Ein folgenschweres Bündnis
Das Ende der Weimarer Republik
„In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, daß er quietscht.“ Diese Worte werden Franz von Papen zugewiesen, der sie einem Bekannten kurz nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler anvertraut haben soll. Dass hier ein hohes Maß an Selbstüberschätzung vorlag, sollten die kommenden Monate beweisen. Doch das Verhältnis zwischen Konservativen und Nationalsozialisten war nicht allein von Konkurrenz, sondern vielmehr von ideologischen Überschneidungen und Bündnissen geprägt.
Als nach dem „Schwarzen Donnerstag“ im Oktober 1929 die Weltwirtschaftskrise ausbrach, erfasste sie Deutschland sehr schnell. In den folgenden Jahren explodierte die Arbeitslosenzahl und zahlreiche Wirtschaftszweige erlitten massive Einbußen, die die deutsche Ökonomie über mehrere Jahre lähmten. Im Spätsommer 1932 erreichte die Republik die Talsohle der Krise. Mehr als 5,5 Millionen Menschen waren arbeitslos. Die Sozialleistungen erschöpften die staatlichen Kassen
Innenpolitisch hatte der Börsencrash zur Konsequenz, dass ab 1930 bis zum Ende der Republik aufgrund der schwerwiegenden wirtschaftlichen und politischen Komplikationen Präsidialkabinette entstanden, die keine parlamentarische Mehrheit besaßen. Wurde das Kabinett von Heinrich Brüning noch vom Zentrum und der SPD unterstützt, hatten die Kabinette von Franz von Papen und Kurt von Schleicher fast nur die Unterstützung von Reichspräsident Paul von Hindenburg. Die Krise des Parlamentarismus der ersten Republik dominierte die politische Szenerie und sorgte für eine antidemokratische Stimmung in der Bevölkerung. Der Trend zeigte sich nicht nur im rasanten Aufstieg der NSDAP, sondern war auch bei den Protagonisten der Präsidialkabinette sichtbar. Zusätzlich tobte auf den Straßen ein Kampf, der nicht nur zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten ausgetragen wurde, sondern die Republik als Ganzes tangierte und sie fundamental in Frage stellte. Die „zerrissene Gesellschaft“ drohte endgültig zu kollabieren. Die Frage war: Welches Modell sollte sie ersetzen?
In der Mitte des Jahres 1932 begann die Transformation der Republik, die zuerst vor allem von konservativen Kräften in Regierungsverantwortung forciert wurde. Franz von Papen war bereits in den 1920er Jahren ein Kritiker der parlamentarischen Demokratie. Motiviert von einem starken Antikommunismus strebte er eine Eindämmung demokratischer Grundrechte an. Als Reichskanzler und Vertrauter von Paul von Hindenburg hatte er seit dem Frühjahr 1932 die Gelegenheit, seine politischen Vorstellungen von einem autoritären System umzusetzen, das ohne erheblichen parlamentarischen Einfluss agieren konnte.
Der Preußenschlag
Waren die Debatten über eine Reformierung der Republik zu einem autoritären Staat vor 1932 überwiegend theoretischer Natur, wurde die Wahl zur preußischen Nationalversammlung im April 1932 ein wichtiger Anlass, nun praktisch aktiv zu werden. Aufgrund des Wahlerfolges der NSDAP entstand keine Regierung aus den Parteien der Weimarer Koalition. Somit wurde eine Minderheitenregierung unter Führung des alten Ministerpräsidenten Otto Braun gebildet.
Eine preußische Landesregierung ohne parlamentarische Mehrheit empfand Papen jedoch als unproduktiv. Auf seinen Wunsch hin erließ deshalb Reichspräsident Paul von Hindenburg am 14. Juli eine Notverordnung, die es Papen ermöglichte die Landesregierung abzusetzen und sich als Reichskommissar einzusetzen. Als die SA am 17. Juli durch die kommunistisch geprägte Altonaer Altstadt marschierte, kam es zuschweren Unruhen. Dies diente Papen prompt als Anlass für die Anwendung der neuen Notverordnung, da die „öffentliche Ordnung und Sicherheit“ gefährdet sei. Der „Preußenschlag“, also die Absetzung der preußischen Landesregierung, rief keinen effektiven Widerstand der demokratischen Parteien hervor, stellte einen fundamentalen Eingriff in die staatsrechtliche Konstitution der Republik dar und war damit der Prototyp ihrer Abschaffung.
