Mit deutschem Mut nach Brüssel?

Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) vor den Europawahlen

Nach der Bundestagswahl im Herbst letzten Jahres trat die AfD in erster Linie mit internen Konflikten in Erscheinung, die sie bis an den Rand des Zerfalls brachten. Die Wende erfolgte im Januar dieses Jahres auf dem Landesparteitag in Hessen: Mit seinen Stammtischparolen gegen das Bekenntnis des Ex–Fußball–Nationalspielers Hitzlsperger zu seiner Homosexualität versöhnte Parteichef Bernd Lucke die widerstreitenden Flügel und zeigte damit zugleich den Kurs der Partei auf – verbale Distanzierung vom rechten Rand bei gleichzeitiger inhaltlicher Ausrichtung als Partei für das Sarrazin-affine „Wutbürgertum“.

Nach der Bundestagswahl im Herbst letzten Jahres trat die AfD in erster Linie mit internen Konflikten in Erscheinung, die sie bis an den Rand des Zerfalls brachten. Die Wende erfolgte im Januar dieses Jahres auf dem Landesparteitag in Hessen: Mit seinen Stammtischparolen gegen das Bekenntnis des Ex–Fußball–Nationalspielers Hitzlsperger zu seiner Homosexualität versöhnte Parteichef Bernd Lucke die widerstreitenden Flügel und zeigte damit zugleich den Kurs der Partei auf – verbale Distanzierung vom rechten Rand bei gleichzeitiger inhaltlicher Ausrichtung als Partei für das Sarrazin-affine „Wutbürgertum“.

Auf der Suche nach Masse

Der Flügelstreit in der AfD ist nach wie vor nicht entschieden. Seine struk­tu­rel­le Ursache hat AfD-Vorstandsmitglied Alexander Gauland im Januar in der FAZ erläutert. „In der AfD versammeln sich heute zwei Gruppen von Menschen“, schrieb Gauland. „Da sind auf der einen Seite jene volkswirtschaftlich gebildeten Wirtschaftsliberalen, denen die Ein­heits­währung gegen den Geist marktwirtschaftlicher Prinzipien geht“. Für diese „Gegner von Euro und Brüsseler Eurokratie“ sei „die AfD ein liberales Projekt, ein Projekt, das die FDP hätte umsetzen müssen und das sie zu ihrem Schaden verschmäht hat“. Wirt­schaftsprofessoren wie Bernd Lucke – sie bilden, so schilderte Gauland es durchaus zutreffend, also den einen Par­tei­flügel. Nun gibt es allerdings, räumte Gau­land ein, „wahrscheinlich nicht ge­nügend Wähler“, die „das Pro­fes­so­ren­thema vom falschen Euro allein an die Wahlurnen treibt. Das heißt, man muss, um erfolgreich zu sein, all jene mitnehmen, die die AfD nur deshalb wollen und wählen, weil sie anders ist, populistisch dem Volk aufs Maul schauend, und weil sie das politikfähig formuliert, was in Wohnzimmern und an Stammtischen gedacht und beklagt wird.“ Man ahnt, was das heißen soll. Gauland fuhr denn auch fort: „Die Verwestlichung und Industrialisierung des Landes hat überall Menschen zurückgelassen, denen das Laissez-faire der modernen Gesellschaften viel zu weit geht, die Werte, Strukturen und Haltungen vermissen, die bei Eltern und Großeltern noch selbstverständlich wa­ren. Dass eine Familie aus Vater, Mutter und Kind besteht, die heimische Erziehung der Normalfall sein sollte und multikulturelle Gesellschaften mehr Pro­bleme als Freude bereiten, ist diesen Menschen so selbstverständlich, dass sie ihrer Marginalisierung in der öf­fent­lichen Debatte mit Zorn und Ablehnung gegenüberstehen. ... Der Zorn über ihre Marginalisierung äußert sich dann in einer Sprache, die den Minimalkonsens demokratischer Debattenkultur auf­kündigt.“

Besonders einprägsame Beispiele un­ter­halb des demokratischen Minimal­kon­senses hat die AfD Hessen geliefert. Peter Ziemann, wenig später Schatz­meis­ter des hessischen AfD-Landes­ver­bandes, war am 12. September 2013 der Ansicht gewesen, er müsse der Welt auf der Website einer Goldhandelsfirma folgenden Gedankenblitz mitteilen: „Der heutige Sozialismus, der sich Demo­kra­tie schimpft, muss das gleiche Schicksal wie der Ostblock vor mehr als 20 Jahren erleiden. Nur so können wir die satanistischen Elemente der Finanz-Oligopole von den westlichen Völkern wieder abschütteln, die wie die Zecken das Blut der Völker aussaugen und die Körper mit tödlichen Bakterien verseuchen.“ Satanistische Elemente? Blut der Völker? Soll die Demokratie zusammenbrechen wie die realsozialistischen Systeme? „Philoso­phisch interessant“ sei das, hatte der zeit­weilige hessische AfD-Landes­spre­cher Volker Bartz geurteilt. Parteichef Lucke sah die Dinge jedoch deutlich an­ders, und inzwischen sucht man auf der Liste der hessischen AfD-Lan­des­vor­standsmitglieder nach den Herren Ziemann und Bartz vergebens.

