Besorgniserregende Eltern
Mobilmachung gegen Sexualpädagogik in gruseligen Allianzen
„Kinder brauchen Liebe und keinen Sex“, mit dieser Parole zogen am 18. Januar 2014 um die 1.000 Menschen aller Altersgruppen durch Köln. Aufgerufen hatte die Initiative „Besorgte Eltern“. Neben einer zweiten Demo in Köln fanden auch Veranstaltungen in Stuttgart und Frankfurt am Main statt. Wer da so alles gemeinsam „Gegen die Frühsexualisierung unserer Kinder“ oder den Bildungsplan 2015 in Baden-Württemberg demonstriert, lohnt einen genaueren Blick.
„Kind verpasst 1 Unterrichtsstunde – Vater landet im Gefängnis – Mutter bald auch ... Wer ist der nächste?!“, so der Titel der Flyer, mit dem die Initiative Besorgte Eltern für ihre erste Demonstration in Köln warb. Laut Eigenangaben wurde die Veranstaltung mit nur einer Woche Vorbereitungszeit organisiert. Dass so viele Teilnehmende anreisten, dürfte der Emotionalität geschuldet sein, die das Thema „Kinder“ meist auslöst, spricht aber auch für eine gute Vernetzung. Anmelder der Veranstaltung war Mathias Ebert aus Sendenhorst im Münsterland. Ebert ist Gründungsmitglied von Besorgte Eltern und tritt als deren offizieller Ansprechpartner auf. Anlass für die Gründung der Initiative im Jahr 2013 war die Auseinandersetzung um die Teilnahme von Kindern am schulischen Sexualkundeunterricht. Damals wurde gegen Eugen und Luise Martens aus Eslohe-Reiste eine Erzwingungshaft verhängt, weil ihre Tochter, Viertklässlerin und damit schulpflichtig, unentschuldigt im Sexualkundeunterricht fehlte und die Eltern sich nicht einsichtig zeigten.
„Organische Christus-Generation“
Familie Martens ist Mitglied der evangelikalen Sekte Organische Christus-Generation (OCG). Die OCG wurde von dem 1956 in Zürich geborenen Laienprediger mit Missionierungsdrang Ivo Sasek gegründet. In seinem „Dokumentar“-Film „Urväter der Frühsexualisierung“ macht der 11-fache Vater Sasek, der sich in der Erziehung auch für körperliche Züchtigung ausspricht, aus christlich-fundamentalistischer Perspektive Stimmung gegen Sexualpädagogik. Die von ihm ebenfalls gegründete Anti-Zensur-Koalition veranstaltet jährlich einen Kongress, bei dem nicht nur wirre VerschwörungsfantastInnen aller Couleur zusammenkommen. 2012 war Sylvia Stolz, ehemalige Anwältin von Horst Mahler und verurteilte Holocaustleugnerin, als Rednerin geladen, sie referierte zu „Sprech- Beweis- und Verteidigungsverbot – Die Wirklichkeit der Meinungsfreiheit“. Dabei sagte sie, der Holocaust könne nicht gerichtlich bewiesen werden. 2009 war der Holocaustleugner Bernhard Schaub zu Gast.
Ansonsten reicht das Themenspektrum der bisher 10 Konferenzen von „außerirdischer Präsenz“ über Chemtrails und „Geldsystem“ bis hin zu „Genderismus“ und Sexualerziehung. Kein Wunder also, dass auch Mathias Ebert mit dabei ist. 2014 referierte er über Besorgte Eltern. Er sei vorher immer wieder auf Konferenzen gewesen, habe sich immer mehr Wissen angeeignet – hier stellt er Chemtrails besonders heraus – aber „die Tat“ sei immer „beschränkt“ gewesen, bis ihn dann die Erlebnisse in seinem Freundeskreis zur Gründung der Initiative veranlasst hätten. Und nun fühle er sich geehrt, mit diesen „Schwergewichten der Aufklärung” an einem Tisch sitzen zu dürfen. Bereits bei der 8. Anti-Zensur-Konferenz trat Ebert in einem Männer-Quartett auf und bot ein Stück mit dem Titel „Wir lassen uns nicht passivieren“ dar, im Jahr davor war er Teil der OCG-Sänger Familie Ebert.
