Demonstrationspolitik der extremen Rechten
Wiederkehr der großen Aufmärsche oder neue Unübersichtlichkeit?
Verschiedentlich ist in den letzten zwei Jahren in antifaschistischen Publikationen davon die Rede gewesen, dass die großen Aufmärsche der neonazistischen Strömung an Bedeutung verloren hätten. Insbesondere die anlässlich der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten jeweils Mitte Februar von Neonazis veranstalteten Versammlungen hatten sich in wenigen Jahren zu Großveranstaltungen entwickelt, konnten aber durch eine bundesweite antifaschistische Mobilisierung eingeschränkt werden. Auch an anderen Orten haben sich die Proteste intensiviert.
Inzwischen ist die Situation komplizierter geworden. Dies liegt zum einen daran, dass bei verschiedenen Gelegenheiten die sonst im Regelfall anzutreffende Isolierung der extremen Rechten aufgehoben worden ist. Dies gilt neben PEGIDA insbesondere für Versammlungen der „Besorgten Eltern“ gegen eine angebliche „Frühsexualisierung“ durch Sexualkundeunterricht in Schulen. Zum anderen hat sich mit den PEGIDA-Demonstrationen eine neue Form und Dynamik rassistischer Mobilisierung gezeigt, die auch Auswirkungen auf extrem rechte Demonstrationspraxis haben wird.
Für die extreme Rechte waren Demonstrationen und Aufmärsche noch in den späten 1980er Jahren eher selten gewählte Aktionsformen. Nur vereinzelt von vor allem auf Wahlbeteiligung ausgerichteten Parteien wie der Deutschen Volksunion (DVU) bzw. Die Republikaner (REP) eingesetzt, waren sie insbesondere ein Mittel der neonazistischen Strukturen, den „Kampf um die Straße“ zu führen. Die ersten Aufmärsche der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) brachten nach bundesweiter Mobilisierung zwar nur 200 bis 300 Neonazis zusammen, stellten aber erste Versuche dar, auch in linken Hochburgen öffentlich und in Formation aufzutreten. In den ersten Jahren nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten wurde die Aktionsform dann häufiger eingesetzt und führte angesichts der nach 1990 rasch wachsenden neonazistischen Szene zu den ersten Aufmärschen mit deutlich mehr als 1.000 Teilnehmenden. Auch wenn die Demonstration gegen die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“, zu der am 1. März 1997 in München über 5.000 Anhänger *innnen der extremen Rechten kamen, nicht der erste Aufmarsch gegen diese Veranstaltung war, so hat sie sowohl der NPD als auch anderen neonazistischen Akteuren die Bedeutung und die Möglichkeiten dieser Aktionsform verdeutlicht. In der Folge kam es zu einer Vervielfachung der von Neonazis angemeldeten Aufmärsche.
Demonstrationskalender der extremen Rechten
Während die Mehrzahl der Aufmärsche lokale oder regionale Bedeutung hatte, gab es im Rahmen eines sich herausbildenden „Demonstrationskalenders“ zeitweise einige Demonstrationsdaten, die für die extreme Rechte übergreifend hohe Bedeutung hatten, da sie entweder durch eine hohe bzw. steigende Zahl an Teilnehmenden oder aufgrund ihrer Kontinuität herausragende symbolische Bedeutung erlangt hatten. Hierzu gehörten insbesondere die Aufmärsche im Zusammenhang mit der alliierten Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg (Mitte Februar), die öffentlichen Manifestationen anlässlich des 1. Mai, die Aufmärsche und Aktionen zu Ehren von Rudolf Heß (Mitte August) sowie die Demonstrationen und Kundgebungen am Soldatenfriedhof im brandenburgischen Halbe (Mitte November). Da die neonazistischen Aktionen in Halbe und Wunsiedel aufgrund von Änderungen im Versammlungsgesetz bzw. des Strafrechts nicht mehr durchgeführt werden konnten und die alljährlichen Aufmärsche in Dresden durch antifaschistisches Engagement nachhaltig gestört wurden, gab es zahlreiche Versuche, zunächst regional angelegten Aufmärschen überregionale Attraktivität und damit Kontinuität und steigende Beteiligung zu verschaffen (z.B. Dortmund, Magdeburg und im niedersächsischen Bad Nenndorf). Mit dem „Tag der Deutschen Zukunft“, der seit 2009 in wechselnden Städten durchgeführt wird, und den unangemeldeten meist nächtlichen Aufmärschen der sogenannten „Unsterblichen“ sind weitere Formen politischer Demonstrationen ausprobiert worden.
