„Kontinuierliche antirassistische Politik ist notwendig“
Interview mit Antifas aus Duisburg
Im Sommer 2013 verschärfte sich die Situation rund um das Haus „In den Peschen“ in Duisburg erheblich. Da rassistisch motivierte Übergriffe auf das Haus befürchtet wurden, gründete sich eine Nachtwache, an der Personen aus unterschiedlichen antifaschistischen und antirassistischen Zusammenhängen beteiligt waren. Wir sprachen mit Mitgliedern der „Initiative gegen Duisburger Zustände“ über ihre Erfahrungen.
Mit welchem Ziel wurden die Nachtwachen gebildet?
Mitte August drohte in Rheinhausen eine Eskalation der antiziganistischen Stimmung, die nicht zuletzt von Teilen der lokalen Medien seit Sommer 2012 mehr und mehr hochgekocht worden war. Als nun in Sozialen Netzwerken offen gehetzt und gedroht wurde, fühlten sich in den folgenden Tagen sowohl Nazis als auch einige Anwohner_innen dazu ermutigt, gegen die Roma zur Tat zu schreiten. Mehrmals kam es zu Pöbeleien, und an die Wände des Hauses wurden Parolen wie „Zigeuner raus!“ geschmiert. Der traurige Höhepunkt dieser Vorfälle war ein Angriff von Nazis, die bewaffnet direkt vor dem Haus aus Autos sprangen. Zu diesem Zeitpunkt erreichte uns der Hilferuf einer Frau, die ein Kultur-Projekt mit in den Häusern lebenden Menschen durchführte. Durch ihre Vermittlung konnten wir Kontakte zu den Hausbewohner_innen knüpfen, die unsere Hilfe sehr begrüßten. Unser erster Eindruck am Haus: ein vorbeifahrender hupender Wagen, aus dessen Dachfenster eine Person mit einem imaginären Gewehr auf die vor dem Haus spielenden Kinder zielte. Umgehend installierten wir zusammen mit anderen Gruppen eine tägliche Nachtwache von bis zu 30 Leuten. Eine Familie, die nach den Übergriffen aus dem Haus geflüchtet war, kehrte daraufhin wieder zurück. Wir vereinbarten, uns im Falle eines Angriffes defensiv zu verhalten. In den ersten Tagen blieb es in unserer Anwesenheit ruhig, aber nachdem die Nachtwachen gegangen waren, kam es mehrfach zu Pöbeleien – also blieben die Wachen bis zum Sonnenaufgang. Die Polizei weigerte sich auch weiterhin, das Haus angemessen zu schützen. In die erste Woche der Nachtwachen fiel auch diese Äußerung des Duisburger Polizeisprechers Ramon van der Maat gegenüber der Tageszeitung über einen angeblich nicht integrationswilligen Teil der Roma: „Die anderen kommen mit unserer Gesellschaft nicht klar. Die müssen weg.“
Wie verlief die Kommunikation mit den Bewohner_innen? Waren sie in die Nachtwachen involviert?
Die Kommunikation gestaltete sich aufgrund der Sprachbarriere anfangs schwierig. Ein Treffen mit Bewohner_innen, Aktivist_innen der Nachtwachen und einem Dolmetscher konnte jedoch viele Unsicherheiten seitens der Roma abbauen. Bei diesem Treffen betonten die Bewohner_innen auch, dass sie es außergewöhnlich finden, Solidarität zu erfahren.
Gab es weitere Akteur_innen, die sich neben den Antifa-Gruppen und antirassistischen Initiativen noch für die Menschen im Haus eingesetzt haben?
