„Der Widerstand ist eine Hydra!“
Die Neonaziszene im Ruhrgebiet nach dem Verbot
Das NRW-Ministerium für Inneres und Kommunales hatte nach längerer Vorbereitung am 23. August das Verbot dreier Neonazi-Gruppierungen durchgesetzt: Die Kameradschaften in Dortmund, Hamm und Aachen wurden nach dem Vereinsgesetz verboten. Nur wenig später reorganisierten sich die Dortmunder und Hammer Neonazis in der Worch-Partei Die Rechte. Ist nun alles wieder beim Alten?
Die Verbote des Nationalen Widerstands Dortmund (NWDO) und der Kameradschaft Hamm (KSH) müssen im Kontext von Innenminister Ralf Jägers „8-Punkte-Programm gegen Rechtsextremismus“ gesehen werden. Demzufolge sollten nicht nur die Staatsschutzdezernate landesweit personell aufgestockt werden, nach Jägers Plänen sollte sich auch der Ermittlungs- und Kontrolldruck auf die rechte Szene erhöhen (vgl. LOTTA #49: 9ff.). In Dortmund wurde die härtere Linie gegen Rechts durch den Wechsel des Polizeipräsidenten begünstigt: Der alte, Hans Schulze, stand lange Zeit wegen seines laxen Umgangs mit den Neonazis in der Kritik. Der neue, Norbert Wesseler, brachte, kaum dass er im Amt war, ein neues Polizeikonzept mit dem Namen „Kein Raum für Rechtsextreme“ auf den Weg und rief eine mit 50 BeamtInnen besetzte Besondere Aufbauorganisation (BAO) ins Leben, die als Sonderkommission den Neonazis „deutlich auf die Füße treten“ sollte.
Repression und Verbote
Die Polizei war nun permanent im Stadtteil Dorstfeld präsent und setzte die Neonazis mit offenen und verdeckten Observationen unter Druck. Das ging sogar so weit, dass beispielsweise straffällig gewordenen Neonazis wie Jan Kahlin von der Skinhead-Front Dortmund-Dorstfeld (SFDD) der Führerschein entzogen wurde oder Fingerabdrücke von Nazi-Aufklebern genommen worden sein sollen. Zudem wurden Haftbefehle wegen unpolitischer Straftaten vollstreckt. Die Staatsmacht griff nun durch. Zu dieser Entwicklung dürfte nicht zuletzt auch die kontinuierliche Antifa-Arbeit in Dortmund beigetragen haben, die seit nunmehr sieben Jahren Stadt und Polizei durch ihre Öffentlichkeitsarbeit auf die Nazi-Problematik aufmerksam macht und dafür Sorge getragen hat, dass rechte Aktivitäten und Gewalttaten konsequent thematisiert wurden.
Am 23. August 2012 wurden schließlich die Verbote der KSH und des NWDO durchgesetzt, zahlreiche Wohnungen und weitere Objekte wurden durchsucht. Das Innenministerium rechnete der Dortmunder Gruppe insgesamt 62 Mitglieder zu. Als führende Köpfe galten neben dem bekannten Dreigespann Dennis Giemsch, Alexander Deptolla und Dietrich Surmann auch Michael Brück, Matthias Deyda und Christoph Drewer, wobei Giemsch der „geistige Anführer“ der hierarchisch aufgebauten Gruppierung gewesen sein soll. Neben den Dortmunder (Post-)“Autonomen Nationalisten“ wurden auch einige Akteure der SFDD zum NWDO gerechnet, allerdings längst nicht alle. Die SFDD als Gruppe wurde nicht explizit verboten. Die Behörden zählten darüber hinaus Neonazis aus Bochum, Lünen, Essen, Unna, Schwerte, Herdecke und Gelsenkirchen zum NWDO. Die regionale Vernetzung und Anziehungskraft der Dortmunder Strukturen wurde wieder einmal deutlich. Die Kameradschaft Hamm soll aus 25 Mitgliedern aus Hamm, Unna und dem Münsterland bestanden haben.
Der Wahl des Datums für die Vollstreckung der Verbote dürften taktische Überlegungen der Polizei zugrunde gelegen haben, denn eine Woche später hätte der „Nationale Antikriegstag“-Aufmarsch stattfinden sollen, zu dem die Neonazis bundesweit mobilisierten. Der Aufmarsch wurde ebenso wie Versuche, Ersatzveranstaltungen anzumelden, von der Polizei mit der Begründung untersagt, die Anmelder seien Mitglieder einer verbotenen Vereinigung.
