Die Retter der „Weißen Rassen“
Die extreme Rechte in der Ukraine
„Wir müssen den Russen in uns töten!“ Irina Farion, Philologin aus dem westukrainischen Lwiw und Abgeordnete der faschistischen Partei Swoboda im ukrainischen Parlament, ist ganz in ihrem Element. Es ist der 14. Oktober, der Tag, an dem sich die Gründung der UPA, der Ukrainischen Aufstandsarmee (Ukrajinska Powstanska Armija), zum 72. Male jährt. Die UPA – das ist die Faschistentruppe gewesen, die im Zweiten Weltkrieg an der Seite der deutschen Besatzer auf polnischem und sowjetischem Territorium einen ukrainischen Staat gründen wollte und dabei an die hunderttausend Polinnen und Polen jüdischen wie christlichen Glaubens massakrierte. Farions Swoboda fordert schon lange, ihren Gründungstag zum nationalen Feiertag, zum „Tag der ukrainischen Waffen“ zu erklären, und deshalb hat die Partei dieses Jahr zu einer Demonstration in Kiew aufgerufen. Tausende nehmen teil und ziehen durch die Straßen der Hauptstadt. Tags zuvor gab es dort eine kleine Anti-Kriegs-Kundgebung: Einige wenige Kämpfer der Nationalgarde hatten, des mörderischen Gemetzels in der Ostukraine überdrüssig, ihre Demobilisierung verlangt. Farion ist, wie die gesamte ukrainische Rechte, stocksauer. Man darf, wettert sie, im Kampf gegen Russland keine innere Schwäche zeigen: Die schlimmsten Feinde seien „Versöhnler und Kompromissler in unseren eigenen Reihen“.
Der „Tag der Helden“
Die Kiewer Ereignisse vom 14. Oktober 2014 verdienen es, sich etwas näher mit ihnen zu befassen. Denn mit dem Swoboda-Aufmarsch vom Vormittag war der Spuk, der in der Ukraine schon längst kein Spuk mehr ist, sondern eine relevante gesellschaftlich-politische Kraft, keineswegs vorbei. Es folgte ein Auflauf von rund 3.000 Faschisten vor dem nationalen Parlament. Anlass war, dass einige Abgeordnete dort den Antrag eingebracht hatten, die UPA-Milizionäre als reguläre Soldaten anzuerkennen. Als ruchbar wurde, dass die Werchowna Rada dem Ansinnen nicht stattgeben würde, begannen die Faschisten mit einem kleinen Sturm auf das Parlament. Steine und Rauchbomben flogen, die Polizei, die das Gebäude schützte, wurde mit Tränengas und mit Eisenketten bekämpft, Fensterscheiben splitterten. Dabei blieb’s immerhin, und das war eigentlich noch harmlos. Nicht wenige der anwesenden Faschisten hatten schon im vergangenen Winter auf dem Majdan gekämpft, wo sie nach einer Weile anfingen, Molotow-Cocktails mit Katapulten auf Polizisten zu schleudern und nach Schusswaffen zu greifen. An den eskalierenden Protesten vom 14. Oktober waren auch Milizionäre des Nazi-Bataillons Asow beteiligt, das im ostukrainischen Bürgerkrieg kämpft und sich dort nicht wirklich auf den Einsatz von Rauchbomben und Eisenketten beschränkt. Dass seine Milizionäre auch anders können als am Jahrestag der UPA-Gründung in Kiew, das wissen alle in der Ukraine.
