Von Rechts zur Mitte?
Die „Alternative für Deutschland“ nach der Europawahl
Nachdem die AfD mit sieben Sitzen ihren Einzug in das Europaparlament gemeistert hat, will sie nun bei den im Herbst anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland punkten. Dabei verdichten sich die Anzeichen dafür, dass sie bestrebt ist, sich als „Sarrazin-Partei“ in Szene zu setzen.
Mit der erfolgreichen Umsetzung der von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei inszenierten Volksinitiative „gegen Masseneinwanderung“ im Februar 2014 hat die einwanderungsfeindliche Politik rechter Parteien enormen Auftrieb erhalten. Schon jetzt lassen sich auch hierzulande die Folgen des rechtspopulistischen Ringens um Zustimmung im rechten Wutbürgertum erkennen: ein Einbruch von rechts in die politische Mitte auf Kosten entrechteter Minderheiten und linker transnationaler Politikansätze. Seinen Nährboden erhält der europafeindliche Rechtspopulismus durch die angeblich alternativlose neoliberale Sparpolitik und dadurch, dass sozial gerechte transnationale Politikangebote öffentlich nicht wahrnehmbar sind. Nach der Europawahl droht ein Einbruch von Rechtsaußen auf drei Ebenen:
- durch eine Stärkung des Blocks der traditionellen extremen Rechten in Süd- und Osteuropa,
- durch die Formierung rechtspopulistischer Fraktionen unter Führung des Duos Wilders/Le Pen einerseits und der UKIP andererseits sowie
- durch die Bildung eines wohlstandschauvinistischen Blocks marktradikaler und nationalkonservativer Europaskeptiker unter Einbeziehung der AfD im Bündnis mit der rechtspopulistischen Partei Die Finnen und der Dänischen Volkspartei (DVP) unter dem Dach der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR).
Die rechte Ecke
Entgegen der vor der Wahl getroffenen Versprechen, auf Abstand zu rechtspopulistischen Parteien zu gehen, verkündete AfD-Bundessprecher Bernd Lucke nun ebendieses Bündnis mit Nationalkonservativen und Rechtspopulisten in der EKR-Fraktion als Sieg gegenüber jenen, „die die AfD in die rechte Ecke schieben möchten“. Deutliche Kritik äußerte Lucke an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die hinter verschlossenen Türen massiv beim britischen Ministerpräsidenten David Cameron interveniert hatte, um die Aufnahme der AfD in die EKR-Fraktion zu unterbinden.
Schaut man aber genauer hin, dann zeigt sich: Die AfD hat mit der Adligen Beatrix von Storch eine bekennende Nationalistin in das Europaparlament entsandt. In ihrer Bewerbungsrede zur Europawahl erklärte von Storch: „Demokratie geht nur national. Sie geht nicht international. Sie heißt: Herrschaft des Volkes, es heißt: eines Volkes, nicht Herrschaft der Völker.“
Ebenfalls zum EU-Abgeordneten ist das AfD-Mitglied Joachim Starbatty gewählt worden. Starbatty war schon in den 1990er Jahren Mitglied im rechtspopulistischen Bund freier Bürger (BfB); er agiert innerhalb der AfD als Bindeglied zwischen neoliberalen und konservativen Rechten. In einem Interview mit der „neurechten“ Blauen Narzisse forderte er, der „freiheitlich-liberale“ und der „nationalkonservative Flügel“ der Partei sollten nicht gegeneinander, sondern zum Wohle der AfD miteinander arbeiten. Zum wirtschaftsliberalen Flügel gehört der ehemalige BDI-Vorsitzende Hans-Olaf Henkel, der zugleich aus seiner Sympathie für den Erfolgsbuchautor Thilo Sarrazin keinen Hehl gemacht hat.
Mit Marcus Pretzell zieht zudem ein AfD-Abgeordneter in das EU-Parlament ein, der aus seiner Sympathie für eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen UKIP keinen Hehl gemacht hat. Er trat etwa bei einer Veranstaltung der Jungen Alternative am 27. März 2014 im Kölner Hotel Maritim auf, bei der UKIP-Chef Nigel Farage als Hauptredner geladen war. Farage war damals gegen den Willen von AfD-Chef Lucke eingeladen worden. Pretzell gilt seitdem als Exponent des ultrarechten AfD-Flügels. Dazu passt, dass er sich Anfang Juli ausgerechnet von Joachim Paul für die Website der AfD Rheinland-Pfalz interviewen ließ. Paul ist Alter Herr der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, die in den letzten Jahren mit ultrarechten Exzessen von sich reden gemacht hat (vgl. LOTTA #48). Als Pretzell beim Landesparteitag der AfD NRW am 7./8. Juni in Bottrop zum neuen Landesvorsitzenden gewählt wurde, da urteilte denn auch der Publizist und AfD-Kenner Andreas Kemper, im NRW-Landesverband habe sich nun „komplett die nationalkonservative Linie durchgesetzt, die in Opposition zur Parteiführung um Lucke und Henkel steht“.
Die neue Sarrazin-Partei?
