Die Spitze des Patriarchats
Bedeutung der Fantifa für die antifaschistische Bewegung
Bei den „1000-Kreuze-Märschen“ agitieren die selbsternannten „Lebensschützer“ gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, indem Schwangerschaftsunterbrechung mit Mord gleichgesetzt wird. Sie propagieren dabei ein erzkonservatives Bild von Familie, Religion und Sexualität. Seit 2002 ruft der Bundesverband Lebensrecht zu solchen Protestformen auf. Ähnliche „Gebetszüge“ gibt es seitdem auch in anderen Städten, zum Beispiel in Berlin, Wien, München, Fulda, Salzburg und Freiburg. Seit einigen Jahren ist festzustellen, dass sich neben feministischen, schwulen, queeren, humanistischen und lesbischen Aktivist_innen auch antifaschistische Gruppen verstärkt in die Auseinandersetzungen einbringen. Die dabei entstehenden Netzwerke und Möglichkeiten des Austauschs können eine Perspektive darstellen, Feminismus und Antifaschismus nicht nur einen gemeinsamen Ausdruck in der Praxis zu verleihen, sondern notwendige Debatten innerhalb antifaschistischer Zusammenhänge weiterzuführen.
Zwar ist mittlerweile die Tatsache, dass es auch in der extremen Rechten aktive Frauen gibt, die mehr sind als nur „die Freundin von...“, hinlänglich bekannt. Darüber hinaus finden Auseinandersetzungen über Geschlechterverhältnisse, gerade in männlich-dominierten antifaschistischen Zusammenhängen, immer noch zu selten statt. Dabei entwickelte bereits in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren die Fantifa-Bewegung feministische Perspektiven und Praxen für antifaschistische Politik und lieferte damit Anstöße für wichtige Debatten.
Konservatismus und (Mit-)Täterinnenschaft
„Faschistische Herrschaft baute in ungeheurem Maß auf patriarchale Gewalt. Doch diese staatlich legitimierte Form patriarchaler Gewalt im Faschismus setzte nicht unvermittelt und unvorbereitet ein. Es bestanden bereits alle gesellschaftlichen Voraussetzungen, um die Frauen umfassend für den faschistischen Staat zu funktionalisieren, als Opfer wie Täterinnen. Familienpolitik, Bevölkerungspolitik, Humangenetik/ Eugenik, Sexismus, das waren/sind die Waffenschmieden patriarchaler Herrschaft, und die haben eine lange Tradition.“ Dieses Zitat aus einer Broschüre der Fantifa Bonn von 1989 ermöglicht einen Einstieg in Debatten von Fantifa-Zusammenhängen, die eine antifaschistische Perspektive erweitern wollten. Frauen als (Mit-)Täterinnen im NS wie aktuelle Aktivistinnen der extremen Rechten sollten in den Fokus gerückt werden, aber auch die auf Grundlage eines konservativen Gesellschaftsbildes an Frauen zugewiesene Rolle.
Innerhalb dieser Debatten gelang es deutlich zu machen, dass das konservativ-hegemoniale Frauenbild die Frauen auf Mutterschaft, Dienstbarkeit gegenüber der Familie und Heterosexualität festschreibt und dies auch wesentliches Merkmal neonazistischer Bestrebungen ist. Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, bot sich für die Fantifa Bonn die Auseinandersetzung mit der dort aktiven rechten Vereinigung Deutsche Liga für das Kind an. Zuerst wurden die in der Organisation aktiven Personen, ihre politischen und beruflichen Lebensläufe sowie ihre Veröffentlichungen näher beleuchtet. So sollte gezeigt werden, dass es aufgrund historischer Kontinuitäten in der Bevölkerungs- und Familienpolitik kaum mehr Unterscheidungskriterien zwischen (neo-)nazistischen und konservativen Ansätzen gab. Identische Inhalte, so die damalige Analyse, würden sich auch bei Themen wie „Familien-/Geburtenschwund” der Deutschen, Abtreibung, „Sittenverfall” oder der Rolle der Frauen innerhalb familiärer Zusammenhänge finden. Es wurde herausgearbeitet, dass die Deutsche Liga für das Kind auch als Brücke zwischen der „Neuen Rechten” und einem breit gefächerten Netz von karitativ tätigen Mitgliedsvereinen in einem gesellschaftlich allgemein akzeptierten Themenbereich fungierte. Auf Grundlage solcher Erkenntnisse wurde nicht nur direkt gegen die extreme Rechte vorgegangen. Antifaschist_innen sollte damit auch die Notwendigkeit verdeutlicht werden, antipatriarchale Konzepte als Gegenentwürfe zu Vorstellungen der extremen Rechten zu entwickeln.