Nachdem sich Ende der 1990er Jahre die Zahl der jährlich mit mehr als 50 Teilnehmenden durchgeführten Aufmärsche auf etwa 100 pro Jahr erhöht hat, ist dieses Niveau weitgehend konstant geblieben. Die bis in die 2000er wichtigsten Mobilisierungsthemen – Gedenken an Rudolf Heß sowie die Aufmärsche gegen die Ausstellungen zur Wehrmacht sind der extremen Rechten abhandengekommen. Größere Bedeutung haben seitdem die Versammlungen, die darauf abzielen, den Beitrag der Alliierten zur Befreiung vom Faschismus zu diskreditieren – also die Aufmärsche in Bad Nenndorf (das Wincklerbad als „Folterlager“), in Remagen („Rheinwiesenlager“) sowie in zahlreichen Städten (Magdeburg, Demmin, Pforzheim, Weimar, Pirmasens, Dessau, Nordhausen usw.) anlässlich der Jahrestage der Bombardierung bis Anfang 1945. In Lübeck sind die entsprechenden Aufmärsche allerdings eingestellt worden. Zentrales Mobilisierungsthema der extremen Rechten – sei es Die Rechte, die NPD, Kameradschaften oder die pro-Bewegung – ist jedoch wieder das Themenfeld Einwanderung/Asyl/Islam, das auch mit verschiedenen anderen Aspekten – etwa Arbeitsplätze oder Kriminalität – kombiniert wird.
Die wachsende Zahl der Asyl- und Schutzsuchenden, neue Migrationsbewegungen und islamistische Aktivitäten sind Mobilisierungsanlässe der extremen Rechten. Dabei setzt diese an etlichen Orten auf eine kontinuierliche Kampagnenarbeit, zu der neben Flugblattverteilungen, Auftritten in Bürgerversammlungen und kommunalen Parlamenten auch wiederholte Demonstrationen gehören. Neben Berlin und Schneeberg, die in dieser Hinsicht nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung von „Durchschnittsbürgern“ bundesweit bekannt geworden sind, gab es umfangreiche rassistische Mobilisierungen auch in Städten und Regionen Thüringens und Bayerns.
Insbesondere beim Themenfeld Einwanderung/Asyl/Islam tritt die extreme Rechte mit dem Gestus derjenigen auf, die die Positionen und Sichtweisen der „schweigenden Mehrheit“ zum Ausdruck brächten. Tatsächlich zeigen entsprechende Umfragen, dass es hier beträchtliche Vorurteile und Aggressionen aus der Mehrheitsgesellschaft gibt. Dies ist das Potenzial, das die extreme Rechte zu erschließen und zu binden sucht. Erfahrungen in Schneeberg und Berlin zeigen, dass ihr dies in gewissem Umfang auch gelingen kann.
Veränderungen durch PEGIDA
In dieser Situation sind die PEGIDA-Demonstrationen in Dresden für die extreme Rechte ein zusätzliches Mobilisierungsmoment. PEGIDA wurde zwar von der NPD und vom Institut für Staatspolitik (IfS) hinsichtlich mancher Forderungen des Positionspapiers vom Dezember 2014 kritisiert, insgesamt weiß man aber zu schätzen, dass hier in bis dato unbekanntem Ausmaß eine rassistische Bürgermobilisierung gelungen ist. In der konkreten organisatorischen Unterstützung lokaler PEGIDA-Ableger und durch eine Intensivierung der Kontakte will die organisierte extreme Rechte Vorbehalte abbauen, wie Holger Szymanski als Landesvorsitzender der NPD Sachsen in der Februar-Ausgabe der Parteizeitung Deutsche Stimme betonte. Die Reden von Götz Kubitschek bei den Demonstrationen in Leipzig zielten auf eine Radikalisierung der Teilnehmenden in inhaltlicher wie strategischer Hinsicht.
