Eingeschränkte Freizügigkeit
Zuwanderung und antiziganistische Hetze
Im Kontext der Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf Bulgarien und Rumänien ab 2014 geistern Schreckensbilder unkontrollierbarer Armutseinwanderung aus Südosteuropa in Deutschland umher. Dabei geraten besonders zugewanderte Roma in das Zielfeuer rassistischer Hetze.
Die Verbreitung von Antiziganismus steigt in Europa in einem erschreckenden Maße an. Roma werden zur Zielscheibe von wohlstandschauvinistischen und rassistischen Anfeindungen, die bis in die politischen Eliten hineinreichen. So bekundete jüngst der britische Premier David Cameron, die Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen einschränken zu wollen. Im unverhohlen antiziganistischen Ton forderte der Tory-Chef, „Sozialtouristen und Bettler“ sollten sofort ausgewiesen werden können. Gegen die markigen rechtspopulistischen Parolen regte sich zwar Widerspruch in der EU, hinsichtlich der Abschottung der Reichen gegen die Armen sind sich die politischen VertreterInnen der nordwesteuropäischen Staaten jedoch weitestgehend einig.
Zu den vier „Grundfreiheiten“ der Europäischen Union zählen die Dienstleistungsfreiheit, die Warenverkehrsfreiheit und die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs sowie die Personenfreizügigkeit. Unter die sogenannte Personenfreizügigkeit fallen sowohl die Arbeitnehmerfreizügigkeit wie auch die Niederlassungsfreiheit. Für die Gewährung der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat die Bundesrepublik jedoch mit den meisten osteuropäischen EU-Mitgliedsländern Übergangsfristen vereinbart. Für Bulgarien und Rumänien endet diese Frist am 1. Januar 2014.
Unter kapitalistischen Vorzeichen hängt die Freizügigkeit vom Geldbeutel ab. Die Freizügigkeit des Marktes wird auf der einen Seite als Garant wirtschaftlichen Wachstums und Profits gepriesen und für die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte wird kräftig Werbung betrieben. Auf der anderen Seite muss das bettelnde Romakind als Schreckensbild für den „Ansturm der Armen“ herhalten. Hintergrund solcher Bilder ist der Anstieg der Zuwanderungszahlen – besonders aus den EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien. Zugleich führte der Anstieg der Asylanträge im Jahr 2012 zu einem populistischen Diskurs über einen angeblich massiven „Asylmissbrauch“. Besonders diejenigen AntragstellerInnen aus Serbien und Mazedonien, bei denen es sich um Roma handelt, geraten dabei in das Fadenkreuz populistischer und diskriminierender Zuschreibungen. In apokalyptischen Schilderungen mutieren sie zu „Plünderern unserer Sozialkassen“. Wiederkehrend werden sie im politischen und medialen Diskurs einseitig und diskriminierend dargestellt. So werden die Opfer von Armut und Verfolgung zu Tätern stilisiert. Bei der einheimischen Bevölkerung schürt das Ressentiments gegen MigrantInnen und Asylsuchende. Durch diese Zerrbilder werden Zuwanderung und Asylrecht im öffentlichen Bewusstsein als bedrohlich verankert: Die Normalität von Zuwanderung sowie der Nutzen und gesellschaftliche Gewinn geraten dadurch ebenso aus dem Blick wie die politische Notwendigkeit des Menschenrechts auf Asyl. Anstatt soziale und politische Fehlentwicklungen in Europa sowie politische Fehlleistungen und diskriminierende Praktiken zu thematisieren, werden Zugewanderten und Asylsuchende an den Pranger gestellt.
