Erfolgserlebnis trotz Schwierigkeiten
Das europäische „Hammerfest“ in Toul/Frankreich
Bis zu 1.500 Neonazis trafen sich am 3. November 2012 abends in Toul im Nordosten Frankreichs beim europäischen „Hammerfest“. Bei dieser zentralen, jährlich stattfindenden Veranstaltung der „Hammerskins“ in Europa traten sieben Neonazi-Bands aus Deutschland, Ungarn und Griechenland auf.
Die Hammerskin Nation, eine in den 80ern in den USA entstandene und international vernetzte Neonazi-Organisation mit offenem Bezug zum Rechtsterrorismus, versteht sich als „Bruderschaft“ mit stark hierarchisch-elitärer Struktur ähnlich der vieler Rockerclubs. Neuanwärter müssen eine lange Aufnahme-Prozedur durchlaufen, erst nach Jahren gilt man als vollwertiges Mitglied. Zuletzt waren die „Hammerskins“ international in den Medien, nachdem der US-amerikanische Neonazi Wade Michael Page in einem Sikh-Tempel in Wisconsin sechs Menschen erschoss und weitere verletzte. Page gehörte dem Northern Hammerskin Chapter an.
In Deutschland existieren aktuell etwa 10 Sektionen mit Schwerpunkten im Südwesten und Mecklenburg-Vorpommern. Bisher ist wenig über die Struktur der „Hammerskins“ bekannt. Die Organisation ist vorrangig nach innen ausgerichtet, öffentliche Auftritte als Gruppe kommen praktisch nicht vor. Auch das europäische „Hammerfest“ sollte im Verborgenen stattfinden, was jedoch nicht ganz gelang.
Nicht ganz reibungsloser Ablauf
Das „Hammerfest“ 2012 wurde von der Sektion Westmark organisiert. Kopf dieses in Rheinland-Pfalz und dem Saarland vertretenen Chapters ist Malte Redeker, umtriebiger Neonazi aus Ludwigshafen und europaweit zentrale Figur der „Hammerskins“. Die Vorbereitung des Konzertes lief konspirativ ab, im Vorfeld waren kaum Informationen darüber zu finden. Als Veranstaltungsort wurde zunächst die Schweiz benannt, antifaschistische Gruppen machten dies öffentlich. Zuletzt war auf dem Flyer nur noch „central europe“ zu lesen.
Am 3.11. war erst Volmunster als Veranstaltungsort im Gespräch, ein kleiner Ort in Lorraine, Frankreich, wenige Kilometer hinter der deutschen Grenze. Doch auch hieraus wurde nichts. Schließlich fand das „Hammerfest“ in einem Industriegebiet nördlich von Toul in Frankreich statt, wesentlich weiter von Deutschland entfernt als geplant. In Toul befindet sich das Clubhaus des „Hammerskin“-Chapters Frankreich. Vermutlich war dies die letzte Ausweich-Option, nachdem der geplante Veranstaltungsort laut Bandansage „von den Bullen platt gemacht“ worden war.
Vor Ort in Toul waren die Neonazis dann ungestört unter sich, das Industriegebiet war für den Abend de facto no-go-area für Nicht-Nazis. Obwohl das Clubhaus des Chapters Frankreich seit längerem existiert, war die Gendarmerie von Toul völlig ahnungslos. Immerhin, im Nachhinein führte das Konzert zu Diskussionen vor Ort. Die französische Presse berichtete ausführlicher als gewöhnlich. Regionale Behörden und Verwaltung kündigten daraufhin an, Veranstaltungen dieser Größe in Zukunft aus „Sicherheitsaspekten“ nicht mehr zu tolerieren.
Die Räume des Clubhauses waren viel zu klein für die zirka 1.500 angereisten Neonazis. Im Nachhinein gab es in einschlägigen Internet-Diskussionen der „Hammerskins“ Beschwerden über die Größe der Halle, laut französischen Medien ist diese für etwa 150 bis 200 Personen ausgelegt. Gleichzeitig blieb die Besucherzahl weit unter der im letzten Jahr. Damals, am 09. Juli 2011 trafen sich noch schätzungsweise 2.500 Neonazis in Rohrbach-lès-Bitche in Lorraine, Frankreich, völlig ungestört zu einem „Hammerskin“-Konzert. Antifaschistische Gruppen machten das Konzert im Anschluss öffentlich, weder in Deutschland noch in Frankreich fand es in der Presse Erwähnung.