Der „Tag der Helden“ endete – nun, „friedlich“ kann man es nicht nennen, auch wenn die Steine am Abend auf dem Boden blieben. Rund 2.000 Faschisten beschlossen ihr Tagwerk mit einem Fackelmarsch durch die ukrainische Hauptstadt, 5.000 zogen durch die ostukrainische Millionenstadt Charkiw – unter dem Motto „Ukraine über alles“. Weitere Gedenkdemonstrationen – übrigens unter Beteiligung von UPA-Veteranen – gab es in den Faschisten-Hochburgen der Westukraine, in Lwiw, in Ternopil, in Iwano-Frankiwsk und in Luzk. Auf den Erinnerungsmärschen sei man sich in einem Punkt völlig einig gewesen, hieß es in Berichten: „Die UPA-Kämpfer sind ein unvergessliches Vorbild für die ukrainische Jugend.“
Wasser auf die Mühlen
Die ukrainischen Faschisten erleben seit einigen Jahren einen stetigen Aufschwung. Ihre erste Organisation, die den Durchbruch schaffte, war die Partei Swoboda, die bei den Parlamentswahlen im Oktober 2012 10,45 Prozent erlangen konnte und mit 37 Abgeordneten in die Werchowna Rada einzog. Sie prägte die frühen Majdan-Demonstrationen Ende 2013 mit. Auf dem Majdan gewann dann der „Rechte Sektor“ Sympathien, weil er die „Selbstverteidigungskräfte“ der Protestierenden wirkungsvoll verstärkte. Er war als Bündnis hart zulangender Faschistentrupps entstanden, die teils Erfahrungen im bewaffneten Kampf besaßen – aus Bürgerkriegen in Georgien und in Russland (Tschetschenien). Die Regierungsbeteiligung von Swoboda nach dem Umsturz am 22. Februar, dann die sich verschärfenden Spannungen zwischen der Ukraine und Russland und der beginnende Bürgerkrieg in der Ostukraine waren erneut Wasser auf die Mühlen der extremen ukrainischen Rechten, deren Markenzeichen seit je neben krassestem Antisemitismus ein unbändiger Hass auf alles Russische war und bis heute noch ist. Anhänger der Majdan-Proteste meinten Entwarnung geben zu können, als bei der Präsidentenwahl am 25. Mai 2014 Swoboda-Chef Oleh Tjahnibok mit 1,16 Prozent der Stimmen weit abgeschlagen auf Platz zehn landete und Dmitro Jarosch, der Führer des Rechten Sektor, mit 0,7 Prozent der Stimmen auf Platz elf. Dass die Entwarnung an der politischen Entwicklung in der Ukraine vollkommen vorbeiging, war schon damals deutlich erkennbar, und es bestätigt sich jetzt erneut.
Zum einen zeigt sich die anhaltende Stärke der extremen Rechten auf parteipolitischer Ebene. Wer das Ergebnis der Präsidentenwahl Ende Mai genauer betrachtete, bemerkte schon damals, dass die Niederlage von Tjahnibok und Jarosch nur ein Teil der Geschichte war. Damals galt all denjenigen, die eine Stichwahl vermeiden wollten, um den Krieg gegen die Aufständischen in der Ostukraine schnell eskalieren zu können, ein Sieg Petro Poroschenkos in der ersten Runde als wünschenswert; dass in solchen Situationen taktisch gewählt wird, zumal weder Tjahnibok noch Jarosch auch nur irgendwelche Chancen hatten, in eine Stichwahl zu gelangen, ist völlig normal. Dennoch wurde die äußerste Rechte drittstärkste Kraft: Oleh Ljaschko, Führer der Radikalen Partei, kam auf 8,3 Prozent der Stimmen. Der politische Newcomer konnte vor allem im Swoboda-Milieu wildern, was nicht nur daran lag, dass Swoboda in der Umsturzregierung Minister stellte und sich durch politische Kompromisse bei der extremen Rechten unbeliebt machte. Hinzu kam, dass es Ljaschko gelang, durch eine spezielle Art politischer Agitation Sympathien zu gewinnen.
Verschleppt und gefoltert
Ljaschkos Agitation hat seit dem Frühjahr immer wieder Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen. Im Mai etwa verschleppte er in der Ostukraine einen vermeintlichen prorussischen Aktivisten, zog ihn halb aus, fesselte ihn, verletzte ihn und unterzog ihn einem „Verhör“, filmte das Ganze und stellte sein Produkt auf seine Website. Mit einer Reihe ähnlicher Aktionen kam er in Teilen der ukrainischen Öffentlichkeit so gut an, dass es sogar zum dritten Platz bei der Präsidentenwahl reichte. Nach den Wahlen machte er weiter. Unter anderem wütete er Anfang Juli in Slowjansk, nachdem die Stadt von den ukrainischen Streitkräften zurückerobert worden war; erneut dokumentierte er sein Wirken im Internet. „In einem Video zwingt er den Bürgermeister von Slowjansk, einen ‘freiwilligen’ Rücktrittsbrief zu verfassen“, berichtet Amnesty International: „Als ihm der Bürgermeister dies verweigert, droht Ljaschko damit, ihn aus dem Fenster im vierten Stock des Gebäudes zu werfen, woraufhin der Bürgermeister einwilligt. In einem weiteren [Video, J. K.] droht Ljaschko dem Chef der Slowjansker Polizei damit, ihn zu töten“, weil er einen vermeintlichen Separatistenanführer noch nicht festgenommen habe, fährt Amnesty fort. Der Film zeigt, wie der Vorsitzende der Radikalen Partei den Polizeichef nötigt, ihm die Wohnanschrift des Mannes auszuhändigen, diesen dann ergreift und auf die Polizeiwache verschleppt.