Im Umgang mit „Armutsflüchtlingen“ und Asylsuchenden sind viele Probleme hausgemacht: Hierbei werden die Kommunen in vielerlei Hinsicht mit den finanziellen und sozialen Folgen solcher Einwanderungsbewegungen allein gelassen. Mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften in oftmals sozial benachteiligten Stadtteilen stoßen die medizinischen, sozialen und finanziellen Hilfs- und Betreuungsmöglichkeiten wiederkehrend an Grenzen. Zudem bewirkt eine räumliche Konzentration von zusätzlichen Hilfeanforderungen in sowieso schon sozial belasteten Ballungsräumen zusätzliche Konflikte. Es sind jedoch nicht die Zugewanderten und Asylsuchenden, die Verantwortung für die vielerorts katastrophalen Zustände in Mietshäusern und Sammelunterkünften tragen. Die Elendskette aus Armut, Diskriminierung, Verfolgung, Flucht, restriktiver Asylpolitik, krimineller Schleusertätigkeit und ausbeuterischen Zuständen in den Wohnstätten und bei der Beschäftigung verdeutlicht die politischen Fehlentwicklungen im bundesdeutschen wie im gesamteuropäischen Rahmen.
Allein mit kommunalen Hilfsmaßnahmen ist das Problem nicht zufriedenstellend zu bewältigen. Der Deutsche Städtetag verfasste hierzu eine Stellungnahme, in der es heißt, es seien „dringend kurzfristige Maßnahmen erforderlich, um die Folgen der Zuwanderung vor Ort zu bewältigen“. Zudem sei zu befürchten, „dass die Probleme vor Ort als Projektionsfläche für rechtsextremes Gedankengut dienen“.
Zuwanderung, Flüchtlingsbewegungen und Asylanträge
Im Umgang mit sozialen, politischen und finanziellen Herausforderungen von Flüchtlingsbewegungen sind Hysterie und Pauschalzuschreibungen fehl am Platz. Notwendig hingegen sind zielgerichtete Problemanalysen und Hilfsmaßnahmen sowie eine vorbeugende Sozial- und Wirtschaftspolitik im europäischen Gesamtmaßstab. Um Hysterie und rechter Hetze vorzubeugen, sind daher zunächst sachliche Fakten von unsachlichen Zuschreibungen zu trennen.
Konkrete Probleme im Zusammenhang mit „Armutsflüchtlingen“ ergeben sich aus der kulminierten Unterbringung und nicht ausreichenden Betreuungsmaßnahmen in problembelasteten Sozialräumen. Von einem ungehemmten „Ansturm der Armen“ kann kaum die Rede sein, wenn die statistischen Fakten herangezogen und nüchtern bewertet werden. So verweist etwa der Migrationsforscher Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Bezug auf den Mikrozensus von 2009 darauf, dass viele der aus EU-Ländern eingewanderten Arbeitssuchenden eine gute bis sehr gute Berufsausbildung hätten. Mit über 35 Prozent an Hochschulabschlüssen übersteige die Quote diejenige der deutschen Arbeitssuchenden. Demnach profitieren die Städte und Gemeinden insgesamt von den Zugewanderten, die in steuerpflichtigen Arbeitsverhältnissen landen. Deshalb könne „dem Klagelied der Kommunen“, so der Migrationsforscher, nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Er warnt zugleich vor einer Hierarchisierung der Zuwanderergruppen: „Das Schlimmste, was jetzt passieren könnte, wäre, dass wir sagen, wir haben gute Zuwanderer aus bestimmten Ländern wie Spanien und schlechte Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien.“
Der gravierende Unterschied zwischen apokalyptischen Szenarien und realen Zahlen zeigt sich auch bezüglich der Statistik der anerkannten AsylbewerberInnen. So sind im Jahr 2012 laut Bundesinnenministerium 64.539 Asylanträge beim zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt worden. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 18.789 Anträgen. Die meisten Antragstellenden kamen aus Serbien, gefolgt von Afghanistan. Den steilsten Anstieg verzeichneten die Antragszahlen aus Bosnien-Herzegowina und Mazedonien. Aus dem Blickfeld gerät dabei die hohe Ablehnungsquote. Laut Auskunft der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl wurden die Anträge von Asylsuchenden aus den Ländern des Westbalkans nahezu ausnahmslos abgewiesen. Bei den Asylantragstellenden aus Serbien und Montenegro, bei denen es sich meist um Angehörige der ethnischen Gruppe der Roma handele, sei im Kontext der Praxis der so genannten Schnellverfahren eine unvoreingenommene Prüfung faktisch nicht gegeben, so Pro Asyl.
