Solidarität durch Erinnerungslücken
Aussagen erster ZeugInnen aus der rechten Szene im NSU-Prozess
Im Münchener NSU-Prozess mussten die ersten ZeugInnen aus der rechten Szene vor Gericht erscheinen. Ursprünglich sollten sie bereits vor der Sommerpause aussagen, doch das Verfahren verzögert sich immer wieder. Auch die einzelnen Aussagen dauern meist deutlich länger als eingeplant. Sofern sie überhaupt aussagen, glänzen die ZeugInnen aus der Szene durch Erinnerungslücken oder durch Versuche, die Angeklagten zu entlasten oder zu schützen.
Der Thüringer Neonazi André Kapke war einer der engsten Vertrauten der drei Abgetauchten in den 90er Jahren. Mit dem Angeklagten Ralf Wohlleben verbindet ihn eine langjährige politische Laufbahn in Thüringen. So verwundert es nicht, wie er die Angeklagten vor Gericht darzustellen versucht. Wohlleben und Holger Gerlach seien ruhige Zeitgenossen gewesen, Wohlleben gar die „Friedenstaube“ unter ihnen. Kapke bezeichnete Wohlleben, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe als seine „Jugendclique“. In dem Alter, als „andere anfangen vielleicht noch Skat zu spielen“, sei man auf Konzerte, Demos und Veranstaltungen gefahren. In der später gegründeten Kameradschaft Jena sei es um „Politik aus nationaler Sicht“ gegangen. Mit Zschäpe habe er viel Kontakt gehabt, er habe sie als sehr netten Menschen kennengelernt. Beim Thema Atompolitik seien sie einer Meinung gewesen, an andere politische Diskussionen mit ihr will er sich nicht erinnern können. Außer dass es eine „Grundstimmung unter jungen Leuten in Mitteldeutschland gegen Ausländer“ gegeben habe. Als die „vermeintliche Bombenwerkstatt“ – so Kapke – entdeckt wurde, sei ihm klar gewesen, dass „die beiden Uwes“ dahinter steckten, Zschäpe sei nur deshalb dabei gewesen, weil sie mit einem der beiden liiert gewesen sei. Überhaupt habe er das nur als eine jugendliche Spinnerei gesehen, für die es nicht wert gewesen sei, mehrere Jahre in den Knast zu gehen.
Rechts-Anwälte
Kapke wurde vom Gericht gehört, um das Umfeld der Angeklagten in Jena zu beleuchten. Er leistete in den Anfangsjahren des Abtauchens Unterstützungsarbeit, versuchte Pässe zu besorgen und reiste auf der Suche nach Unterstützung bis nach Südafrika, was er auch vor Gericht zugab. Dem früheren THS-Funktionär wurde vom Gericht Dirk Waldschmidt als Zeugenbeistand beigeordnet. Den Anwalt hatte er schon mit nach München gebracht. Waldschmidt kandidierte bereits für die NPD kandidiert und brachte es 2006 bis zum Landesvize der Partei in Hessen. Schon zu Beginn der Aussage Kapkes machte Waldschmidt klar, dass sein Mandant nach einem schweren Unfall an „Erinnerungslücken“ leide. Dem Anwalt sind auch die Wohlleben-Verteidigung Nicole Schneiders und Olaf Klemke nicht unbekannt. Alle drei verteidigen im Mammut-Verfahren gegen das Aktionsbüro Mittelrhein. Schneiders und Klemke lassen sich in München daher vereinzelt vom früheren Wiking-Jugend-Vorsitzenden Wolfram Nahrath vertreten.
Die Abfolge der im Prozess behandelten Themen ist immer noch ähnlich durcheinander wie am Anfang. Mitte November wurde die Hannoveranerin Silvia Sch. gehört. Bei Beate Zschäpe war eine Krankenkassenkarte und weitere Ausweise mit ihrem Namen gefunden worden. Sch. musste einräumen, dass sie für die Krankenkassenkarte von Gerlach 300 Euro bekommen habe, von den anderen Dokumenten, wie einem Bibliotheksausweis, wisse sie nichts. Zschäpe und die anderen Angeklagten kenne sie nicht, Gerlach nur über ihren Mann, der in der „Skinhead-Szene“ aktiv gewesen sei. Über politische Themen hätten sie aber nie gesprochen, sie interessiere sich nicht dafür. Wofür Gerlach die Karte haben wollte, habe sie nie hinterfragt. In der stundenlangen Aussage widersprach sich die Zeugin mehrfach.
