„Willkommen im Chaos“?
Die „Kameradschaft Aachener Land“ und ihr Verbot
Am 23. August 2012 wurden drei neonazistische „Kameradschaften“ aus NRW verboten. Eines dieser Verbote traf die Kameradschaft Aachener Land (KAL). Die KAL zählte zu den ältesten und aktivsten Neonazi-Kameradschaften in NRW. Die Verbotsverfügung wurde 46 Personen zugestellt, die als Mitglieder angesehen wurden.
Geschichte
Die KAL wurde Ende 2001 von Neonazis aus dem Aachener Umland gegründet. Obwohl bereits zu diesem Zeitpunkt das Label KAL genutzt wurde, nennt die Gruppe selbst den Februar 2002 als Gründungsmonat. Wichtige Rollen im Gründungsprozess nahmen Wolfgang Nahrath, ehemaliger Führungskader der 1994 verbotenen Wiking-Jugend (WJ) aus Stolberg, und der ehemalige ANS/NA-, FAP- und NO-Kader Christian Malcoci aus dem Rhein-Kreis Neuss ein. Als Gründungsmitglieder der KAL gelten vor allem René Laube und Sascha Wagner. Laube war „Kameradschaftsführer“ der KAL und Vize-Vorsitzender der NPD-Kreisverbände in Düren und Euskirchen. Wagner ist heute NPD-Funktionär in Rheinland-Pfalz, nach wie vor aber auch regelmäßiger Besucher von Heim- und Auswärtsspielen der Alemannia Aachen.
Zum Zeitpunkt ihrer Gründung bestand die KAL aus Neonazi-Skinheads, die vorwiegend aus Düren, Langerwehe, Eschweiler und Stolberg kamen. Diese trafen sich vor allem in Kneipen in den genannten Kleinstädten, im niederländischen Heerlen und Kerkrade oder bei Fußballspielen und Aufmärschen.
Die KAL trat seit ihrer Gründung durch gewalttätige Angriffe auf Migrant_innen, politische Gegner_innen, Antifaschist_innen und andere ihnen nicht genehme Personen in Erscheinung. In den Anfangsjahren galt sie in der Neonaziszene Deutschlands vor allem als „Saufkameradschaft“. In der Zeit von 2002 bis 2006 pflegte sie sehr gute Kontakte zum Netzwerk der seit 2000 in Deutschland verbotenen und international agierenden Organisation Blood & Honour, beispielsweise zum Kreis um die Dortmunder Band Oidoxie. Seit dem Jahr 2002 fanden verstärkt Aufmärsche von Neonazis in der Region statt, an denen die KAL beteiligt war.
Im Laufe des Jahres 2007 war eine deutliche Verjüngung in der Aachener Neonaziszene zu beobachten. Dies ist zurückzuführen auf eine zunehmende Rekrutierung von Jugendlichen aus Fußballfangruppen. Zugleich intensivierte die KAL ihre Zusammenarbeit mit der NPD, zu der sie dann später wieder zunehmend auf Distanz ging. Die NPD im Raum Aachen/Düren, vor allem aber der damalige Dürener NPD-Kreisvorsitzende Ingo Haller und sein Stellvertreter Laube, sorgten aber zwischenzeitlich dafür, dass zwischen der KAL und der NPD Düren eine enge Vernetzung entstand. Die KAL übernahm den Schutz bei NPD-Infoständen und Aufmärschen, es gab zudem einige personelle Überschneidungen. Im Gegenzug leistete die NPD finanzielle und logistische Unterstützung bei KAL-Veranstaltungen und Aktionen. Auch mit Strukturen wie der AG Rheinland wurde enger zusammengearbeitet. Dabei änderte sich auch das modische Erscheinungsbild der „Kameradschaft“ – weg vom Nazi-SkinheadImage hin zum einem modernen Style der „Autonomen Nationalisten“. Auch die überregionale Vernetzung wurde ausgebaut – bundesweit, aber auch in die Niederlande und nach Belgien.
Mit der genannten Zusammenarbeit und der Verjüngung von Strukturen ging ein rapider Anstieg von Aktionen, Übergriffen und Aufmärschen in der Region Aachen und auch in der Stadt Aachen einher. Zwischen 2007 und 2012 fanden in Aachen und Stolberg 14 Aufmärsche statt, dazu sechs in Düren und zwei in Heinsberg. Daneben wurden – meist konspirativ – Liederabende, Konzerte, Fußballturniere, Schlageter-Gedenkveranstaltungen, „Julfeste“ und ähnliches durchgeführt.
Vor allem von 2008 bis Mitte 2011 kam es vermehrt zu Angriffen auf Personen, deren Wohnungen, linke Infrastruktur und antifaschistische Veranstaltungen.