Um sich politisch in der deutschen Parteienlandschaft festigen zu können, muss die AfD allerdings auch Wahlerfolge in deutschen Parlamenten erzielen; sie muss sich in der Fläche verankern. Daher werden die Landtagswahlen im Herbst 2014 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg von entscheidender Bedeutung für sie sein. Die Anzeichen verdichten sich, dass in den Wahlkämpfen die marktradikale und die nationalkonservative Strömung mit Forderungen aus der Programmkiste des Rechtspopulismus angereichert werden sollen. Die AfD scheint sich damit quasi als „Partei zu den Thesen von Thilo Sarrazin“ etablieren zu wollen. In „neurechten“ Kreisen – besonders deutlich im Umfeld der Wochenzeitung Junge Freiheit – wird sie als möglicher Hoffnungsträger einer parteipolitisch bislang immer noch erfolglosen nationalistischen Rechten angesehen. Ob sie es schafft, die rechtspopulistische Lücke in Deutschland erfolgreich zu besetzen, wird von ihrer weiteren politischen Positionierung in den Landtagswahlkämpfen und deren Ausgang abhängen.
Anzeichen für eine rechtspopulistische Stoßrichtung finden sich beispielsweise im sächsischen Wahlprogramm der Partei. Zu den am 31. August stattfindenden Landtagswahlen hat die sächsische AfD auf ihrem Parteitag in Zwickau ein eigenes Wahlprogramm erstellt und darin unter anderem die Forderung nach Volksabstimmungen über den Bau von Moscheen mit Minaretten in dem Bundesland aufgenommen. Ebenso Eingang in das Programm fand die Forderung nach einer Quote für deutschsprachige Musiktitel in Hörfunk und Fernsehen. Angereichert werden solche Forderungen mit fragwürdigen Vorstellungen von elterlicher Stimmenverdoppelung bei Wahlen: Für Frauke Petry aus dem AfD-Landesvorstand sollten laut Presseberichten „Eltern in Zukunft auch ein Stimmrecht für ihre minderjährigen Kinder bekommen“.
Die Aufnahme der Moscheebau- und Minarett-Thematik in das sächsische Wahlprogramm ist von besonderer Bedeutung, weil diese Forderung bislang nur von rechtspopulistischen Parteien wie der Freiheit, den Republikanern und pro NRW bzw. pro Deutschland erhoben worden ist und sich die AfD-Spitze bislang strikt von einem solchen Kurs abzugrenzen suchte. Daher steht zu befürchten, dass mit der weiteren Entwicklung in Sachsen auch die AfD dazu übergehen könnte, mit muslimfeindlichen Forderungen in Erscheinung zu treten.
Patriotische Plattform
Im Januar 2014 gründeten Mitglieder der AfD eine Patriotische Plattform. Als deren Sprecher tritt Hans-Thomas Tillschneider in Erscheinung. Er wird auf der Internetseite der AfD-Geschäftsstelle Leipzig mit den Funktionen „Vorstandsmitglied, Schriftführer, Programmkommission“ aufgeführt. Ihre Gründungsplattform lässt die Patriotische Plattform deutlich als eine Fraktion hervortreten, die massiv nach rechts drängt:
„Wir halten an Deutschland fest:
- an seiner politischen Souveränität gegen alle Versuche, die Kernrechte des Parlaments auf supranationale Organisationen zu übertragen;
- an seiner finanziellen Stabilität gegen alle Versuche, es mit den Folgen der Misswirtschaft anderer Staaten zu belasten;
- an seiner Sprache und Kultur gegen die Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft auf seinem Boden;
- an seiner ökonomischen Stärke, die von der Energiewende bis hin zu einem falsch eingestellten Sozialstaat vielerlei Anfechtung ausgesetzt ist;
- an seinem Sozialstaat, der durch falsche Strukturen, vor allem aber durch massenhafte Einwanderung in die Sozialsysteme zunehmend in Frage gestellt wird.“
Die Forderungen weisen eine deutliche Nähe zu programmatischen Vorstellungen bekannter Rechtsaußenparteien wie etwa der Republikaner oder von pro NRW bzw. pro Deutschland auf. Dass die Patriotische Plattform besonders die Agitation gegen MigrantInnen in den Vordergrund stellen will, lässt zudem eine Stellungnahme ihres Sprechers Tillschneider vermuten:
„Das nächste Feld könnte die Kontroverse Leitkultur vs. multikulturelle Gesellschaft sein. Noch 2010 hat die CDU die multikulturelle Gesellschaft für gescheitert erklärt und versucht, sich auf eine deutsche Leitkultur zu berufen. Doch zwischenzeitlich wurde die multikulturelle Gesellschaft im Diskurs der etablierten Parteien und Medien zu einer kaum noch hinterfragbaren Selbstverständlichkeit, und Berufungen auf die deutsche Leitkultur sind zunehmend schwerer, fast schon unmöglich geworden. Halten wir diese Entwicklung auf! Was 2010 in der CDU erlaubt war, kann 2014 in der AfD nicht verboten sein. Holen wir uns, wie Alexander Gauland es so schön gesagt hat, die Diskurshoheit von den 68ern Stück für Stück zurück!“
AfD-Chef Lucke hat immer wieder gegen alle protestiert, die seine Partei „in die rechte Ecke schieben möchten“. Er hat recht: Man braucht sie gar nicht dahin zu schieben. Sie bewegt sich von selbst.