Trotz der kommissarischen Führung von Preußen konnte Papen seine Reichskanzlerschaft nur noch wenige Wochen fortführen. Ermutigt vom Erfolg in Preußen, kursierten nun Gerüchte in der Hauptstadt, dass der neu gewählte Reichstag nun endgültig ausgeschaltet werden sollte. Wie in Preußen wollte Papen eine kommissarische Regierung bilden, die mit autoritären Vollmachten vom Reichspräsidenten ausgestattet werden sollte. Nur durch einen Schlupfwinkel in der Geschäftsordnung des Reichstages wurde Papen mit den Stimmen fast aller Parteien abgesetzt. Der Reichstag löste sich auf, innerhalb von wenigen Monaten musste die Bevölkerung erneut wählen.
Verhandlungen zwischen NSDAP und Konservativen
Als Nachfolger Papens wurde Kurt von Schleicher ernannt. Schleicher war bereits im Kabinett Papen als Reichswehrminister aktiv gewesen und übte darüber hinaus auch einen erheblichen Einfluss auf die innenpolitische Entwicklung aus. Obwohl die Reichswehr politisch keine homogene Fraktion war, unterstützten zahlreiche hochrangige Generäle Schleicher. Parteipolitische Unterstützung besaß er nur punktuell. Dagegen vertraute ihm der alte General Paul von Hindenburg. Doch gerade die schwierige politische Konstellation, die keine Mehrheiten zuließ, führte zu einer weiteren Verschärfung auf dem politischen Parkett. Kurz vor den Wahlen war völlig unklar, ob die bisherigen Präsidialkabinette und ihre politische Unterstützung nach dem Urnengang weiterhin ihre Machtposition behielten. Die NSDAP war trotz eines Rückschlags nach der Landtagswahl in Lippe weiterhin die maßgebende politische Kraft im Reich. Ein weiterer politischer Rückschlag für die konservative Gruppe um Hindenburg musste automatisch zu einer Annäherung an die NSDAP führen, um die Reichsregierung zu bilden. Die Wahlen 1932 brachten weder für die Reichsregierung Schleicher noch für die NSDAP einen entscheidenden Durchbruch. Die NSDAP verlor fast fünf Prozent. Die konservativen Parteien gewannen unbedeutend dazu. Einzig die KPD konnte Gewinne verzeichnen, die aber keine praktischen Auswirkungen hatten. Die parlamentarische Pattsituation blieb bestehen, so dass die Frage, welche Parteien am nächsten Präsidialkabinett teilnehmen würden, im folgenden Dezember und Januar die politischen Kreise beschäftigte.
Die Verhandlungen zum neuen Kabinett wurden nun in den folgenden Wochen zu einer zähen Angelegenheit für die Konservativen. Wie im Sommer 1932 bestand Hitler darauf, dass ein „Führer“ nicht in ein Kabinett als Vizekanzler eintreten könne. Papen, der die Verhandlungen seitens der Konservativen führte, musste sich angesichts der starren Haltung der NSDAP Ende Januar 1933 der Forderung fügen. Der Kompromiss sah vor, dass die NSDAP neben Hitler noch drei Ministerposten im Kabinett erhielt, unter anderem das Reichsinnenministerium. Papen übernahm das Amt des Vizekanzlers, die anderen Reichsminister kamen überwiegend aus der DNVP bzw. waren parteilos.