Vorbild SVP

Die von Lucke bevorzugte Art, am rechten Rand zu fischen, zeigt seine offen zur Schau gestellte Sympathie für die Referendums-Initiative der rechts­po­pulistischen Schweizerischen Volks­partei (SVP) gegen „Mas­sen­ein­wan­derung“. Derlei „Volksentscheide“ soll­ten Vorbild für Deutschland sein, erklärte der AfD-Chef. Die SVP-Plakate zur Thematik hatten eine angebliche „Entwurzelung“ des Landes und eine „Zersetzung des Bodens“ durch Zu­wan­derung suggeriert – eine völkische Bot­schaft, der sich sämtliche Rechtsaußen-Par­teien in Europa anschließen könnten: Den angeblichen Ausverkauf „nationaler Identität“ und Souveränität durch einen „Vielvölkerstaat“ beklagen auch sie. Gegen einen ebensolchen „Vielvölkerstaat“ sprach sich AfD-Sprecher Lucke bei einer Diskussion aus, die von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) organisiert wurde – aus­ge­rechnet zum Thema „Rechtspopulismus und Rechtsextremismus im Vorfeld der Europawahlen“. Lucke dozierte dort, die Geschichte habe gezeigt, dass „Vielvöl­ker­staaten“ nicht funktionierten. Bleibt zu hoffen, dass derlei Geschichts-deu­tun­gen keinen Eingang in das Bil­dungs­programm der Bundeszenrale für politische Bildung finden.

Inhaltliche Berührungspunkte ja, formelle Kontakte nein – so lässt sich Luckes Haltung in Sachen Kooperation mit Rechtsaußen-Parteien in anderen EU-Staaten zusammenfassen. Dem Parteichef wäre es am liebsten, wenn sich die AfD im Europaparlament mit den britischen Tories zusammen­schließen könnte. Die wollen aber nicht so recht, schließlich sind sie – als Regierungspartei – faktisch verpflichtet, die deutsche Regierung nicht vollends vor den Kopf zu stoßen. Und die United Kingdom Independence Party (UKIP), eine rechtspopulistische Partei, die für den Austritt aus der EU eintritt? Eine Kooperation mit ihr hatten schon Martin E. Renner, einst stellvertretender Sprecher der AfD NRW, und Steffen Wandschneider vom AfD-Vorstand in Mecklenburg-Vorpommern im Sinn, als sie sich im November 2013 in Brüssel mit UKIP-Chef Nigel Farage trafen. Das gab intern gewaltig Ärger, weil Lucke fürchtet, eine Kooperation mit der UKIP könne den rechten Parteiflügel PR-schädlich ins Rampenlicht rücken.

Krach gab es auch, als Wandschneider meinte, gemeinsam mit Vorstands­mit­gliedern der AfD-Landesverbände Sach­sen-Anhalt (Michael Heendorf) und Brandenburg (Roland Scheel) eine Delegation der Haider-Partei BZÖ treffen zu müssen. Wenig später waren die Herren Renner, Wandschneider, Heendorf und Scheel allesamt Ex-Mitglieder ihres jeweiligen AfD-Landesverbands. Doch diese Distan­zie­run­gen werden zunehmend brüchig: Für den 27. März hatte die Jugendor­ga­ni­sa­tion der AfD, die Junge Alternative NRW, zur Diskussion mit UKIP-Chef Farage ins Maritim-Hotel in Köln geladen. „Wir werden demnächst einen Durchbruch in der deutschen Politik erleben“, bekundete Farage. Aus dieser An­nähe­rung könnte auf EU-Ebene neben dem offen rechtspopulistischen Block unter Führung von Marine Le Pen und Geert Wilders ein weiterer EU-feindlicher Flügel entstehen, der mit einer Mi­schung aus marktradikalen und na­tional­konservativen Positionen einen Ein­bruch in das liberalkonservative La­ger im Europaparlament bewirken könnte. Dazu passen würde Luckes Wahl­kampf-Slogan: „Mut zu Deutsch­land“.

