Die „Identitäre Bewegung“ erklärt den Krieg

Neue Strategie und Erscheinungsform der extremen Rechten

Frankfurt/Main, 30. Oktober 2012: Bei der Eröffnung der städtischen „Interkulturellen Wochen“ tauchen plötzlich drei junge Männer mit Masken auf. Sie fuchteln mit selbst gebastelten Schildern herum, hüpfen zur Musik aus einem tragbaren CD-Player durch den Saal und werden dann von einigen Besucher\_innen aus der Veranstaltung gedrängt. Auf Facebook wird der Auftritt als „erste Aktion der Identitären Bewegung“ in Deutschland bejubelt.

Frankfurt/Main, 30. Oktober 2012: Bei der Eröffnung der städtischen „Interkulturellen Wochen“ tauchen plötzlich drei junge Männer mit Masken auf. Sie fuchteln mit selbst gebastelten Schildern herum, hüpfen zur Musik aus einem tragbaren CD-Player durch den Saal und werden dann von einigen Besucher_innen aus der Veranstaltung gedrängt. Auf Facebook wird der Auftritt als „erste Aktion der Identitären Bewegung“ in Deutschland bejubelt.

Die „Kriegserklärung“

Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 25 Seiten der „Identitären“ bei Facebook angelegt. Täglich neue Profile und Statusmeldungen suggerieren die Aufbruchstimmung einer vermeintlich real entstehenden Bewegung. Stolz wird vermeldet, in welcher Stadt bereits ein Aufkleber gesichtet wurde. Startpunkt der Identitären Bewegung Deutschland war der 10. Oktober 2012. An diesem Tag wurde die „Kriegserklärung“ veröffentlicht, ein in Schwarz-Weiß gehaltenes französisches Youtube-Video, das mit deutschen Untertiteln versehen ist. Rassismus pur: „Unser Land, unser Blut, unsere Identität“ stehe gegen eine „erzwungene Rassenmischung“. Feindbilder sind die moderne Gesellschaft und „die 68er“. Als Symbol dient der griechische Buchstabe Lambda, der für den Kampf der Spartaner gegen „die Fremden“ stehen soll. „Glaubt nicht, dies ist nur ein Manifest“, heißt es im Video: „Es ist eine Kriegserklärung.“

Das Originalvideo stammt von der Génération Identitaire, der Jugendorganisation des extrem rechten Bloc identitaire. Dieser versteht sich als außerparlamentarische Bewegung mit „europäischer Identität“ und Gegenentwurf zum französisch-nationalistischen Front National (FN). Die Vorgängerorganisation des Bloc identitaire, die Unité radicale, war am 6. August 2002 verboten worden, nachdem eines ihrer Mitglieder versucht hatte, ein Attentat auf den damaligen Präsidenten Jacques Chirac zu verüben.

„0% Rassismus“ in der extremen Rechten?

Nach außen legen die „Identitären“ großen Wert darauf, sich von „Extremisten“ abzugrenzen. Man bemüht sich, den eigenen Standort in der extremen Rechten zu verschleiern. Plakativ wird verkündet: „100% Identität – 0% Rassismus“. Dass dies eine hohle Phrase ist, wird bei einem Blick auf Facebook schnell deutlich. Da wird bei den hessischen „Identitären“ die Identität wie folgt definiert: „Ich will, dass ich morgens mein vertrautes Kirchenglockengeläut höre und kein Muezzin-Gerufe. Ich will, dass ich mich hier auch noch in 100 Jahren in meiner Muttersprache unterhalten kann.“ Bei solchen kulturrassistischen Untergangsszenarien bleiben die „Identitären“ nicht stehen. Die Identitäre Bewegung Hessen ist mit dem sächsischen NPD-Kader und Hammerskin Maik Scheffler befreundet. Die Identitäre Bewegung Altmühtal postet Neonazi-Lieder und die Chemnitzer trauern um den verstorbenen Rassisten Jürgen Rieger. Seit Mitte Dezember versucht auch die NPD-Nachwuchsorganisation JN auf den Zug aufzuspringen, sie startete eine eigene Kampagne. Das zugehörige „T-Hemd“ wird angepriesen mit „100% Identität, 0% Distanzierung“.