Infrastruktur beschlagnahmt
Wie bei Vereinsverboten üblich, wurde im Zuge der Großrazzia das gesamte Vereinsvermögen beschlagnahmt und eingezogen. Zum Vereinsvermögen wurden nicht nur die Gruppenkassen gezählt, sondern auch das Material und das Vermögen von Dennis Giemschs 2006 gegründetem Versandhandel Resistore, den zuletzt Michael Brück leitete. Zum Besitz des Vereins wurden ferner der VW-Transporter („Kameradschaftswagen“) und die angemieteten Räumlichkeiten in Dortmund („Nationales Zentrum“) gezählt, die ebenso wie das „Vereinsheim“ in Hamm („Villa Kunterbraun“) komplett leer geräumt wurden. In Dortmund fand die Polizei zudem rund 1.000 NPD-Plakate, die als Beleg für die enge Zusammenarbeit der Partei mit den „Freien“ gewertet wurden. Beobachtungen zeigten, dass an den „Kameradschaftstreffen“ regelmäßig auch NPD-Funktionäre aus der Region teilnahmen – beim letzten war sogar Stefan Köster, NPD-Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, mit zwei Begleitern anwesend.
Den Neonazis wurde jedwede Vereinstätigkeit, das Publizieren auf den Internetplattformen Infoportal Dortmund und DortmundTicker sowie das Verwenden des „Vereinsnamens“ untersagt. „Ersatzorganisationen zu bilden, oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen“, wurde ihnen ebenfalls verboten. Kurzum: Die rechte Szene wurde von der Razzia zweifelsfrei überrascht und zumindest kurzzeitig schwer getroffen. Große Teile der Kommunikations- und Infrastruktur wurden ihr plötzlich entrissen.
„Solidarität mit dem NWDO“ – Neonazis im Stadion
Kurz nach dem Verbot des NWDO wurde beim Auftaktspiel der neuen Saison, Borussia Dortmund gegen Werder Bremen, auf der Südtribüne ein Banner hochgehalten, das Solidarität mit dem NWDO bekundete. Mittels Videomaterial konnten die Männer identifiziert werden. Bei einem handelte es sich um den 27-jährigen Dortmunder Timo Kersting, der, wie die Polizei mitteilte, dem Staatsschutz als „Rechtsextremist“ bekannt ist und in der Vergangenheit bereits mehrfach negativ im Zusammenhang mit Fußballspielen auffiel. Kersting steht seit Jahren in enger Verbindung mit dem NWDO. Er gilt zum Beispiel als einer der Leiter des Kampfsporttrainings von Mitgliedern der Ultra-Gruppe Desperados 1999 und des NWDO, das bis 2008 im Rahmen des eigens gegründeten Tremonia e. V. in einer städtischen Turnhalle in Lütgendortmund stattfand. An diesem Training hat auch der Dortmunder Paul Pietrzinski teilgenommen, der ebenfalls seit Jahren eine Scharnierfunktion zwischen rechter Fußballszene und NWDO einnimmt.
Die Welt des Fußballs stellt für die Dortmunder Neonazis nach wie vor ein wichtiges Aktions- und Rekrutierungsfeld dar: Zwischen 30 und 60 Personen des NWDO sollen regelmäßig auf der Südtribüne stehen. Dass beim BVB-Ordnungsdienst Nazis und Hooligans von Desperados 1999 und Northside arbeiten, war regelmäßigen StadionbesucherInnen bereits vor der öffentlichen Debatte bekannt. Zuletzt wurde nach den Ausschreitungen beim 141. Revierderby der Kreisvorsitzende der Dortmunder NPD, Matthias Wächter, verhaftet. Der BVB scheint das Problem aufgrund des öffentlichen Drucks angehen zu wollen. In jüngerer Zeit sind acht Stadionverbote gegen rechte Fans ausgesprochen worden, auch ein gewalttätiger Ordner, der Mitglied bei der Northside war, wurde entlassen. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sprach davon, „diesen Sumpf trockenlegen“ zu wollen. Über die plötzliche Aufregung um die Aktivitäten von Neonazis im Stadion muss man sich allerdings wundern. Schließlich rekrutieren die örtlichen Neonazis hier schon seit Jahren offensiv neue Mitglieder. Auch die Strategie, öffentlichkeitswirksam mit rechten Bannern und Sprechchören aufzutreten, ist hinlänglich bekannt. Erinnert sei exemplarisch an die homophoben Spruchbänder der Desperados beim Spiel Borussia Dortmund gegen Werder Bremen im März 2012, die gegen Mitglieder des antifaschistischen Alerta-Netzwerkes gerichtet waren.