Über viele Jahre war die organisierte extreme Rechte in einer Situation, wo viele ihrer Aufmärsche – nicht zuletzt aufgrund antifaschistischer Gegenproteste – von einem großen Polizeiaufgebot geschützt und damit auch von einer Beteiligung seitens „Durchschnittsbürgern“ abgeschirmt wurden. In jüngster Zeit ist die Abgrenzung und Trennung wiederholt aufgeweicht worden, so dass verschiedentlich Veranstaltungen stattfanden, bei denen die organisierte extreme Rechte nur einen Teil der Demonstrierenden stellte, während sich das Gros aus Reaktionären, Rassisten und Nationalistinnen zusammensetzte. Dies gilt für die antikommunistische Demonstration in Erfurt anlässlich der Wahl Bodo Ramelows zum Ministerpräsidenten Thüringens, für die öffentlichen Manifestationen der sogenannten Lebensschützer, die oftmals verschwörungstheoretisch und nationalistisch auftretenden „Mahnwachen für den Frieden“ und eben für die zahlreichen Veranstaltungen der PEGIDA. Deren Ableger waren in den meisten Städten rasch von der organisierten extremen Rechten dominiert – in der Hoffnung, in den jeweiligen Städten eine Dynamik á la Dresden entfachen zu können.
Neue Unübersichtlichkeit
Derzeit stellt sich die Situation hinsichtlich rechter Straßenproteste unübersichtlich dar. Neonazistische Kleinparteien wie Die Rechte oder Der III. Weg halten unverdrossen an der Aufmarschpraxis der letzten zwanzig Jahre fest. Sie bedienen die klassischen neonazistischen Kernthemen und betonen zum Teil wieder stärker Inszenierungselemente wie das Mitführen zahlreicher Fahnen, wie es die FAP oder der Freiheitliche Volksblock praktiziert hatten. Ein Sonderfall neonazistischer (Straßen)Politik stellt Dortmund dar, wo insbesondere die Partei Die Rechte mit mehreren Dutzend Veranstaltungen binnen Jahresfrist eine Dauerpräsenz auf der Straße anstrebt. Dies stellt nicht nur eine Provokation und Herausforderung der demokratischen Stadtgesellschaft dar, sondern dient auch als Anziehungspunkt für aktionistische rassistisch eingestellte Jugendliche und – in die Szene hinein – als exemplarisches Vorgehen in Sachen Gewinnung und Besetzung öffentlichen und diskursiven Raumes.
Die NPD hat in den letzten Jahren weitgehend auf zentrale Aufmärsche verzichtet. Landes- und Kreisverbände haben hingegen zahlreiche Aufmärsche organisiert. Auch hier ist das Themenfeld Asyl/Einwanderung/Islam zentral. Für manche Entscheidung, eine Demonstration durchzuführen, war allerdings auch die Konkurrenzsituation zu anderen neonazistischen Strukturen maßgeblich, denen man nicht das Feld überlassen wollte.
Für die pro-Bewegung sind die regelmäßig in Städten Nordrhein-Westfalens abgehaltenen Kundgebungen ein vergleichsweise einfacher und kostengünstiger Weg, mit meist geringer Zahl an Teilnehmenden Medienöffentlichkeit herzustellen. Sie konnte mit ihrem Image als „Bürgerbewegung“ von diesen Mobilisierungen auch an den Wahlurnen profitieren.
Die Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) haben zwar am 26. Oktober 2014 die seit langem größte offen rassistische Demonstration organisiert, in deren Rahmen es auch zu gewaltsamen Angriffen auf Polizei, Gegendemonstrant*innen und Journalist*innen kam. Das sichtbar gewordene Gewaltpotenzial führt jedoch dazu, dass jeder weiteren ihrer Veranstaltungen mit massiven Polizeikräften begegnet wird – so in Hannover am 15. November 2014, was eine Wiederholbarkeit einer Aktion wie in Köln unwahrscheinlich macht. Entsprechend haben sich HoGeSa-Akteure eher anderen Demonstrationen, etwa der vielen PEGIDA-Ableger, angeschlossen statt unter eigenem Namen aufzutreten.
Zwar ist es den PEGIDA-Ablegern mit Ausnahme von Leipzig nicht gelungen, eine den Ereignissen in Dresden vergleichbare Dynamik zu entfachen. Die über mehrere Monate erfolgreichen Mobilisierungen in der sächsischen Landeshauptstadt hinterlassen insbesondere, aber nicht nur bei den unmittelbar Beteiligten ein Gefühl und eine Erfahrung der Ermächtigung, die bei zukünftigen Gelegenheiten wieder abrufbar sein können.
Diese Vielfalt demonstrativen Auftretens von Neonazis, extremer Rechter und Nationalist*innen, Antisemit*innen und Rassist*innen stellt für antifaschistisches Handeln eine Herausforderung dar.