Zwischen Liebäugelei und Distanzierung

In Teilen des Kameradschaftsspektrums liebäugelt man schon länger mit den „Identitären“. Akteure der Nationalen Sozialisten Rhein-Main kündigen bereits seit Mitte 2011 eine Identitäre Gruppe Frankfurt an. Im August 2011 fand im sächsischen Geithain ein „Tag der Identität“ statt, der als Projekt Block Identität des Freien Netzes Borna/Geithain angekündigt war. Unter den Rednern war auch Christian Müller, ein ehemals führender Neonazi aus dem Rhein-Main-Gebiet, der an dem Projekt Volksfront-Medien maßgeblich beteiligt war. Neben ihm schwadronierte Maik Scheffler über „deutsche Identität“ und „Gehirnwäsche“ der „Scheinwelt BRD-Demokratie“.

Auch wenn einige „Kameradschaften“ Ideen und Aktionsformen der „Identitären“ positiv gegenüberstehen, so ist die Stimmung doch bei Weitem nicht einheitlich. Die Autonomen Nationalisten Pulheim beispielsweise grenzen sich scharf ab, versuchen die „Identitären“ als „Knechte der neuen Weltordnung“ zu entlarven und fordern stattdessen den „wahren NS“. „Identitäre“ würden sich als „Demokraten“ begreifen, sich „gegen den Nationalsozialismus stellen“, ihnen sei „unser Blut nichts Wert“. „Identitär“ sei im Übrigen „ein Wort, welches es im Deutschen so ursprünglich nicht gibt“.

Doch finden sich auch andere bei den „Freien“ in NRW, die die „Identitären“ zumindest spannend finden. Einige scheinen darin eine Art Neuauflage der „Unsterblichen“ und der „Volkstod“-Kampagne zu sehen. Häufiger sind es in NRW jedoch Akteur_innen aus dem Spektrum der German Defence League – mit Schnittstellen zu pro NRW – und aus Teilen der Anhänger_innenschaft von Politically Incorrect (PI), die sich von den „Identitären“ angezogen fühlen.

Populistische und intellektuelle Rechte

Insbesondere die „Neuen Rechten“ bemühen sich als inhaltliche Stichwortgeber. So besuchte Götz Kubitschek, Herausgeber des Theorieorgans Sezession, ein Treffen des Bloc identitaire und analysierte, dass die Diskussion in Deutschland weiter sei als in Frankreich. Als „ideologisches Rüstzeug“ empfiehlt er seine eigenen Texte.

Die provokanten, den politischen Gegner verunsichernden und auf Medienresonanz zielenden Störaktionen der von Kubitschek 2008 ins Leben gerufenen Konservativ-Subversiven Aktion ähnelten denen der „Identitären“ – allerdings erreichten sie nicht annähernd die gleiche Ausstrahlung. Auch Kubitscheks Mitstreiter Felix Menzel versucht, sich an die Spitze der „Identitären“ zu setzen. Seine Zeitschrift Blaue Narzisse bietet „identitäre“ Aufkleber an, die für 10 Euro à 100 Stück verkauft werden. Stolz vermeldete Menzel, dass es am 1. Dezember 2012 in Frankfurt „ein erstes bundesweites Treffen“ gegeben habe, bei dem aus dem Kreis der angeblich 50 Anwesenden „4 Verantwortliche für Presssearbeit, IT, Finanzen und eine Leitung“ gewählt worden seien. Vor dem Treffen kreuzten „Identitäre“ vor einer Frankfurter Moschee auf, um in Anlehnung an die „Hardbass“-Aktionen osteuropäischer Neonazis ein kurzes Video für Youtube zu drehen.

Was bleibt?

Auffallend an den „Identitären“ ist das Bestreben, Teile des neonazistischen, des rechtspopulistischen und des „neurechten“ Spektrums zusammenzubringen, was sich in einem Slogan wie „weder Kippa noch Palituch“ ausdrückt. Dieser kann als Ablehnung von Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens verstanden werden, darüber hinaus aber auch als Abgrenzung zum Philosemitismus des rechtspopulistischen Spektrums und zur antisemitischen Palästina-Begeisterung des neonazistischen Spektrums.

Innerhalb der Identitären Bewegung Deutschland zeichnen sich bereits erste Richtungsstreits ab. Während die einen auf Jürgen Rieger und neonazistische Bands setzen, erklären andere den Song „Wahre Werte“ von Frei.Wild zu ihrer Hymne und posten deren Statement „Gegen Rassismus, gegen Extremismus“ im Netz.

Ob es die „Identitären“ schaffen werden, das alte Dilemma rechter Bewegungen zu überwinden, darf bezweifelt werden: Sobald es inhaltlich wird, zerfallen mühsam gekittete Bewegungen wieder in ihre Bestandteile. Auch Facebook als das verbindende Medium für Jugendliche und junge Erwachsene wird daran nichts ändern.


Hinweis: Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag aus monitor – rundbrief des apabiz e.V. Nr. 57, Dezember 2012.