Der Flüchtlingsrat NRW verweist darauf, dass in Deutschland insbesondere Politiker der Unionsparteien immer wieder versucht hätten, „einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Flüchtlingszahlen und der Anpassung der Sozialleistungen für Asylsuchende durch das Bundesverfassungsgericht zu konstruieren und Roma öffentlich als ‚Asylbetrüger’ diffamiert“ hätten. Der Migrationsforscher Klaus Bade verweist darauf, dass im Jahr 2011 die deutsche Regierung vergeblich vom Europaparlament in Brüssel um eine nationale Roma-Konzeption zur Lösung der Armuts-, Verfolgungs- und Flüchtlingsfrage gebeten wurde. Die Bundesregierung ließ die deutschen Kommunen sehenden Auges mit den Problemen allein. Die von der Bundesregierung übermittelte Antwort, so Bade, lautete sinngemäß: Es bestehe in Deutschland kein Handlungsbedarf für eine nationale Roma-Konzeption.
Nicht die Zugewanderten und Asylsuchenden sind das Problem, sondern der politische Umgang im nationalen und europaweiten Rahmen mit ihnen.
Die fliehenden Entrechteten aus armen europäischen Ländern werden in den prekarisierten Sozialräumen des im nationalen Maßstab reichen, jedoch sozioökonomisch hierarchisch geschichteten Gesellschaftsgefüges der Ankunftsländer „abgelagert“. Während Deutschland wirtschaftlich insgesamt von der Zuwanderung profitiert, sogar massiv darauf angewiesen ist, kulminieren hierzulande zugleich Probleme durch eine einseitige Ballung von sozialen Problemlagen. Die ungerechte Verteilung wird nicht thematisiert, auch wenn das helfen könnte, um humanitäre Herausforderungen besser angehen zu können. Stattdessen droht erneut ein populistischer Diskurs, durch den besonders die ethnische Gruppe der Roma ins Fadenkreuz rassistischer Zuschreibungen und Anfeindungen gerät.
Feindbild „Zigeuner“
Sinti und Roma sind in Europa massiver Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Obwohl sie in Deutschland nicht zuletzt aufgrund der NS-Vernichtungspolitik besonderen Schutz genießen müssten, prägen nach wie vor antiziganistische Vorurteile und Anfeindungen den Umgang mit dieser Bevölkerungsgruppe. Die Roma gelten mit zwölf Millionen als größte ethnische Minderheit in Europa, in Deutschland leben rund 70.000 alteingesessene Sinti und Roma. Als ethnische Menschengruppe, deren Vorfahren aus Indien vor langer Zeit nach Europa eingewandert sind, kennzeichnet sie mit dem Romanes ein gemeinsamer Sprachursprung. Die Bezeichnung Roma stellt eine Art Oberbegriff dar. Für die unterschiedlichen Abstammungsgruppen existieren unterschiedliche Bezeichnungen – so etwa Sinti für deutschsprachige Roma, Machouches für französischsprachige, Kalé für südeuropäische oder Kalderaš für Roma aus Südosteuropa.
