Hier regiert die Burschenschaft
Burschenschaften und Politik in Österreich
Deutschnationale Studentenverbindungen stellen seit jeher eine wichtige Personalreserve für die „Freiheitliche Partei Österreichs“ (FPÖ) dar. Zur vollen Entfaltung gelangen Österreichs korporierte Männerseilschaften zu Zeiten freiheitlicher Regierungsbeteiligungen — so auch in jüngster Zeit.
Jänner 2018: Die Wiener Stadtzeitung Falter berichtet über das Liederbuch einer Wiener Neustädter Mittelschulburschenschaft, das mit wüst antisemitischen Textzeilen aufwartet. Binnen Stunden wird aus der milieutypischen Auffälligkeit einer gesellschaftlichen Randgruppe ein Skandal, der die österreichische Bundesregierung in Bedrängnis bringt. Dass dem so ist, liegt an zwei Merkmalen der österreichischen Politlandschaft: zum einen an der engen Verzahnung des völkischen Verbindungswesens mit der aktuell drittstärksten Partei des Landes; zum anderen an dem Umstand, dass die konservative ÖVP eben diese Partei Ende 2017 einmal mehr als Regierungspartnerin auserkoren hat.
Während das katholische Verbindungswesen in Österreich seit jeher der ÖVP nahesteht, engagieren Angehörige des kleineren deutsch-völkischen Korporiertenmilieus sich traditionell fast ausschließlich innerhalb der FPÖ. Zahlenmäßig wäre das deutschnationale Verbindungswesen vernachlässigbar: auch unter Einbeziehung aller ihm zuzurechnenden Verbindungstypen (Burschenschaften, Corps, Vereine deutscher Studenten u.a.m.) auf akademischer wie pennaler Ebene umfasst es kaum 4.000 Personen. Im Vergleich mit dem Verbindungswesen der Bundesrepublik sind die österreichischen Bünde im Durchschnitt kleiner — und politisch homogener. Während in Deutschland selbst die Burschenschaften eine gewisse ideologische Heterogenität aufweisen, stehen ihre österreichischen Waffenbrüder massiert am rechten Rand der Korporiertenszene. So verwundert es nicht, dass österreichische Burschenschaften ausschließlich in einem von drei burschenschaftlichen Dachverbänden — nämlich dem extrem rechten — anzutreffen sind. Dass dieser Verband, die Deutsche Burschenschaft (DB), heute steht, wo er steht, ist nicht zuletzt auf den Einfluss der Österreicher zurückzuführen, die ihm ab 1971 beitraten und ihn, im Verbund mit bundesdeutschen Gesinnungsfreunden, sukzessive nach rechtsaußen führten.
Die Elite der FPÖ
Dass die völkischen Verbindungen in Österreich trotz ihrer geringen Mitgliederzahl und ihrer randständigen politischen Ausrichtung einen gesamtgesellschaftlichen Einfluss ausüben, um den ihre deutschen Kameraden sie beneiden, liegt in der schon erwähnten, weitgehend exklusiven Bindung an eine Partei sowie in der Stärke dieser Partei über Jahrzehnte hinweg begründet. Von Beginn an lenkten „Alte Herren“ die Geschicke der FPÖ. Anton Reinthaller, ihr erster Obmann, war Landsmannschafter. Ihm folgte nach zwanzigjähriger Amtszeit des früheren SS-Offiziers Friedrich Peter ein Turnerschafter (Alexander Götz), der wiederum von einem Sängerschafter (Norbert Steger) beerbt wurde. Dieser verlor die Obmannschaft 1986 im Zuge eines Vorgangs, den er selbst als „Putsch der Burschenschafter“ beschrieb, an Jörg Haider (Burschenschaft Silvania Wien). Insgesamt rekrutierte sich seit der FPÖ-Gründung rund ein Drittel der Parteielite (Nationalratsabgeordnete, Regierungsmitglieder, Landesparteiobleute) aus den Korporationen.