Ljaschkos Aktivitäten werden unterschiedlich beurteilt. Amnesty International erklärt, man betrachte „die Handlungen von Oleh Ljaschko und seinen bewaffneten Truppen als gravierende Verletzung internationaler rechtlicher Standards“. Laut Umfragen von Anfang Oktober sehen 12,8 Prozent der ukrainischen Bevölkerung das vollkommen anders und halten die Aktivitäten für so sinnvoll, dass sie bei der Parlamentswahl am 26. Oktober Ljaschkos Partei wählen wollen. Demnach käme die extreme Rechte in der Ukraine, zählt man die Stimmen für Swoboda und den Rechten Sektor dazu, auf knapp ein Fünftel der Stimmen. Die Parlamentswahl stand bei Erscheinen dieser Ausgabe der LOTTA kurz bevor.
„Persönlich bin ich ein Nazi“
Die Stärke der extremen Rechten zeigt sich auch in den faschistischen Milizen in der Ostukraine. In gewisser Hinsicht ist ihre Gründung eine doppelte Notlösung gewesen. Die ukrainischen Streitkräfte waren, als die Regierung in Kiew die Unruhen im Osten des Landes militärisch niederschlagen wollte, in einem beklagenswerten Zustand; mit ihnen konnte man keinen Bürgerkrieg gewinnen. Die Gründung von Freiwilligenverbänden kam der Regierung deshalb gerade recht. Allerdings hatte sie dafür auch noch ein zweites Motiv, über das offiziell nicht gesprochen wird. Auf dem Majdan hatten sich bewaffnete Faschisten zusammengerottet, die mit dem Umsturz vom 22. Februar längst noch nicht zufrieden waren und eigentlich eine „sozial-nationale Revolution“ anstrebten; das Umsturzregime musste sie deshalb irgendwie besänftigen oder anderweitig beschäftigen. Was drohte, wenn man das unterließ, das zeigte exemplarisch das Massaker von Odessa am 2. Mai, bei dem Faschisten Regimegegner in das dortige Gewerkschaftshaus trieben, es anzündeten und Linke, die sich mit einem Sprung aus dem Fenster retten wollten, mit Knüppeln erschlugen. Sie ermordeten mehr als 40 Menschen. Das Massaker ist bis heute nicht aufgeklärt. Der beginnende Bürgerkrieg bot nun die Chance, die gewalttätigen Faschistenhorden in den Kämpfen im Osten des Landes zu entsorgen; viele nahmen das Angebot, ihrem Hass auf alles Russische mit der Waffe in der Hand praktischen Ausdruck verleihen zu dürfen, tatsächlich dankend an.
Eines der Resultate ist das Bataillon Asow, zu dessen Gründern übrigens Oleh Ljaschko gehört. Seine Symbole sind eine Schwarze Sonne sowie eine Wolfsangel, die ältere Ukrainerinnen und Ukrainer möglicherweise noch von der SS-Division „Das Reich“ kennen, die sich ihrer bei ihren Mordbrennereien in der heutigen Ukraine gleichfalls als Erkennungszeichen bediente. Politischer Kern des Bataillons ist die Sozial-Nationale Versammlung (Sozial-Nazionalna Asambleja, SNA), die sich auf dem Majdan am Aufbau des Rechten Sektors beteiligte und ihrerseits ein faschistisches Bündnis um den Patriot der Ukraine (Patriot Ukrainy), eine ältere militante Organisation der extremen Rechten, darstellt. „Persönlich bin ich ein Nazi“, erläuterte ein hilfsbereiter Asow-Milizionär, als ein Reporter des britischen Telegraph wissen wollte, welche politischen Positionen denn in dem Bataillon vertreten würden. Als er weiter forschte, stieß er auf Bekenntnisse des SNA- und Asow-Führers Andrij Bilezkij, die weiteren Aufschluss boten. „Die historische Mission unsere Nation besteht in diesem kritischen Moment darin, die Weißen Rassen der Welt in einem letzten Kreuzzug für ihr Überleben anzuführen“, so schätzte Bilezkij die herausragende Bedeutung der ukrainischen Naziszene ein. Und er vergaß nicht hinzuzufügen, was für ein Kreuzzug das genaugenommen sei: „Ein Kreuzzug gegen die Semiten-geführten Untermenschen.“
Erwähnt werden muss, dass im Bataillon Asow inzwischen auch west- und nordeuropäische Nazis kämpfen. Einer von ihnen ist Michael Skillt, ein Aktivist der Svenskarnas Parti; Mitglieder dieser Partei hatten bereits an den Auseinandersetzungen auf dem Majdan teilgenommen. Auch Nazis aus Frankreich und Italien gehören dem Bataillon Berichten zufolge an. Erwähnt werden muss aber auch, dass das Bataillon zwar noch gelegentlich in Scharmützel verwickelt ist, seine ursprüngliche Aufgabe jedoch – es wurde unter anderem zum Häuserkampf bei der Eroberung ostukrainischer Städte eingesetzt – inzwischen kaum mehr wahrnimmt; der Waffenstillstand hindert es daran. Das ist die Ursache dafür, dass Milizionäre des Bataillons am 14. Oktober einen kleinen Betriebsausflug in die ukrainische Hauptstadt unternahmen. Der Gedanke, dass sie an Reisen nach Kiew Geschmack finden könnten, treibt die neuen Herren der Ukraine gegenwärtig um.