Die Rechte als neues Betätigungsfeld
In Dortmund klagt ein Teil der sechs genannten NWDO-“Vorstandsmitglieder“ beim Oberverwaltungsgericht in Münster gegen das Verbot der Organisation an sich. Ein anderer Teil des „Vorstands“ hat Klage gegen die Nennung als „Mitglieder“ eingereicht. Eine Entscheidung steht noch aus. Das Verbot der KSH hingegen ist Ende September rechtskräftig geworden, weil niemand während der Widerspruchsfrist dagegen geklagt hatte.
Obwohl sie durch die Verbote einen schweren Schlag erlitten hatte, kam die Dortmunder und Hammer Szene relativ schnell wieder auf die Beine und schaffte sich Ersatzstrukturen. Am 15. September – keine drei Wochen nach den vollstreckten Verboten – wurde in der Thusneldastraße in Dorstfeld, dem Wohnzentrum der Dortmunder AN, der NRW-Landesverband der im Mai 2012 durch Christian Worch konstituierten Partei Die Rechte gegründet. Den Vorstand bilden mit Dennis Giemsch (Landesvorsitzender), Michael Brück (Vizevorsitzender) und Sascha Krolzig führende Aktivisten der verbotenen Kameradschaften.
Diese personelle Kontinuität setzt sich auch im Dortmunder Kreisverband fort, der am 27. Oktober in Dortmund gegründet wurde: Mit Siegfried „SS-Siggi“ Borchardt wurde eine bekannte Neonazigröße zum Kreisvorsitzenden gewählt. Damit dürfte sich die Partei wohl keinen Gefallen getan haben. Nicht nur, weil Borchardt erst vor Kurzem aufgrund seines Alkoholismus zum wiederholten Male einen Entzug in der LWL-Klinik Dortmund hinter sich gebracht hat und gerade wenig Zeit und Energie für die Leitung eines Kreisverbandes übrig haben dürfte, sondern auch, weil der für seine Nazi-Karriere stadtbekannte Borchardt der absolute Bürgerschreck ist. Er dürfte also vor allem deshalb in das Amt gewählt worden sein, um ein deutliches und selbstbewusstes Signal zu setzen, dass man zur lückenlosen Fortsetzung der Strukturen steht. Der einstige „Platzhirsch“ Borchardt hatte sich seit 2006 zunehmend aus der aktiven Arbeit zurückgezogen, stand aber immer in Kontakt mit den AN und hatte bis August auch regelmäßig an deren Treffen im „Nationalen Zentrum“ teilgenommen. Der 59-Jährige ist mit einer Handvoll Mitstreitern, wie etwa dem in Bochum wohnenden Frank Arens, einer der Wenigen, der seit der Gründung der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (1979 – 1995) bis heute in der militanten Neonaziszene in und um Dortmund aktiv ist.
Dem neu gegründeten Hammer Kreisverband von Die Rechte steht mit Sascha Krolzig der ehemalige Anführer der KSH vor. Auch sein Stellvertreter Dennis Möller ist seit fast zehn Jahren in der Hammer Neonazi-Szene aktiv. Nach eigenen Angaben soll in Hamm 2013 eine „Geschäftsstelle“ eröffnet werden.
Parteibuch statt Straßenkampf?
Die Neonazis fühlen sich rechtlich auf der sicheren Seite und lassen alte Strukturen wieder aufleben: Statt des Infoportals Dortmund gibt es nun das DortmundEcho – die Funktion ist dieselbe, die Aufmachung ähnlich. An die Stelle von Resistore trat der Antisem-Versand. Auch die allwöchentlichen Treffen finden wieder ungestört statt. Im nordwestlichen Stadtbezirk Huckarde kaufte Surmann für seine „Kameraden“ bereits im April 2012 für 45.000 Euro ein Ladenlokal. Geld spielt offenbar keine Rolle. Nach der Vollendung der derzeit stattfindenden Renovierungsarbeiten sollen die Räumlichkeiten der Partei zukünftig als Kreis- und Landesgeschäftsstelle dienen.