Der Duisburger Pfarrer Heiner Augustin, Sozialarbeiter des Vereins ZOF sowie einige Pädagog_innen waren die einzigen, die sich zu diesem Zeitpunkt vor Ort mit den Bewohner_innen solidarisierten. Mit dem obskuren „Sozialaktivisten“ Rolf Karling hatten wir bis dato nichts zu tun. Das sollte sich freilich im Zuge der Prügelei bei einer von Karling organisierten Bürgerversammlung am 23. August ändern. An jenem Abend hatte es einige Kilometer vom Haus entfernt eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Teilnehmer_innen der Bürgerversammlung gegeben. Die Polizei nutzte das als offenbar willkommenen Anlass, um kurze Zeit später mit einer Einsatzhundertschaft gegen die Nachtwache vorzugehen – die zum Zeitpunkt des Polizeiangriffs allerdings nicht vor Ort war – und das Haus zu stürmen. Dabei wurde eine völlig unbeteiligte Familie in ihrer Wohnung regelrecht überfallen. Polizist_innen traten ein Loch in die Tür der Wohnung, sprühten Gas ins Innere, stürmten anschließend die Wohnung und beschimpften und verprügelten ein Kind, das sich angeblich wehrte, sowie den blinden Vater des Jungen, der seinem Sohn zur Hilfe eilte. Seine Frau erlitt Sturzwehen und einen Schock. Der Vater wurde wochenlang in U-Haft gehalten. Mit der Nachtwache und erst recht mit der Prügelei hatte die Familie natürlich nichts zu tun. Ein Skandal, gegen den wir eine Woche später vor dem Polizeipräsidium demonstriert haben.
Nach den Auseinandersetzungen und dem Polizeieinsatz am Haus ist „die Antifa“ in die Kritik geraten. Die Nachtwachen konnten nicht mehr weitergeführt werden. Welche Fehler wurden von Seiten antifaschistischer Initiativen gemacht?
Im Vorfeld unserer Kundgebung am Polizeipräsidium warnte die Polizeipräsidentin Elke Bartels vor „Krawalltouristen aus dem gesamten Bundesgebiet“. Ähnlich panisch und blindwütig ging es – wie wir heute wissen – auch intern zu. Wegen der Prügelei wurde eine Sonderkommission eingesetzt, die eine Funkzellenabfrage veranlasste und anschließend viele der Menschen, die an diesem Abend in Rheinhausen waren, mit Verhören und ED-Behandlungen überzog. Teile dieser fragwürdigen Ermittlungen, wie etwa das Ausstellen von Hausdurchsuchungsbeschlüssen durch die Duisburger Staatsanwaltschaft, hat das Landgericht mittlerweile kassiert. Dennoch war in diesem Klima an eine Fortführung der ursprünglichen Nachtwachen nicht mehr zu denken. Einige Bewohner_innen sprachen sich offen gegen Nachtwachen aus, da sie diese mit dem Polizeieinsatz in Verbindung brachten. Andere befürworteten wiederum, dass die Nachtwachen weitergeführt werden sollten. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen kam es zu Diskussionen zwischen den die Nachtwache tragenden Gruppen, wie nun weiter zu verfahren sei. Letztlich wurden die Nachtwachen noch eine Zeit lang mit einer kleineren Besetzung durchgeführt.
Natürlich lief auch bei der Nachtwache einiges schief, beziehungsweise selbige aus dem Ruder. Am Tag der Eskalation bei der Bürger_innenversammlung waren erstmals auch viele junge Antifas aus ganz NRW angereist. Für uns wie auch für die Bewohner_innen des Hauses war die Situation, in der zeitweise weit über 100 Personen unkoordiniert vor Ort waren, nicht mehr überschaubar. Hier mangelte es an einer Kommunikationsstruktur und an der nötigen Empathie gegenüber den Bewohner_innen.
Wie hat sich die Unterstützungsarbeit seit dem Ende der Nachtwachen entwickelt?
Es gibt weiterhin Kontakte ins Haus. Die Situation der von der Polizei überfallenen Familie haben wir etwa bis zur Freilassung des Vaters verfolgt. Weiter wurden Spendenprojekte im kleinen Rahmen initiiert, da viele der Bewohner_innen von bitterer Armut betroffen sind. Auch in anderen Stadtteilen hat es in den letzten Monaten Übergriffe und rassistische Aktionen gegeben. Leider mussten wir nach dem Ende der Nachtwachen schon bald wieder reagieren, diesmal in Neumühl. Dort formierte sich ein rassistischer Mob gegen das Vorhaben der Stadtverwaltung, eine Flüchtlingsunterkunft einzurichten. In den letzten Monaten ist es außerdem zu mehreren Brandstiftungen gekommen, bei denen ein rassistischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann. Uns ist daher wichtig, die antiziganistischen und rassistischen Zustände in der gesamten Stadt zu thematisieren.