Die „Besorgten Eltern“ und die extreme Rechte
Mit dem Wissen, in welchem Spektrum sich Ebert bewegt, verwundert es auch nicht mehr, dass bei der ersten Demonstration in Köln ein Transparent der Europäischen Aktion (EA) mitgeführt wurde. Die antisemitische EA geht auf Bernhard Schaub zurück und verfolgt das Ziel, „die US-hörige EU durch eine Europäische Eidgenossenschaft zu ersetzen, die Europa wieder zum handelnden Subjekt statt zum Spielball der Weltpolitik machen wird.“ Anfang 2014 vermeldete die Organisation die Gründung eines NRW-Stützpunktes im Oberbergischen Kreis. Wiederum eng mit der EA verbunden ist der Arminius-Bund (s. Lotta #56, S. 33). Hier sind viele „Russlanddeutsche“ vertreten, die zuvor auch als Russlanddeutsche Konservative auftraten und dem Umfeld der NPD angehörten. Als Bundesvorsitzender fungiert Johann Thießen aus Hürtgenwald (Kreis Düren). Er trat bei der zweiten Demonstration von Besorgte Eltern in Köln am 22. März als Redner auf. „Unsere Rußlanddeutschen sind massenhaft beteiligt an dieser Aktion“, erklärte er am Rande der Demonstration. Auffällig war tatsächlich der hohe Anteil russischsprachiger Ordner.
„Kampf zwischen Gut und Böse“
Zu dieser zweiten Demonstration unter dem Motto „Gegen den Sexualkundeunterricht in Grundschulen“ kamen nur etwa 300 Menschen, darunter auch Mitglieder von pro Köln. Als RednerInnen traten neben Gerd Hengsberg, der für die Initiative sprach, auch Farida Belghoul und Béatrice Bourges aus Frankreich sowie der Belgier Alain Escada ans Mikrofon. Letzterer ist Vorsitzender des der Piusbruderschaft nahestehenden CIVITAS-Instituts und vertrat die Auffassung, der Kampf gegen die sexuelle Revolution sei „ein Kampf zwischen Gut und Böse zwischen der Keuschheit und dem Laster, zwischen Christus und dem Teufel“. Dafür erntete er frenetischen Beifall.
Béatrice Bourges ist Sprecherin des katholischen Bündnisses Le Printemps français („französischer Frühling“), bis März 2013 vertrat sie die Initiative Le Manif pour Tous, welche die Massendemonstrationen gegen die „Homo-Ehe“ in Frankreich organisierte (siehe S. 20). Farida Belghoul ist noch näher am Lieblingsthema von Besorgte Eltern: Sie initiierte die Kampagne „Journée de Retrait de l’École“ („Tag der Schulverweigerung“). Aus Protest gegen Sexualkundeunterricht sollten Eltern ihre Kinder einen Tag im Monat nicht zur Schule gehen lassen.
Positive Berichte über die Aktionen der Besorgten Eltern finden sich auf der Internetseite pi-news und in der Blog-Zeitung FreieWelt.net. Während erstere als rechtspopulistisches Forum bekannt ist, ist die zweite eng angebunden an das Lobbynetzwerk Zivile Koalition um das Ehepaar Sven und Beatrix von Storch, das wiederum eng mit der Alternative für Deutschland (AfD) verflochten ist. Herausgeber von FreieWelt.net ist Sven von Storch, im Redaktionsbeirat sind mit Karl Feldmeyer und Klaus Peter Krause zwei regelmäßige Junge Freiheit-Autoren und die Sprecherin der Initiative Familienschutz Hedwig Freifrau von Beverfoerde vertreten.
Jenseits der Demonstrationen wurde im Januar dieses Jahres auch eine Petition zur „Streichung des §33 (Sexualerziehung) aus dem Schulgesetz für das Land NRW“ ins Leben gerufen. Dort heißt es Sexualerziehung solle „Privatsache zwischen Eltern und Kindern sein, um schädliche Einflüsse, die über den Unterricht durch die einzelnen Parteien mit moralisch zweifelhaftem Hintergrund auf die Schüler einwirken können, zu verhindern“. Gestartet wurde sie von Marco Trauten , ehemaliger Vorsitzender der AfD Essen. Allerdings erhielt sie nur 6.990 UnterstützerInnen. Es fehlten genau 43.010, um sie dem Kultusministerium zu übergeben.
