„1 : 0 für uns“

Die Neonazi-Szene im Kreis Siegen-Wittgenstein

Nach zeitweise eher sporadischer Aktivität und Rückzügen von Kadern meldete sich die Neonazi-Szene im Kreis Siegen-Wittgenstein mit einem Knall zurück. Am 24. Mai 2014 kam es zu einem Übergriff in Siegen, bei dem ein Student lebensgefährlich verletzt wurde. Grund genug, die lokale Neonazi-Szene unter die Lupe zu nehmen.

Nach zeitweise eher sporadischer Aktivität und Rückzügen von Kadern meldete sich die Neonazi-Szene im Kreis Siegen-Wittgenstein mit einem Knall zurück. Am 24. Mai 2014 kam es zu einem Übergriff in Siegen, bei dem ein Student lebensgefährlich verletzt wurde. Grund genug, die lokale Neonazi-Szene unter die Lupe zu nehmen.

Die Neonazis im Kreis Siegen-Wittgenstein bildeten nach der Auflösung der Freien Nationalisten Siegerland bzw. des Freien Netzes Siegerland (FNSI) keine Kameradschaft im klassischen Sinne mehr. Die/das FNSI war/en eine Gruppierung, die von 2008 bis zirka 2012 existierte und eng mit der lokalen NPD kooperierte. Sie führte mit überregionaler Beteiligung Demonstrationen im Kreisgebiet durch, eines ihrer führenden Mitglieder, Sascha Maurer, saß für die NPD im Siegener Stadtrat. Darüberhinaus kam es immer wieder zu gezielten Attacken und Sachbeschädigungen durch Mitglieder dieser Gruppe.

Ernstzunehmende Bedrohung

Im Vergleich dazu ist die heutige lokale Neonazi-Szene weit entfernt von einer konsistenten politischen Arbeit. Politische Aktionen im eigentlichen Sinne finden nur noch sporadisch statt und erschöpfen sich meist in Schmierereien, die ab und zu im Stadtbild auftauchen. Allerdings geht weiterhin eine ernstzunehmende Bedrohung von der neonazistischen Szene aus. So wurde am 12. Mai 2012 ein Stand der Pro-Israel-Initiative Never Again angegriffen, mehrere Personen wurden verletzt. Zwei ermittelte Täter, unter ihnen der lokale Neonazi-Aktivist Andre Kauff, kassierten für ihre Beteiligung am Angriff lediglich Geldstrafen. Zwei weitere Vorfälle waren die Schändungen jüdischer Friedhöfe in Siegen und Bad Berleburg, die in der Nacht vom 8. auf den 9. November 2013 verübt wurden. Am 21. November fanden Razzien bei drei Verdächtigen statt, von denen zwei am 4. November 2014 vor dem Amtsgericht in Dillenburg angeklagt werden. Am 24. Mai 2014 ereignete sich der seit Jahren schwerste neonazistische Angriff vor Ort. Am frühen Mittag sammelten sich an diesem Tag von der Polizei unbehelligt mindestens 30 Neonazis aus mehreren Städten an der Siegerlandhalle und wollten sich gemeinsam auf den Weg nach Bayern machen. Ziel war das im Rahmen des „NPD-Bayerntages“ geplante „Live H8“-Konzert in Scheinfeld in Mittelfranken, aus dem jedoch nichts wurde, da es aufgrund antifaschistischen Protestes von den Behörden unterbunden wurde. Die bundesweit angereisten Neonazis mussten den Rückzug antreten. Ein Teil derjenigen, die sich in Siegen getroffen hatten, gingen abends in eine Siegener Kneipe, vor der es dann zu besagtem Angriff kam. Im Nachgang folgten Einschüchterungsversuche. So drohten mehrere Neonazis auf Facebook, eine am 27. Mai stattfindende „Volxküche“ anzugreifen. „1 : 0 für uns und das 2 : 0 kommt auch in nächster Zeit“, so einer von ihnen. Auch tauchten unmittelbar nach dem Vorfall Schmierereien in Siegen – u.a. der Schriftzug „Multi-Kulti ist Völkermord“ an der Universität – auf, die zwar stümperhaft angefertigt wurden, jedoch an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen.