Ihre Lebensweisen und kulturellen Besonderheiten sind so vielfältig, dass von einer „Romakultur“ im engen Sinne gar nicht gesprochen werden kann. Vielmehr sind es die lange existenten rassistischen Stereotype, welche das Bild von den „Zigeunern“ erst geschaffen und dann immer weiter tradiert haben. Die Fremdbezeichnung „Zigeuner“ existiert in Deutschland seit dem 15. Jahrhundert. Sie bezog sich auf unterschiedliche ethnische und soziale Gruppen, denen abweichende Verhaltensweisen zugeschrieben wurden. Diese Gruppen sind dann unter dieser Bezeichnung rassifiziert und biologisiert worden: Wildheit, Ungebundenheit, eine unstete Lebensweise und Nomadentum ebenso wie das Vorurteil, faul und kriminell zu sein, wurden ihnen zugeschrieben. Dieser Konstruktion entwuchs die Verfolgung, welche institutionell betrieben wurde: Schon im 19. Jahrhundert wurden etwa in Bayern sogenannte Landfahrerzentralen eingerichtet, in denen Sinti und Roma registriert und kontrolliert wurden.
Massenmord
Im Nationalsozialismus gipfelte diese rassistische Zuschreibung in dem planmäßig und systematisch betriebenen Mord an den Sinti und Roma, der 1936 im „Erlass zur Bekämpfung der Zigeunerplage“ seinen ersten institutionellen Ausdruck fand. Daraus resultierte die Erfassung aller deutschen Sinti und Roma durch die „Rassenhygienische Forschungsstelle“ mit dem Ziel der „endgültigen Lösung der Zigeunerfrage“, wie es im Amtsdeutsch der Mörder hieß. Nach der Diskriminierung und der Erfassung erfolgte die Vernichtung durch den von SS-Führer Heinrich Himmler verordneten „Auschwitz-Erlass“ Ende 1942. In Auschwitz-Birkenau wurde 1943 von der SS das „Zigeunerfamilienlager“ eingerichtet: Allein in diesem KZ wurden etwa 15.000 Menschen unter dieser Kennzeichnung ermordet. Insgesamt ermordeten die Nazis schätzungsweise eine halbe Million Sinti und Roma.
Verdrängte Erinnerung
Die Geschichte der Stigmatisierung setzte sich in der Nachkriegszeit fort: Die deutsche Polizei arbeitete mit von den Nazis übernommenen Erfassungsakten. In deutschen Amtsstuben der fünfziger und sechziger Jahre saßen oft Bürokraten, die sich im NS-Regime der Mitwirkung an Verfolgung und Vernichtung schuldig gemacht hatten. Jahrzehntelang versuchten staatliche Institutionen, die nationalsozialistischen Verbrechen an den Roma zu relativieren, indem die damaligen Urteile und Inhaftierungen als Resultate „krimineller und asozialer Haltungen“ gerechtfertigt wurden. Damit wurden Entschädigungsforderungen oftmals abgewehrt – eine offizielle Anerkennung der Taten als Völkermord blieb bis in die achtziger Jahre hinein aus.
Nachdem 1980 deutsche Sinti im KZ Dachau einen Hungerstreik organisierten, um gegen Diskriminierung und für die Anerkennung der NS-Verbrechen zu kämpfen, wurde die Problematik öffentlich sichtbar. Die offizielle Anerkennung der NS-Verbrechen an den Sinti und Roma wurde erst 1982 durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt ausgesprochen. Zehn Jahre später erfolgte im Bundestag der Beschluss zur Errichtung eines zentralen Mahnmals. Erst Ende des Jahres 2012 wurde dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt und das Denkmal offiziell eingeweiht.
Diskriminierung aktuell
Doch trotz der über Jahrzehnte verschleppten Anerkennung historischer Verbrechen ist hierzulande von besonderer Verantwortung gegenüber dem Leid und Elend der Roma in Europa nichts zu spüren. Trotz verheerenden Verelendungsentwicklungen und massiven Menschenrechtsverletzungen gegenüber Roma in Osteuropa versucht der deutsche Staat, seine Grenzen dicht zu machen, verweigert Hilfszahlungen und betreibt eine restriktive Abschiebungspolitik von Romaflüchtlingen. Zu den pogromartigen Gewaltwellen in Bulgarien und rechten Hetzjagden in Ungarn schweigt die deutsche Politik weitestgehend, während sich auch hierzulande extrem rechte Hetze gegenüber Sinti und Roma häuft. Hetze, die auf fruchtbarem Boden erwächst. Denn hier prägen antiziganistische Einstellungen nach wie vor die Gesellschaft. Obgleich der Begriff Antiziganismus hinsichtlich seiner Bezugnahme auf den Begriff ‚Zigeuner’ auch zu Kritik in antirassistischen Kreisen geführt hat, findet er allgemein Verwendung bei der Kennzeichnung von Vorurteilen und Diskriminierungen gegenüber Roma-Angehörigen.
