Flüchtlingslager in Oberursel (Hessen)

Selbstherbeigeführter Unterbringungsnotstand

Hysterie um den Anstieg der Asylantragszahlen

Über Jahre haben die Kommunen massiv die Unterbringungskapazitäten für Asylsuchende reduziert. Als Folge beklagen sie nun, sie seien mit der Aufnahme der Geflüchteten überfordert. Mit jeder Ankündigung einer neuen Notunterkunft malen die Medien den vermeintlichen „Notstand“ in schillernden Farben aus, während die Innenminister sich mit rigiden Maßnahmen als Retter vor „massenhaftem Asylmissbrauch“ profilieren.

Über Jahre haben die Kommunen massiv die Unterbringungskapazitäten für Asylsuchende reduziert. Als Folge beklagen sie nun, sie seien mit der Aufnahme der Geflüchteten überfordert. Mit jeder Ankündigung einer neuen Notunterkunft malen die Medien den vermeintlichen „Notstand“ in schillernden Farben aus, während die Innenminister sich mit rigiden Maßnahmen als Retter vor „massenhaftem Asylmissbrauch“ profilieren.

„Der Katastrophenfall ist verschoben – der befürchtete Ansturm bleibt bislang

aus“, so betitelte die Augsburger Allgemeine am 18. Januar 2013 einen Artikel über die Zuweisung von rund 100 Asylsuchenden. Einige Monate zuvor war man noch von anderem überzeugt: „Flüchtlingssturm führt zu Notstand“, schrieben die Westfälischen Nachrichten im September 2012 und die Neue Osnabrücker Zeitung titelte: „Aufnahmestelle platzt aus allen Nähten“. Kaum eine Lokalzeitung unterließ es, den Anstieg der Asylantragszahlen zur „Flüchtlingsflut“ oder „Katastrophe“ zu dramatisieren. Immerhin wiesen einige Medien auf den Grund hin, warum es in vielen Kommunen an Unterkünften mangelt: Nicht etwa, weil die rund 60.000 Asylanträge im Jahr 2012 Deutsch­land „überschwemmt“ hätten, sondern weil in den vergangenen Jahren fast überall die Zahl der Unterkunftsplätze ma­ssiv reduziert worden war. Bei der Planung der Kapazitäten hatte man sich offenbar vielerorts am historischen Tiefststand der Antragszahlen orientiert: 2007 waren es gerade einmal rund 19.000 Erst­anträ­ge gewesen. Obwohl die alltäglichen Nachrichten der Folgejahre nicht gerade glauben machten, der Weltfriede stünde unmittelbar bevor, hat­te offenbar kaum jemand damit ge­rechnet, dass die Zahl der Flüchtlinge, die es trotz aller Abschottungsmaßnahmen nach Deutschland schaffen, wieder steigen könnte.

Instrumen­talisierung

Doch das politische Interesse, voraus­schau­end Aufnahmekapazitäten für Flücht­­linge zu schaffen, dürfte ohnehin gering sein. Bilder von Turnhallen voller Feldbetten kommen Innenministern traditionell gelegen. Angesichts überfüllter Flüchtlingsunterkünfte können sie sich ihren Wählern als Retter vor „massenhaftem Asylmissbrauch“ empfehlen. Als Ende 2012 die Antragszahlen serbischer und mazedonischer Asylsuchender deut­­lich stiegen, unterstellte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich den Schutzsuchenden aus den genannten Staaten pauschal Asylmissbrauch und ordnete Asylschnellverfahren an, in de­nen das Ergebnis von vornherein feststand. „In keinem Fall konnte eine asyl­re­levante Verfolgung festgestellt werden“, vermeldete das Innenministerium. Dass es sich bei den Betroffenen größtenteils um Angehörige der Roma und anderer Minderheiten handelt, die aufgrund massiver rassistischer Diskrimi­nie­­rung in Serbien und Mazedonien vielerorts noch nicht einmal Zugang zu sau­berem Trinkwasser haben – ge­schwei­­­ge denn Chancen auf Arbeit und Bildung – interessierte weder in den Ver­fahren noch die Öffentlichkeit.