Verjährt oder nicht?
Zu einem anderen Komplex wurden Rechte aus Jena vernommen. Schon zu Beginn des Prozesses hatte Carsten Schultze ausgesagt, die Ceska, also die Mordwaffe bei den ersten neun Morden, im Auftrag von Ralf Wohlleben im Jenaer Szeneladen Madley von Andreas Schultz gekauft zu haben. Schultz war deshalb am 55. Verhandlungstag nach München geladen. Doch bevor er zu Wort kam, intervenierte Wohlleben-Anwalt Klemke, dass der Zeuge ein generelles Aussageverweigerungsrecht habe. Andreas Schultz hatte in seinen ersten Vernehmungen bei der Polizei angegeben, eine Waffe mit Schalldämpfer besorgt zu haben und an Carsten Schultze übergeben zu haben. Dies könne als Beihilfe zu den Morden gewertet werden, so Klemke. Anders als alle anderen möglichen Straftatbestände, wie Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, wäre eine Beihilfe zum Mord nicht verjährt. Schultz griff die Message auf und verweigerte fortan die Aussage, um sich zunächst einen Anwalt zu besorgen.
Ähnlich lief die Ladung von Jürgen Lä. ab. Der Jenaer soll ebenfalls an der Lieferung der Ceska mit Schalldämpfer beteiligt gewesen sein. Bislang wurde dies als längst verjährtes Waffendelikt eingeordnet und gegen Lä. selbst nicht ermittelt. Dennoch versuchte Lä. mit anwaltlicher Hilfe, um eine Aussage herum zu kommen. Vor Gericht wollte sich Lä. nicht äußern, da sein Anwalt Thomas Jauch ihm gesagt habe, es gehe um eine Waffe mit Schalldämpfer und dies sei nicht verjährt. Nach kurzer Diskussion ordnete das Gericht ihm Jauch als Zeugenbeistand bei – die Gefahr, dass er sich selbst belaste, sei gegeben – und schickte ihn wieder nach Hause. Darauf hatte wieder Wohlleben-Anwalt Klemke gedrungen. Auch Jauch ist in der Szene nicht unbekannt, der Weißenfelser Anwalt verteidigt häufig Neonazis.
„... dass es eigentlich vom Staat ausgeht“
Zwei Verhandlungstage zuvor musste mit Frank Liebau der erste Zeuge aus der rechten Szene vor das Gericht treten. Er führte zusammen mit Andreas Schultz den Jenaer Szeneladen Madley. Nach München kam Liebau nicht unvorbereitet. Auf Fragen des Gerichts und der Nebenklage musste er einräumen, sich vor seiner Aussage mit seinem früheren Kompagnon getroffen zu haben. Über Waffen will er aber mit ihm nicht gesprochen haben: „Man muss nicht immer alles wissen. Das kann man dann ja nach dem Prozess auch fragen.“ Was er vom Verfahren hält, machte er deutlich: „Das ganze Verfahren ist eigentlich eine Farce. Die ganzen Ungereimtheiten. Jeder denkt, dass es eigentlich vom Staat ausgeht.“ An seine Aussagen bei der Polizei wollte er sich größtenteils nicht erinnern, die Ermittler hätten sich seine Aussagen immer „schön zurecht gelegt“.
Ab Anfang 2014 werden vermehrt Neonazis vor dem Münchener Oberlandesgericht sitzen müssen. Mittlerweile scheint es auch dem Gericht zu dämmern, dass Vernehmungen der Szene-ZeugInnen nicht problemlos über die Bühne gehen. Die bisherigen Vernehmungen dauerten viele Stunden länger als geplant. In ihren Aussagen versuchen sie, die Angeklagten zu schützen und ihre Rollen herunterzuspielen oder können sich an nichts mehr erinnern. Auch dies ist eine Art von Solidarität, die sie ihren, teils langjährigen, Weggefährten gegenüber zeigen.