Einmal Opferrolle rückwärts
Argumentationsmuster des organisierten Antifeminismus
In den letzten Jahren gelingt es den Netzwerken des organisierten Antifeminismus im deutschsprachigen Raum vermehrt, medienwirksam aufzutreten. Im Gegensatz zum traditionellen Antifeminismus wird dabei vor allem die männliche Verletzbarkeit taktisch und emotional in den Vordergrund gestellt. Das Netzwerk der sich selbst als Maskulisten bezeichnenden Antifeministen stellte Robert Claus bereits in LOTTA #48 vor. Im Folgenden werden Schlaglichter auf die Argumentationsmuster des organisierten Antifeminismus geworfen.
Antifeminismus gibt es seit es Feminismus gibt. Dabei ist er jedoch wandlungsfähig und passt sich immer wieder den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen an. So auch der sich selbst als „Maskulismus“ bezeichnende organisierte Antifeminismus. Der Antifeminismus eint unterschiedliche AktivistInnen, andere politische Einstellungen treten in den Hintergrund. Dementsprechend heterogen ist die Szene. Neoliberale Einstellungen stehen neben konservativen und religiösen Vorstellungen und völkischen Argumentationen. Die Netzwerke des organisierten Antifeminismus umfassen im deutschsprachigen Raum einige hundert Männer und einige wenige Frauen und organisieren sich vor allem im Internet. Zu deren Hauptakteuren zählen die Internetplattform Wieviel Gleichberechtigung verträgt das Land, die Vereine agens und manndat sowie einige Einzelpersonen.
Einmaleins des Antifeminismus
Der Antifeminismus geht zum einen davon aus, dass Feminist_innen Männern gegenüber ablehnend bis hassend auftreten. Weiterhin wird die Komplexität und Widersprüchlichkeit feministischer Bewegungen größtenteils übersehen oder geleugnet. Drittens findet sich die Ansicht, Feminismus verfüge über zu viel Macht beziehungsweise sei sogar hegemonial und herrschend. Eine neuere antifeministische Argumentation baut darauf auf, dass sich die grundsätzliche Legitimität von Gleichberechtigung im öffentlichen Diskurs immer schwerer in Frage stellen lasse und die rechtliche Gleichstellung weit vorangeschritten sei. Daher habe der Feminismus seine Berechtigung verloren, Gleichberechtigung sei erreicht und jegliche weitere feministische Intervention würde zu einer Benachteiligung von Männern führen.
Männer – die neuen „Opfer“
„So gesehen sind Männer die Juden der BRD“, schrieb Rainer Hamprecht, ehemaliger Mitbetreiber von wgvdl.com. Jenseits des Vergleichs der behaupteten Diskriminierung von Männern mit der Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen im Nationalsozialismus und der damit einhergehenden Verharmlosung der Shoa offenbart diese Aussage den paranoiden Realitätsverlust, der der männlichen Opferideologie innewohnt. Sie geht davon aus, dass Männer in eigentlich allen Lebenslagen diskriminiert würden und dass die Frauen oder der Feminismus daran Schuld seien. Als Antwort darauf werden in erster Linie traditionelle Geschlechtervorstellungen, die wiederhergestellt werden müssten, vertreten.
Im Mainstream findet sich der männliche Krisendiskurs als gemäßigtes Pendant. Die Themenpalette reicht von der schulischen Benachteiligung von Jungen über den „Kampf“ für „Väterrechte“ bei Trennungen bis zum Beklagen des Verlustes von Männlichkeit. Diese Art der Opfer-Konstruktion ist in neonazistischen Kreisen untypisch. Zwar wird auch hier häufig eine Bedrohungssituation gezeichnet, diese bezieht sich dann jedoch auf das „deutsche Volk“. Diese behauptete Bedrohung dient als Legitimation eigener Aggressivität oder Gewaltanwendung.
VerteidigerInnen Deutschlands
Der organisierte Antifeminismus gibt sich zwar „international“ – so gab es zum Beispiel drei „internationale Antifeminismus-Treffen“ in der Schweiz -, doch scheint dies eher der potenziellen Vernetzung als der eigenen Ideologie geschuldet zu sein. Dafür sprechen verschiedene Äußerungen – zum Beispiel wird eine „(feministische) Bundesrepublik“ als Gegensatz zu „Deutschland“ beklagt – und die häufige Gleichsetzung von Feminismus, Gender und EU. Die EU würde, zum Beispiel durch Gender Mainstreaming, Feminismus nach Deutschland bringen und damit die Nation zerstören, so der maskulistische Duktus.
Rassismus ist zwar kein grundlegendes ideologisches Element des organisierten Antifeminismus, kommt aber trotzdem häufig vor. Zum einen seien weiße europäische Frauen durch den Feminismus charakterlich verdorben und hässlich. Zugleich fühlen sich weiße Antifeministen berufen, lautstark über Körper und Charaktere von Frauen aus der ganzen Welt zu urteilen, natürlich immer auf Basis angeblicher Kulturkreise oder ethnischer Gruppen. Ziel: Viel Sex ohne Verantwortung und unter Ausnutzung rassistischer und sexistischer Privilegien.
Auf der anderen Seite steht die arme, weiß-europäische Männlichkeit. Diese sei durch den Feminismus so stark gebeutelt, dass sie der angeblich starken Männlichkeit von Migranten nichts entgegenzusetzen habe. Der „Untergang des Abendlandes“ und der „Volkstod“ lassen grüßen.
„Natürlich“ Hetero?
Große Teile dieser Szene positionieren sich nicht nur frauenfeindlich und gegen Männer, die eine andere Sicht auf Geschlechterverhältnisse vertreten, sondern gegen alle, die sich nicht in das Zwangskorsett der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit pressen lassen. Oft werden Lesben mit Feministinnen gleichgesetzt. Dass lesbischer Sex eben ohne Männer auskommt, wird als Affront gegen die eigene Männlichkeit gesehen. „Lesbische“ Pornographie, die dem Lustgewinn heterosexueller Männer dient, erfreut sich hingegen hoher Beliebtheit.
Schwule werden als verweiblichte Männer gesehen und ausgegrenzt. Grundsätzlich wird Homosexualität häufig aus der religiös-konservativen Ecke der Szene angegriffen, da sie unmoralisch sei. Einige wenige Stimmen sprechen sich für eine Zusammenarbeit mit Schwulen aus, solange diese zuerst Männer und dann erst Schwule seien. Ähnliche Argumentationen sind auch aus Teilen der neonazistischen Szene bekannt: Männliche Homosexualität, solange sie versteckt ist, wird ignoriert. Sobald es aber Konflikte mit einem solchen Mann gibt, ist es auf einmal doch wichtig und wird für Angriffe genutzt.
Der organisierte Antifeminismus bildet einen Schnittpunkt und eine Zuspitzung verschiedener antifeministischer Spielarten. So gibt es Überschneidungen zum Antifeminismus im Mainstream, zu „LebensschützerInnen“, zu Argumentationen von Burschenschaften und auch zum völkischen Antifeminismus. Auch wenn es sich beim organisierten Antifeminismus um eine eher kleine Gruppe handelt, gelingt es dieser – beispielsweise durch Intervention in Foren großer Zeitungen – zumindest teilweise, Einfluss auf die Berichterstattung und den gesellschaftlichen Diskurs zu nehmen. In diesem Sinne ist es notwendig, den organisierten Antifeminismus ernst zu nehmen, ihn weiter zu analysieren und Gegenstrategien zu entwickeln.