Über die nationalsozialistische Frauenideologie wurde die Rolle von Frauen innerhalb des NS von Fantifa-Zusammenhängen thematisiert und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die eigene Praxis übernommen. Frauen wurden als (Mit-)Täterinnen benannt. So formulierte die Fantifa Kassel 1998 begleitend zur Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht“: „Der Mythos der ‘Unschuld der Frauen’ weist Parallelen auf mit dem Mythos der ‘sauberen Wehrmacht’: nämlich, sich auf eine angebliche ‘Normalität’ des Funktionierens zurückzuziehen und sich damit der spezifischen historischen Verantwortung zu entziehen“. Die Betonung der Mit-Täterinnenschaft meint, dass Frauen nicht nur Zielscheibe und damit Leidtragende von Unterdrückung und Ausbeutung waren und sind, sondern durchaus auch von Herrschaftsstrukturen profitieren. Allerdings agieren sie aus einer anderen Position als Männer. Nach der Wissenschaftlerin Christina Thürmer-Rohr bleiben Frauen Männern gegenüber benachteiligt, auch wenn sie aktiv in Herrschaftsstrukturen involviert sind. Grundlage dieser Erkenntnis bildeten Debatten und Studien feministischer Faschismusforscherinnen in den 80er Jahren über das Zusammenwirken von patriarchaler und faschistischer Herrschaft. Die Geschlechtsblindheit der Faschismusforschung wurde dafür angegriffen, dass sie Faschismus nicht als patriarchale Ideologie und Herrschaftsform wahrnahm.
Für eine erweiterte Perspektive
Einsprüche gegen die Annahme, dass Frauen ausschließlich Opfer systematischer Gewalt waren, gab es auch aus Schwarzer feministischer Perspektive. bell hooks oder Angela Davis zum Beispiel betonten, dass weiße Frauen systematische Bündnisse mit weißen Männern eingingen, als Kolonialherrinnen wirkten und sich an rassistischer Unterdrückung aktiv beteiligten und davon profitierten. Mit diesen Debatten fand auch der westliche Feminismus ein Korrektiv im Kontext (post)kolonialer Überlegungen. Denn im globalen Kampf für Gerechtigkeit und gegen das Patriarchat wurde oft außer Acht gelassen, dass Frauen verschiedene Kämpfe gegen mehrfache Unterdrückung führen und mit sehr unterschiedlichen Privilegien ausgestattet sind.
Die Einsicht, dass Menschen unterschiedliche soziale Positionen einnehmen, unterschiedliche Differenzkategorien (wie etwa Geschlecht, Ethnizität, Klasse) Einfluss auf das Individuum haben und es somit spezifischer Kämpfe bedarf, um diese Unterdrückungsverhältnisse zu überwinden, hielt spätestens 1990 in linksradikale Zusammenhänge Einzug. Innerhalb der Fantifa-Bewegung gab es explizite Bezugnahmen auf diese Debatte. Zum 8. März 1995 äußerte dementsprechend die Fantifa Kassel: „Unser Kampf muß sich – und hier sprechen wir aus der Sicht und an die Adresse weißer Feministinnen – Unser Kampf muß sich deswegen nicht nur gegen äußere Gegner und Gegnerinnen richten. Vielmehr muß er die Auseinandersetzung und Reflexion über uns selbst beinhalten. Über Privilegien, die wir z.B. haben, wenn wir im Besitz eines deutschen Passes sind, wenn wir eine weiße Hautfarbe haben, wenn wir Zugang zu gesicherten und gutbezahlten Jobs haben, wenn wir nicht als behindert definiert werden, usw“.