Laut Polizei wurden im Zeitraum 1. Januar 2008 bis zum 1. Juni 2012 gegen KAL-Mitglieder 589 Verfahren eingeleitet. Die Chronik autonomer AntifaschistInnen zu Naziübergriffen in Aachen seit Ende 2007 benennt 80 direkte Angriffe oder Bedrohungen gegen Menschen. Zuletzt wurden im Juli 2012 vier Heinsberger Neonazis, darunter drei KAL-Mitglieder, in U-Haft genommen, ihnen wird versuchter Mord vorgeworfen.
Situation vor dem Verbot
Nach der Verurteilung des KAL-Kaders Denis Unruh wegen Körperverletzungen zu einer 14-monatigen Haftstrafe und nach dem Bekanntwerden des NSU, trat die KAL weit weniger öffentlich auf – auch wenn sie auf ihrer Homepage eine Solidaritätserklärung für den NSU schaltete. Die Aufbauarbeit allerdings lief weiter – beispielsweise die Neugründung der Sektion Heinsberg. Diese war maßgeblich daran beteiligt, die KAL Strukturen zu erhalten und Organisationsarbeit in der „Kameradschaft“ zu betreiben. Auffallend war zudem, dass weniger KAL-Mitglieder an Neonazi-Aufmärschen in ganz Deutschland teilnahmen. Vor allem die Entwicklungen in Heinsberg und im Wohnort René Laubes, Vettweiß-Kelz in der Nähe von Düren, wiesen darauf hin, dass die KAL nun zunehmend versucht(e), Strukturen in ländlichen Gebieten aufzubauen.
In Alsdorf wurde Anfang 2012 die Kameradschaft Alsdorf-Eupen (KAE) gegründet. Die KAE – so schätzen es AntifaschistInnen in der Region ein – könnte als eine Art Rettungsboot gegründet worden sein, in der sich KAL-Leute im Falle eines Verbots weiterbetätigen könnten. Auftreten und Symbolik der KAE orientieren sich sehr stark an der KAL, bezeichnend ist auch die Tatsache, dass die KAL vor ihrem Verbot keinerlei Anstalten machte, die KAE zu vereinnahmen – ganz entgehen ihrem bisherigen Umgang mit anderen Neonazigruppen in „ihrer“ Region. Personelle Überschneidungen sind allerdings (noch) nicht zu erkennen. Die Mitglieder der KAE rekrutieren sich vor allem aus dem extrem rechten Fußballspektrum. Einige von ihnen, etwa die Brüder Daniel und Thomas Hamblock aus Alsdorf, sind seit Jahren in der Aachener Hoolszene aktiv und fielen bereits durch Angriffe auf antirassistische Fans auf. Die „Kameradschaft“ wird auf 15 bis 20 Personen geschätzt, dabei sollen die Mitglieder gleichmäßig auf die beiden Städte aufgeteilt sein.
Ausblick
Bereits zwei Tage nach dem Verbot der KAL fand in Düren eine Mobilisierungskundgebung für den später verbotenen „Nationaler Antikriegstag“-Aufmarsch in Dortmund statt. KAL-Chef Laube leitete die Veranstaltung und stellte die Redner vor. Man sei „trotz Verbot nicht tot“, verkündete er. Diese offensichtliche Wiederbetätigung blieb ebenso ohne Folgen, wie ein von der KAL unter ihrem Namen verfasster Eintrag auf ihrer Homepage und bei altermedia. Von der dort versprochenen Dynamik („Selbst wenn die Gruppierung verboten wird, so bleiben doch die Aktivisten. Willkommen im Chaos. Viel Spaß damit!”) ist allerdings bisher nicht viel zu bemerken, stattdessen bestreitet man juristische Wege in Form einer Klage gegen das Verbot. Rekrutierungsfelder im Aachener Umland und unter rechten Fußballfans stünden jedenfalls reichlich zur Verfügung. Bis auf die Teilnahme an Aufmärschen aber halten sich die ehemaligen KAL-Akteure – im Gegensatz zu ihren „Kameraden“ aus den verbotenen Ruhrgebiets-“Kameradschaften“ – derzeitig (noch) zurück. Und auf die Partei Die Rechte zu setzen, scheint – offenbar aufgrund von Differenzen in der Szene – eher nicht in Frage zu kommen. Schließlich kann es nur einen Führer geben: Und der heißt René Laube. Spätestens hier fällt der KAL ihr langjähriges „Platzhirsch“-Gebaren, das keine Gruppen neben sich duldete, auf die Füße. Es fehlt zur Zeit schlicht an Strukturen und Machern.