Die bisherigen Aktionsformen antifaschistischer Politik scheinen in Duisburg an ihre Grenzen zu stoßen. Welche Schlüsse lassen sich aus den Erfahrungen für zukünftige antifaschistische und antirassistische Politik ziehen?
Bei der Gründung der Initiative im August hatten wir uns vorgenommen, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, antiziganistischen Medienberichten und xenophoben Bürgerinitiativen entgegen zu treten. Seitdem mussten wir aber ein ums andere Mal auf Entwicklungen reagieren, die schon längst nicht mehr aufzuhalten waren, weil sie sich schon seit über einem Jahr entwickelt hatten. Das zeigte uns, dass antirassistische Politik in Duisburg versagt hat, dass sie, trotz bundesweiter medialer Wahrnehmung, viel zu lange einfach nicht stattgefunden hat. Am 5. Oktober hat beispielsweise in Rheinhausen die Kundgebung einer antiziganistischen Bürgerinitiative stattgefunden. Völlig unbehelligt von Gegenprotesten konnten sich auf dieser Veranstaltung auch sämtliche Mitglieder der Kameradschaft NW Duisburg wohlfühlen. Gegenproteste gab es erst einige Stunden später vor den Häusern „In den Peschen“ gegen ein Häuflein pro NRWler, das allerdings von dutzenden Anwohner_innen beklatscht wurde, was wiederum von anwesenden Linken recht hilflos zur Kenntnis genommen wurde. Wenn rassistische Mobilisierungen von der „Mitte der Gesellschaft” ausgehen und extrem rechte Gruppen nur noch versuchen können, aus diesen Profit zu schlagen, dann greifen viele der oftmals plumpen Antifakonzepte und -analysen offensichtlich nicht. Besonders deutlich wurde dies am 9. November bei einer Demonstration, die den Antiziganismus zwar thematisierte, sich aber vor allem an einer Kundgebung von pro NRW in Neumühl abarbeitete. Auch aus Sorge, dass von einem solchen Schnellschuss nicht viel bleiben würde, wenn die – größtenteils – auswärtigen Demonstranten wieder weg sind, haben wir daran nicht teilgenommen. Seit dieser Aktion ist übrigens das erst kürzlich ins Leben gerufene Duisburger Bündnis gegen Antiromaismus, welches die Demo maßgeblich mitorganisiert hatte, inaktiv, was unsere Befürchtungen leider bestätigt. Auch die Entscheidung, bei dieser Demonstration mit antiemanzipatorischen Gruppen zusammenzuarbeiten, halten wir für falsch. Für eine Nachbearbeitung der Duisburger Zustände ist es aber noch viel zu früh. Die Situation in der Stadt wird sich vermutlich in den nächsten Monaten keinesfalls entspannen. Im Gegenteil: Für den 1. Januar 2014 schüren Politik, Medien und Polizei Panik vor vermeintlichen „Klaukids“, „Sozialschmarotzern“ und neuen „Problemhäusern“. Wir werden daher die weiteren Entwicklungen genau beobachten und uns gegebenenfalls zu Wort melden. Überhaupt wird unser Augenmerk auf der Verwaltung (dem Ordnungsamt wurden gleich 20 neue Mitarbeiter_innen für eine Taskforce zur Seite gestellt), den rassistischen Bürgerinitiativen und der Politik (wie dem Oberbürgermeister Sören Link, der den Zugewanderten auch schon mal mit Abschiebung drohte) liegen – weniger auf Gruppen wie pro NRW, die hektisch versuchen, die rassistischen Früchte zu ernten. Auch weitere Diskussionsveranstaltungen, nach einer ersten mit Roswitha Scholz, sind geplant. Wo es aber handgreiflich wird oder wo rassistische Bürger_innen auf der Straße ihren Hass unwidersprochen als Ausdruck eines gar nicht mehr so stillen Konsenses artikulieren können, da ist es nötig, ganz unmittelbar Widerstand zu leisten und den Rassismus als solchen zu kennzeichnen und zu versuchen, die Rassisten in die Defensive zu drängen. Uns ist aber natürlich bewusst, dass unsere Möglichkeiten sehr begrenzt sind, weshalb wir uns mehr kontinuierlich in beziehungsweise zu Duisburg arbeitende Gruppen wünschen würden.