Zentrales Thema innerhalb der antifaschistischen Szene blieb allerdings die Diskussion um rechte Frauen. Der Nationalsozialismus wurde weiterhin als auch patriarchale Ideologie aufgefasst – das hieß aber nicht länger, dass rechte Frauen und die entsprechenden Organisationen unberücksichtigt agieren konnten. Sowohl rechter Antifeminismus als auch positive Bezüge auf Feminismus durch rechte Frauen wurden diskutiert.
Haste ‘ne Macke, Macker?
Patriarchale Herrschaft in eine Gesellschaftsanalyse einzubetten und infolgedessen die eigene Verstrickung von Männern in dieses System theoretisieren zu können, war allerdings nicht der Punkt, an dem Fantifa-Aktivistinnen stehenbleiben wollten. Vielmehr wurde eine direkte Kritik an die eigene Szene formuliert und eine Auseinandersetzung darüber von den Männern in der Szene eingefordert. Dass dies von männlich-dominierten Zusammenhängen nicht immer angenommen wurde, verdeutlicht folgendes Statement an die Antifa Westberlin von 1989: „Und nochmal zu den Helden der Antifa-Bewegung, die auch mit Vorliebe von Gesochse reden, oder von der Geilheit, die mann befällt bei faschoklatschen. Mal Klartext: ,Geil’ ist daran nichts, rein gar nichts. Wir empfinden Militanz gegen Personen in bestimmten Situationen als notwendig und angebracht. Damit ist aber auch schon Ende der Diskussion. Sich an der Militanz selbst aufzugeilen, finden wir widerwärtig, typ-isch und abschreckend“. Mit Ausdehnung der Fantifa-Gruppen Anfang der 1990er Jahre wurde die Kritik von Frauen an patriarchalem Redeverhalten, Sexismus, Machoverhalten, selbstbezogener Militanz und mangelnder Reflexion der Männer in antifaschistischen Zusammenhängen noch lauter. Dies ging einher mit der Kritik an polarisierten Auseinandersetzungen um Vergewaltigung und Vergewaltigungsvorwürfe innerhalb der Szene sowie mit Diskussionen um Definitionsrecht und Täterschutz.
Natürlich können die zurückliegenden Debatten nicht unhinterfragt in den aktuellen Kontext szeneinterner Entwicklungsprozesse übernommen werden. In den dazwischenliegenden Jahren hat sich die Auseinandersetzung innerhalb feministischer Debatten wesentlich weiterentwickelt. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen wurde auch die Frage nach dem „Subjekt Frau“ gestellt. Unter den Voraussetzungen des Konstruktionscharakters von Geschlecht wurde erneut in Frage gestellt, ob der Feminismus sich weiterhin positiv auf die Kategorie Frau beziehen kann, weil durch eine Anrufung von Menschen als Frauen oder Männer diese erst geschlechtlich festgeschrieben werden. Dass solche Positionsbeschreibungen sich aber nicht ausschließen müssen, haben die Teilnehmenden der feministischen Demonstration in Münster gezeigt, die in einem breit getragenen Bündnis die jeweilige Perspektive auf feministische Kämpfe solidarisch formuliert haben. Wenn dieses Beispiel noch weiter in die Antifa-Szene getragen werden kann, wären gute Bedingungen für eine konstruktive Debatte über Notwendigkeit von feministischen Perspektiven in antifaschistischer Politik geschaffen.