Innerhalb der Partei bilden die Verbindungen Seilschaften aus. Oft noch während des Studiums beginnen Verbindungsmitglieder ihre Parteikarriere als parlamentarische Mitarbeiter, Bezirksräte oder auch im Ring Freiheitlicher Studenten (RFS). Auch durch die Unterstützung „Alter Herren“ in höheren Parteichargen steigen sie im Lauf der Zeit zu Landtags- oder Nationalratsabgeordneten, Bundesräten oder Landesparteiobleuten auf. Besonders effektiv arbeitet etwa die Seilschaft der Burschenschaft Aldania Wien, die der Wiener Landespartei seit Jahrzehnten ihren Stempel aufdrückt.
Der Einfluss der Korporierten innerhalb der Partei war historisch gewissen Schwankungen unterworfen. Eine Schwächung erlebten sie ausgerechnet unter dem Burschenschafter Haider. Dieser ging mit fortschreitender Dauer seiner Obmannschaft immer stärker auf Distanz zum deutschnationalen Kern der Partei und drängte Korporierte zugunsten weltanschaulich unbedarfter Karrieristen in den Hintergrund. Das korporierte Parteivorfeld erduldete dies murrend, solange die Wahlergebnisse stimmten. Mit der Krise, die die FPÖ-Regierungsbeteiligung ab 2000 begleitete, verschärften sich die innerparteilichen Konflikte und kulminierten in der Abspaltung des Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) unter Haider 2005.
Die nunmehr von Heinz-Christian Strache geführte FPÖ kehrte umgehend zurück zu ihren Wurzeln — inhaltlich wie personell. Korporierte kehrten in großer Zahl in die Leitungsebenen der Partei zurück. 2017 waren nicht weniger als 22 von 37 Mitgliedern des Bundesparteivorstandes korporiert. Zu den Nationalratswahlen 2017 trat die FPÖ mit einer Bundesliste an, die unter den Top 25 elf Korporierte zählte. Die aus den Wahlen hervorgehende Nationalratsfraktion wies 20 Korporierte unter 51 Abgeordneten auf, davon 16 Burschenschafter. Rund jede zweite Person, die von der FPÖ in die Arbeitsgruppen zur Aushandlung des Regierungsprogrammes mit der ÖVP entsandt wurde, war korporiert. In die Regierung selbst zogen mit Strache und Norbert
Hofer zwei Burschenschafter ein.
Das korporierte Jobkarussell
Zu voller Entfaltung gelangte das Korporierten-Jobkarussell allerdings unterhalb der Ministerebene: in den Ministerialkabinetten, den Aufsichtsräten teilstaatlicher Betriebe, den von der Regierung beschickten Universitätsräten, aber etwa auch am Verfassungsgerichtshof und im Stiftungsrat des staatlichen Rundfunks (ORF). Ähnliches war bereits während der ÖVP-FPÖ-Koalition ab 2000 zu beobachten gewesen. Auch damals waren deutschnationale Korporierte von der FPÖ an allerlei Schaltstellen der Republik nominiert worden — und konnten sich dort, qua Verbeamtung, teilweise bis heute halten. Besonders effektiv seilschaftete Martin Graf, der als Geschäftsführer der Austrian Research Centers Seibersdorf deren Gehaltsliste mit einem halben Dutzend Bundesbrüder seiner Burschenschaft Olympia füllte.
Tatsächlich kommt die FPÖ ohne die Kaderschmiede der Verbindungen nicht aus. Insbesondere wenn sie mitregiert, läuft die Rekrutierung aus den Verbindungen auf Hochtouren. Ähnliches ist freilich auch für eine etwaige Neuauflage der schwarz-blauen Bundesregierung nach den vorzeitigen Wahlen Ende September 2019 zu erwarten. Selbst wenn die post-Strache-FPÖ es mit ihrer „Erneuerung“ nach Ibiza ernst meinte, könnte sie es sich angesichts ihrer dünnen Decke an akademischem Personal gar nicht leisten, auf die korporierten Kader zu verzichten. Damit ist aber auch eine Hypothek verbunden: Unter den Bedingungen verbindungsstudentischer Verstrickung ist jederzeit mit Skandalen zu rechnen, die das Koalitionsklima belasten können — sei es ein Artikel in einer Korporiertenzeitschrift, eine Rede auf einem Burschenschafter-Kommers oder das nächste antisemitische Liederbuch.