Für die AfD ins Europaparlament

Anschluss suchen kann die AfD im Wahlkampf an die nicht eben kleinen, von Thilo Sarrazin begeisterten Milieus. Hans-Olaf Henkel, AfD-Kandidat bei der Europawahl, hatte den SPD-Politiker, als diesem am 6. November 2012 für sein Buch zum Euro der „Deutsche Mittelstandpreis“ verliehen wurde, zum „deutschen Widerstandskämpfer im besten Sinne des Wortes“ erklärt. Henkel, dem zufolge in der EU „zunehmend Selbsttäuschung, Gleich-macherei und Sozialismus um sich“ greifen, steht als Vertreter eines Protestmilieus gegen den Euro, das Deutschland durch einen angeblich drohenden „Zwangssozialismus“ be­droht sieht. Auf dem AfD-Parteitag in Erfurt wurde Henkel zum Sprecher der Partei gewählt. Dabei setzte er sich nur äußerst knapp gegen den Bielefelder Marcus Pretzell durch, der schließlich als Beisitzer in den Bundesvorstand gewählt wurde; Pretzell gehört zur Pro-UKIP-Riege in der AfD.

Wie Henkel steht auch Joachim Starbatty auf einem wohl sicheren Listenplatz für die Europawahl. Starbatty ist ein Strippenzieher im nationalliberalen Netzwerk und aktiv bei der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und der Jenaer Allianz; er steht für einen explizit gewerkschafts­feindlichen und marktradikalen Kurs. Die AfD-Europawahl-Kandidatin Beatrix von Storch steht für die anti­fe­mi­nis­tische und konservativ-reaktionäre Aus­rich­tung der Partei.

Türöffner nach Rechtsaußen

Mit der Anfang des Jahres gegründeten Patriotischen Plattform tritt eine Vereinigung von Mitgliedern und Unterstützern der AfD als Türöffner nach Rechtsaußen in Erscheinung. Als Sprecher dieser Vereinigung profiliert sich Hans-Thomas Tillschneider, der zugleich Ansprechpartner der AfD in Leipzig ist. In ihrer Grundsatzerklärung tritt die Plattform „gegen die Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft“ in Erscheinung. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland faktisch eine multikulturell verfasste Ein­wanderungsgesellschaft ist, stellt sich die Frage, wie die Plattform ihre Forderungen umzusetzen gedenkt. Mit ihrem Sprecher Tillschneider, einem Islamwissenschaftler, scheint auch das Thema Islam steigende Bedeutung zu erhalten. So findet sich im Landes­wahlprogramm der AfD Sachsen die Forderung, mit Referenden gegen den Bau von Minaretten vorzugehen. Solche Forderungen haben hierzulande bislang rechtspopulistische Splitterparteien wie pro NRW oder Die Freiheit aufgestellt.

Auch sonst werden die Türen in einigen Landes- und Kreisverbänden der AfD weit nach Rechtsaußen geöffnet. So lud der AfD-Kreisverband Mittelsachsen am 11. Februar dieses Jahres den Redakteur der „neurechten“ Schülerzeitung Blaue Narzisse, Felix Menzel, nach Freiberg ein. Menzel stellte dort seine Buch­publikation „Junges Europa“ vor, in der er gegen „Überfremdung” und „Mas­sen­einwanderung” zu Felde zieht und für eine Allianz „nationaler Kräfte“ in Europa wirbt. Ideologisch passt ein Vorfall aus Mecklenburg-Vorpommern dazu. So berichtete im Februar die Ostseezeitung von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Rostock gegen den dortigen AfD-Landeschef, Holger Arppe, wegen Verdachts auf Volksverhetzung im Internet. Das Blatt hatte zuvor berichtet, dass zwischen 2009 und 2010 unter dem Pseudonym „antaios_rostock“ im Internet Gewaltaufrufe gegen Araber und Muslime erschienen waren. Eine Internetadresse habe auf Arppe als möglichen Verfasser hingewiesen. Der Beschuldigte bestreitet das allerdings.

Zwar gilt der Einzug der AfD ins Europaparlament nach dem Wegfall der Drei-Prozent-Hürde als gesichert. Doch muss die Partei, um sich längerfristig in der deutschen Parteienlandschaft eta­blieren zu können, auch in ein deutsches Par­lament einziehen. Die Wähler­zu­stim­mung bei der letzten Bundestagswahl für die AfD in Ostdeutschland, wo vielerorts mit wohlstands­chau­vi­nis­ti­schen Parolen wie „Wir sind nicht das Welt­sozialamt“ geworben wurde, deutet an, mit welchen Themen die Partei im August und September bei den Land­tags­wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wohl auf Stimmenfang gehen wird.

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