Konzept Abschreckung

Vor allem eignet sich der selbstherbeigeführte Unterbringungsnotstand, um das aus den 1980er Jahren stammen­de Konzept des Lagerzwangs aufrechtzuhalten. „Die Buschtrommeln werden in Afrika signalisieren – kommt nicht nach Baden-Württemberg, dort müßt ihr ins Lager“, hatte Lothar Späth, seinerzeit Mi­­nisterpräsident Baden-Württembergs, 1982 Sinn und Zweck des bis heu­te bestehenden Konzepts des Lagerzwangs erläutert. Bis heute geht es um Ab­schreckung und systematische Ausgrenzung – auch nachdem das Bundesverfassungsgericht im Sommer letzten Jahres bezüglich der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz urteil­te: „Die Menschenwürde ist nicht migrationspolitisch zu relativieren“.

Wohin?

Wenn es an Unterbrin­gungs­­­plätzen mangelt, ist noch das heruntergekommenste Lager mit Hinweis auf angeblich fehlende Alternativen leicht zu verteidigen. So stand ein aus alten Baucontainern bestehendes Lager in Hessens schwerreicher Gemein­de Oberursel schon kurz vor der Schließung. Mittlerweile ist das Lager wieder überbelegt, eine Schließung ist in weite Ferne gerückt.

Angesichts der rassistischen Proteste aus der bürgerlichen Mitte, die sich so gut wie überall dort erheben, wo Asylsuchende untergebracht werden sollen, und Kommunen, die oft nicht wissen, wo sie auf die Schnelle die Flüchtlinge unterbringen sollen, fällt es derzeit selbst Flüchtlingsorganisationen schwer, sich gegen die Eröffnung neue Massenunterkünfte zu engagieren. Zwar haben intelligentere Anwohnerinitiativen, die ihre Ressentiments gegen Asylsuchende noch halbwegs zu verbergen suchen, mittlerweile begriffen, dass man gegen solche Einrichtungen am besten mit dem Argument vorgeht, diese seien auch für die Flüchtlinge unzumutbar. Dass sich Anwohner dafür stark machen, die zugewiesenen Flüchtlinge dezentral in Wohnungen in ihrer eigenen Gegend unterzubringen, ist jedoch selten. Kein Wunder, suggeriert doch die offizielle Po­litik, ein Großteil der Flüchtlinge sei nur hier, um Sozialleistungen abzugreifen.

Lebenssituation

Die Flüchtlinge, die in den Lagern untergebracht werden, sind durch Arbeits- und Ausbildungsverbote zur Untätigkeit ver­dammt und durch die sogenannte Re­sidenzpflicht in ihrem Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit beschnitten. Sie werden trotz häufiger Traumatisierungen medizinisch nur notdürftig versorgt, verfügen über keinerlei Privatsphäre, leben im Ungewissen über den Ausgang des Asylverfahrens und damit ohne jede konkrete Perspektive auf eine selbstbestimmte Zukunft. So verlieren die Betroffenen nicht allein Monate oder Jahre ihres Lebens, sondern oft auch ih­re physische und psychische Gesundheit.

In Folge der Flüchtlingsproteste nach dem Suizid des iranischen Flüchtlings Mohammed Rahsepar in Würzburg Anfang 2012 interessierte sich auch die Öffentlichkeit wieder für die Situation in den Lagern – mehre­re Fernsehteams zogen in Asylbewerberunterkünfte ein, um zu testen, wie es sich als Flüchtling in Deutschland lebt. Ei­ne ARD-Reporterin, die nach vier Wochen mit Krätze, Schlafmangel und De­pres­sionen zu kämpfen hat, sitzt am En­de der Dokumentation weinend vor der Kamera.

Widerstand unerwünscht

Jenseits des großen medialen Echos zeigen die Proteste bisher aber wenig Erfolg. In Köln machten deutsche Behörden erst vor kurzem klar, wie sie mit Flüchtlingen umzugehen gedenken, die sich den Schikanen nicht fügen: Als Flücht­­linge vom Berliner Protestcamp, die sich mit Kleinbussen aufgemacht hatten, um ihren Protest durch die Republik zu tragen, die städtische Asylunterkunft Köln-Ehrenfeld besuchten, um dort für eine angemeldete Kundgebung zu werben, rief der dortige Wachschutz die Polizei – Besuchsaktionen in diesem Umfang seien „nicht vom Individualbesuchsrecht der Flüchtlinge in den Unterkünften gedeckt“, hieß es seitens der Stadt Köln. Mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Hundestaffel ging die Polizei gegen die Flüchtlinge und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer vor, 19 Personen wurden festgenommen, mehrere verletzt. Als eine Journalistin eine Polizistin nach dem Grund für das brutale Vorgehen fragte, sagte die in schlichten Worten: „Die haben sich widersetzt“.

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