Das folgenschwere Bündnis
Dass das Bündnis zwischen Nationalsozialisten und Konservativen im Januar 1933 zustande kam, war nicht nur ein Ergebnis der politischen Realitäten, sondern gleichzeitig auch ideologischer Überschneidungen. Beide Fraktionen waren radikale Gegner der Republik. Das Ziel, sie abzuschaffen und ein autoritäres System zu errichten, vereinte beide Gruppen und war Grundbedingung für ernsthafte Koalitionsverhandlungen. Dass es bei den Gesprächen nicht darum ging, wie das zukünftige politische System konkret auszusehen hätte, war angesichts des Optimismus der Konservativen, die NSDAP unter Kontrolle zu haben, nicht verwunderlich. Papen und Hindenburg sahen die NSDAP als Notwendigkeit, um die staatlichen Institutionen nach ihrem Willen umzuformen. Nach Beendigung dieses Prozesses sollte die NSDAP keine politische Funktion mehr übernehmen. Die Vorstellung, dass der „böhmische Gefreite“, wie Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler nannte, in einem Kabinett von etablierten Politikern die Zügel in der Hand halten könne, gab es in der Welt des Zentrums-Politikers Papen schlicht und ergreifend nicht.
Das Ermächtigungsgesetz
Die Transformierung und Konsolidierung des „neuen Deutschlands“ gelang nicht nur, weil die NSDAP rigoros gegen politische Feinde vorging – so nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 –, sondern auch, weil die Konservativen diese Politik unterstützten. Besonders die Schritte, die eine Beschneidung der Befugnisse des Reichstages bedeuteten, wurden von der konservativen Fraktion in der Reichsregierung unterstützt. Das Ermächtigungsgesetz, das die Auflösung aller Parteien außer der NSDAP bedeutete, war ein wichtiger Schritt, dem in konservativen Kreisen verhassten „Parteiensystem von Weimar“ ein Ende zu setzen und gleichzeitig mit dem Ein-Parteien-System den Garant für eine Diktatur zu schaffen. Dass die konservative Strömung innerhalb des Kabinetts im Sommer 1933 stetig aus der Verantwortung gedrängt wurde, musste sie akzeptieren. Denn auch bei den Wahlen im März 1933, erzielte die NSDAP weit über 40 Prozent der Stimmen und war damit quasi politisch unantastbar. Auch in anderen Schlüsselfunktionen, wie der Polizei oder dem Militär, sicherte sich die Partei wichtige Positionen. Die Konservativen dagegen waren sich nicht einig, wie dieses Tempo zu bewerten war. Zahlreiche Mitglieder traten nach dem Wahlerfolg des Nationalsozialismus aus der DNVP aus und gingen zur NSDAP. Franz Seldte, Vorsitzender des Stahlhelms, wurde im Sommer 1933 SA-Obergruppenführer. Der konservative Flügel existierte zum Ende des Jahres 1933 nur noch rudimentär und hatte keinerlei politischen Einfluss auf die Geschäftspraxis des Reiches.
Das „neue Deutschland“
In dieser Konstellation der Machtausübung durch die Nationalsozialisten war es vor allem Hindenburg, der als letzter Politiker der „alten Garde“ noch aktiv die Nationalsozialisten hätte bremsen können. Doch gerade die politische Transformation zu einem autoritären Regime, der radikale Antikommunismus, der sich besonders durch die Verhaftungswelle – bei der innerhalb von wenigen Monaten Zehntausende politische Gegner und Gegnerinnen festgenommen, verschleppt und gefoltert wurden – äußerst brutal darstellte, und der außenpolitische Bruch mit dem Völkerbund im Herbst 1933 waren kein Anlass für den Reichspräsidenten, mäßigend auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen. Stattdessen waren die Maßnahmen der Nationalsozialisten für Hindenburg und sein Umfeld notwendige Schritte, um Deutschland zu „alter Stärke“ zurückzuführen. Alle verfassungswidrigen Anordnungen und Gesetzesveränderungen wurden von Hindenburg getragen und trafen auf seine Zustimmung. Der „Tag von Potsdam“, als Hitler symbolträchtig dem in seiner alten Galauniform auftretenden Reichspräsidenten die Hand reichte, galt deshalb nicht nur als Tag der Aussöhnung zwischen dem „neuen“ und dem „alten“ Deutschland, sondern gleichzeitig auch als Signal, welche politischen Kräfte das „neue Deutschland“ aufbauen würden. In einer Kooperation zwischen deutschem Konservatismus und Nationalsozialismus wurde die erste Republik abgeschafft.