Alles in allem verlief das Hammerfest 2012 also nicht ganz so reibungslos, wie es sich unter anderem Malte Redeker gewünscht hatte.
Internationale Vernetzung und Erlebniswelt
Die angereisten Neonazis kamen überwiegend aus Deutschland, aber auch aus anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Italien, Belgien, der Schweiz und Österreich. Vor allem aus dem Süden Deutschlands wurden mehrere Reisebusse organisiert, vermutlich von den jeweiligen Chaptern der „Hammerskins“.
Der Eventcharakter einer Veranstaltung wie das „Hammerfest“ darf nicht unterschätzt werden. Der Großteil der anwesenden Neonazis dürfte den Abend unter dem Strich als Erfolgserlebnis in Erinnerung behalten. Weitestgehend ungestört feierten sie zum Sound der Rechtsrock-Bands sich und ihre „Bruderschaft“, festigten ihr menschenverachtendes Weltbild und knüpften neue Kontakte. Letzteres stand dieses Jahr besonders im Vordergrund. Der Satz „everyone is invited“ auf dem Veranstaltungs-Flyer dürfte ein Signal an Neonazis aus dem verbotenen Blood & Honour-Netzwerk gewesen sein, alte Grabenkämpfe zu vergessen und zum Hammerfest zu kommen. Seit dem bundesweiten Verbot von Blood & Honour im Jahr 2000 gewinnen die „Hammerskins“ zunehmend an Bedeutung im Rechtsrock-Business. Viele ehemalige Blood & Honour-Aktivisten sind bereits bei den „Hammerskins“ untergekommen.
Business, Rechtsterrorismus und strukturelle Unterschätzung
Auch die finanzielle Dimension eines solchen Events ist nicht zu unterschätzen. Buskarten, Eintritt, Getränke-Verkauf und vor allem Merchandising vor Ort dürften einiges an Geld in die Kassen der Chapter gespült haben. Rechtsrock ist nach wie vor ein lukratives Geschäftsmodell. Vor dem Hintergrund, dass regelmäßig Konzerte durch die Hammerskins veranstaltet werden, lässt sich erahnen, dass es hierbei auch um große Geldsummen geht. Die erwirtschafteten Beträge fließen vermutlich zumindest indirekt auch in explizit politische Projekte der extremen Rechten.
Erst kürzlich berichtete das Recherche-Magazin gamma aus Leipzig über Verbindungen zwischen dem NSU und den „Hammerskins“. Von den deutschen Behörden werden die „Hammerskins“ dennoch weiterhin bagatellisiert. In Baden-Württemberg sieht der Verfassungsschutz keine Anzeichen für eine feste Organisationsstruktur, „ein sogenanntes Chapter […] konnte bislang […] nicht festgestellt werden“. Der sächsische Verfassungsschutz wiederum ist laut den Recherchen von gamma über V-Männer wie Thomas Richter selbst ins Chapter Westsachsen verstrickt. Realistische Einschätzungen sind von den Sicherheitsbehörden auch in Zukunft nicht zu erwarten.
Antifaschistische Initiativen dagegen machen seit Jahren auf die Bedrohung durch „Hammerskins“ aufmerksam. Mittlerweile haben diese sich zu einem weltweit gut organisierten Neonazi-Netzwerk entwickelt. Zunehmende Bedeutung im Rechtsrock-Business, gute internationale Vernetzung, offensichtliche Affinität zu Gewalt und Rechtsterrorismus sowie die strukturelle Unterschätzung durch Behörden machen die „Hammerskins“ zur derzeit gefährlichsten bekannten Neonazi-Organisation in Europa. Die nun durch Presseberichte erlangte Öffentlichkeit kommt ihnen dabei gar nicht gelegen. In Internet-Diskussionen warnen ältere „Brüder“ immer wieder vor den Gefahren durch das zunehmende öffentliche Interesse. Die „Hammerskins“ blieben am liebsten ungestört unter sich.