Laut Umfragen des Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung aus dem Jahr 2011 bekunden rund 40 Prozent der Deutschen, nicht in der Nachbarschaft von Sinti und Roma wohnen zu wollen. Jeder Vierte stimmt gar der Forderung zu, dass sie „aus deutschen Innenstädten verbannt werden“ sollten und jeder zweite Befragte stimmt der Aussage zu, dass „Sinti und Roma zur Kriminalität neigen“ würden. Die Verbreitung von Antiziganismus in der deutschen Gesellschaft wird auch institutionell bestätigt: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bekundet, dass die Ablehnung gegenüber Roma „bis tief in die Mitte der Gesellschaft“ hineinreiche.
Im Oktober 2012 warnte der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich vor „Asylmissbrauch” durch Asylantragsstellenden aus Serbien und Mazedonien, was insbesondere auf dort lebende Roma bezogen war, und forderte die Wiedereinführung der 2009 aufgehobenen Visumspflicht für die Länder.
Auf den pauschalen Vorwurf des „Asylmissbrauchs“ gegenüber den Asylsuchenden reagierten Roma-Verbände, die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und weitere Initiativen in einer gemeinsamen Erklärung im Oktober 2012. Darin wird bekundet, es sei „völlig gedächtnislos und realitätsfremd, wenn deutsche Politiker heute Schnellverfahren für AsylbewerberInnen aus dem Balkan oder eine Wiedereinführung der Visumpflicht fordern, mit dem ausschließlichen Ziel, Roma an der Einreise nach Deutschland hindern. Sie geben serbischen und mazedonischen PolitikerInnen, die ohnehin keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegenüber Roma machen und Roma in Randgebiete abdrängen, wo sie erst recht keine Möglichkeit zum Überleben haben, einen Blankoschein, Roma weiter zu diskriminieren und in der Ausübung ihrer Grundrechte einzuschränken.“
Antiziganistische Ressentiments erfahren in der öffentlichen Debatte weite Verbreitung. Augenscheinlich erfüllen sie im politischen Alltag eine nützliche Funktion, wenn es um die Mobilisierung ressentimentgeladener Wählerschichten geht. Jüngst kündigte Friedrich bei einem Innenministertreffen in Brüssel an, den für 2014 geplanten Wegfall der Grenzkontrollen in Bulgarien und Rumänien durch Sondervereinbarungen mit anderen EU-Staaten zu verhindern. Da für den Wegfall der Schlagbäume die Zustimmung aller 28 EU-LändervertreterInnen erforderlich ist, rückt die beabsichtigte Umsetzung dieser Vereinbarung erst einmal in weite Ferne. Solche populistischen Abschreckungen verstärken eher vorhandene antiziganistische Ressentiments, anstatt diesen entgegenzutreten. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Ulrich May, warnte im Dezember vor einer undifferenzierten Skandalisierung der Anwesenheit von finanziell bedürftigen Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Er verwies zudem darauf, „dass gerade Deutschland auch eine historische Schuld abzutragen hat an den Roma“.
Die Ernsthaftigkeit offizieller Bekundungen gegen Rassismus und „Rechtsextremismus“ bemisst sich nicht zuletzt an der Frage, wie mit Minderheiten und Hilfsbedürftigen umgegangen wird. Der Einsatz gegen Antiziganismus und für Schutz vor Verfolgung sind handfeste Gradmesser dafür.