund um Björn Höcke und den Flügel vertreten.
Die Strömung der „Nationalrevolutionären“ lässt sich bis zur Zeit der Weimarer Republik zurückverfolgen und bildet nach Mohler eine der Hauptgruppen der „Konservativen Revolution“. Damals forderten Autoren wie Ernst Niekisch oder Ernst Jünger eine Verbindung von Nationalismus und Sozialismus. Sie grenzten sich vom marxistischen Internationalismus ab und hatten nicht die weltweite Aufhebung der Klassenunterschiede zum Ziel. Stattdessen stand die Forderung nach einer homogenen Volksgemeinschaft in Form eines starken Staats im Vordergrund. In der NSDAP wurden nationalrevolutionäre Positionen vor allem in der Frühphase und vom Strasser-Flügel vertreten.
Völkischer Antiimperialismus
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war die nationalrevolutionäre Strömung für die extreme Rechte weiter von Bedeutung. Ende der 70er Jahre gründeten Ex-NPDler die Zeitschrift wir selbst als nationalrevolutionäres Sprachrohr. Bis zu ihrer Einstellung 2002 wurde in der Zeitschrift versucht, extrem rechte Positionen zu verbreiten, die durch die teilweise Übernahme linken Vokabulars nicht direkt als solche erkennbar sein sollten. Mithilfe eines völkischen Antiimperialismus sollte an linke befreiungsnationalistische Positionen angeknüpft und diese auf Deutschland umgedeutet werden. Primat der Argumentation blieben dabei immer rassistische Vorstellungen und die nationale Identität. Ende 2019 wurde die wir selbst als Blog neu aufgelegt. Florian Sander ist der jüngste der zahlreichen Autoren des Blogs.
Es ist also ganz in der Tradition der „Nationalrevolutionäre“, wenn Sander auch heute versucht, auf Teile der nationalen Linken einzuwirken und beispielsweise positiv Bezug auf die Positionen Sarah Wagenknechts nimmt. In seinem Text „Die linke Marktlücke“ vom Oktober 2019 sieht Sander eine Chance für „potenzielle Gemeinsamkeiten und Allianzen von Links und Rechts“ in der Außenpolitik. Inhaltlich erklärt er seine außenpolitischen Positionen dann im Dezember 2019 in der Sezession in seinem Beitrag „Interessen – Souveränität – Identität“. Der linke Begriff des Antiimperialismus wird verkürzt und synonym zu „ostorientiert“ sowie als Kampfbegriff gegen die USA und Israel genutzt. Dies könnte in Teilen der Friedensbewegung mit ihren ausgeprägten antiamerikanischen und antiisraelischen Positionen tatsächlich Anklang finden. Das zeigt allerdings nicht, wie links Sander ist, sondern andersherum wie anschlussfähig die Positionen einer nationalen Linken für die extreme Rechte sind.
Völkisch-religiöse Überzeugungen
Darüber hinaus fordert Sander eine stärkere Hinwendung der AfD zu religiösen Themen. Als Vorbild hierfür nennt er die Republikaner in den USA. Sander selbst ist Mitglied im Bund deutscher Unitarier (BDU). Der BDU ist eine kleine völkische Religionsgemeinschaft, die das Christentum ablehnt und an eine Einheit von Gott, Natur und Welt glaubt. Aus dieser göttlichen Einheit wird das völkische Konzept einer Verantwortung gegenüber dem Volk, in das man hineingeboren werde, abgeleitet. Der BDU steht in der Tradition der Deutschen Glaubensbewegung, einer heidnisch-religiösen Organisation im Nationalsozialismus. Nach 1945 gehörten und gehören ihm verschiedene Vertreter*innen der „Neuen Rechten“ und der alten Rechten an. So bestehen beispielsweise Verbindungen zur neonazistischen Artgemeinschaft und der geschichtsrevisionistischen Gedächtnisstätte e. V..
Sanders religiöse Überzeugungen finden sich auch in zahlreichen seiner Texte wieder. So sieht er die Corona-Krise als göttliche „Lektion planetaren Ausmaßes über die Gefahren einer globalisierten, hektischen und hyperbeschleunigten Welt, die keine Grenzen mehr kennt“. Außerdem begründet er auch seine transfeindlichen Positionen religiös. Er pathologisiert trans* Menschen und spricht ihnen das Recht auf Selbstbestimmung ab, da es einer göttlichen Natur zuwiderlaufen würde.
Ambitionen
Den Machtkampf in der Bielefelder AfD konnte Sander klar für sich entscheiden. Das macht nicht zuletzt seine einstimmige Wahl zum kommissarischen Kreissprecher deutlich. Bereits im Januar wurde er als Bielefelder Oberbürgermeisterkandidat der AfD für die Kommunalwahlen bekanntgegeben. Die Ambitionen des innerhalb der extremen Rechten gut vernetzten 35-Jährigen mit dem Selbstbild eines Intellektuellen dürften aber über die Kommunalpolitik hinausgehen. Die Öffentlichkeit sollte sich dabei von seinem Bekenntnis zu einem „nationalen Sozialismus“ nicht beirren lassen und der Argumentation einer vermeintlichen „linken Unterwanderung“ der AfD auf den Leim gehen. Sander vertritt vielmehr klassische Positionen der extremen Rechten.