Die Glorie der Milizen
Und so kombinieren sie das Nützliche mit dem Angesagten: Sie binden Milizionäre des Bataillons Asow und anderer teilweise faschistischer Kampfverbände in ihre Parteistrukturen ein. Bestes Beispiel ist die Volksfront (Narodnij Front) von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk. Weil Soldaten rein rechtlich gesehen politischen Parteien nicht beitreten dürfen, hat die Volksfront einen „Militärrat“ gegründet, dem die Anführer mehrerer Freiwilligen-Bataillone angehören, darunter Asow-Führer Bilezkij, der Retter der „Weißen Rassen“. Jazenjuk hofft vermutlich, die Asow-Milizionäre durch die Einbindung ihres Chefs von einer „sozial-nationalen Revolution“ abhalten zu können. Außerdem geht er wohl davon aus, dass die Einbindung faschistischer Bürgerkriegs-Milizionäre die Popularität seiner Volksfront aufbessern und womöglich den originären Parteien der extremen Rechten einige Stimmen abspenstig machen kann. „Die Bevölkerung goutiert die Kampfhandlungen“ in der Ostukraine „mehrheitlich, es findet eine Glorifizierung des Militärs statt“, musste Mitte Oktober selbst Anton Schechowzow einräumen, ein Politikwissenschaftler, der im Frühjahr noch die Rolle der extremen Rechten auf dem Majdan verharmlost und einen Aufruf der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung mitunterzeichnet hatte, die zunehmenden Aktivitäten ukrainischer Faschisten doch nicht so sehr zu betonen. Milizionäre – gern auch faschistische – in die eigenen Reihen aufzunehmen, ist inzwischen angesagt in der Ukraine; gleich mehrere Parteien haben es Jazenjuks Volksfront gleichgetan.
Ein Beispiel, das den Aufstieg führender Personen aus der extremen Rechten in die heutige Führungsriege der Kiewer Politik deutlich macht, ist die Karriere von Tetjana Tschornowol. Einer größeren Öffentlichkeit wurde sie erstmals im Winter 2000/2001 bekannt. Damals gab es Proteste auf dem Majdan, die sich gegen die Herrschaft korrupter Oligarchen im Lande wandten; Tschornowol, damals Pressesprecherin der faschistischen Organisation UNA-UNSO, die sich bei den Protesten um die Security kümmerte, war mit dabei. Als die UNA-UNSO anfing, Absprachen mit den Behörden zu treffen, trat sie aus Protest gegen derlei „Kompromisslertum“ aus der Vereinigung aus, wurde Journalistin und machte sich mit Recherchen über die herrschende Korruption einen Namen. Ende 2013 fand man sie auf dem Majdan wieder, am 5. März 2014 wurde sie zur Leiterin des Nationalen Anti-Korruptions-Komitees ernannt. Und ihre politischen Positionen? Im Sommer posierte sie als Kämpferin des Nazi-Bataillons Asow, dem sie sich inzwischen angeschlossen hatte, und erklärte, auf ihre militärischen Ambitionen angesprochen: „Ich fühle mich hier an der Front sehr wohl“. Ob sie dort bleibt? Wer weiß. Jazenjuk, der ihren Bataillonschef Bilezkij in den „Militärrat“ seiner Partei integriert hat, hat ihr – ihre beträchtliche Popularität in Rechnung stellend – Platz zwei auf der Liste seiner Volksfront für die Parlamentswahl überlassen. Das zeigt recht deutlich, welchen Popularitätsfaktor man in Kiew Personen wie der ehemaligen UNA-UNSO-Aktivistin und ihrem Nazi-Bataillon Asow beimisst.