Personell und funktionell gibt es also deutliche Überschneidungen zwischen der verbotenen Organisation NWDO und der neuen Partei Die Rechte. Dass sich die vormals „Freien Kräfte“ in Dortmund jetzt – gemäß Parteiprogramm – „ohne jeden Vorbehalt“ zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, nur weil sie jetzt ein Parteibuch vor sich her tragen, nimmt ihnen zu Recht keiner ab. Es handelt sich um einen taktischen Schachzug – nicht mehr. Sie sind weiterhin überzeugte NationalsozialistInnen, die sich lediglich aufgrund der äußeren Umstände – und damit notgedrungen – eine neue Organisationsform suchen mussten, bei der derlei Willensbekenntnisse vonnöten sind. In einem Video, das die Neonazis kurz nach den Razzien veröffentlichten, gaben sie die Parole „Der Widerstand ist eine Hydra!“ aus. Ihre Parteiarbeit stellt daher folgerichtig lediglich ein Wiederbetätigungsfeld dar, um die Verbote zu umgehen. Auch das Aktionsrepertoire von Die Rechte in Dortmund schließt an die Praxis des NWDO an. So versucht man einerseits lokale Themen aufzugreifen und mit Info-Ständen Präsenz zu zeigen, andererseits wurde eine Demo-Anmeldung für den 1. Mai 2013 bekannt. Ein bundesweit beworbener „Event“ könnte geplant sein. Auf den Tag genau vier Monate nach den Razzien mobilisierte Die Rechte insgesamt 90 Personen zu drei aufeinander folgenden Kundgebungen nahe den Wohnorten Dortmunder PolitikerInnen. Es wird deutlich, dass die Neonazis – zumindest vorerst – dem Verbot erfolgreich trotzen und Handlungsfähigkeit demonstrieren.
Verhältnis zur NPD
Die Rechte plant, zur NRW-Kommunalwahl im Jahr 2014 anzutreten: „Unsere Partei hat sowohl die ausreichende Mannstärke, als auch die nötigen finanziellen Mittel, um einen offensiven und erfolgreichen Wahlkampf zu führen“, erklärt Giemsch selbstbewusst. Damit begibt sich die Partei in Dortmund in ein direktes Konkurrenzverhältnis zur NPD, die immerhin mit zwei Mandatsträgern im Stadtrat vertreten ist. Doch das Verhältnis zwischen Dortmunder NPD-Führung und der Gruppe um Giemsch ist schon seit Längerem belastet (vgl. LOTTA #48, S. 44). Bessere Kontakte bestehen zu Hans Jochen Voß, dem Kreisvorsitzenden der NPD Unna/Hamm, dessen Wohnung am 23. August ebenfalls durchsucht wurde. Der langjährige Wegbegleiter und Finanzier der Dortmunder Strukturen erklärte anlässlich einer „Weihnachtsfeier“ von Die Rechte in Hamm, man werde „auch im nächsten Jahr“ in „fairer und kameradschaftlicher Konkurrenz“ agieren. Einen Bruch mit den Neonazis aus Dortmund und Hamm kann sich das NPD-Landesvorstandsmitglied ohnehin nicht erlauben – zu dünn ist die eigene Personaldecke. Wahlkämpfe konnte die NPD im Kreis Unna und in Hamm in der Vergangenheit nur mit Hilfe der „Freien Kräfte“ bestreiten, zu einem Kommunalwahlantritt reichte es trotzdem nicht.
Ungewisse Zukunft
Die Dortmunder „Staatsantifa“ scheint derweil wieder in altbekannte Muster zu verfallen. Oberbürgermeister Ullrich Sierau bagatellisiert die Aktivitäten der Neonazis in Dorstfeld und bezeichnet – in völliger Verkennung der Sachlage – ihren zurückliegenden Raumkampf als „Fehlschlag“. Als Reaktion auf die eröffnete Geschäftsstelle in Huckarde will die Bezirksvertretung einen „Runden Tisch“ gründen – bekanntermaßen eine stets erfolgreiche „Wunderwaffe“ gegen gewalttätige Neonazis. Bei einem ersten Bürgerforum zum Thema erschienen jedoch 180 Personen aus Huckarde, die die Bereitschaft signalisierten, langfristig gegen die Neonazis aktiv zu werden.
Die polizeiliche Repression scheint nach der erfolgreichen medialen Inszenierung sukzessiv abzuflachen, unabhängig davon, dass die Polizei verlautbaren ließ, die Sonderkommission weiterführen zu wollen. Personalumfang und zeitlicher Rahmen der Maßnahmen für das Jahr 2013 sind noch nicht bekannt, ein Ende ist jedoch aufgrund der Kosten absehbar.
Die eingangs gestellte Frage, ob jetzt alles wieder beim Alten sei, muss also eindeutig bejaht werden. Die Verbote und Razzien haben die Dortmunder Strukturen zwar getroffen, aber die Neonazis haben sich schnell in Form der Partei reorganisiert. Trotz der Repression gehen die rechtsmotivierten Übergriffe in Dortmund weiter. Getreu dem Motto „Der Widerstand ist eine Hydra“ präsentieren sich die Neonazis je nach Anlass mal bürgernah als „Nationale Demokraten“ und mal als vermummte und militante „Nationalrevolutionäre“. Ob dieses Kalkül am Ende aufgeht, hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob der Kreisverband der Dortmunder Rechten als Ersatzorganisation des NWDO verboten wird und ob die Neonazis auch abseits staatlich-repressiver Maßnahmen mit Gegenwind rechnen müssen.