Trotz dieser Vorfälle hat die lokale Neonazi-Szene aber bei weitem noch nicht ihre alte Stärke und vor allem nicht ihren Organisierungsgrad wie zu FNSI-Zeiten erreicht. Zielgerichtete Attacken und Sachbeschädigungen, wie zum Beispiel auf einen linken Buchladen, das Büro der Partei Die Linke oder das örtliche linke Zentrum, wie sie zu FNSI-Zeiten noch regelmäßig stattfanden, ja sogar zeitweise an der Tagesordnung waren, waren in letzter Zeit eher sporadisch zu verzeichnen. Einzelne Akteure der Neonazi-Szene im Kreis Siegen-Wittgenstein pflegen jedoch beste Kontakte in die bundesweite Szene und nehmen auch regelmäßig an überregionalen Demos teil, ohne sich jedoch – beispielsweise durch Transparente – als Gruppe zu kennzeichnen. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Demonstration der Partei Die Rechte am 15. März 2014 in Koblenz, die sich gegen den Prozess gegen Mitglieder und Unterstützer der kriminellen Vereinigung Aktionsbüro Mittelrhein (ABM) richtete. An dieser Aktion nahmen mehrere Siegener Neonazis teil, unter anderem Michael Schulz, einer der Angeklagten im ABM-Prozess. Kader der Siegener Neonazi-Szene wie Robin Seringhaus und Andre Kauff übernahmen Aufgaben wie das Tragen des Fronttransparents oder waren Teil des Ordnerdienstes. Dennoch ist die lokale Neonazi-Szene zur Zeit eher ein loser Zusammenschluss von Personen, der politisch kaum Wirkmacht entfalten kann. Eine größere Rolle spielt der subkulturelle Faktor, also das Nazi sein als „way of life“.

Schaffung rechter Lebenswelten

Neonazis aus dem Siegerland und dem Westerwald mieteten im Sommer 2013 ein Haus in Freudenberg an, das dann als Treffpunkt der Szene aus dem Dreiländereck NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen diente. Dort fanden Partys und Konzerte statt, zu denen Neonazis aus ganz Deutschland anreisten. Von hier aus fuhr 2013 ein vom Westerwälder Neonazi Lukas Grech angemieteter Bus zum ersten „Live H8“-Konzert, das im Gegensatz zum zweiten Konzert ungehindert stattfinden konnte. Erst nach Protesten und einem Aufgreifen des Themas in den Medien kündigte der Vermieter den Neonazis ihre Bleibe, so dass sie Anfang 2014 ausziehen mussten. Der Versuch, einen regelmäßigen Anlaufpunkt zu schaffen, war damit erst einmal gescheitert. Insgesamt lässt sich für das „parteifreie“ Spektrum im Raum Siegen feststellen, dass es bis jetzt zwar keine feste neonazistische Organisation gibt, aber durchaus Akteure, die politisch organisierend tätig sind und beste Kontakte in die überregionale Szene haben. Zwar sind die meisten Aktivitäten der lokalen Neonazi-Szene noch eher auf den Besuch von Konzerten und auf Saufabende beschränkt, aufgrund ihrer hohen Gewaltbereitschaft geht aber dennoch eine Gefahr von ihr aus.

Und die NPD?

Nicht ohne Relevanz für die lokale Entwicklung ist sicherlich auch der Niedergang der bis vor zirka vier Jahren noch recht aktiven lokalen NPD. Die Aktivitäten erloschen spätestens nach dem Parteiaustritt des damaligen NPD-Kreisvorsitzenden Stephan Flug, dem der Kurs der Landes-NPD offenbar nicht radikal genug war. Bei den Kommunalwahlen 2009 war die NPD im Kreis Siegen-Wittgenstein mit Unterstützung der/des FNSI zu den Stadträten Siegen, Netphen und Wilnsdorf sowie zum Kreistag angetreten. In Netphen und Wilnsdorf scheiterte sie, bei der Stadtratswahl in Siegen und der Kreistagswahl im Kreis Siegen-Wittgenstein erzielte sie jeweils ein Mandat. Bei den Kommunalwahlen 2014 trat die Partei im Kreisgebiet nicht mehr an. Angeblich soll inzwischen ein Neuaufbau des Kreisverbandes stattfinden, so behauptet es zumindest der NPD-Landesverband. Ausdruck fand dies allerdings bislang nur – sieht man einmal von Stammtischen ab – bei der Wahl des neuen NPD-Landesvorstands Ende September 2014. Als neuen Beisitzer führt die NPD in ihrem Bericht über den Landesparteitag einen bisher nicht öffentlich in Erscheinung getretenen „Jens Klein (Siegen)“ auf.

Weiterlesen

Für „Pro NRW“ ist kein Ziel zu hochgesteckt
Max Bassin

100 kommunale Mandate

Die Kommunalwahlergebnisse der extremen Rechten in NRW

So richtig zufrieden sein konnte eigentlich keine einzige Partei aus der extremen Rechten nach der Auszählung der Stimmen bei den Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 in NRW. Im Vergleich zur letzten Kommunalwahl hinzugewinnen konnte nur die selbsternannte „Bürgerbewegung pro NRW“, die aber dennoch weit von ihren Wahlzielen entfernt blieb und ausgerechnet in Köln herbe Verluste einstecken musste. NPD und „Republikaner“ setzten ihre Talfahrt vor, „Die Rechte“ kam als Player auf niedrigstem Niveau hinzu. Trotz Konkurrenz, insbesondere durch die „Alternative für Deutschland“ (AfD), konnte die mit wenigen Ausnahmen untereinander verfeindete extreme Rechte die Gesamtzahl ihrer Mandate aber dennoch minimal steigern.