„Schwaben-Aufstand gegen Sexplan“
In Baden-Württemberg entzündete sich Protest an einem für 2015 geplanten Bildungsplan, in dem eine Verankerung der „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ vorgesehen ist. Diese soll jungen LSBTTIQ (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, transsexuell, intersexuell, queer) dabei helfen, sich ohne Druck outen zu können. Eine Online-Petition mit dem Titel „Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ erzielte zwischen dem 28. November 2013 und dem 27. Januar 2014 knapp 200.000 Unterschriften, viele davon über rechte und klerikale Online-Netzwerke.
An den bisher vier Demonstrationen in Stuttgart nahmen jeweils zwischen 500 und 1000 Menschen teil. Das rechtspopulistische COMPACT-Magazin schrieb vom „Schwaben-Aufstand gegen Sexplan“. Nannten sich die OrganisatorInnen der ersten beiden Demonstrationen noch Besorgte Eltern und lehnten sich damit auch an die Demonstrationen in Köln an, so erfolgte mit der dritten Demonstration offensichtlich ein Wechsel. Seither fungiert das Bündnis Rettet die Familie als Dachorganisationen. Dessen Mitgliedsgruppen sind zum Teil unionsnah wie die CDL Baden-Württemberg oder diverse Evangelische Arbeitskreise von CDU-Kreisverbänden oder aber rechtskonservative Familien-Lobby-Organisationen wie das Familiennetzwerk e.V. oder das Forum Familiengerechtigkeit.
Koordinatorin des Bündnis Rettet die Familie ist Kerstin Kramer, die „Basis- und Kampagnenleiterin“ der Initiative Familienschutz, die unter derselben Adresse in Berlin zu finden ist wie die Zivile Koalition. Geleitet wurden die beiden letzten Demonstrationen von der bereits erwähnten Sprecherin der Initiative Hedwig von Beverfoerde.
Als RednerInnen trat bei den vier Demonstrationen ein Potpourri unterschiedlicher religiöser und rechter Organisationen auf: von skurrilen Splitterparteien und Sekten über Vertreter vom großen französischen Vorbild Le Manif pour tous, der Junge Freiheit-Autorin Gabriele Kuby bis zu FunktionärInnen der AFD und einzelnen CDU’lern. Die katholische Antifeministin und Mitglied der Priesterbruderschaft Pius X. Inge Thürkauf wandte sich in ihrem Redebeitrag bei der zweiten Demonstration direkt an Ministerpräsident Winfried Kretschmann: „Sie selbst sind nicht nur Familienvater, Sie sind auch unser Landesvater und Sie sind katholischer Christ und in dieser Eigenschaft erlaube ich mir, Sie nun anzusprechen: Wir bitten Sie, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um die Gender-Ideologie zumindest in Ihrem Regierungsbereich Baden-Württemberg zu stoppen, um uns und unsere Kinder zu bewahren – vor der Neuen Weltordnung der Sexualität.“
Langer Atem?
Christliche FundamentalistInnen verschiedener Strömungen, von den Evangelikalen bis zu den katholischen TraditionalistInnen der „Piusbruderschaft“, stellten den Hauptteil der Demonstrierenden gegen den Bildungsplan-Entwurf in Stuttgart. Doch auch AktivistInnen extrem rechter Gruppierungen wie NPD/JN, Die Rechte, pi-news und Identitäre Bewegung nahmen teil. In fundamental-christlichen wie neonazistisch-völkischen Kreisen wird nicht-heterosexuelles Verlangen und Begehren als „krank“, „pervers“, „unnatürlich“ gesehen. Dass ein staatlicher Bildungsplan-Entwurf, der unter anderem eine „Verankerung der Akzeptanz sexueller Vielfalt“ unterstützt, in diesen Kreisen auf wenig Nächstenliebe stößt, verwundert nicht.
In Köln wie in Frankfurt haben sich ebenso seltsame wie besorgniserregende Allianzen gegen Sexualerziehung gebildet. Während sich in NRW bisher keine spürbaren Erfolge zeigten, fühlte sich der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann offenbar verpflichtet, sich mit den UrheberInnen der Online-Petition zu treffen und Veränderungen am Bildungsplan-Entwurf vornehmen zu lassen.
Ob sich die geschmiedeten Allianzen auch auf weitere Felder übertragen lassen und wie lange der Atem der „Frühsexualisierungs“-GegnerInnen reicht, wird sich zeigen. In Köln ist es jedenfalls still geworden um die Besorgten Eltern, während für Augsburg und Dresden Veranstaltungen beworben werden. Vielleicht hat Ebert sich ja wieder seinem alten Thema, den Chemtrails, zugewandt.